Faser-FieberWas können Carbonteile am Bike?

Stefan Frey

 · 20.12.2018

Faser-Fieber: Was können Carbonteile am Bike?Foto: Jens Heilmann
Faser-Fieber: Was können Carbonteile am Bike?

Carbon polarisiert. Faser-Fans schwärmen vom Leichtbaupotenzial, Kritiker bemängeln die hohen Kosten, Bruchrisiken und mangelhaftes Recycling. Worauf muss man bei Carbon-Teilen am Mountainbike achten?

Kohlenstoffverstärkter Kunststoff (Carbon, kurz: CFK) ist der Werkstoff, aus dem Biker-Träume gemacht sind. Kein Werkstoff ist bei gleicher Steifigkeit so leicht wie das Gemisch aus Kohlefaser und Harz. Dazu kommen absolute Design-Freiheit für die Konstrukteure und bei richtiger Verarbeitung eine extrem gute Eigendämpfung. Das perfekte Material!

Könnte man meinen, aber der Wunderwerkstoff hat auch seine Schwächen. Produkte aus Carbon sind teuer, und Horrorgeschichten über plötzlich brechende Bauteile machen vielen Bikern Angst. Beide Probleme beruhen auf der Verarbeitung, die zu großen Teilen in Handarbeit erfolgt. Das kostet und ist oft auch fehlerbehaftet. Es gibt zwar bereits erste Ansätze zur halbautomatischen Fertigung von Felgen, Experten beteuern aber, dass vorerst nichts ohne Handarbeit geht. Die knallharten Ermüdungstest, die BIKE in der Vergangenheit an Lenker und Felgen durchgeführt hat (z.B. MTB-Lenker-Bruchtest oder Crash-Test Carbon-Laufräder), zeigen, dass Carbon nicht grundsätzlich gut oder schlecht ist. Es kommt darauf an, wie der Werkstoff verarbeitet und wie sorgfältig die Produkte geprüft werden.

Die Unterschiede zwischen den einzelnen Fahrrad-Produkten sind extrem. Specialized-Konstrukteur Peter Denk rät daher von verlockenden Billigprodukten unbekannter Hersteller ab und betont den hohen Aufwand, der mit verantwortungsvoller Entwicklung verbunden ist: „Specialized fertigt und testet bis zu 300 Prototypen, bevor die Serienproduktion beginnt.“


PLUS Bester Leichtbauwerkstoff, sehr haltbar, absolute Design-Freiheit
MINUS Teuer, schwankende Serienqualität, Crash-empfindlich

  Carbon-Fasern sind dünner als Haare, rund viermal reissfester als Stahl und bis zu doppelt so steif. Im Verbund mit Harz, der die Fasern einbettet und in Form hält, entstehen CFK-Leichtbauteile, die gegenüber Alu etwa 30 Prozent Gewicht einsparen können. Je nach Qualität kosten Carbon-Fasern zwischen 30 und 300 Euro pro Kilo.Foto: Georg Grieshaber
Carbon-Fasern sind dünner als Haare, rund viermal reissfester als Stahl und bis zu doppelt so steif. Im Verbund mit Harz, der die Fasern einbettet und in Form hält, entstehen CFK-Leichtbauteile, die gegenüber Alu etwa 30 Prozent Gewicht einsparen können. Je nach Qualität kosten Carbon-Fasern zwischen 30 und 300 Euro pro Kilo.
Rund 60 Tonnen Carbon stecken in einem modernen Verkehrsflugzeug, das die Vorteile des Werkstoffs nach Expertenmeinung aber eher schlecht nutzt. Der Carbon-Bedarf einer Boeing 787 entspricht etwa dem Jahresbedarf von Merida zum Bau von 50000 Carbon-Fahrrädern.
  Momentan verbrauchen Flugzeugbauer am meisten Carbon. Aber auch die Sportindustrie bedient sich reichlich am knappen Rohstoff. Der weltweite Verbrauch nach Branchen (weitere 18 % entfallen auf sonstige Branchen).Foto: BIKE Magazin
Momentan verbrauchen Flugzeugbauer am meisten Carbon. Aber auch die Sportindustrie bedient sich reichlich am knappen Rohstoff. Der weltweite Verbrauch nach Branchen (weitere 18 % entfallen auf sonstige Branchen).

Carbon an Mountainbikes: Das sagen Experten dazu


IST CARBON GLEICH CARBON? – Jürgen Falke von Merida:


BIKE: Sind besonders leichte und steife Rahmen, wie bei Race-Hardtails, empfindlich wie rohe Eier?


