George David Atherton (39) ist in der Szene als Gee Atherton bekannt. Oft wird der Brite auch G-Man (Gun-Man) genannt oder King George als Anspielung auf Attitude und Stellung in der Welt der Gravity-Biker.
Gee ist zweifacher Downhill-Weltmeister (2008, 14), holte zwei Mal Silber beim spektakulärsten Wettkampf im Bikesport, der Red Bull Rampage, gewann die legendäre Red Bull Hardline (2018) und ist mit 39 Jahren noch so erlebnishungrig und adrenalinsüchtig wie mit 21.
Wir sprachen mit Gee über den 20-Meter-Drop, den er bei der Red Bull Rampage 2023 wagte, Risiko im Bikesport und warum er nie auf die Idee käme, es ruhig angehen zu lassen.
FREERIDE: Gee, hast du den Verstand verloren – wie kann man einen 20-Meter-Drop machen?
Gee Atherton: Wenn man sich seiner Sache sicher ist. Und ich war mir meiner Sache ziemlich sicher. Weißt du, wenn man zur Rampage kommt, kann man entweder Spaß haben, Teil der Show sein oder du greifst an. Angreifen heißt, du gibst dein Bestes, gehst über dein Limit und wagst ein paar dicke Dinger. Für mich stand fest: Ich will angreifen.
Es gab Stimmen, die sagten, du hättest die Landung größer und sicherer bauen sollen. Dafür wäre massig Zeit gewesen. Was sagst du dazu?
Die Landung war okay. Natürlich hätte ich sie schöner machen können, bewässern, glatt ziehen, damit sie besser aussieht. Doch handwerklich war die Landung gut gebaut und funktionsfähig. Die Landung hatte nichts damit zu tun, dass ich gestürzt bin.
Was ging schief?
Ich war zu schnell. Ich fiel viel zu weit runter und landete zu tief auf dem Landehügel. Schon als ich über die Kante rollte, merkte ich: “Verdammt, ich bin zu schnell!” Doch da war es zu spät. Nix mehr, was du machen kannst. Du segelst sehenden Auges ins Verderben. Dazu kam , dass mich der Wind etwas zur Seite drückte. Der Wind kippte mich und brachte mich in eine sehr ungünstige Position. Sprich: Genau so will man nicht landen aus der Höhe. Kurzum: Die Landung hätte aussehen können wie sie wollte, unter diesen Voraussetzungen war der Aufschlag einfach zu heftig.
Dir passierte also das Gleiche wie Clemens Kaudela bei seinem Monster-Drop?
Genau, zu schnell. Doch das war auch sehr schwer einzuschätzen. Der Drop besaß kein Gap. Es war ein Oldschool-Drop: die Landung war direkt unter der Klippe. Es war richtig schwer, nicht zu weit zu springen. dazu kommt, dass du bei solchen Stunts ziemlich unter Dampf stehst und dazu neigst, zu viel Gas zu geben.
Es heißt, es war der höchste Drop, der je im Mountainbiking versucht wurde.
Kann gut sein. Vermutlich war er das. Wäre das Gap zwischen Absprung und Landung etwas größer, hätte ich es geschafft. Doch das lässt sich im Nachhinein immer leicht sagen.
“Alle fliegen in die Sonne zum Biken und ich muss zu Hause bleiben in England, im Winter. Das ist grausam und testet wirklich meine Psyche”, sagt Gee Atherton.
Jetzt bist du zu Hause in England, rennst von einem Physio-Termin zum nächsten und machst deine Reha. Wie schwer waren die Verletzungen?
Ziemlich übel. Ich brach mir den Rücken und den Nacken. Und den Schädel, da wo die Wirbelsäule in den Kopf mündet. Eine richtig schlimme Verletzung. Doch ich bin so froh, dass es nicht schlimmer ist. Das Problem war, dass ich beim Aufprall um die eigene Achse gewirbelt wurde. Ich fiel also rückwärts auf den Boden und mein Kopf hämmerte richtig in die Erde. Das war ein krasser Impakt und eine richtig ungünstige Position für einen Sturz.
Was sagen die Ärzte?
