Jan Timmermann
· 25.06.2024
Andere führt eine Dienstreise in fensterlose Besprechungszimmer. BIKE-Redakteur Jan Timmermann führt sie mit Frischluft-Garantie und grandiosem Ausblick ins Urlaubsparadies Arco in unmittelbarer Nähe des Gardasees. Allerdings sieht die Anreise keinen Erste-Klasse-Sitzplatz mit schwenkbarer Rückenlehne, sondern sieben Tage im Fahrradsattel vor. Hitze, Kälte, Schmerzen, Hunger, Durst, Zweifel und die ein oder andere soziale Zerreißprobe sind vorprogrammiert. Sie gehören zum Reise-Konzept, wenn bei der BIKE Transalp der Weg zum Ziel wird. Statt ins Büro führt der Job in die schroffe Natur der Alpen. Statt Fingerfood und Latte Macchiato stehen Pulver und Energieriegel auf dem Verpflegungsplan. Statt After-Work-Happy-Hour darf sich Jan auf Regenerations-Versuche zwischen der Stinke-Wäsche des Teampartners freuen. Dafür sind Langeweile und bedeutungsloser Smalltalk quasi ausgeschlossen. Mit Gleichgesinnten einige der besten Trails Europas rocken: Die BIKE Transalp verspricht auf 520 Kilometern und 17.215 Höhenmetern eine Erlebnisdichte, die ihresgleichen suchen dürfte. Wie bereitet man sich auf solch einen Dienstreisen-Wahnsinn vor?
Von Hause aus ist BIKE-Redakteur Jan Timmermann kein klassischer Marathon-Racer. Im Gegenteil: Seine Wurzeln liegen im Bereich Street-BMX und Downhill-MTB. Schon als er eine Hand voll Enduro-Rennen bestritt, machte ihm sein damaliger Trainer klar: “Du bist ein Styler und kein Racer.” Hohe Bunnyhops und lange Manuals, ja. Tempo und Leistung im Grenzbereich, eher nein. Zu seinem ersten Marathon-Rennen meldete Jan sich an, nachdem er den Mountainbike-Roman “Held am Sonntag” vom ehemaligen BIKE-Chefredakteur Henri Lesewitz mehrfach gelesen hatte. Die Faszination für die Langstrecke sprangen direkt über. Damals, Anfang 20, waren die Motivation riesig und die Ressourcen winzig.
Sein Vater lieh ihm für die Marathon-Premiere ein 26-Zoll-Fully, das Jan nach vier Stunden erbarmungslosem Schlamm-Rennen komplett zerstört zurückgab. Das Fahrwerk war hinüber, die Bremsbeläge verschwunden, der Antrieb um Jahre gealtert und der Lack in Mitleidenschaft gezogen. Auch der zweifache Silbermedaillengewinner der BIKE Transalp Ralph Berner startete bei diesem Rennen und gab sein Fazit ab: “Ich glaube, ich war noch nie so dreckig!” Im Sinne der Reizsteigerung startete Jan bei seinem nächsten Marathon-Versuch auf einem Starrgabel-Hardtail. Als er über die Ziellinie rollte, kippte er völlig erledigt vom Bike und konnte wegen eines Hexenschusses nicht mehr aus eigener Kraft aufstehen. Seine damalige Freundin musste ihm die Schuhe ausziehen, nach Hause fahren und aufs Sofa legen.
Beim dritten und bis dato letzten Marathon-Start fuhr Jan gerade ins Ziel, als über ihm der Zielbogen bereits abgebaut wurde. Krämpfe und Defekte hatten ihren Tribut gefordert. Unser Redakteur kennt sich also aus mit den Tücken des Marathon-Sports, hatte bislang aber wenig Erfolg dabei diese zu überwinden und eine gute Wettkampf-Zeit abzuliefern. In einigen Gravel-Ultra-Distanzen und Mehrtages-Abenteuern konnte er seine Ausdauer auf die Probe stellen, doch ein Etappen-Rennen mit Zeitmessung ist eine Liga, in der Jan bislang nie noch gespielt hat.
