Reportage Maxxis BIKE Transalp 2024Von Laktat und Liebe

Jan Timmermann

 · 03.08.2024

Das Team-Konzept der Maxxis BIKE Transalp hat schon so manche Beziehung auf die Probe gestellt. Auch das Team BIKE Redaktion stand vor zwischenmenschlichen Herausforderungen.
Foto: Thomas Weschta
Die Maxxis BIKE Transalp ist der Etappen-Klassiker schlechthin. Ein Rennen über die Alpen - verrückt! Erst recht, wenn man eigentlich gar kein Rennfahrer ist. Dann nämlich vergrößert sich der sportliche Kampf gegen die Zeit und gegen die Berge um ein Duell mit der eigenen Identität. Gewinnen lässt sich dieses nur mit vereinten Kräften. Das Team BIKE Redaktion berichtet von ihrer Renn-Premiere.

In meinem Kopf fallen Geburtstag und Weihnachten auf denselben Tag. Die Sonne lacht, das Herz hüpft im Takt der Rock-Klassiker. In diesem Moment kapituliert das zentrale Nervensystem, öffnet alle Schleusen und schwemmt meinen Körper mit Endorphinen. Die Mundwinkel schmerzen vom Dauergrinsen. Ich bin völlig nüchtern und trotzdem im Rausch. Ein kurzer Blick zu Tobi verrät: Auch er droht im dicht besetzten Startblock vor Glück zu platzen. Der Startschuss fällt, wir fahren endlich wieder zusammen über die Alpen. In unserer 20-jährigen Freundschaft haben wir das schon oft getan, allerdings noch nie im Renn-Tempo. Die Maxxis BIKE Transalp ist eine siebentägige Party und wir sind gerade erst am Türsteher vorbei.

Was machen sieben Tage Marathon-Rennen im Team aus zwei alten Freunden?Foto: Igor SchifrisWas machen sieben Tage Marathon-Rennen im Team aus zwei alten Freunden?

Als BIKE-Redakteur konnte ich uns ein paar Benefits herausschlagen: Premium-Starterpaket, Premium-Bikes, Premium-Startplatz direkt am Hinterrad von Transalp-Legende Karl Platt. Yea! Ein wenig Übermut scheint nachvollziehbar. Nun kurbeln wir also im bunten Pulk der Gleichgesinnten die erste Rampe hinter Ehrwald hinauf und lassen uns vom Stimmungshoch mitreißen. Eigentlich liegen wir weit über dem vereinbarten Watt-Bereich. In der Euphorie hat es nur Sekunden gedauert, die guten Vorsätze über Bord zu werfen. “Ich hab richtig Bock!” strahlt Tobi im Wiegetritt neben mir. Eine Woche mit meinem Lieblings-Schul-Kumpel in meiner Lieblings-Landschaft. Ich bin völlig high. Auch die Tatsache, dass mich die brutalen Rampen des Marienbergjochs aus dem Sattel zwingen und mir in der darauf folgenden aerodynamischen Abfahrtshaltung fiese Krämpfe durch die Beine zucken, kann diesen Zustand nicht ändern. Ich schwebe drei Meter über dem Boden. Es ist, als hätte ich eine rosarote Bike-Brille auf der Nase. Doch wie viel gute Laune kann ein Mensch noch ertragen, sobald er seine körperlichen Grenzen erreicht?

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Noch hat das Team BIKE Redaktion gut lachen. Das Abenteuer Maxxis BIKE Transalp hat für sie gerade erst begonnen.Foto: Igor SchifrisNoch hat das Team BIKE Redaktion gut lachen. Das Abenteuer Maxxis BIKE Transalp hat für sie gerade erst begonnen.