Die Prognosen sind gut, es sollte wieder so werden wie es zuvor war. Da habe ich wirklich Glück. Ich musste für einige Monate eine Halskrause tragen. Sie zurrte meine Kopf nach unten. Das war eine harte Zeit, doch die Krause bin ich jetzt los. Nun kann ich schon wieder im Gym trainieren.
Was haben deine Geschwister Rachel und Dan zu der Aktion gesagt oder noch besser: deine Eltern.
Ha ha, die waren offensichtlich nicht begeistert. Die reagieren jedes Mal allergisch, wenn ich zur Rampage aufbreche oder was Riskantes vorhabe. Doch hey, wenn du ein Risiko eingehst, besteht immer die Gefahr, dass was schief geht. Das ist die Natur des Risikos. Dieses Mal hatte ich einfach Pech. Ich habe einen kleinen Fehler gemacht, der große Konsequenzen hatte.
Dafür ist die Rampage prädestiniert.
Bei einem Event wie der Rampage liegen die Nerven blank, da bist du im Vollgas-Modus, stehst unter Dampf – und das reicht dann aus, dass man etwas zu schnell abspringt.
Gee, du bist ein harter Hund. Das hast du unzählige Male bewiesen. Doch Red Bull Hardline, Rampage, eine riskante Episode deiner Rigdeline-Serie – alles in einem Jahr und unmittelbar nach deiner letzten schweren Verletzung – was ist los mit dir, bist du in der Midlife-Crisis?
Nee, nee. Keine Sorge. Meine ganze Bike-Karriere war ich so. Ich habe mich nicht geändert. Ich muss an meine Grenzen zu gehen. So bin ich nun mal. Natürlich hätte ich mich auch voll aufs Racing konzentrieren können. Doch mich interessierten schon immer Stunts, krasses Zeug zu bauen, Events wie die Hardline oder Rampage und verrückte Filmprojekte. Die Elemente waren schon immer in meinem Leben. Ja, manchmal bringt das auch Verletzungen mit sich, doch so ist das nun mal.
Und an der Einstellung können selbst solche fiesen Verletzungen nichts ändern? Von der Rampage hast du jetzt aber genug.
Nein, überhaupt nicht. Ich liebe diesen Event. Und ich will auch wieder mitmachen. Ich freu mich drauf da draußen in der Wüste zu sein mit den Jungs, bauen, fahren. Die Rampage fasst das zusammen, was ich gerne auf einem Bike mache.
Deine Eltern werden durchdrehen, wenn sie das hören.
Ich sag es ihnen nicht. (lacht)
Du bist ein Tier, wenn es darum geht wieder fit zu werden, hart zu trainieren, einen Sturz wegzustecken. Was ist besonders herausfordernd?
Mir wird’s schwer ums Herz, wenn alle aufbrechen zu spannenden Projekten, Events oder nach Neuseeland fliegen zum Biken und ich muss zu Hause bleiben. Das ist hart. Daheim zu sein, im Winter und nur das Gym zu haben und Termine beim Physio-Therapeuten. Da fällt es schwer, sich zu motivieren. Ich sag mir dann jedes Mal: Nur wenn du jetzt trainierst, wirst du bald wieder auf dein Bike steigen. Das hilft.
Wie sieht dein Alltag gerade aus?
Jeder Tag ist anders. Doch mein Hauptziel ist, meinen Nacken wieder beweglich zu kriegen und zu stärken. Doch auch den Rest des Körpers muss ich stärken. Das klingt jetzt crazy, doch ich laboriere auch noch an alten Verletzungen rum von vorherigen Stürzen. Die muss ich auch noch in den Griff kriegen. Die letzten Jahre waren hart.
Was tut alles weh, wenn du morgens die Beine aus dem Bett schwingst?
Das klappt ohne Schmerzen. Mein Körper heilt sehr schnell und ich tue alles, um ihn zu unterstützen. Ich achte drauf, genug Schlaf und Erholungsphasen zu haben und auf eine gesunde Ernährung.
Da kneift nix und zwickt nix?
Logisch zwickt es und kneift es, und ich bin manchmal steif und ungelenkig. Doch der Körper ist eine unglaubliche Maschine. Ich will nicht alt werden ohne ausgereizt zu haben, wozu diese Wahnsinnsmaschine in der Lage ist.