2022 zog sich Jan eine schwere Knieverletzung mit zertrümmerter Tibia zu. Infolgedessen muss das linke Bein ohne die volle Streckung und ein funktionstüchtiges Kreuzband auskommen. Zusammen hält das Kniegelenk einzig die Muskulatur. Auf dem Bike bereitet die Verletzung inzwischen kaum noch Beschwerden - dennoch ein Handicap, das bei der BIKE-Transalp vor allem bei Erschöpfung in Schiebe-Passagen von großem Nachteil sein kann. Zwar startet das Team BIKE Redaktion beim Rennen in der Zweier-Team-Wertung “Herren”, bei anderen Marathon-Rennen würden sie in diesem Jahr allerdings erstmals in die Klasse “Senioren I” fallen. Ist der Lack also ab? Mit Sicherheit nicht - höchstens angekratzt!
Als Jan in seinem Freundeskreis einen Teampartner suchte, war Tobi (voller Name: Tobias Knetsch) sofort Feuer und Flamme. Generell strotzt der 30-Jährige nur so vor Motivation für verrückte Bike-Abenteuer. Egal, welche Harakiri-Aktion: Ein “Nein” ist von Tobi selten zu erwarten. Mit purer Kraft und Energie hat er schon so manche Herausforderung gemeistert, bei der andere lange eingeknickt wären. Tobi ist Sportmanager mit Master-Abschluss und körperliche Fitness ist sein Job. Kein Wunder also, dass er bis in die letzte Muskelfaser trainiert ist. Mountainbike, Rennrad, Triathlon, Laufen, Badminton: Wer sich mit Tobi anlegt, darf sich auf ein hartes Match einstellen. Im gemeinsamen Biker-Kreis ist sein Antritt weit und breit gefürchtet. Auf Tour schreit Tobi gerne mal “E-Bike-Modus an!” und sprintet davon. Dranbleiben? Unmöglich. Einen Namen hat er sich aber auch als ehrgeiziger Dickkopf gemacht. Egal, wie steil die Rampe ist - Tobi nimmt sie mit Vollgas. Wenn danach die Knie wehtun, ist das eben eine blöde Nebenerscheinung. Auch Orientierung gehört nicht zu Tobis Stärken.
Tobi und Jan sind alte Klassenkameraden und kennen sich seit mehr als 20 Jahren. Gemeinsam haben sie die Alpen schon öfters überquert. Allerdings noch nie im Wettkampf-Modus, sondern stets mit schwerer Camping-Ausrüstung auf dem Rücken. Immer auf der Suche nach dem maximalen Trail-Anteil gehören Transalp-Abenteuer mit Zelt und Gaskocher im Rucksack zur freundschaftlichen Tradition. Bislang konnte das Duo stets auf die verbindende Wirkung des Galgenhumors setzen. Im Rennen wird die Harmonie der unterschiedlichen Charakter sicher oft auf die Probe gestellt werden. Nächtigen wird das Team während der sieben Tage im gemeinsamen Doppelzimmer.
Tobias Knetsch
Jan Timmermann
Weder Tobi noch Jan bereiten sich mit einem speziellen Trainingsplan auf die BIKE-Transalp vor. Während Tobi bereits durch seinen Job mit Krafttraining zu tun hat und diverse Ausgleichssportarten betreibt, fährt Jan hauptsächlich Fahrrad. Zwar versucht er, einmal wöchentlich im Fitnessstudio an seinen Defiziten durch Dysbalancen und in der Rumpfmuskulatur zu arbeiten, als BIKE-Redakteur sitzt er jedoch deutlich öfters im Sattel der unterschiedlichsten Mountainbikes. Sowohl Tobi als auch Jan starten mit guten fahrtechnischen Voraussetzungen ins Etappenrennen. Beide lieben anspruchsvolle Enduro-Trails und die Transalp-Abfahrten werden sie kaum schocken können. Jan bringt auch durch seine Schwimmsport-Karriere in der Jugend eine solide Grundlagenausdauer mit. Seine alpine Marathon-Eignung wird er drei Wochen vor der BIKE-Transalp mit einem Start beim Mehrtages-Rennen Alpentour in Schladming auf die Probe stellen. Tobi holt seinen Körper regelmäßig bei Tempo-Ritten aus der Reserve. Durch die unterschiedlichen Wohnorte kommen die zwei Freunde inzwischen nur noch selten zum gemeinsamen Radfahren.