Jürgen Falke – Merida: "MTB-Rahmen müssen im Gegensatz zu Rennrädern wesentlich höhere Kräfte beim ,Frontal Impact Test‘ bestehen. Sehr kompetent gefertigte Carbon-Hardtails stecken selbst bei einem Gewicht unter 1000 Gramm höchste Belastungen im Fahrbetrieb weg und sind prinzipiell robust. Wenn zarte Teile wie die Sitzstreben gegen scharfkantigen Fels knallen, ist a Bruch aber vorprogrammiert. Enduros hingegen werden mit schlagzäher Matrix und Protektoren auf mechanische Robustheit ausgelegt und halten Stürze aus. Der Gewichtsvorteil gegenüber Alu liegt dann bei rund 300 Gramm."

  Jürgen Falke, MeridaFoto: Hersteller
Jürgen Falke, Merida


SCHNÄPPCHEN AUS DEM NETZ? – Peter Denk von Specialized:


BIKE: Im Internet kann man direkt bei asiatischen Produzenten ungelabelte Carbon-Rahmen, -Lenker oder -Laufräder zu extrem günstigen Preisen kaufen. Lohnt sich das Schnäppchen?


Peter Denk – Specialized: "Es gibt in China Top-Qualität, aber leider auch unseriöse Hersteller. Diese sparen Kosten durch Einschnitte bei der Entwicklung und Produktionsqualität. Zum Teil werden billigste Harze verwendet. Dies macht aus Verkaufssicht Sinn, weil das nach der Lackierung nicht mehr auszumachen ist. Die für 350 Dollar in China angebotenen Rahmen sind für den Endkunden jedoch Russisch Roulette."

  Peter Denk, SpecializedFoto: Hersteller
Peter Denk, Specialized


UNSICHTBARE SCHÄDEN? – Dirk Zedler, Fahrradsachverständiger:


BIKE: Müssen empfindliche Carbon-Teile an Fahrrädern nach einem Sturz immer ausgetauscht werden?


Dirk Zedler – Sachverständiger: "Lenker, Sattelstützen, Gabeln etc. sollte man vorbeugend austauschen, seriöse Tests sind zu teuer. Anders sieht es bei Rahmen aus, da kann entweder der Hersteller prüfen oder ein spezialisiertes Labor. Ohnehin ist es bei aktuellen Rahmen seriöser Hersteller eher so, dass man Defekte entweder sieht, oder es sind schlicht keine da. Die zweite gute Nachricht ist, dass das gefürchtete plötzliche und vollständige Versagen, der sogenannte ,sudden death‘, heute bei guten Rahmen kein Thema mehr ist. Eine regelmäßige Sichtkontrolle des gesamten Rahmens auf Risse, Lackplatzer oder Verfärbungen ist eine sehr gute, vorbeugende Maßnahme."

  Dirk Zedler, Fahrrad-SachverständigerFoto: Daniel Kraus
Dirk Zedler, Fahrrad-Sachverständiger


„WIR RECYCLEN CARBON-RAHMEN KOSTENLOS“ – Tim Rademacker, Geschäftsführer von CFK Valley Stade Recycling:


Sie recyceln Carbon-Fasern. Wie funktioniert das Verfahren?
Wir benutzen die Pyrolyse, dabei wird der Kunststoff unter Sauerstoffmangel verbrannt. So gewinnen wir Fasern von bis zu 100 Millimetern Länge zurück, aus denen wir Vlies-Strukturen herstellen oder Kurzfaser­verstärkungen für Spritzgussteile.


Welche Qualität haben recycelte Fasern, was kann man damit noch machen?
Damit lassen sich belastbare Leichtbauteile wie zum Beispiel Innenverkleidungen für Flugzeuge bauen, für die sonst neue Glasfasern verwendet würden.


Wie viele Fahrräder verwerten Sie pro Jahr?
Wir verarbeiten rund 1000 Rahmen pro Jahr – das ist ein kleiner Teil unserer Jahresleistung von rund 1000 Tonnen.


Wie sollte man als Endkunde Carbon-Produkte entsorgen?
Gesetzlich ist das nicht klar geregelt und wird derzeit diskutiert. Im Prinzip sind das Kunststoffabfälle. Kleine Mengen im Hausmüll sind unproblematisch. Große Mengen würden die Müllverbrennungsanlagen jedoch stilllegen. Wer will, kann uns gerne seine ausgedienten Carbon-Teile zur Verwertung schicken, das bieten wir kostenlos an.

  Tim Rademacker, CFK Valley Stade RecyclingFoto: Privatfoto
Tim Rademacker, CFK Valley Stade Recycling


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