Zwischen Flow und Fahrbahnerneuerung

“Juhu, Raaadfahreeen!” ruft Tobi neben mir. Es ist 5:40 Uhr und noch völlig dunkel. Trotzdem weiß ich, dass er vor lauter kindlicher Vorfreude aufrecht im Bett sitzt. Einen Wecker brauchen wir in sieben Tagen kein einziges Mal. Stets holt uns ein Cocktail aus Harndrang und Aufregung aus dem Ruhemodus. Schon flitzt Tobi durch den Raum und lässt einen lockeren Spruch nach dem anderen los, während er Pulver in Flaschen schüttet und Sonnencreme aufträgt. Dieser Mann ist wahrlich ein unerschöpflicher Quell an Energie und Motivation. Seit 26 Jahren ist die Maxxis BIKE Transalp wegen ihres Konzeptes berühmt, beliebt und berüchtigt. Inzwischen werden zwar auch andere Formate ausgetragen , traditionell wird jedoch im Zweierteam gestartet. Beim Frühstück prophezeit mir ein Wiederholungstäter, dass der eigene Teampartner mit der Zeit mehr und mehr zu einer Art Transalp-Ehepartner würde. Mit der Romantik ist es in unserer Zweckehe bereits am zweiten Tag vorbei, als Tobi beim Toilettengang konsequent die Türe offen stehen lässt. Trotzdem stimmt es: In guten, wie in schlechten Zeiten ist er für mich da. Bevor wir später am Tag im Duett durch den Flowtrail hinab nach Nauders kurven, nimmt mich mein Partner auf den langen Asphalt-Stücken von Etappe zwei in seinen Windschatten. Gemeinsam drücken wir uns durch die Mittagshitze und fliegen durch rabenschwarze Tunnel, in denen gerade ohrenbetäubende Fräsarbeiten durchgeführt werden. “Teamwork makes the dream work”, so sagt man.

Tobi kämpft vorne im Wind, während Jan Mühe hat, seinem Hinterrad zu folgen. Die Stärken und Schwächen sind ungleich verteilt.Foto: Markus GreberTobi kämpft vorne im Wind, während Jan Mühe hat, seinem Hinterrad zu folgen. Die Stärken und Schwächen sind ungleich verteilt.

Von Hause aus sind wir beide keine Marathon-Racer und wollen uns bei unserer ersten Transalp mit Zeitmessung die Hörner abstoßen. Wir lieben lange Touren mit anspruchsvollen Trails, sind beide fit und scheuen keine Höhenmeter-Orgien. Gemeinsam sind wir mit Zelt und Camping-Kocher im Rucksack schon eine Hand voll Male über Europas höchstes Gebirge gekurbelt. Den Alpenhauptkamm im Renntempo zu nehmen, ist aber eine ganz andere Nummer. Im Vergleich zu den Bergflöhen und Rennrad-Affinen des Teilnehmerfeldes bin ich zu groß und zu schwer. Tobi weiß, dass Tempo-Ritte und Flach-Passagen auf Straße meine Nemesis sind. Er zieht mich hinter sich her, motiviert für den letzten Drücker über die Kuppe und ist der Tempomacher unseres Gespanns. So kommt es, dass wir trotz mangelnder Wettkampf-Erfahrung in der Wertung mit den Weltklasse-Elite-Teams nach Tag Zwei auf Rang 21 liegen - Platz sechs unter den Amateur-Fahrern ohne UCI-Lizenz sogar.

Tobi und Jan vom Team BIKE Redaktion sind keine klassischen Marathon-Racer. Umso mehr freut sich das Duo über die regelmäßig eingestreuten Trails der Maxxis BIKE Transalp.Foto: Igor SchifrisTobi und Jan vom Team BIKE Redaktion sind keine klassischen Marathon-Racer. Umso mehr freut sich das Duo über die regelmäßig eingestreuten Trails der Maxxis BIKE Transalp.

Ohne Tobi wäre ich mit Sicherheit täglich eine Stunde länger auf der Strecke und hätte diese Platzierung nicht bis zum Ende halten können. Allerdings habe ich auch schon von Transalp-Pärchen gehört, die sich gegenseitig attackierten, erst so taten, als wäre alles ganz easy, um dann nach der Kurve und aus dem Blickfeld des Partners Vollstoff zu geben. Nur, um sich untereinander zu demoralisieren. 1999 gewann Mountainbike-Legende Gary Fisher die erste Etappe und reiste im Klinsch mit seinem Teampartner umgehend ab. Dieser hatte ihn bis zum Limit über die Berge getrieben. Nach Etappe zwei ist zwischen Tobi und mir noch alles harmonisch. Doch tief in meinem Innern schwelen die ersten Zweifel.

