X-MenSuperhelden des Radsports

BIKE Magazin

 · 02.09.2013

X-Men: Superhelden des RadsportsFoto: Thomas Thiesen
X-Men: Superhelden des Radsports
Überirdische Kräfte oder alles Training? Wir analysieren die Superkräfte mancher Cross-Country-Biker und quetschen die Geheimnisse aus Gunn-Rita Dahle Flesjå, Julien Absalon und Nino Schurter heraus.

Downhill-Spezialist: Nino Schurter

Nino Schurter gilt als bester Abfahrer im Cross-Country-Zirkus. Der Schweizer Weltmeister nimmt es selbst mit gestandenen Enduro-Cracks auf. Je technischer die Strecke, desto sicherer ein Sieg des 27-Jährigen.

  Alleine vorneweg: Nino Schurter zeigt im Worldcup seine Extraklasse – vor allem bei technischen Abfahrten.Foto: Victor Lucas Alleine vorneweg: Nino Schurter zeigt im Worldcup seine Extraklasse – vor allem bei technischen Abfahrten.

Ist es ein Vogel, ist es ein Flugzeug? Nein, es ist Nino Schurter. Ja, dieser Leitsatz, mit dem sich sonst Superman schmückt, passt wunderbar auf den Schweizer. Egal, auf welchem Rad Schurter sitzt, er macht immer eine gute Figur. Der 27-Jährige kann im Grunde alles – er ist der Bike-Superman unter den Action-Helden. Bergauf, bergab, Enduro, Rennrad, oder auch auf Ski – Schurter hängt sie alle ab, besonders, wenn es steil, technisch und einfach nur unfahrbar wird. Wie er das macht, fragen sich sogar die Experten. War es ein Meteoritenhagel über seiner Heimatstadt Flims, oder ist es doch dieser kräftig würzige Sennerkäse? Schurter schüttelt den Kopf und versucht, wie ein normaler Mensch zu wirken. "Alles Training", sagt er und sticht in den nächsten eigentlich unfahrbaren Trail ein.

Abfahts-Tipps von Nino Schurter


1. Balance und Krafttraining auf der Slackline: Die Slackline ist das Werkzeug, um sich für schwierige Downhills fit zu machen. Das Entkoppeln vom Radtraining setzt einen hohen Reiz an den Gleichgewichtssinn und stärkt das Zusammenspiel der Muskel. Anfangs sollte man nur das Gleichgewicht halten können, später folgen Kniebeugen – sowohl einbeinig wie zweibeinig.


2. Mehr Federweg: Wer mit etwas mehr Federweg als gewohnt fährt, kann schwierige Passagen besser meistern. Anfängliche Angst vor Sprüngen und verblockten Passagen bügeln Freerider einfach platt. Das lässt sich später auch aufs Cross-Country- oder Marathon-Biken übertragen. Zudem ist Freeriden eine super Beschäftigung im Herbst, wenn keine Wettkämpfe anstehen. Einfach hochshutteln lassen und runterrasen.

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3. Eine Herausforderung suchen: Wenn man mit Freunden unterwegs ist, sollte man jede anspruchsvolle Passage als Challenge sehen und solange probieren, bis man durchkommt. Vorteil: Man kann sich gegenseitig helfen und falls man stürzt, ist gleich jemand da. Das Ausdauertraining darf auch mal vernachlässigt werden. Der Spaß hat Priorität.

Uphill-Maschine: Wolfram Kurschat

Kaum beginnt der Anstieg, fürchtet sich die Bike-Elite vor dem Antritt von Wolfram Kurschat. Er gilt als stärkster Bergfahrer im Cross-Country und zündet schon ab dem ersten Höhenmeter seinen Turbo.

  Bergauf kann fast kein Biker das Hinterrad von Wolfram Kurschat halten.Foto: Armin M. Küstenbrück Bergauf kann fast kein Biker das Hinterrad von Wolfram Kurschat halten.

