Jörg Spaniol
· 02.08.2022
Rahmen und Teile aus Carbon markieren derzeit die Spitze des Leichtbaus. Doch jeder Sturz kann teuer werden, denn die leichten Schätzchen sind sensibel. Die gute Nachricht: Werkstoffprofis können die meisten Defekte am Carbon reparieren.
Was unterwegs auf den Trails passiert, lässt sich vielleicht am besten mit den stark gezackten Sprechblasen aus einem Comic beschreiben: Ein fieses „Krack“ steht drin, wenn ein mitgenommener Ast das Schaltauge vom Rahmen reißt. So etwas wie ein „Prock!“ ertönt, wenn ein zu hoher Felsblock das Unterrohr vorm Tretlager eindrückt, und ein gebrülltes „Sch...!!!“ mit drei Ausrufezeichen zeigt an, dass das vor der Hütte angelehnte Bike umgekippt ist und mit geborstenem Oberrohr im Geröll liegt.
Während so ein Allerwelts-Crash bei einem Metallrahmen selten mehr als einen Lackschaden und eine hässliche Delle hinterlässt, heißt das bei Carbon schnell: Game over. Das führende Material im Leichtbau kommt prima mit allen Kräften klar, die aus der richtigen Richtung angreifen. Doch undosierte Gewalt verwandelt einen Highend-Carbon-Rahmen im Handumdrehen in ein Kilo Sondermüll – angesichts von Rahmenpreisen bis über 4000 Euro ist das nicht nur ökologisch ein Desaster.
Dr. Stefan Frank-Richter konnte schon vor der aktuellen Carbon-Welle am Mountainbike nicht akzeptieren, dass solche Hightech-Kostbarkeiten nach einem kleinen Missgeschick hinüber sein sollten. Seine Einstiegsdroge in den Leichtrausch waren die vor über 25 Jahren entwickelten Lightweight-Laufräder fürs Rennrad – ein Kilo pro Radsatz leicht, eine Art Geheimwaffe im Profisport, doch für ihn als Amateur unerschwinglich. Als Feinmechaniker und Physiker hat er sich dann aber so tief ins Thema Carbon-Reparatur reingebohrt, dass er diese Teile reparieren konnte – zuerst als persönliche Challenge, dann zunehmend professionell, denn auch die Rennteams mussten solche Räder teuer einkaufen.
Heute betreibt Dr. Frank-Richter mit seiner Firma Phönix Carbon einen der wenigen etablierten Carbon-Reparaturbetriebe und ist der Bastelnische längst entwachsen. Seit nahezu alles am Mountainbike aus Carbon gemacht wird, haben er und seine Mitbewerber so viel zu tun, dass mancher Betrieb vom Kunden die Geduld für bis zu fünf Monate Wartezeit einfordern muss. Um etwa 500 Prozent soll sich der Umsatz bei Phönix Carbon innerhalb von drei Jahren gesteigert haben. Für dringende Fälle, etwa vor
entscheidenden Rennen, bietet mancher einen teuer bezahlten Express-Service. „Machen kann man fast alles,“ sagt Dr. Stefan Frank-Richter, „die Frage ist eher, wer den Aufwand bezahlen will.“
Die Frage, was sich lohnt, ist nicht immer eine reine Rechenaufgabe. Eberhard Schirmer von CarboRep hat dafür eine fast allgemeingültige Formel gefunden: „Wir kommen dann ins Spiel, wenn der Hersteller keine akzeptable Lösung anbieten kann“ sagt Schirmer. „Das kann auch ein Crash Replacement sein, bei dem der Austauschrahmen zwei Drittel eines neuen kosten würde, die Reparatur aber nur 20 Prozent. Oder der Hersteller kann einfach keinen Ersatz mehr liefern, wie meistens bei 26-Zoll-Bikes.“ Doch es gibt auch Räder von emotionalem Mehrwert: Manches Designer-Stück oder Vehikel großer Erfolge und Erlebnisse werden gepäppelt wie ein krankes Haustier – hier hilft das gebrochene Carbon zu reparieren.
Schon kleinere Reparaturen jenseits der Kosmetik kosten über 300 Euro, denn beim Handling mit ausgereiztem Leichtbau geht es um viel Erfahrung – und nicht zuletzt um die Verantwortung für Leben und Gesundheit der Kunden. Kunstvolle Lackierungen, die den Schaden abschließend kaschieren, kommen noch obendrauf. Der Beruf des Carbon-Reparateurs ist nicht offiziell reguliert und dadurch amtlich nicht erfasst, doch nach unseren Recherchen dürften im deutschsprachigen Raum kaum mehr als zehn Klein- und Kleinstbetriebe komplexe Radreparaturen professionell durchführen. Es dominieren technisch versierte Tüftler, die durch Versuche und Fortbildungen das Expertenwissen und das Materialgefühl erworben haben, die eigene Vorrichtungen bauen und die mit Fingerspitzengefühl das heikle Carbon wieder reparieren.
