Interview deutscher Meister Max BrandlWerden XC-Rennstrecken zu gefährlich?

Marc Strucken

 · 04.07.2024

Der amtierende deutsche Meister Max Brandl ging beim XC-Weltcup in Crans Montana an der Start.
Foto: Piper Albrecht
Beim XC-Worldcup in Crans Montana stürzen Athleten. Der deutsche Meister Max Brandl bricht sich den Kiefer mehrfach. Kritik wird laut am Veranstalter und dessen Mutterkonzern Warner Bros.: Werden die Rennstrecken immer (lebens-) gefährlicher - nur für die Live-Übertragungen auf Discovery?

Das XC-Weltcup-Wochenende im Schweizer Crans Montana hat nicht nur Sieger und Verlierer hervorgebracht, sondern auch eine Diskussion darüber, wie spektakulär eine Wettkampfstrecke sein darf. Seit 2023 überträgt Discovery die Rennen live, was einerseits schön ist, weil der Sport mehr Aufmerksamkeit bekommt. Andererseits scheint man den Einfluss zu bemerken, den Warner Bros. - der Medienkonzern hinter Discovery und anderen Sendern - auf die Rennen nimmt.

Nach dem XC-Rennen in Crans Montana mit vielen Stürzen wird Kritik laut: Die Strecke wäre zu gefährlich gesteckt, alles sei auf die spektakulären Fernsehbilder hin ausgerichtet. Und im aktuellen Fall: Der Technische Delegierte der UCI war nicht vorhanden. Dieser geht normalerweise auf die Weltcup-Strecken, nimmt diese in der Regel ab und gibt sie für den Wettkampf frei.

Neben Tom Pidcock und Nino Schurter hat auch der ehemalige Fahrer des BIKE Junior Teams und deutsche Meister, Max Brandl, einen kapitalen Sturz hingelegt. Pidcock und Schurter blieben unverletzt - Max Brandl crashte im Steinfeld und landete mit dem Gesicht auf dem Boden. Er hat den Unterkiefer an zwei Stellen gebrochen. Achtung, was jetzt kommt, ist nichts für schwache Gemüter. Brandl wurde operiert und hat nun zwei Platten im Kiefer montiert. Die Zähne am Unterkiefer wurden einzeln mit Schrauben wieder fixiert. Das Kiefergelenk hat einen Trümmerbruch.

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Interview Max Brandl: My jaw! It’s broken!

Nach seinem Rennunfall in Crans Montana haben wir mit Max Brandl gesprochen. Ihm geht es den Umständen entsprechend gut. Aber in seinen Antworten erkennt man, wie sehr ihn die offenbar gewordenen Missstände beim Rennen ärgern.

BIKE: Was ist genau passiert?

Max Brandl: Im berüchtigten Rock Garden in Crans Montana bin ich auf Position 6 liegend in der dritten Runde von der gratartigen Fahrlinie in der B-Linie abgekommen. Dabei bin ich zuerst etwas nach links gerutscht, habe dann nach rechts überkorrigiert und dann komplett die Kontrolle verloren. Man konnte auf den mit Matsch bedeckten Felsen auch nicht bremsen. Mein Rad ist dann komplett nach rechts weggerutscht und ich nach links zwischen die Felsen gestürzt. Dort gab es auch einige größere Lücken, sodass meine Arme deutlich tiefer auf den Boden aufgekommen sind, als der Rest meines Körpers und ich so keine Chance hatte mich richtig abzufangen.

Ich bin dann mit dem Kinn in einen Felsen gekracht, gefühlt ungebremst, weil meine Hände ins Leere gegriffen haben. Zwischen Linie A und B gab es Matten, auf welche ich mich nach dem Sturz ziemlich direkt selbst gehievt habe, um aus der Strecke zu sein. Das erste was ich - vor Schmerz ziemlich im Schock - gerufen habe war: “My jaw! My jaw! It’s broken!”. Es hat sich wirklich so angefühlt, als wäre meine untere Gesichtshälfte komplett Matsch - so schlimm ist es ja zum Glück doch nicht gewesen. Es kamen auch sofort Helfer, teilweise anscheinend mit medizinischer Ausbildung und haben mir von der Strecke geholfen. Ich wurde dann selbst gehend von ihnen in den nahegelegenen 3 x 3 m Medi-Pavillon gebracht.

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Inwiefern war das ein Problem der Strecke?

