Zecken – klein, aber nicht zu unterschätzen. Die winzigen Blutsauger sind längst nicht nur im Wald zu Hause, sondern lauern auch in Gärten, Parks oder auf Spielplätzen. Besonders in den warmen Monaten sind sie aktiv und stellen eine potenzielle Gefahr für Mensch und Tier dar. Denn ein Zeckenstich kann nicht nur unangenehm sein, sondern auch ernstzunehmende Krankheiten wie Borreliose oder FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) übertragen. Doch welche ersten Maßnahmen sind wichtig, und was sollte man beachten, wenn es passiert ist? In unserem Experteninterview klären wir, welche gesundheitlichen Risiken bestehen und was nach einem Stich unbedingt beachtet werden sollte – unser Experte gilt als Zecken-Koryphäe und spricht Tacheles im Interview.
Herr Prof. Dr. Jelinek, die Situation kennt jeder: Man entdeckt eine Zecke, hat aber weder Zeckenkarte noch Pinzette zur Hand. Was tun?
Das Ziel ist, die Zecke möglichst weit vorne – also nahe an der Haut – abzuklemmen. Denn der gefährliche Teil ist nicht der Stechapparat, sondern der Zeckenkörper inklusive Darminhalt. Dort sitzen die Erreger, nicht vorne im Stechwerkzeug. Es ist also nicht schlimm, wenn der Stechapparat, den viele fälschlicherweise für den Zeckenkopf halten, in der Haut stecken bleibt. Die Krankheitserreger befinden sich dort nicht. Der Körper stößt diesen Fremdkörper von selbst wieder ab. Man muss in diesem Fall nichts weiter tun.
Also nicht bis abends warten, um die Zecke in Ruhe mit der Pinzette oder Karte zu entfernen – sondern lieber sofort handeln?
Wenn man die Möglichkeit hat, die Zecke vorn sauber abzuklemmen, dann ja. Wichtig zu wissen: Die gefährlichen Borrelien werden meist erst nach etwa 12 Stunden übertragen. Denn erst das vom Menschen gesaugte Blut aktiviert die Borrelien im Zeckenkörper. Wenn die Zecke jedoch gedrückt wird und sich entleert, können die Erreger früher in den Körper gelangen.
Geht es also um mehrere Stunden, sollte man versuchen, die Zecke sofort zu entfernen – lieber provisorisch vor Ort als gar nicht.
Bei FSME sieht das anders aus, oder?
Genau. Im Gegensatz zu Borrelien werden FSME-Viren direkt beim Stich übertragen. Da spielt der Zeitfaktor keine Rolle.
Viele Zecken sind winzig. Da fällt es schwer, sie richtig zu greifen. Wie wichtig ist es, dabei vorsichtig zu sein, um sie nicht zu „stressen“?
So schnell passiert das zwar nicht, aber zu langes Herumfummeln und Drücken kann die Zecke stressen – und im schlimmsten Fall dazu führen, dass sie ihren Darminhalt abgibt. Auch der „Trick“ mit dem Tropfen Klebstoff oder Öl, um sie herauszuziehen, ist keine gute Idee. Wenn die Zecke sehr klein ist und sich schlecht greifen lässt, kann man vorsichtig mit einem scharfen Messer versuchen, den Stechapparat abzutrennen.
Manchmal weiß man gar nicht, wann man gestochen wurde – und entdeckt die Zecke erst viel später. Sollte man dann direkt zum Arzt gehen, um eine Borreliose-Prophylaxe zu bekommen?
Ein Stich juckt oft noch Tage bis Wochen nach dem Entfernen – das ist nur eine Reaktion des Körpers auf den Zeckenspeichel und völlig unbedenklich. Wichtig ist, die Einstichstelle zu beobachten. Ein sicheres Anzeichen für eine Borreliose ist die sogenannte Wanderröte: ein roter Hautausschlag, der sich Tage bis Wochen nach dem Stich ringförmig um die Einstichstelle ausbreitet. Diese Rötung ist reizlos und verursacht keinerlei Beschwerden – gerade deshalb ist sie so charakteristisch. Keine andere Erkrankung verursacht genau diese Art von Ausschlag. Problematisch ist nur: Diese Wanderröte tritt nur bei etwa der Hälfte der Infizierten auf – die andere Hälfte entwickelt sie gar nicht.