Sieben Tage, 24 Stunden zusammen sind eine lange Zeit. Werden Tobi und Jan es schaffen, gemeinsam am Gardasee anzukommen? Oder bleibt am Ende einer alleine zurück?Foto: Thomas WeschtaSieben Tage, 24 Stunden zusammen sind eine lange Zeit. Werden Tobi und Jan es schaffen, gemeinsam am Gardasee anzukommen? Oder bleibt am Ende einer alleine zurück?

Hochmut kommt vor dem Fall

Der dritte Tag spielt mir mit steilen Auf- und Abfahrten sowie einem hohen Trail-Anteil in die Karten. Heute haben wir das Zeug eine richtig schnelle Zeit in die Strecke zu brennen. Das wissen wir beide und so pressen wir mit Watt-Werten jenseits von Gut und Böse über den ersten Berg oberhalb des Reschensees. Schnell bergauf, schnell bergab, ein bisschen Dreck, ein bisschen Schmerz: Das ist geil, das ist Mountainbiken! Um uns herum die schroffen Gipfel, unter uns das türkis-blaue Wasser: ein Traum! Auch der technische Spin-Trail ist genau unser Ding. Da, wo viele andere Fahrer schieben, zieht unsere Zweier-Formation einfach vorbei. Einmal mehr übernimmt Tobi auf dem finalen Radweg die Führungsarbeit, dann schießen wir mit einem High-Five durch den Zielbogen.

Jeden Tag einer der wichtigsten Anlaufpunkte: Die Zielverpflegung füllt leere Speicher auf.Foto: Sabine GreberJeden Tag einer der wichtigsten Anlaufpunkte: Die Zielverpflegung füllt leere Speicher auf.

“Boa, was für ein Kraftakt!” denke ich und taumle zur Zielverpflegung. Eine Chili-Sin-Carne von Ernährungs-Guru P.Jentschura und ein alkoholfreies Erfrischungsgetränk später ergreift mich eine tiefe Müdigkeit. Von unseren Camping-Transalps kenne ich dieses typische Gefühl vom Zug überfahren worden zu sein. Wenn jede Muskelfaser schmerzt, wie mit dem Hammer bearbeitet. Es ist fast immer der dritte Tag, an dem der matte Körper signalisiert, dass es langsam gut ist mit dem Ausdauer-Biken und der Mensch zurück soll auf die Couch. Diesmal ist der Zug vor allem über die Beine gefahren.

Es kommt etwas wider Erwarten, doch das Team BIKE Redaktion schlägt sich mit seiner Renn-Zeit alles andere als schlecht.Foto: Igor SchifrisEs kommt etwas wider Erwarten, doch das Team BIKE Redaktion schlägt sich mit seiner Renn-Zeit alles andere als schlecht.

Etappe vier markiert den Beginn der richtig langen Dinger. Nach der kurzen aber knackigen Strecke von gestern haben wir uns alle Mühe gegeben zu regenerieren. Doch das Hotel-Doppelzimmer kann noch so schön sein: Ein bisschen ist es beim Etappen-Rennen immer wie im Zweibettzimmer im Krankenhaus. Die Betten stehen eng beieinander, die Bewohner stöhnen bei jeder Bewegung und können weder den Gerüchen noch den privaten Bedürfnissen des anderen so wirklich aus dem Weg gehen. Während der Maxxis BIKE Transalp bin ich im wahrsten Sinne des Wortes Vierundzwanzig-Sieben mit meinem Teampartner zusammen, höre jedes Telefonat mit, registriere jeden Toilettengang. So viel Nähe gibt es sonst nur unter ärztlicher Betreuung oder in einer Lebenspartnerschaft. Als ich in der schnellen Schotter-Abfahrt von der Bruggeralm um die Kurve biege und Tobi im Graben liegen sehe, rutscht mir deshalb das Herz in die Hose. Seine Ehepartnerin im echten Leben würde es mir wohl kaum verzeihen, wenn ich ihren Mann nicht in einem Stück wieder mit nach Hause brächte. Zum Glück bleibt es bei blauen Flecken.

Abfahren können beide Fahrer des Teams BIKE Redaktion. Bei sieben Tagen am körperlichen Anschlag bleiben aber auch Stürze nicht aus.Foto: Thomas WeschtaAbfahren können beide Fahrer des Teams BIKE Redaktion. Bei sieben Tagen am körperlichen Anschlag bleiben aber auch Stürze nicht aus.