Es gab natürlich 4 offizielle Linien an dieser Stelle mit unterschiedlicher Schwierigkeit, Gefährlichkeit und Schnelligkeit, aber natürlich stehen auch alle unter dem Druck die schnellste Linie zu fahren. Es kann auch immer was passieren, wir spielen schließlich kein Schach, aber ich finde man kann die Linien schwierig bauen und trotzdem für ein gewissen Maß an Sicherheit sorgen. Das könnte man zum Beispiel so umsetzten, dass man entweder aus der Linie heraus stürzen kann, wo keine Felsen liegen, oder - noch besser - dass man die Strecke an den schwierigen Stellen im Notfall verlassen kann und über einen Umweg nach dem technischen Stück wieder auf die Strecke kommt, einen Notausgang sozusagen.

Bei vielen Strecken kann man auch irgendwie an den Seiten aus der Strecke herausholpern, muss dann wieder zurück und dort aufsteigen, wo man die Strecke verlassen hat. Aber dort in Crans Montana gab es einfach absolut keinen Spielraum für Fehler, gerade bei nassen Bedingungen, da die Linien durch unbefahrbare Felsen begrenzt waren. Außerdem gab es überall Lücken zwischen den Felsen, wo man bei einem Sturz mit Füßen und Händen drin stecken bleiben kann, was mir ja auch mehr oder weniger passiert ist. Das ist einfach nur fahrlässig, weil es weder optisch viel ausmacht, noch den fahrtechnischen Anspruch in irgendeiner Weise verringert, wenn man die sauber auffüllt.

Da kann man auch noch die anderen drei schwierigen bzw. gefährlichen Stellen erwähnen: die Baumstamm-Sektion, die Abfahrt mit dem Wasserfall-Gap und die Abfahrt kurz vor dem Ziel. Die waren genauso sinnlos, technisch nicht wirklich schwierig, aber sehr gefährlich.

Der Deutsche Meister Max Brandl stürzt so schwer in Crans Montana, dass er sich den Unterkiefer bricht.Foto: Piper AlbrechtDer Deutsche Meister Max Brandl stürzt so schwer in Crans Montana, dass er sich den Unterkiefer bricht.

Du sagst, ein kleiner 3x3 Meter Pavillon für die medizinische Versorgung. Wie war die Krankenversorgung insgesamt organisiert?

Das war im Nachhinein wirklich schockierend. Es gab einfach kein offizielles Medical-Center und das bei einer Veranstaltung dieser Größe, von der Gefährlichkeit mal ganz abgesehen. Letztes Jahr in Val di Sole bin ich überhitzt und wurde in ein locker 100 Quadratmeter großes Medical Center gebracht. Dort war die Versorgung sehr professionell und es waren Ärzte vor Ort. In Crans Montana wurde ich direkt nach dem Sturz zwar in einen kleinen Pavillon gebracht und erstversorgt. Es gab ein kleines Gehirnerschütterungs-Assessment, meine offenen Wunden wurden aber wirklich schlecht gereinigt und nach etwas Drücken am Kiefer wurde dieser schon als nicht-gebrochen diagnostiziert.

Damit und mit dem Auftrag, zum Nähen der Platzwunde am Kinn ins Spital zu gehen, wurde ich entlassen und von einem Volunteer zu einem Geländewagen gebracht. Das war eigentlich das Wildeste, denn dabei sind wir gut 50 m durchs Gestrüpp gekraxelt. Davon war ich irgendwann ziemlich angesäuert und habe gefragt, was sie eigentlich machen würden, wenn ich nicht mehr laufen könnte. Denn es wäre wirklich unmöglich gewesen, mich dort durch zu tragen. Das blieb ohne eine Antwort.

Im Nachhinein betrachtet, wäre es meiner Meinung nach auch etwas angebrachter gewesen, mich liegend und mit einer Nackenfixierung zu transportieren, da ich ja komplett auf den Kopf gefallen bin und auch einiges an Kraft auf den Nacken und die Wirbelsäule gewirkt hat. In Begleitung war mittlerweile auch Marc Schäfer, U19-Bundestrainer, der von Bundestrainer Peter Schaupp zu mir zum Medical-Point geschickt wurde, und er ist zum Glück auch mit mir im Geländewagen mitgefahren, damit ich immerhin zum Team-Zelt komme - ein größeres Medical-Center gab es ja nicht. Dort wurde ich abgesetzt und von unserem Team-Physiotherapeut weiter versorgt.

Der Posten des Technischen Delegierten der UCI war nicht besetzt

Danach bist du dann aber doch glücklicherweise in ein Krankenhaus gekommen. Würdest du sagen, dass das alles ein lokales Problem war oder gibt es öfter bei Rennen solche Vorfälle?

