Während der Fahrradcomputer piept, der Pulsgurt drückt und das Smartphone ständig neue Trainingsdaten fordert, genießen manche Biker einfach die Fahrt – und trainieren trotzdem effektiv. Training nach Gefühl, also die bewusste Entscheidung gegen die permanente Datenerfassung durch Pulsmesser oder Powermeter, ist nicht ausgestorben. Besonders bemerkenswert: Selbst Profis wie der Schweizer Mountainbike-Marathonspezialist Urs Huber schwören auf diese Methode, und seine Erfolge geben ihm Recht. Doch wie funktioniert ein effektives Training ohne die ständige Kontrolle von Watt- und Pulswerten? Und für wen eignet sich diese Herangehensweise?
Das Training nach Gefühl basiert auf einer hochentwickelten Körperwahrnehmung. Erfahrene Biker lernen mit der Zeit, die Signale ihres Körpers präzise zu interpretieren. "Die Atmung ist einer der zuverlässigsten Indikatoren für die aktuelle Belastungsintensität", erklärt Florian Schön, ehemaliger MTB-Nationalfahrer und Teamfahrer des Teams Scott Generation. "Kann ich noch vollständige Sätze sprechen, befinde ich mich im Grundlagenbereich. Sind nur noch kurze Wortgruppen möglich, bewege ich mich bereits im intensiven Belastungsbereich."
Florian trainiert schon viele Jahre erfolgreich ohne technische Helferlein. Neben der Atmung spielen auch die Muskelspannung, das allgemeine Erschöpfungsgefühl und nicht zuletzt der mentale Zustand eine entscheidende Rolle. Mit zunehmender Trainingserfahrung entwickeln Biker ein immer feineres Gespür für diese Signale und können ihre Intensität entsprechend steuern.
Ich habe es mehrfach ausprobiert, musste mir aber eingestehen, dass ein fixer Trainingsplan nicht zu meinem unsteten Leben passt. Ich trainiere privat ausschließlich nach Gefühl. Voraussetzung ist allerdings ein geschultes Körpergefühl. Dessen Entwicklung startet bereits im Kindesalter. In meiner Erfahrung können vor allem Biker mit lebenslanger Sportsozialisation vom Training nach Gefühl profitieren. - Jan Timmermann, Leitung BIKE-Fitnessredaktion
Ein wesentlicher Vorteil des gefühlsbasierten Trainings liegt in der gewonnenen Freiheit. "Ich stelle fest, dass heute praktisch schon jeder Hobbysportler in Trainingsplanung, Messsysteme und so weiter investiert. Klar kann das faszinierend sein, doch für mich war die Freude an der Bewegung und am Erlebnis stets größer", betont der Bulls-Profi Urs Huber. Die Abkehr von technischen Geräten und permanenter Datenkontrolle kann bei Bikern zu einem entspannteren Umgang mit dem Training führen. Sie können flexibler auf die Tagesform reagieren, spontan die Intensität anpassen und müssen sich nicht von vorgegebenen Zahlen unter Druck setzen lassen. Gerade diese Flexibilität kann langfristig zu mehr Trainingsfreude und damit zu einer höheren Motivation führen – ein nicht zu unterschätzender Faktor für den langfristigen Erfolg.
Trotz aller Vorteile hat das Training nach Gefühl auch seine Grenzen. Besonders Anfänger ohne entsprechende Referenzwerte können ihre Belastung leicht falsch einschätzen. "Ohne Erfahrung besteht die Gefahr der Über- oder Unterforderung", warnt Florian Schön. "Eine gelegentliche Leistungsdiagnostik als Realitätscheck kann daher auch beim gefühlsbasierten Training sinnvoll sein." Zudem lässt sich ohne objektive Messwerte der Trainingsfortschritt schwerer quantifizieren. Während erfahrene Biker subtile Verbesserungen in ihrem Körpergefühl wahrnehmen können, fehlen Anfängern oft die nötigen Vergleichswerte. Ein weiterer Aspekt: Bei hochintensiven Intervalltrainings kann die präzise Steuerung über Gefühl besonders anspruchsvoll sein, da hier kleine Intensitätsunterschiede große Auswirkungen haben können.