Du bist ein Trainingsexperte. Was sind deine Top-3-Übungen, um fit zu sein auf dem Bike?
Nicht leicht, das zu beantworten. Fürs Biken ist am besten Biken. Im Gym sind dynamische Ganzkörper-Übungen super. Und ganz wichtig: Mach nicht immer das Gleiche. Wechsele das Programm spätestens alle sechs Woche und fordere den Körper immer wieder aufs Neue heraus.
Was sind deine Pläne für 2024 oder ist es dafür noch zu früh?
Es ist noch ein bisschen früh. Das lässt sich erst abschätzen, wenn ich wieder biken kann. Ich habe Lust auf Filmprojekte, und ich würde mich freuen, wenn ich bei der Red Bull Hardline in Wales wieder dabei sein könnte.
Dieses Jahr gibt es ja sogar einen zweiten Event in Tasmanien.
Die Hardline in Tasmanien Ende Februar ist ein Test, ob sich das Format auch auf andere Länder übertragen lässt. Darüber brüten wir mit Red Bull schon geraume Zeit. Der Track in Wales ist einzigartig. Es ist gar nicht leicht, so was in einem anderen Land nachzubauen. Es wäre klasse, wenn aus der Hardline eine Serie werden würde.
Beißt sich das nicht – Worldcup und Hardline-Series? Sprich: zu viel Risiko, als dass die Worldcupper an beidem teilnehmen. Und eine Hardline ohne Bernard Kerr oder Jackson Goldstone wäre fad.
Ich sehe da keinen Unterschied. Die Hardline ist nicht riskanter als ein Worldcup. Und die Fahrer haben Lust auf das Format Hardline. Ich glaube nicht, dass es da Konflikte geben wird.
Gibt es Selbstmord-Tourismus in Wales? Hobby-Freerider, die versuchen die Stunts der Hardline auszuprobieren?
Lacht. Nein, damit gibt es gar keine Probleme. Es gibt zwar viele, die uns mitteilen, dass sie einige Stunts gerne mal versuchen würden. Doch wenn sie die dicken Nummern vor Ort sehen, sagen sie: No fucking way!
Es heißt, die Hardline sei erfolgreicher als der Downhill-Worldcup?
Ja, das ist wahr. Und schon seit Jahren. Vor allem auch, das gesamte Social-Media-Interesse.
Wie steht es mit dir und dem Downhill-Worldcup?
Letztes Jahr bin ich einen gefahren. Ich liebe den Worldcup. Nagle mich aber nicht fest, ich muss erst sehen wie fit und stark ich wieder werde.
Deine Bike-Marke Atherton-Bikes feiert ihr 5jähriges Bestehen. Du müsstest deine Schäfchen doch im Trockenen haben.
Willst du mich in den Ruhestand schicken? Das würde ich nie wollen. Mir geht es überhaupt nicht ums Geld. Nix was ich je gemacht habe, war fürs Geld. Das mache ich alles, weil ich es liebe. Das füllt mich aus. Etwas fürs Geld zu machen, ist der falsche Antrieb.
Gibt es etwas, das du bei all der Bikerei verpasst hast im Leben. Was steht auf deiner Bucketliste – Girtarre-spielen lernen, Fliegenfischen in Schottland, Hubschrauber-Pilot werden?
Nix davon. Wenn ich zurück blicke, bereue ich, nicht noch mehr Hardlines mitgefahren zu sein. Oder jede Rampage in den letzten 20 Jahren. Oder mehr Filmprojekte. Ich habe das Gefühl, nicht genug gemacht zu haben.
Wenn du zurück blickst auf deine Karriere, welche Moment würdest du gerne noch einmal erleben?
Ich würde gerne die Zeit zurück drehen zu der Woche vorm Rampage-Finale letztes Jahr. Das war eine der spaßigsten Wochen in meinem Leben. Ich war in der Wüste beim Biken, sprang fette Gaps, baute Sprünge und Stunts mit meinen Freunden. Das war so spannend. Wenn ich einen Knopf drücken könnte und dort sein, den Knopf würde ich drücken.