Den Schrecken zahle ich Tobi noch am selben Tag heim, als uns eine langsamere Fahrerin in der Abfahrt nach Bormio passieren lassen will. Führungslokomotive Tobi ist schon vorbei, als sie auf dem schmalen Singletrail doch noch in meine Linie rutscht und ich in die Eisen steigen muss. Erst passiert Nichts, denn die Bremsen sind völlig überhitzt, dann kullere ich den steilen Abhang hinunter. Ich habe keinen Kratzer, muss aber mein Bike drei Meter weiter unten auflesen und den Lenker gerade drehen. Dabei verbrenne ich mich an der glühenden Bremsscheibe. Innerlich fluchend rufe ich Tobi zu “Alles okay, go, go, go!” und weiter geht die Hatz. Unsere Körper sind erschöpft, Fehler passieren. Sieben Tage im Rennmodus sind eine lange Zeit. Nicht alle, die in Ehrwald losfahren, schaffen es bis nach Arco am Gardasee. Wir haben keinen Trainingsplan verfolgt, keine Diät eingehalten und nicht in der Höhen-Simulation übernachtet. Ich fühle meine Kräfte schwinden. Zum Glück hatte Tobi meinen geplanten Junggesellenabschied auf nach die Transalp verschoben. Sonst wäre ich sicher jetzt schon am Ende.

Als Team-Event ist die Maxxis BIKE Transalp etwas ganz Besonderes. Bloß nicht den Partner verlieren!Foto: Markus GreberAls Team-Event ist die Maxxis BIKE Transalp etwas ganz Besonderes. Bloß nicht den Partner verlieren!

Krisengespräch

Die Strapazen der letzten Tage sieht man auch den anderen Teams an. Pärchenweise sitzen sie morgens mit leerem Blick beim Frühstück und schweigen sich an. Es scheint, als würde jeden Tag ein weiterer Tropfen Lebensenergie abgezapft. Mein Teampartner ist da wohl eine Ausnahme. Während sich die Teams an den Nachbartischen Nichts mehr zu sagen haben, quasselt Tobi wie ein Wasserfall. Ich antworte in knappen Sätzen, denn eigentlich würde ich am liebsten zurück ins Bett und mich jetzt nicht für die Königsetappe mit Haferflocken vollstopfen. Tobi ist heute gut drauf, lacht in einer Tour und macht keinen Hehl daraus, wie sehr er sich auf einen weiteren Tag im Sattel freut. Ich hingegen hänge irgendwie in den Seilen. Aus 20 Jahren Freundschaft kenne ich meinen Partner gut und weiß auch, dass bei ihm die Fehlerquote proportional zur Motivation ausfällt. Als gelernter Sozialpädagoge keimt in mir das Bedürfnis auf, Tobi auf den Boden zurück zu holen. Keinesfalls will ich ihm das Transalp-Erlebnis madig reden und als Miesepeter dastehen. Noch weniger will ich aber Zeuge sein, wie mein Freund im hochalpinen Gelände über den Lenker geht. Im 1400 Höhenmeter langen Anstieg von Bormio auf den Gavia-Pass habe ich genug Zeit darüber nachzudenken, wie ich das heikle Thema am besten anspreche.

Ein Etappen-Rennen, wie die Maxxis BIKE Transalp, funktioniert nur bei einer harmonischen Kommunikation im Team. Tobi und Jan können auf eine lange Freundschaft bauen.Foto: Thomas WeschtaEin Etappen-Rennen, wie die Maxxis BIKE Transalp, funktioniert nur bei einer harmonischen Kommunikation im Team. Tobi und Jan können auf eine lange Freundschaft bauen.