Wer Wolfram Kurschat die Haut aufschneidet, findet höchstwahrscheinlich eine Apparatur aus Zylindern, Verbrennungsmotoren und eine Menge Drähte. Die Bergaufleistungen des Neustädters gelten als legendär und gehören im Grunde in den Bereich Motorsport. Ein Blick auf die Watt­anzeige lässt selbst Sportwissenschaftler raunen: 500 Watt Dauerleistung über 15 Minuten und das bei 70 Kilo Körpergewicht. Seinen Gegnern aus Fleisch und Blut macht der 39-Jährige dabei regelmäßig Angst – besonders, wenn die Kolben gut geschmiert sind. Es ist ja auch unfair, Menschen gegen diese Maschine fahren zu lassen. Zum Spaß begab sich der Bike-Profi jüngst auf fremdes Terrain: Bei der Deutschen Bergmeisterschaft enteilte er der kompletten Straßen-Elite und wurde Deutscher Meister.

Kletter-Tipps von Wolfram Kurschat



1. Kurze Grundlageneinheiten:
Wenn man gerne dynamisch, kurz und schnell fahren möchte, so wie es im Cross Country gefordert ist, dann darf man nur in Maßen lange Trainingseinheiten auf dem Rad abreißen. Kurschat trainiert kurze aber zügige Grundlageneinheiten, die nicht länger als drei Stunden dauern. Oftmals isst der Neustädter dabei nichts, um den Fettstoffwechsel zu verbessern.


2. Eisen essen: Kaum ein Biker macht so intensiv Kniebeugen wie der Zweite der diesjährigen Deutschen Meisterschaft. Dabei startet Kurschat am Saisonanfang mit vielen Wiederholungen mit über 100 Kilo. Wenn er 30 Beugen mit 130 Kilo schafft, beginnt er mit dem Maximalkrafttraining. Dabei macht er nur vier Sätze mit fünf Wiederholungen. Das Gewicht ist entsprechend hoch. Wie hoch, wollte er nicht verraten.


3. Im Folterkeller: Kurschat hat einen Raum fürs Rollentraining in seinem Haus reserviert. Das Training an sich ist dabei so hart, dass selbst seine Konkurrenten den Kopf schütteln und es mehr als Qual statt wirksamen Reiz ansehen. Bei Kurschat funktioniert es. Beispiel gefällig? 60 Minuten mit 4 x 10 Minuten bei 450 Watt. Oder zehn 40-Sekunden-Intervalle mit 600 Watt, bei denen er sich 20 Sekunden ausruht.

Mentalist: Gunn-Rita Dahle Flesjå

Wenn Gunn-Rita Dahle Flesjå nicht biken würde, könnte sie mit ihren mentalen Fähigkeiten Gläser sprengen oder Gedanken lesen. Zum Glück hat sie sich für den Bike-Sport entschieden und quält nur ihre Konkurrentinnen.

  Die Norwegerin krönte sich 2015 erneut zur Marathon-Weltmeisterin.Foto: Armin M. Küstenbrück Die Norwegerin krönte sich 2015 erneut zur Marathon-Weltmeisterin.

Kaum hat Gunn-Rita Dahle Flesjå die Rolle zum Warmfahren bestiegen, schaut sie als ob sie Wurzeln aus 15-stelligen Zahlen zieht. Kein anderer Bike-Profi schaut so verbissen und kann sich besser fokussieren als die Norwegerin. Das zeigt sich bei ihrem fortschreitenden Alter immer stärker. Dahle Flesjå starrt mit dem Blick einer Medusa, wenn sie zum Start rollert und knipst den Rest um sich herum aus. "Ich stecke in einer Art Renntrance, die mich einhundert prozentig auf den Wettkampf fokussieren lässt. Man muss sich dazu zwingen, nur daran zu denken. Ich habe das über die Jahre perfektioniert", erklärt die 42-Jährige. Dass diese Taktik nicht nur bei Rennen sondern auch im Training effektiv ist, erklärt sie im Interview und bei ihren Trainings-Tipps.

Mentale Trainings-Tipps von Gunn-Rita Dahle Flesjå


1. Fokussieren: Gunn-Rita hat einen einfachen Leitsatz für ihre Fokussierungstechnik: Mache alles mit 100 Prozent und lass dich nicht ablenken. Für ihr Training bedeutet das: keine störenden Handy-Anrufe zwischendurch oder in Gedanken Probleme wälzen. Sie zwingt sich förmlich zur Konzentration auf den Trainingsinhalt, den sie abreißen möchte.


