Text: Ronja Mößbauer
Das Bike rollt fast wie von selbst durch grüne Landschaften, und die Zeit verfliegt im Nu. Eine tiefe Zufriedenheit durchströmt unseren Körper und macht alle Sorgen oder Anstrengungen klein. Dieses Gefühl, das die meisten Radfahrer gut kennen, nennen Psychologen Flow. „Im Flow sind Menschen maximal auf ihre Tätigkeit fokussiert“, beschreibt der Sportpsychologe und Antistress-Berater Dr. Sebastian Altfeld. Der Zustand tritt meist dann ein, wenn eine Tätigkeit weder zu anstrengend noch langweilig ist – so wie beim lockeren Radfahren.
Das Schöne am Flow-Gefühl: Stressende Gedanken bleiben aus. „Weil wir nicht nachdenken, können wir entspannen“, sagt der Sportpsychologe. Wer diesen Zustand erreicht, spürt eine beruhigende oder gar meditative Wirkung. Ausfahrten im Flow bieten wunderbare Pausen in unserer hektischen Zeit. Sie helfen, negative Folgen von Stress zu vermeiden, die oft unmerklich im Alltag entstehen und sich mitunter summieren.
Genau betrachtet, entsteht Stress immer dann, wenn der Körper auf irgendeinen äußeren Reiz reagiert. Das kann eine eiskalte Dusche sein genauso wie die Tatsache, dass uns gerade der Zug zu einem wichtigen Termin vor der Nase weggefahren ist. Dieser Reiz aktiviert den sogenannten Sympathikus – einen Teil unseres vegetativen Nervensystems, der Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol ausschüttet.
Die Folge: Das Herz schlägt schneller, die Muskulatur spannt sich an und Konzentration sowie Aufmerksamkeit steigen. Diese körperliche Reaktion ist ein Erbe aus der Steinzeit. Dort sicherte sie das Überleben unserer Vorfahren.
„Bei Stress ist der Körper in einem Alarmzustand“, sagt Dr. Altfeld. „Die Leber entgiftet weniger, Stoffwechselprodukte wie Laktat bleiben länger im Körper, und die Muskeln werden steif.“
Steinzeitmenschen reagierten auf Stress mit körperlicher Aktivität: Flucht oder Kampf. Wer diesen Zusammenhang kennt, versteht, warum Bewegung unsere Entspannung unterstützt. Während der körperlichen Aktivität beim Radfahren werden Stresshormone abgebaut und Glückshormone wie Dopamin ausgeschüttet. Darüber hinaus lockert die Bewegung beim Treten die Muskulatur. Denn: Der vermehrte Blutfluss spült Stoffe wie Laktat aus dem Körper, wodurch sich die Muskelspannung abbaut.
Flow tritt ein, wenn eine Tätigkeit weder zu anstrengend noch langweilig ist! (Dr. Sebastian Altfeld, Sportpsychologe und Mental Coach)
Diese körperliche Entspannung durch Bewegung wirkt über den Moment hinaus. Bewegung hilft langfristig im Umgang mit Stress, indem der Körper Sauerstoff und Nährstoffe immer besser aufnimmt und Abfallprodukte schneller abbaut. „Durch regelmäßigen Sport können Radfahrer ihr Stresslevel nachhaltig senken“, so Dr. Sebastian Altfeld.
Dauerhaft hohe Stresslevel schwächen den Körper und begünstigen Krankheiten. „Radfahren beugt vor, indem es Körper und Geist entspannt. Wer sich regelmäßig eine Auszeit nimmt, unterbricht in seinem Alltag die Auslöser für Stress“, so der Sportpsychologe. Kurze Fahrten lassen sich leicht in den Alltag integrieren. Das gilt auch für Einsteiger jeden Alters: Schließlich erfordert das Rad kaum Ausdauer und schont darüber hinaus die Gelenke.
Je besser sich ein Radfahrer auf sein Tun einlassen kann, desto geringer wird die Wirkung von Sorgen und negativen Gedanken, und umso stärker ist die Erholung auf Tour. „Wer dagegen bei jeder Steigung an Aufgaben und Termine des nächsten Tages denkt, erhält den Stress aufrecht“, mahnt der Experte. Übrigens: Die Entspannungsfähigkeit lässt sich ein Leben lang trainieren. Dafür eignen sich zum Beispiel Meditationstechniken.
Was entspannt und was stresst, hängt auch von unseren Vorlieben ab. Klar: Wer nicht gerne auf dem Sattel sitzt, wird sich bei einer Ausfahrt kaum entspannen. Begeisterte Radfahrer hingegen profitieren ganz besonders davon. „Solche persönlichen Vorlieben entstehen durch körperliche Faktoren, wie zum Beispiel die individuelle neurologische Reaktion auf eine Situation, und werden durch Lernprozesse geformt“, erklärt Dr. Sebastian Altfeld.
Der Körper reagiert aufs Radfahren mit Entspannung – und merkt sich diese Wirkung nachhaltig für eine effektivere Entspannung auf weiteren Fahrten.
Warum fühlen wir uns so gut, wenn uns Bäume umgeben? Die Reinheit und Feuchtigkeit der Luft entlasten die Atemwege, und die typischen Lichtverhältnisse im Wald vermitteln Geborgenheit und verbessern die Stimmung. Darüber hinaus entdeckte der japanische Waldforscher Dr. Qing Li von der Nippon Medical School in Tokio, dass Terpene – aromatische Substanzen, die Bäume aussenden – unter anderem stressmindernd wirken. Mithilfe der Terpene informieren sich Bäume untereinander, zum Beispiel über Schädlinge. Die höchste Konzentration von Terpenen findet sich im Sommer in der Waldluft – jeder Waldtyp bildet ein spezifisches, gesundheitsförderndes Klima aus.
Touren im Wald wirken besonders entspannend. Der Grund: Bäume produzieren stressmindernde Stoffe und geben diese in die Luft ab (siehe oben).
Gut zu wissen: Die Erwartung einer schönen, bereits bekannten Strecke fördert außerdem den Flow.
Wählen Sie eine Strecke, die zu Ihrem Leistungsniveau passt. Denn: Muten Sie sich auf der Fahrt zu viel zu, kann die Anstrengung leicht Extrastress verursachen. In bergigem Gelände stellen Räder mit Motor eine gute Lösung dar.
Für den besten Effekt sollte eine Fahrradfahrt mindestens 30 Minuten dauern. Forschungen haben ergeben, dass sich die entspannende Wirkung der Bewegung erst nach einer halben Stunde einstellt.
Steigen Sie nur dann aufs Fahrrad, wenn es in diesem Moment gut passt. Wer sich mit seiner Freizeitbeschäftigung unter Druck setzt, verfehlt das Ziel der Entspannung.
Wer im sozialen Kontext gut entspannen kann, unternimmt die Ausfahrt am besten gemeinsam mit anderen. Suchen Sie sich einen Partner oder eine Gruppe, in deren Gesellschaft Sie sich beim Pedalieren wohlfühlen.