Was ihre technischen Voraussetzungen angeht, sind die Edelhandwerker gegenüber der industriellen Rahmenfertigung zunächst im Nachteil. Aktuelle Carbon-Rahmen entstehen in großen Formen, die von der Innenseite mit größeren oder kleineren Carbon-Zuschnitten belegt werden. Praktisch überall am Rahmen sind es mehrere unterschiedliche Lagen, die am Ende mit Innendruck und Wärme in der Form verbacken werden. Ein Carbon-Doktor muss nun versuchen, diese Materialstruktur und diesen Prozess nachzubilden – ohne Form, ohne Belegungsplan, mit geringerem Druck als in der Industrie und mit einem fertig lackierten Rahmen, der schon deshalb nicht die Hitze verträgt, die in den riesigen Öfen der Hersteller eingesetzt wird.
Die Steinzeitvariante, das Carbon zu reparieren, bestünde darin, harzgetränkte Faserbündel oder Streifen von Carbon-Matten um diese Stelle zu wickeln. So dick, dass es garantiert hält, und ganz egal, wie es aussieht. Die aktuellen Verfahren sind optisch, aber auch technisch deutlich subtiler. Um Optik und Fahreigenschaften zu erhalten, bildet der Reparateur das ursprüngliche Rohr nach. Dafür schleift er das Material, beginnend mit einigen Zentimetern Abstand zum Schaden, zehntelmillimeterweise dünner. In Rissnähe ist danach nur noch so viel Material übrig, dass es als Träger für die neuen Schichten taugt. Während des Abschleifens sieht der Reparateur gleichzeitig den Aufbau der ursprünglichen Carbon-Matten an dieser Stelle und kann ihn anschließend mit neuem Material nachbilden.
Den hohen Druck, der im Inneren einer Herstellerform die Lagen kompakt miteinander verbindet, ersetzen die Reparaturbetriebe durch Druck von außen. Schrumpffolien oder Vakuum-Manschetten komprimieren hier das Material, während es aushärtet. Anschließend wird es so weit abgeschliffen, dass der Rohrdurchmesser annähernd wiederhergestellt ist. Doch je heikler die Stelle und je dünnwandiger der Rahmen dort ist, desto eher wird sich die Reparatur auch bei sorgfältiger Arbeit auswärts wölben. Ein wenig mehr Material als in der Rahmenfertigung ist unvermeidlich: Beim Bruch eines dünnen bis mittleren Rahmenrohres addiert die Reparatur etwa 50 Gramm Mehrgewicht hinzu, wie wir bei Testreparaturen feststellen konnten. Ein alternatives Verfahren greift unsichtbar von der Rohrinnenseite an: Wenn die Öffnung im Tretlagergehäuse oder Steuerrohr es zulässt, wird eine Art Ballon mit dem Laminat belegt, zur Schadstelle durchgeschoben, aufgeblasen, und drückt so das Reparaturmaterial von innen an seinen Platz – gegebenenfalls mit Gegendruck von außen. Äußerlich ist so eine Reparatur unsichtbar, doch weil sie nicht verschliffen werden kann, macht sie den Rahmen noch ein paar Gramm schwerer.
Sich daran zu stören, muss man sich leisten können: Es ist viel Carbon da draußen unterwegs, und es wird täglich mehr. Der einstige Wunderstoff hat die Materialfrage ab der Mittelklasse für sich entschieden. Nicht nur Umweltschützern macht das Sorgen. Doch mit der Menge der Probleme ist auch die Qualität der Lösungen gewachsen: Die Reparatur geknickter, zerdrückter und perforierter Rohre füllt die Auftragsbücher der Spezialisten. Und diese Option tröstet wirklich alle, denen ein 3000-Euro-Fahrfehler unterläuft.
Nicht jeder Reparateur kümmert sich um alle denkbaren Schäden. Doch die von uns befragten Profis waren sich ziemlich einig, welche Standardschäden sich technisch sinnvoll ausbessern lassen.
Carbon-Felgen, die bei massivem Felskontakt eingeknickt sind, lassen sich kaum befriedigend reparieren. Eine Unwucht droht, außerdem ist der Aufwand für ein exaktes Felgenprofil immens. Eine neue Felge ist meistens billiger. Einzelne aus dem Felgenboden gerissene Speichen sind dagegen eine Anfrage wert.