Um das Fahren im Zweier-Team zu üben und entscheidende Renn-Details zu erproben, verabredeten sich Tobi und Jan Anfang Juni zu einem viertägigen Trainingscamp in der alten gemeinsamen Heimat am Rand des Odenwalds. Geplant waren ursprünglich vier Marathon-Tage mit abschließender Wettkampf-Teilnahme am Odenwald Bike Marathon, um das System aufs Etappen-Format der BIKE-Transalp einzustimmen. Leider machte der Wettergott den beiden einen Strich durch die Rechnung. So viel Regen und Schlamm hatte das Duo in 30 Jahren noch nicht gesehen. Der gesamte Wald war flüssig, der Boden maximal aufgeweicht, das Rennen wurde abgesagt. Immer kurz vor der Unterkühlung kamen täglich nur drei bis vier Stunden Fahrzeit zusammen. Die Strecken ähnelten eher einer Bootcamp-Härteprüfung. Tief hängende Dornen schnitten ins Fleisch, der Siff quoll oben aus den “wasserdichten” Radschuhen. Nach jeder “Etappe” folgte eine obligatorische, zweistündige Reinigungsaktion für Mensch und Material.
Das gemeinsame Training im Renntempo offenbarte trotz Schlamm-Massaker noch die ein oder andere Baustelle. Aufgrund seines höheren Tempos fährt Tobi in der Regel voraus und zieht Jan mit. Ohne Blick für den Routenverlauf muss ihn sein Teampartner an so mancher Kreuzung aber zurückpfeifen. Aus diesem Grund bekommt auch Tobi bei der BIKE Transalp einen GPS-Computer verpasst. Eine der größten Herausforderungen im Renn-Geschehen ist die Verpflegung. Beide Kumpel setzen auf Pulver-Zusätze in der Trinkflasche und einen gelegentlichen Riegel oder eine Banane. Auf Dauer spielte dieser Mix in Kombination mit der körperlichen Belastung allerdings der Verdauung immer wieder Streiche. Auch die sinnvollste Versorgung in den Hotels der Etappenorte bleibt ein offenes Fragezeichen. Die Mehrtages-Simulation zeigte eines jedenfalls definitiv: Die BIKE-Transalp wird geil aber beinhart.
In Sachen Material ist das Team BIKE-Redaktion gut aufgestellt. Beide starten auf den neusten 120-Millimeter-Marathon-Fullys. An Equipment und Test-Material mangelt es nicht. Ihrer Transalp-Erfahrung entsprechend wird das Team nicht an Ersatzteilen sparen und auf Defekte vorbereitet sein. Entscheidender Faktor beim Mehrtages-Team-Rennen ist das Thema Regeneration. Sie entscheidet mit darüber, wie hart die Wettkampf-Woche für die beiden am Ende tatsächlich wird. Ausprobieren werden Tobi und Jan unter anderem das Reboot Go X System, welches dank vollautomatischer Kompressions-Massage eine intensivierte Muskel-Regeneration verspricht. Ein Testbericht der Pump-Hose folgt.
Die BIKE Transalp 2024 startet Sonntag, den 14. Juli, in Ehrwald und endet am 20. Juli in Arco am Gardasee. Anmeldungen zum legendären Rennen über die Alpen können hier vorgenommen werden. Als zusätzlichen Motivator gibt’s hier die besten Bilder von der Maxxis BIKE Transalp 2023: