Stefan Frey
· 06.09.2025
Graveln boomt, soviel steht fest. Keine andere Zweiradsparte ist gerade derart populär wie die Schotterflitzer mit den schmalen Stollenreifen und ausgestellten Rennradlenkern. Klar, dass sich auch die Zubehör-Hersteller auf diesen Trend eingeschossen haben und ordentlich die Werbetrommel für spezielles Gravel-Equipment rühren. Dabei wird die Welt aber nur selten neu erfunden. Vielmehr bedienen sich die Hersteller an bestehenden Elementen aus den Bereichen Rennrad und Mountainbike und verquicken diese zu einer Art Zwitter.
Bestes Beispiel: Gravel-Schuhe. Von oben betrachtet sehen sie ihren Rennrad-Geschwistern mit ihrer schlanken Silhouette zum Verwechseln ähnlich. Lediglich leichte TPU-Besätze, die sich schützend über das Obermaterial legen, deuten darauf hin, dass die Schuhe auch abseits befestigter Wege funktionieren sollen. Wirft man einen Blick auf die Unterseite, sieht die Welt ganz anders aus: Handelt es sich hier vielleicht doch um einen MTB-Schuh? Beim Pedalsystem setzen alle Hersteller einheitlich auf die aus dem Mountainbike-Sport bekannte Zweischrauben-Montage. Das hat vor allem den Vorteil, dass die Pedalplatten wesentlich schlanker ausfallen und somit, anders als bei Rennradschuhen, keinen Kontaktpunkt zum Boden darstellen.
Dafür ist das Profil deutlich ausgeprägter als bei Rennradschuhen – schließlich soll man auch im Gelände sicher stehen und sich bei Schiebepassagen nicht gleich den Knöchel verknacksen. Doch während bei klassischen MTB-Schuhen das Profil über die gesamte Breite der Sohle gezogen ist, knausern viele Hersteller bei ihren Gravel-Modellen mit Gumminoppen – was zur Folge hat, dass man auf den schmalen Profilen durchs Gelände stöckelt wie auf rohen Eiern. Vor allem die Modelle von Shimano, Mavic, Northwave und Scott könnten durchaus etwas mehr Profil vertragen.
Die Devise je steifer, desto besser, wie sie bei Rennradschuhen üblich ist, lässt sich nicht eins zu eins auf Gravel-Schuhe übertragen. Eine knüppelharte Carbonsohle überträgt zwar jedes Wadenzucken verlustfrei aufs Pedal, doch auch die ständigen Vibrationen vom Schotter werden ungefiltert an die Füße weitergereicht. Kribbelnde Fußsohlen sind nur ein harmloser Nebeneffekt. Im schlechtesten Fall ermüden die Beine sogar schneller, als mit einer etwas weicheren Sohlenkonstruktion aus Glasfaser oder Nylon.
Im Rennen, wo der Schotter im harten Antritt unter den Reifen spritzen soll, mag ein extrem steifer Schuh wie der Shimano RX801 oder der Fizik Ferox Vento Carbon vielleicht seine Vorzüge ausspielen. Auf epischen Schotterrunden ist man mit einem nachgiebigeren Modell aber komfortabler unterwegs. Vor allem dann, wenn auf der Runde auch Schiebepassagen zu bewältigen sind. Je steifer die Sohle, desto schlechter rollt der Schuh in der Regel beim Laufen ab – bei Fizik, Shimano und Suplest geht das sogar soweit, dass die Ferse leicht aus dem Schuh schlupft.
Hier kommt der Punkt, an dem das Verschlusssystem ins Spiel kommt, denn dieses ist hauptverantwortlich für den Sitz des Schuhs. Drehrädchen à la Boa haben sich inzwischen auf breiter Front etabliert, weil sie fein justierbar und einfach im Handling sind. Aber: Ein einzelner Drehverschluss sorgt nur selten für eine optimale Anpassung.
Das Problem: Wird der Seilzug zu oft umgelenkt, wie es bei Scott oder beim Specialized Recon 1.0 der Fall ist, lassen sich die Schuhe vor allem im Zehenbereich nicht mehr ideal einstellen. Die beste Lösung liefert hier Shimano. Ein weit hinten platzierter Boa-Verschluss wird durch eine Klettlasche im Zehenbereich ergänzt. In Verbindung mit der überlappenden Zunge schmiegt sich der RX801 perfekt um den Fuß. Ähnlich gut funktionieren die Verschlusssysteme von Fizik oder Suplest.
Quoc arbeitet zwar mit zwei separaten Drehverschlüssen, mit denen sich der Gran Tourer sauber anpassen lässt, beim Handling können die hauseigenen Verschlüsse aber nicht ganz mit den ausgereiften Schnellverschlüssen von Boa mithalten. Ähnlich bei Northwave: Auch das hauseigene X-Dial Drehrädchen lässt sich nicht so leicht bedienen wie die Konkurrenz von Boa. Im besten Fall lassen sich die kleinen Drehverschlüsse übrigens in beide Richtungen feinjustieren – so wie bei Shimano oder Fizik.
Vereinen Gravel-Schuhe denn nun das beste aus den beiden Welten Road und Mountainbike? Geringes Gewicht und gute Kraftübertragung bei gleichzeitig hohem Komfort und Geländetauglichkeit? Wir sagen nein und ziehen zur Veranschaulichung den Scott MTB Vertec heran. Bei vergleichbarem Gewicht ist der Vertec mit einer deutlich stärker profilierten Laufsohle ausgestattet, was Gravelbikern auf Schiebestücken entgegenkommt.
Das Obermaterial ist an Zehen und Ferse besser vor Geländekontakt geschützt als beim Gravel Pro von Scott und bei der Steifigkeit bewegt sich der MTB-Schuh auf einem vergleichbaren Niveau wie das Schotter-Pendant. Warum sollte man beim Graveln also auf etwas verzichten, das sich beim Mountainbiken längst als sinnvoll erwiesen hat? Und hier schließt sich der Kreis zu unserem aktuellen Vergleich, in dem die reinen Gravel-Aspiranten tendenziell etwas schlechter abschneiden, während sich mit dem Suplest XC/Gravel Performance ein Schuh den Testsieg schnappt, der beim Hersteller auch als Mountainbike-Modell gelistet ist.
Für die Bewertung der Kraftübertragung haben wir die Sohlensteifigkeit mittels definierter Last (100 Newton) auf dem Prüfstand gemessen. Je härter die Sohle, desto effizienter die Kraftübertragung. Die Durchbiegung bei den meisten Schuhen im Test reichte von einem halben bis zu über einem Millimeter, was in der Praxis bereits als deutlicher Unterschied wahrzunehmen ist.
Die Breite und das Profil sind im Gelände ausschlaggebend für sicheren Stand und Grip auf Schiebepassagen. Modelle mit breitem MTB-Gummiprofil laufen sich deutlich komfortabler. Ebenfalls bewertet haben wir das Abrollverhalten und den Fersenhalt in den Schuhen. Modelle mit steifen Carbonsohlen sind hier in der Regel im Nachteil.
Nur wenn sich der Schuh exakt an die Füße anpassen lässt, stimmen Komfort und Kraftübertragung. Zwei Boa- Drehrädchen, die sich in beide Richtungen feinjustieren lassen, sind hier das Nonplusultra. Fast ebenso gut funktioniert die Kombi aus Drehrad und Klett. Ein einzelner Verschluss reicht in der Regel nicht für ideale Anpassbarkeit.
Das Gewicht bewerten wir weniger hoch, da sich dieses kaum auf die Treteffizienz auswirkt. Weniger als 700 Gramm pro Paar (Größe 46) gelten als sehr leicht, 800 Gramm dagegen bereits als schwer.