Selbst ein Raclette-Grill oder ein Sack voller Kartoffeln stellen für das neue Wilier Adlar kein Problem dar. Das italienische Gravelbike richtet sich laut dem Traditionsunternehmen an "Bikepacker, Entdecker und Radreisende" und musste sich daher im Praxistest auch als Lastenrad beweisen. Unser Test umfasste eben dieses exotische Gepäck, da Raclette und Zutaten nun mal an Silvester von A nach B gebracht werden mussten.
Die meisten Abenteuer-Radfahrer bevorzugen zwar Utensilien wie einen Gaskocher oder Schlafsack, aber auch mit dieser ungewöhnlichen Fracht konnten wir herausfinden, wie sich die Fahreigenschaften des Gravelbikes verändern. Das Modell zeichnet sich zwar durch seinen Rennradlenker aus, es war aber aufgrund seines radikalen Konzepts nur bedingt anhand der Testkriterien unseres Schwestermagazins TOUR zu bewerten.
Was bedeutet nun “radikal” beim einem augenscheinlich recht normalen Diamantrahmen mit tiefem Sitzstrebenansatz? Das Rahmendreieck ist lang gezogen und kombiniert mit einem kurzen Vorbau (85 Millimeter), einem flachen Lenkwinkel (70 Grad), einem langen Radstand (1085 Millimeter) und einem großen Gabelnachlauf (83 Millimeter). Dadurch ähnelt das Gravelbike Adlar eher einem Hardtail als einem klassischen Rennrad und überzeugt uns vor allem durch seine ausgezeichnete Stabilität - egal auf welchem Untergrund. Das präzise Handling wird durch einen breiten Aluminiumlenker von Ritchey unterstützt, der an den Enden eine Breite von 60 Zentimetern hat. Daher Obacht! Vorsicht in engen Passagen!
Darüber hinaus sorgt die starke Kröpfung (upsweep) des Lenkers für eine außergewöhnlich aufrechte Sitzhaltung. Das Highlight des Carbonrahmens ist das innovative Beladungssystem. Mit nur wenigen Handgriffen können zwei robuste Gepäckträger von Miss Grape aus Italien befestigt werden. Dank der massiven Sitzstreben und der Verankerung an der Steckachse kann das Fahrrad mit bis zu 35 Kilogramm beladen werden, so sagt Wilier. Das Set bestehend aus Gepäckträgern und Taschen ist in zwei Ausstattungsvarianten schon dabei oder kann als zusätzliches als Zubehör erworben werden. Außerdem gibt es am Wilier Adlar sechs Montagepunkte am Rahmen und an der Gabel, Ösen für Schutzbleche sowie ein integrierter Kabelkanal für ein Dynamo-Licht, um den Aufbau des abenteuertauglichen Fahrrads abzurunden.
Das Wilier ist ein spannendes Konzept und erfüllt alle Anforderungen eines geländegängigen Abenteuerrades. - Matthias Fischer, BIKE-Mechaniker
Das Rahmen-Set des Wilier Adlar ist solide konstruiert und besteht aus robusten Aluminium-Anbauteilen. Bereits ohne das Bikepacking-Kit wiegt das Fahrrad schon knapp unter unter 10 Kilogramm. Mit Gepäckträger, längeren Steckachsen und (leeren) Taschen erhöht sich das Gewicht auf 12,8 Kilogramm. Das Fahrrad ist also deutlich weniger für schnelle Sprints geeignet, als für Langstreckenfahrten. Komfortable Langstrecken...
... denn der Federkomfort des neongelben Fahrrads wird durch die hochwertigen Reifen im Mountainbike-Format und den langen Auszug der Sattelstütze deutlich verbessert. Die schlauchlos montierten Pirelli-Reifen mit einer nominellen Breite von 50 Millimetern dehnen sich auf 54 Millimeter aus und dämpfen Hindernisse, wie größere Steine oder Wurzeln, fast spielerisch aus. Der geringere Komfort am Lenker ist aufgrund der hecklastigen Gewichtsverteilung kaum spürbar, insbesondere wenn das Fahrrad mit Gepäck beladen ist. Es können Reifen mit einer Breite von bis zu 52 Millimetern montiert werden. Außerdem besteht die Möglichkeit, eine Federgabel mit maximal 40 Millimetern Federweg nachzurüsten.
Alternativ kann das Gravelbike noch individueller angepasst werden, wie es Wiebke Lühmann gemacht hat, die mit ihrem Wilier Adlar von Freiburg im Breisgau zum Kap der Guten Hoffnung fährt.
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Ein Nachteil der großen Reifenfreiheit am Wilier Adlar besteht darin, dass am geschwungenen und plattgedrückten Sitzrohr kein Platz für einen Umwerfer ist. Das Sitzrohr soll laut Hersteller als "integriertes Schutzblech" dienen, aber diese Funktion haben wir ausmachen können. Die mechanische 12-fach Shimano GRX-Schaltung in der Mountainbike-Übersetzung (10-51 Z.) - auch Mullet-Version genannt - hat zwar ausreichend leichte Gänge für alle Fahrsituationen, aber an steilen Anstiegen sind die Gangsprünge groß.
Das Adlar brachte das TOUR-Testcenter insofern an seine Grenzen, dass vergleichsweise sehr hohe Gewicht und Schwächen bei der Systemsteifigkeit des Rahmens (5,72 N/mm liegt am unteren Ende der neuen Bewertungsskala) auf dem Klemmbrett nur zu einer Note 2,9 führten.
Aber: Die Testen haben weder mit noch ohne Zuladung etwas davon in der Praxis bemerkt. Das mag auch an den Rennrad-untypisch niedrigen Geschwindigkeiten im Gelände liegen. Bei schnellen Abfahrten, insbesondere auf Asphalt, sollte man sich dennoch auf ein schwammiges Fahrverhalten und geringere Lenkpräzision einstellen. Wilier bietet sein extremstes Gravelbike in fünf verschiedenen Ausstattungsvarianten ab 3700 Euro an. Das getestete Adlar kostet 4000 Euro, aber die Italiener listen das Bike mit schmaleren und günstigeren Vittoria-Reifen auf. Die Top-Version verfügt über eine elektronische Schaltung Sram Rival XPLR und wird mit einem Bikepacking-Kit geliefert, das einen stolzen Aufpreis von 600 Euro hat.
Gesamtnote des Gravelbikes: 2,9