Ich denke schon, dass es in Crans Montana besonders schlimm war und sonst sowohl die Strecken, als auch die medizinische Versorgung besser durchdacht sind. Was die Strecke angeht, scheint es, wie es mir durch der Diskussion im Nachgang erst bewusst wurde, dass die Veranstalter (Anm. d. Red.: Warner Bros.) den Posten des Technischen Delegierten der UCI, der im Reglement vorgeschrieben ist, nicht besetzt haben. Dieser ist eigentlich für die Streckensicherheit verantwortlich und gerade bei einer neuen Strecke ist es natürlich fatal, wenn er fehlt. Aber anscheinend fehlt der nicht erst seit Crans Montana. Insofern gibt es auf jeden Fall auch auf anderen Weltcupstrecken fragwürdige Stellen, aber Crans Montana war schon ein anderes Level mit den vier genannten Stellen.

Was würdest du dir von den Organisatoren wünschen?

Die Strecken sollten zumindest durch ein internationales Rennen im Vorjahr eingefahren sein. In Crans Montana wurde letztes Jahr ja sogar die Schweizer Meisterschaft ausgetragen, aber eben auf einer anderen Strecke. Außerdem muss sie sauber vom Technischen Delegierten abgenommen werden und nicht von ein paar E-Enduro-Fahrern “getestet” werden mit anderthalbmal so viel Federweg und Reifenbreite.

Zusätzlich sollten die Sturz- und “Notausgang”-Optionen ein Thema werden - man kann ja alles gerne schwierig bauen, aber deshalb muss es noch nicht gefährlich sein. In Nove Mesto zum Beispiel werden, denke ich, die größten Unterschiede bergab in der langen Abfahrt zum Ziel gemacht und die ist lang, weil sie relativ flach ist. Da kommt es wirklich darauf an, wie effizient man fahren kann, wie gut man Geschwindigkeit mitnehmen kann. Und nicht darauf, wie furchtlos man sich irgendwo hinunterstürzt, wie in der Zielabfahrt in Crans Montana oder zum Beispiel auch in den Abfahrten in Leogang.

Zahn auf Stein - das kann nicht gut gehen... für den Zahn.Foto: Piper AlbrechtZahn auf Stein - das kann nicht gut gehen... für den Zahn.

Interview mit Bernd Sigel, Team-Manager des BIKE Junior Teams

Fragen an Bernd Sigel, Team-Manager des BIKE Junior Teams, in dem Max Brandls Karriere als Rennfahrer gestartet ist. Er macht sich große Sorgen: zum einen um Max und dessen Gesundheit. Zum anderen darum, ob er junge Fahrerinnen und Fahrer überhaupt noch ruhigen Gewissens auf solche Rennstrecken schicken kann.

Bernd Sigel (links) - hier mit den Mitgliedern des Bike Junior Teams Max Ebrecht (Mitte) und Paulina Lange.Foto: Lynn Sigel FotografieBernd Sigel (links) - hier mit den Mitgliedern des Bike Junior Teams Max Ebrecht (Mitte) und Paulina Lange.

BIKE: Wie bewertest du Max‘ Unfall?

Bernd Sigel: Hier ist Max das Opfer der Sensationsmentalität, die im XCO immer mehr Einzug hält. Die Verantwortung trägt in diesem Fall - denke ich - ganz klar der Veranstalter. Ob getrieben von Warner Bros kann ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall ist es fatal, wenn der Technische Delegierte weggestrichen wird und somit die Athletensicherheit nicht genug beachtet wird.

Was ist deine Kritik an dem Rennen in Crans Montana?

Das war ganz klar eine zu gefährliche, nicht wetterfeste Strecke. Es gab Mängel in den Sturzräumen. Und vor allem eine katastrophale medizinische Versorgung.

Was ist deine Kritik am derzeitigen Rennzirkus?

Die Verantwortung für die Athletinnen und Athleten kommt zu kurz. Es muss das Ziel sein, selektive, fordernde Wettkämpfe zu organisieren, ohne die Gesundheit der Menschen fahrlässig zu gefährden. Ich habe den Eindruck, dass das spektakuläre Fernsehbild wichtiger wird.

Welche Schlüsse ziehst du aus der Geschichte für die Saison?

Ich werde mit unseren Teamfahrern die Sicherheitsaspekte besprechen. Sie ermutigen, wenn Streckenteile zu gefährlich sind, darüber zu sprechen und gegebenenfalls auch mal die sichere Variante zu wählen. Wenn erforderlich, werden wir als BIKE Junior Team einschreiten.

Welche Schlüsse ziehst du vielleicht für Zukunft daraus?

Wenn sich der Weltcup zum Zirkus entwickelt, in dem Fahrer zu Gladiatoren degradiert werden, dann muss ich mich fragen, ob ich das verantworten kann, die Kids auf diesem Weg zu fördern.

Hältst du abgeschwächte Kurse für Frauen und Junioren/-innen für sinnvoll?

Ja, alters- und leistungsgerechte Varianten würden den Athleten gerecht.

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