2. Visualisieren: Die Kenntnis der Rennstrecke nimmt bei der Norwegerin einen großen Trainingsteil ein. Wichtige Wettkampfstrecken schaut sich die 42-Jährige sechs Monate vorher an, filmt sie und ruft Schlüsselstellen immer wieder ins Gedächtnis zurück. Je näher der Wettkampf, desto öfter macht sie das. Das Visualisieren geschieht dabei
als eigenständige Trainingseinheit und nicht einfach zwischendurch.


3. Analysieren: Dahle Flesjå analysiert jeden Wettkampf genau. Der Prozess beginnt schon nach der Zieldurchfahrt. Sie bespricht gute und schlechte Situationen mit ihrem Mann Kenneth. Einige Tage später wird der Trainingsaufbau für diesen Wettkampf gecheckt, um zu sehen, wo Verbesserungspotenzial schlummert. Mit diesem Wissen können später Abläufe automatisiert werden und kosten weniger mentale Arbeit.

Grip-Meister: Julien Absalon

Kaum öffnet der Himmel die Schleusen und verwandelt den Rennkurs in eine Schlammstrecke, schlägt Julien Absalons Stunde. Der Franzose widersetzt sich der Physik und scheint müheloser als alle anderen durch Modderpampe zu fahren.

  Speziell bei schlechtem Wetter, Regen und Schlamm ist Absalon im Worldcup nur schwer zu schlagen.Foto: Armin M. Küstenbrück Speziell bei schlechtem Wetter, Regen und Schlamm ist Absalon im Worldcup nur schwer zu schlagen.

Liegt es am frischen Wasser der Vogesen, oder frühstückt Julien Absalon Kryptonit – keiner kann es so genau erklären, doch wer den 33-Jährigen bei miesestem Wetter über die Worldcup-Strecken rasen sieht, dem klappt der Kiefer weit nach unten. Während seine Konkurrenten und die Zuschauer über das Renngelände schlittern, scheint Absalon ein besonderes Bündnis mit dem Untergrund einzugehen. Absalon rutscht nicht weg, Absalon stürzt nicht, Absalon verbremst sich nicht – er fährt wie eine Modeleisenbahn über ein imaginäres Schienennetz, das über die verschlammte Wettkampfstrecke gespannt scheint. Da verzweifeln selbst seine Gegner und versuchen krampfhaft, am Hinterrad des Seriensiegers zu bleiben. Das Ergebnis: Stürze oder Materialversagen. Dabei liegt Absalons Schlechtwetterstärke nicht nur im Bergab, sondern auch im Bergauf. "Wenn es sehr schlammig wird, schultere ich das Bike und renne hoch. Dadurch habe ich meist saubere Stollen in der Abfahrt, was einem mehr Griff verleiht", erklärt der Franzose. Aber wie mutiert man zum Schlechtwettergott? Julien Absalon verriet uns einige seiner Trainingsgeheimnisse.

Trainings-Tipps für Regen und Schlamm von Julien Absalon


1. Mit Experten trainieren: Julien Absalon hat den vielleicht besten Abfahrts-Coach an der Seite – seinen Bruder Remy. Remy Absalon gehört zur Crème de la Crème im Enduro-Zirkus. Mit ihm liefert sich Absalon regelmäßig bergauf und bergab Duelle. Absalon empfiehlt deshalb, einfach mal mit Enduro-Bikern oder Downhillern zu trainieren und dabei zu versuchen, an deren Hinterrädern zu bleiben.


2. Geschmeidig bleiben: nasse Wurzeln und Steine bieten Stollen kaum Grip, und das Gummi rutscht nur so über diese Flächen. Der Franzose reagiert aber nicht nervös und hektisch. Er lässt seine Reifen machen. Wenn der Reifen kurz rutscht, findet er meist einen Zentimeter weiter Halt, wenn man locker bleibt und den Reifendruck gering genug gewählt hat. Auch gut: Balance-Training auf Wackelbrettern.


3. Cross-Rennen fahren: Wer wirklich bei miesen Witterungsbedingungen fahren möchte, sollte Cross-Rennen im Winter bestreiten. Die zugeschlammten Strecken, die mit sehr schmalen Stollenreifen bewältigt werden, verbessern die Fahrtechnik enorm. Das macht nicht nur Absalon. Auch die Schweizer Biker wie Florian Vogel oder Andi Frischknecht begeben sich im Winter auf die Cyclocross-Pisten.

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