In jeder fünften Zecke stecken Borrelien. Was tun, wenn man vermutet, die Zecke war länger als 12 Stunden dran – und die Wanderröte ausbleibt?
Es gibt eine US-Studie, die zeigt, dass die Einnahme einer einzigen Tablette Doxycyclin das Infektionsrisiko um rund 87 Prozent senkt, nimmt man sie in den ersten 72 Stunden nach dem Stich.
Doxycyclin ist ein herkömmliches Antibiotikum, das beispielsweise auch gegen Akne eingesetzt wird. In solchen Fällen ist das eine sinnvolle Prophylaxe – vorausgesetzt, man handelt frühzeitig.
Die Folgen einer Borreliose können erst Wochen oder Monate später auftreten – und sind oft unspezifisch. Wann sollte man misstrauisch werden?
Das ist das Problem: Die Symptome sind oft diffus und nicht eindeutig – Müdigkeit, Erschöpfung, Gelenk- oder Gewebeschmerzen, auch neurologische Beschwerden. Typischer sind wechselnde Gelenkschmerzen oder wandernde Gewebeschmerzen, die von einer Körperstelle zur nächsten wandern. Bei Kindern sehen wir manchmal ein geschwollenes Ohrläppchen – das ist eine Einlagerung weißer Blutkörperchen. Letztlich bringt nur ein Bluttest Klarheit.
Anmerkung der Redaktion: Die Krankenkasse übernimmt die Kosten für diesen Bluttest in der Regel nur, wenn eine Wanderröte aufgetreten ist oder wenn Symptome vorliegen, die meist erst später auftreten, wie etwa Gesichtslähmung, Hirnhautentzündung, brennende Nervenschmerzen oder Anzeichen einer Arthritis.
Wie viele Borreliose-Fälle gibt es jährlich in Deutschland?
Das lässt sich schwer sagen, weil Borreliose nicht meldepflichtig ist und viele Fälle unerkannt bleiben. Wir schätzen die Zahl auf etwa 60.000 bis 100.000 pro Jahr. Kurzum: Borreliose ist tückisch. Die Wanderröte ist ein sicheres Anzeichen – aber bleibt in etwa der Hälfte der Fälle aus. Eine einzige Doxycyclin-Tablette nach er Entdeckung kann wirksam vorbeugen. Am Schluss bringt nur ein Bluttest Gewissheit. Und anders als oft im Internet behauptet, ist Borreliose gut behandelbar – je früher, desto besser. Wird sie über lange Zeit nicht erkannt, wird die Therapie zwar aufwendiger, aber grundsätzlich ist sie möglich.
Für Borreliose gibt es keine Impfung – aber für FSME. Wie sinnvoll ist diese Impfung?
Sehr sinnvoll – und sehr sicher. Ich kenne keinen einzigen dokumentierten Fall, bei dem sich jemand trotz Impfung infiziert hat. In Schweden gab es ein paar Ausnahmen, aber das sind absolute Einzelfälle. Wer im süddeutschen Raum lebt, sollte sich unbedingt impfen lassen. Denn im Gegensatz zur Borreliose ist FSME nicht behandelbar. Es handelt sich um eine ernsthafte Entzündung von Gehirnhaut und Gehirn.
Wie häufig sind FSME-Infektionen in Deutschland?
Deutlich seltener als Borreliose. Wir zählen rund 600 bis 800 Fälle pro Jahr.
Seit den COVID-Impfungen sind viele Menschen skeptischer gegenüber Impfungen. Wie sieht es mit Nebenwirkungen der FSME-Impfung aus?
Die FSME-Impfung gibt es seit Jahrzehnten – sie wurde stetig verbessert. Heute gibt es praktisch keine relevanten Nebenwirkungen. In den 1990er-Jahren gab es in Frankreich einen Impfstoff, der schlechter vertragen wurde – das ist aber längst Geschichte. Kurzum: Die Impfung ist unbedenklich.
Wie oft muss geimpft werden?
Zunächst zweimal, dann eine Auffrischung nach einem Jahr. Danach hält der Schutz laut Studien mindestens zehn Jahre. Die Angaben in den Zulassungsunterlagen der Hersteller sprechen zwar von einer Auffrischung alle zwei bis drei Jahre – das halte ich aber für nicht notwendig.
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