Wer nach Gefühl trainieren möchte, kann sich an einigen bewährten Methoden orientieren. Die Borg-Skala oder RPE-Werte (Rating of Perceived Exertion) bieten eine strukturierte Möglichkeit, das subjektive Belastungsempfinden einzuordnen. Auf einer Skala von 6 bis 20 entspricht etwa der Wert 11-12 einem lockeren Grundlagentraining, während Werte um 17-18 bereits hochintensive Belastungen darstellen. Auch die Atemkontrolle ist ein praktisches Werkzeug: Solange vollständige Sätze möglich sind, bewegt man sich im aeroben Bereich. Können Biker nur noch einzelne Worte sprechen, sind sie bereits schon im anaeroben Bereich unterwegs.
Profis wie Urs Huber nutzen zudem die Muskelwahrnehmung: "Ich spüre sehr genau, wann meine Beine schwer werden und wann sich der Tritt noch rund und locker anfühlt." Das Training nach Gefühl stellt somit eine wertvolle Alternative zur datengesteuerten Trainingsmethodik dar. Es erfordert Erfahrung, Selbstdisziplin und ein gutes Körpergefühl, kann aber gerade für erfahrene Biker zu weniger Verbindlichkeit, mehr Trainingsfreude und nachhaltigen Erfolgen führen – vorausgesetzt, man lernt, die Signale des eigenen Körpers richtig zu interpretieren und entsprechend zu handeln.
Der Schweizer Urs Huber (Team Bulls) gehört zu den erfolgreichsten Mountainbike-Marathonfahrern der Welt. Im Gespräch erklärt er, warum er auf Pulsmesser und Powermeter verzichtet.
BIKE: Wieso trainierst du nicht mit einem Pulsmesser oder einem Powermeter?
URS HUBER: Bei mir war es so, dass ich eher zufällig in den (Spitzen-)Sport gerutscht bin. Ich wurde auch nie speziell gefördert. Es war immer learning by doing. Also kam die Frage nach einem Powermeter lange Zeit nie auf und es funktionierte trotzdem. Ich habe es mir auch zum Spiel gemacht, als ‚Freestyler’ top betreute Athleten herauszufordern und oft zur Verzweiflung zu bringen. Pulsmesser habe ich immer dabei, jedoch nicht zur Trainingssteuerung sondern mehr, um nach dem Training mein empfundenes Gefühl mit den aufgezeichneten Pulswerten abzugleichen.
Wie kannst du ohne diese Hilfsmittel gezielt trainieren und Spitzenleistungen erbringen?
Ich habe mich in jungen Jahren nie gescheut etwas zu probieren. Und dabei habe ich viele Fehler gemacht. Jedoch habe ich immer, wenn etwas nicht gut lief, versucht der Sache auf den Grund zu gehen und beim nächsten Mal anders gemacht. Bis ich schließlich herausgefunden habe, was bei mir funktioniert. Bei der Analyse nach den Rennen mit meinen Kollegen stellte sich immer heraus, dass meine Einschätzungen durch die gefahrenen Werte bestätigt wurden. Ich sah also nie einen Grund, auch noch ein Messgerät herum zu schleppen.
Warst du nicht neugierig, wie es sich mit diesen Geräten trainiert?
Es kann sein, dass ich gewisses Potential verschenkt habe. Jedoch war bei mir immer die Freude der größte Antrieb. Außerdem hatte ich auch Angst, dass mich zu viele Zahlen verrückt machen. Ich wäre unzufrieden und demoralisiert gewesen, wenn ich die angestrebten Werte nicht erreicht hätte. Rückblickend bin ich mir sicher, dass meine Karriere früher vorbei gewesen wäre, wenn ich nach einem Plan, der mir nicht die volle Zufriedenheit gibt, trainiert hätte.
Welche Tipps kannst du Bikern geben, die nach Gefühl trainieren wollen?
Genießt die Freude an der Bewegung und das Erlebnis. Geht euren eigenen Weg und investiert das Geld lieber für ein cooles Bike-Wochenende als für einen Trainingsplan.