Kurz vor der Verpflegungs-Station konfrontiere ich Tobi mit meinen Beobachtungen. Heute habe ich bei ihm Warnzeichen entdeckt, die mir Sorgen bereiten und eben diese müssen jetzt raus. Tobi kurbelt still neben mir. Um uns herum ein Natur-Idyll. Durch saftig-grüne Wiesen mit dickem Berg-Gras und vorbei an plätschernden, kristallklaren Bächen windet sich das schmale Asphaltband hinauf zum 2600 Meter hohen Pass. In Wirklichkeit dauert das Schweigen nur wenige Sekunden, für mich fühlt es sich an wie eine Ewigkeit. Dann knufft mir Tobi in die Seite und ich weiß, dass er verstanden hat. Tobi ist ohne Zweifel einer der stärksten Abfahrer in der Amateur-Wertung, trotzdem bin ich kurze Zeit später auf dem Gavia-Trail froh, seine Handbremse ein kleines Stück weit angezogen zu haben. Die Reifen und Fahrwerke unserer Racebikes sind für die Stufen und das lose Geröll nicht gemacht. Alle schieben. Auf meinen glatten Carbon-Sohlen rutsche ich mehrfach aus, bin insgeheim aber dankbar um die Tempo-Entschärfung, denn der zweite große Berg des Tages wartet schon.

Schluss mit lustig: Ein Hungerast reißt die Motivation von BIKE Redakteur Jan Timmermann in den Keller.Foto: Igor SchifrisSchluss mit lustig: Ein Hungerast reißt die Motivation von BIKE Redakteur Jan Timmermann in den Keller.

Es ist einfach elend. Der Anstieg von Pezzo zur Alta Via Camuna ist einer der schönsten der ganzen Route und ich kriege kaum etwas davon mit. Stattdessen hänge ich tief vergraben in einem Motivationsloch fest und spule lustlos eine Kurbelumdrehung nach der anderen ab. Erst versucht Tobi noch mich aus meinem Tief zu holen, schiebt mich ein Stück, redet mir gut zu. Dann versteht er, nimmt Fahrt auf und verschwindet hinter der nächsten Kehre. Ich bin an meiner mentalen Talsohle angekommen. Im Englischen sagt man, jemand ist “in a dark place”. Genau so fühlt es sich an. Gerade will ich nur für mich sein. Zum Glück kann mein Freund in mir lesen, wie in einem Buch, lässt mir die Zeit, die ich brauche und meine Ruhe. Viel zu spät merke ich, dass ein grausam langsam einsetzender Hungerast einer der Gründe für mein Stimmungstief ist. Als ich mich Tobi weit entfernt von Renn-Tempo am höchsten Punkt auf 2600 Metern in Empfang nimmt, muss ich ihn bitten kurz stehen zu bleiben, bis ich mir kraftlos einen Riegel in den Mund schieben kann. Dort bleibt er zehn Minuten lang, auch als wir über einen traumhaften Panorama-Trail fahren. Ich kann das Ding einfach nicht herunterschlucken.

Landschaftlich bot die Maxxis BIKE Transalp auch 2024 jede Menge Highlights. Nicht immer konnte BIKE Redakteur Jan Timmermann dafür ein Auge haben.Foto: Markus GreberLandschaftlich bot die Maxxis BIKE Transalp auch 2024 jede Menge Highlights. Nicht immer konnte BIKE Redakteur Jan Timmermann dafür ein Auge haben.

Urlaub auf der Autobahn

Zwar kehrten an der dringen benötigten Verpflegungs-Station meine Lebensgeister langsam zurück, doch die fünfte Etappe hat mir alles abverlangt. Ich muss unbedingt wieder zu Kräften kommen, wenn ich nicht kurz vor Schluss noch schlapp machen will. Doch eine Transalp ist keine Kaffeefahrt. Täglich ein anderes Bett, anderes Essen, alles aus- und wieder einpacken. An manchen Tagen sind Kost und Logis unkompliziert und bequem. Sauna und Wellness inklusive. An anderen Tagen - wie diesem - werden sie zur zusätzlichen Herausforderung. Knapp 600 Fahrer plus hunderte Betreuer und Helfer sowie Unmengen an Gepäck für nur eine Nacht an einem Ort in den Bergen unterzubringen ist eine logistische Meisterleistung. Jeden Nachmittag, wenn wir müde und zerschunden die Liegestühle im Event-Bereich verlassen, lassen wir uns von Lage und Ausstattung unseres Hotels überraschen. Heute, nach der Königsetappe liegt unsere Überraschung keine fünf Meter von der Schnellstraße entfernt über der Wohnung einer alten Dame. Wir stellen die Bikes in ihren Waschkeller und reißen im kleinen, überhitzten Zimmer die Fenster auf. Hier tummelt sich alles, was wummert und knattert plus ein Getränkeautomat, den die lokale Dorfjugend zum Party-Treff erkoren hat.