Korrosion zwischen Alu-Einsätzen und Carbon-Rahmen am Hinterbau, ausgeleierte Pressfit-Lagersitze – die lassen sich im Zweifelsfall retten. Notfalls wird eine passende Alu-Hülse neu gedreht und einlaminiert.
Ein gebrochener Lenker oder eine angeknackste Sattelstütze lassen sich theoretisch oft reparieren. Doch auch, wenn die Sicherheit gewährleistet wäre: Technisch und wirtschaftlich ist das meistens nicht sinnvoll. Eine Ausnahme könnten Sattelstützen mit sehr speziellem Querschnitt sein, die man nicht mehr als Ersatzteil bekommt.
Reparaturen im Rohrverlauf sind der Klassiker bei den von uns befragten Experten. Fast alles, vom Gewaltbruch über den Chainsuck bis zur Längsquetschung, ist grundsätzlich reparabel. Die Preise beginnen bei zwei- bis dreihundert Euro ohne Lackierung. Das kann sich leicht lohnen.
Rechte Ausfallenden mitsamt Schaltauge sind häufige Opfer von Kettensalat und Felsen am Wegesrand. So ein Crash kann selbst das Gewinde der Steckachse komplett wegreißen. In den allermeisten Fällen ist der Schaden reparabel.
Die einlaminierten Pedalgewinde sind extremer Belastung ausgesetzt und können sich auf Dauer oder durch einen fetten Aufsetzer des Pedals lösen. Schade drum! Schäden an Carbon-Kurbeln erfordern so weitgehende Restaurierungsarbeiten, sodass ein Ersatz fast immer günstiger ist. In manchen Fällen ist eine Neuverklebung aber möglich.
Dirk Zedler, Fahrrad- und E-Bike-Sachverständiger, weiß aus eigenen Untersuchungen: Carbon-Rahmen und -Teile, die professionell repariert wurden, halten auch im Geländeeinsatz zuverlässig.
BIKE: Welche typischen Rahmenschäden kann man bedenkenlos reparieren lassen?
DIRK ZEDLER: Ein durch Umfallen oder Lenkereinschlag zerstörtes Oberrohr und ein abgerissenes Ausfallende sind die Spitzenreiter bei den Schäden. Dazu kommen Unterrohre, die beim Überfahren von Hindernissen eingedrückt wurden. Eigentlich sind all diese Reparaturen im Rohrverlauf beherrschbar. Da habe ich auch keine Sicherheitsbedenken, wenn das ein erfahrener Spezialist repariert. Wir haben vor einiger Zeit überarbeitete Rahmen in Bruchtests untersucht: Keiner ist an der reparierten Stelle gebrochen.
Und wo sind die Grenzen?
Lenker oder Sattelstützen würde ich nicht zur Reparatur empfehlen. Diese Teile haben ohnehin am ehesten Sicherheitsprobleme. Außerdem tut man sich schwer, wenn eine Reparatur komplett unsichtbar bleiben soll. Das ist höchstens mit viel Aufwand und einem guten Lackierer machbar. Dann wird die Lackierung aber unter Umständen teurer als die Reparatur. Oft markiert eben auch der Preis die Grenze des Sinnvollen.
Inwiefern und wie lange haftet der Reparaturbetrieb für seine Arbeit?
Wenn der Betrieb keine weiterreichende Garantie gibt, sind es zwei Jahre Gewährleistung. Aber wir hatten noch nie einen Prozess auf dem Tisch, wo es um solche Dinge ging. Professionelle Reparaturen halten!
Wie schlägt sich Carbon bei der Reparierbarkeit im Vergleich zu den Metallen?
Auch wenn Carbon sicher keine tolle Ökobilanz hat: Es lässt sich einfacher und zuverlässiger reparieren als Aluminium. Und Ermüdungsbrüche kommen praktisch nicht vor.
1. Foto machen
Egal, ob es ein offener Bruch im Rahmenrohr oder ein unklares „Knack“ im Montageständer war: Die Reparaturbetriebe schätzen vor der Zusendung klare Fotos und eine präzise, schriftliche Beschreibung des Schadens. Für ausführliche Telefonate haben sie eher wenig Zeit.
2. Schaden checken
Deutet der Riss im Lack auf einen Schaden im Carbon hin? Häufig können erfahrene Reparateure das in Prüfständen herausfinden, ohne gleich komplett den Lack zu entfernen: Schäden im Rohr verringern die Rahmensteifigkeit.
3. Laminieren
Der eigentliche Job des Reparateurs. Mit Fasermaterial und Harz, Schleifpapier und Schrumpffolien verschwinden Risse und Löcher.
4. Lackieren
Manche Reparateure lackieren auch, inklusive Wiederherstellung von Logos. Andere haben bewährte Partnerbetriebe. Das Finish kann teuer werden: Immer einkalkulieren!