Text: Thomas Genon
Niemand erwartet von mir, dass ich die Hardline gewinne. Das kann ich gar nicht. Wenn ich eingeladen werde, gehen die Organisatoren schon davon aus, dass Tommy G auf den hinteren Plätzen landet. Denn ich bin Freerider. Aber das gilt nicht nur für mich, sondern für jeden Freerider. Versteht mich nicht falsch, ich bin ein Wettkampf-Typ und sehr ehrgeizig. Doch meinen Speed kannst du mit dem der Downhill-Racer nicht vergleichen. Ich habe nicht den Funken einer Chance. Warum also starten? Ganz einfach: Ich liebe die Herausforderung und will die Skills besitzen, so eine tuffe Strecke zu fahren. Und ich kann euch sagen: Das Hardline-Training zahlt sich aus. Ich habe mich noch nie so gut gefühlt auf meinem Bigbike wie nach der Woche Hardline.
Die Red Bull Hardline Wales-Strecke ist der krasseste Downhill-Track der Welt. Selbst die besten Racer tun sich hier schwer, runterzukommen. Bei jedem rast der Puls, doch mich versetzt der Kurs in Angst und Schrecken – ich übertreibe nicht! Am Anfang des Trainings dachte ich: “Nein, ich will hier nicht runterfahren!” Jeder Run ist purer Stress. Und jeder Run kann dich ins Krankenhaus befördern. Deswegen bin ich sparsam mit dem Training – nur nicht zu viel riskieren! Allerdings bin ich viel kalkulierter und risikoscheuer als die meisten hier.
Woran liegt’s? Nun, vielleicht an meiner dicken Kranken-Akte. Ich hatte zu viele Verletzungen in meiner Karriere und bin alt & erfahren genug, nicht wie ein Hitzkopf drauf loszuballern. Mein Credo: Ich will bei der Red Bull Hardline Wales mitmachen. Ich will aber auch heil wieder nach Hause kommen. Den Kolumbianern scheint das egal. Als ich denen zuschaute, dachte ich: Die haben nicht mehr alle Tassen im Schrank! Das muss an den Urban-Downhill-Rennen liegen, die die Burschen meist fahren. Bekanntlich ist Urban-Downhilling das Verrückteste, was du auf dem Bike machen kannst. Vielleicht sind die Dudes so abgestumpft, dass sie sich durch gar nichts mehr erschrecken.
Dieses Jahr ist der Track in Wales länger und technischer geworden, der Rampensprung zum Tricksen ist verschwunden. Natürlich wünschte ich mir mehr Stunts, die Tricks erlauben, statt ausschließlich technische Steil-Passagen. Dennoch: Auf dem Track in Tasmanien bei der ersten Hardline des Jahres waren gar keine Tricks möglich – Tasmanien war ein reiner Vollgas-Race-Track.
Mich versetzt die Strecke in Angst und Schrecken – ich übertreibe nicht! Jeder Run ist purer Stress. Anfangs dachte ich: Nein, ich will da nicht runterfahren!
Am meisten Nervenflattern habe ich vor den Felspassagen nach dem Roadgap, also ziemlich am Ende des Kurses. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie fies die sind. Felsen überall, off camber und viele Knochenbrecher-Drops dazwischen – furchtbar! Wenn es da nass ist, kannst du gleich den Notarzt rufen. Dazu kommt, dass sich meine Arme zu dem Zeitpunkt in nasse Nudeln verwandelt haben und ich kaum den Lenker festhalten kann. Szymon Godziek hatte hier heftige Stürze, und der Frenchi Gaetan Vigé knockte sich sogar aus in dieser Stein-Hölle.
Stattdessen würde ich lieber drei Mal den stumpfen XXL-Drop springen, wo Brage Vestavik 2021 gecrasht ist. Ein richtig stumpfes Teil, den selbst ich nicht gut landen kann, obwohl ich viel Routine im Droppen habe. Jedesmal, wenn du über die Klippe kommst, denkst du: Shit! Entweder du hast Angst, zu schnell zu sein oder zu casen. Das hat zur Folge, dass du unweigerlich die Safety-Position einnimmst, die beschissenste Position für diesen Drop.
Denn du landest dann mit dem Heck zuerst, rauschst durch den Federweg, verlierst Traktion und kannst erst bremsen – zu spät für den folgenden Turn. Auf der ganzen Strecke gibt es nichts, worauf ich mich freue. Richtige Spaß-Nummern? Fehlanzeige! Am besten gefallen mir die Steilpassagen vor dem Brage-Drop, denn das ist Rampage-Style.
Ihr hättet sicher vermutet, dass ich die 90-Footer-Jumps mag. Nee, denn sie sind nicht geshapt, wie wir Freerider es mögen. Die Landungen sind so flach, dass du Speed verlierst und pedalieren musst – not cool, wenn du Schwung für einen weiteren Monsterjump brauchst. Das bringt Unruhe in die Fahrt und birgt die Gefahr, dass sich die Kette verklemmt. Bei dem Tempo schnalzt die wie eine Peitsche um die Kettenstrebe. Zum Vergleich: Die Jumps beim Loose-Fest in Belgien sind viel größer und doch angenehmer zu springen. Ich wünschte, die Hardline-Jumps wären so geshapt. Doch dann würden sich die Downhiller erschrecken, wenn sie auf einen Absprung zu fahren, der wie eine Wand vor ihnen steht und sie in den Himmel schießt.