Termin zur Paarmassage: Tobi und Jan machen während der sieben Tage Maxxis BIKE Transalp wirklich alles zusammen.Foto: Markus GreberTermin zur Paarmassage: Tobi und Jan machen während der sieben Tage Maxxis BIKE Transalp wirklich alles zusammen.

Dafür, dass es sich anfühlt, als hätten wir auf dem Mittelstreifen der Autobahn übernachtet, ist unsere Laune am nächsten Morgen erstaunlich gut. Galgenhumor liegt uns. Davon profitieren wir auch an der langen Schiebe-Passage rauf zum Passo Bregn Da L’Ors. So mancher Fahrer macht seinem Unmut über den Fußmarsch lautstark Luft, doch wir nehmen es locker. Schließlich ist die Maxxis BIKE Transalp nicht wie andere Marathon-Rennen. Die Route führt One-Way durch das mächtigste natürliche Hindernis des Kontinents. Demütiges Schieben und Tragen gehört aus unserer Erfahrung einfach dazu. Deutlich härter treffen mich die steilen Asphalt-Rampen zu Etappen-Ende. Meine Beine machen zu. Viel geht nicht mehr. Passend dazu holt mich auf der Ziellinie die Erkenntnis ein: Das letzte Kapitel des Abenteuers ist angebrochen.

Pärchen-Foto: Salzkrusten auf dem Trikot zeugen von einem harten Tag auf dem Bike. Tobi und Jan können trotzdem noch zusammen lachen.Foto: Sabine GreberPärchen-Foto: Salzkrusten auf dem Trikot zeugen von einem harten Tag auf dem Bike. Tobi und Jan können trotzdem noch zusammen lachen.

Wunderwerk Körper

Ein spontaner Erdrutsch verkürzt die finale Etappe um sieben Kilometer. Ich hoffe, es wurde niemand verletzt, bin Mutter Natur aber auch ein kleines bisschen dankbar. Das hohe Tempo der vergangenen sechs Tage hat seinen Tribut gefordert. Roboterhaft folge ich stoisch Tobis Hinterrad. Irgendwie haben wir es schon wieder geschafft, uns unter einige schnelle Teams zu mischen und der Positionskampf startet aufs Neue. Locker ausrollen am letzten Tag? Fehlanzeige! Eigentlich ist mir die Platzierung völlig egal. Weder können wir zu diesem Zeitpunkt noch einen Platz gutmachen, noch um eine Position nach hinten rücken. Da müsste es schon mit dem Teufel zugehen. Trotzdem ist da etwas, das die Plus-Taste am inneren Tempomat dauerhaft im Griff hat. Mit einem Haufen schneller Biker durch kleine historische Gassen und Weinberge mit Gardasee-Blick zu sprinten, kann keinen Biker kalt lassen. Wir sind nicht als Rennfahrer gestartet, überqueren die Ziellinie aber als solche.

Trotz vieler Tiefen und Höhen hat es das Team BIKE Redaktion ins Ziel der Maxxis BIKE Transalp 2024 in Arco geschafft.Foto: Igor SchifrisTrotz vieler Tiefen und Höhen hat es das Team BIKE Redaktion ins Ziel der Maxxis BIKE Transalp 2024 in Arco geschafft.

Da ist es wieder: Das Gefühl des Rausches. Die Mundwinkel schmerzen, das Herz hüpft. Als Tobi und ich Hand in Hand durch den Zielbogen fahren, ist da nur noch Freude. Ein solcher Hormon-Cocktail lässt zwei alte Freunde alle Scheuerstellen, jeden Rückenschmerz, alle Muskelkrämpfe, jeden Tropfen Schweiß und alle Motivationsprobleme vergessen. Es ist ein biologisches und soziales Wunder. Als wir spät in der Nacht von der 7,5ten Etappe, nämlich der Finisher-Party in Arco, zurück in unser Doppelzimmer wanken, fühlen wir uns tatsächlich ein wenig wie ein altes Ehepaar: Unsere Beine sind voller Laktat und unsere Herzen voller freundschaftlicher Liebe.

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