Tahnée Seagrave meinte, sie hätte im vergangen Jahr jeden Tag an dieses Roadgap denken müssen. Sie war regelrecht besessen davon, denn sie hatte sich vorgenommen, es zu springen, und doch gruselte sie die Nummer bis ins Mark. Tatsächlich ist das Roadgap der berechenbarste Sprung des ganzen Tracks. Die Anfahrt ist aus Holz gebaut, der Absprung definiert, und alle kommen recht langsam aus der Steinpassage. Der Speed ist also für alle gleich. Technisch ist das Gap leicht, doch die Höhe schüchtert natürlich ein. Da geht es sicher 10 Meter runter, so genau weiß ich das gar nicht. Obwohl ich hier noch nie einen “sketchy” Moment hatte, denke ich bei der Anfahrt jedes Mal: “FUCK. IST. DAS. HOCH!”
Wo rast mein Puls schneller – bei der Red Bull Hardline Wales oder der Red Bull Rampage? Nun, würde ich im Racetempo die Hardline fahren, dann hier, doch das mache ich nicht. Ich bin ja so schon am Limit. Aber die Red Bull Rampage ist mein Ding, da bin ich bereit, in die Schlacht zu ziehen, will ich gewinnen, über meine Grenzen hinauswachsen und den höchsten 360er-Drop springen, denn ich je im Leben gemacht habe.
Für Szymon Godziek und mich war es ein bisschen komisch anfangs, denn wir kannten bei der Hardline kaum jemanden. Wir wussten gar nicht, mit wem wir da abhängen sollen. Die Racer kennen sich ja alle. Aber wir Neulinge wurden herzlich aufgenommen. Ich bin ein Fan der 50:01-Gang. Josh Bryceland war da, Graig Evans und Sam Hockenhall. Die Typen sind verdammt schnell und doch total relaxt – beeindruckend! Ich habe mich schon öfter mit Josh Bryceland unterhalten, und jedes Mal denke ich: “Verdammt, ich hab kein einziges Wort verstanden, das der Typ gesagt hat!” Doch mittlerweile gibt sich Josh Mühe mit mir und schwächt seinen Manchester-Akzent etwas ab. Viele der Top-Racer sind allerdings so aufs Rennen fokussiert, dass du von ihnen gar nicht viel mitbekommst. Die ziehen ihre Runs durch und verschwinden dann im Teamzelt.
Man kann Bernard Kerr getrost so nennen: Mister Hardline. BK hat das Rennen drei Mal gewonnen und fühlt sich auf dem Kurs so zu Hause wie kaum ein anderer. Er spielt Versuchskaninchen, wenn es darum geht neue Hardline-Stunts zu testen – für kein Geld der Welt würde ich das tun, denn das ist der beschissenste Job auf der ganzen Welt. Habt ihr gesehen, wie er zum ersten Mal die 90-Footer probiert hat? Crazy. Ich ziehe den Hut vor den Skills, die der Typ besitzt.
Von allen bei der Hardline wirkt Brendan Fairclough am gelassensten. Wenn es einen Rider auf der Welt gibt, der wirklich jedes Gelände befahren kann: “Brendog” kann! Er könnte sogar einen Top-to-Bottom-Run hinlegen, ohne sich den Kurs überhaupt anzuschauen. Das ist wirklich irre.
Was ist mit Matt Jones passiert? Ist er in den Zaubertrank gefallen? Ich kenne Matt aus seinen Slopestyle-Tagen, doch hatte keine Ahnung, wie wohl er sich auf dem Bigbike fühlt. Ich hatte gehört, dass er ein guter Downhiller sei, doch er ist viel besser, als ich vermutet hätte. Deswegen kann ich mir gut vorstellen, dass er mit dem Mix aus Dh-Skills und Tricks auch bei der Red Bull Rampage eine gute Figur machen würde. Let’s go, Matt!
Die Frauen haben mich beeindruckt. Wow! Ich glaube, Tahnée Seagrave könnte einen vollen Run hinlegen. Sie ist alles gefahren, außer den 90-Footern. Ich frage mich, ob sie mit ihren 50 Kilo da überhaupt schnell genug wird. Für ein Frauen-Race brauchst du natürlich mehr Fahrerinnen. Keine Ahnung, ob sich genug Frauen finden, die sich einen Full-Run zutrauen.
Eine Minute und 35 Sekunden dauert mein Final-Run. Ich bin gut unterwegs und brause gerade auf die 90-Footer zu und dann: Bämm! Meine Füße rutschen von den Pedalen, weil sich die Kurbeln nicht mehr drehen lassen – Kettenklemmer! Aus. Vorbei. Enttäuschung! Hätte sich die Kette bei der Red Bull Rampage verklemmt, wäre ich am Boden zerstört. Bei der Red Bull Hardline Wales kann ich es verkraften. Immer noch blöd natürlich, denn ich wollte im Finale ein Top-to-Bottom-Run hinkriegen. Jetzt muss ich wieder kommen! Red Bull Hardline 2025 – here I come!
Und... 24. Thomas Genon (BEL) +1:12.316