Tabu ÜbertrainingWenn Training schwach macht

Jan Timmermann

 · 04.04.2025

Wenn das Training den Körper langfristig überfordert und sich eine anhaltende Erschöpfung einstellt, besteht die Gefahr von Übertraining. Wir verraten, was Biker beachten sollten.
Foto: Midjourney / BIKE Magazin
Training macht fitter, schneller, leistungsfähiger. Manchmal passiert jedoch das genaue Gegenteil, und die Leistung bricht trotzdem ein. Vielleicht zu viel trainiert? Für viele gilt das als Tabu. Unsere Expertin verrät die Tipps, woran sich Übertraining erkennen und was sich dagegen tun lässt.

Von Übertraining haben die meisten Radsportler wohl schon einmal gehört. Viele denken aber: “das betrifft mich schon nicht.” Biker mit hohem Trainingspensum sollten aber das Thema keinesfalls zum Tabu machen und in jedem Fall wissen, woran sie Übertraining erkennen können und wie sie sich im Fall der Fälle verhalten sollten. Ansonsten riskieren sie einen langfristigen Leistungseinbruch.

Wer strukturiert trainiert, tut dies für gewöhnlich, um fitter zu werden. Manchmal passiert jedoch genau das Gegenteil: Wenn Sportler sich überfordern, zu wenig ausruhen, zu wenig Energie aufnehmen oder alles zusammen, können sie ins Übertraining geraten. Wer dann nicht die Bremse zieht, entwickelt schlimmstenfalls ein Übertrainingssyndrom oder RED-S.

XC-Athlet Luca Schwarzbauer am Ende seiner Kräfte. Für Profis, wie ihn, ist Übertraining besonders gefährlich. Es kann aber auch Hobby-Sportler treffen.Foto: Bartosz WolinskiXC-Athlet Luca Schwarzbauer am Ende seiner Kräfte. Für Profis, wie ihn, ist Übertraining besonders gefährlich. Es kann aber auch Hobby-Sportler treffen.

Mal müde oder dauerhaft erschöpft?

Manchmal haben Mountainbiker das Gefühl, dass etwas nicht stimmt: Das Training läuft nicht mehr rund, Anstiege fühlen sich schwer an. Die Lust aufs Biken nimmt ab und ständig ist da diese bleierne Müdigkeit. Doch zuzugeben, dass eine Überforderung vorliegt, fällt vielen schwer.

Mal ein paar Tage schwere Beine zu haben, müde und unmotiviert zu sein, ist kein Problem. Manchmal ist ein bewusstes Überziehen, sogenanntes Functional Overreaching, im Training sogar gewollt, um dem Körper den Anstoß für eine Leistungssteigerung zu geben.

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Übertraining beziehungsweise Non-Functional Overreaching und RED-S sind allerdings etwas völlig anderes: Beide führen dazu, dass die Leistungsfähigkeit dauerhaft abnimmt, obwohl keine Verletzung oder Erkrankung vorliegt.

„Echtes Übertraining geht mit einer anhaltenden Leistungsminderung einher“, Dr. Ursula Manunzio, Leiterin des Bereichs Leistungs- und Freizeitsport am Uniklinikum Bonn. Treffen kann es grundsätzlich alle Sporttreibenden, wobei Ausdauersportler, wie es Mountainbiker sind, aufgrund der oft hohen Trainingsumfänge eher betroffen sind.

Die Ursachen sind jedoch unterschiedlich: Übertraining entsteht, wenn Kopf und Körper nicht genügend Nährstoffe und nicht ausreichend Zeit zur Regeneration bekommen. Die Müdigkeit, die jeder mal während oder nach einer Trainingseinheit bemerkt, wird zum chronischen Dauerzustand.

Weitere Symptome sind Schlaf- und Konzentrationsprobleme, ein geschwächtes Immunsystem mit häufigen, anhaltenden Infekten oder auch hormonelles Ungleichgewicht (zum Beispiel Stresshormone, Testosteron).

Dr. Ursula Manunzio, leitet den Bereichs Leistungs- und Freizeitsport am Uniklinikum Bonn. Die Expertin weiß, wie schlimm Übertraining für Sportler sein kann.Foto: Archiv Ursula ManunzioDr. Ursula Manunzio, leitet den Bereichs Leistungs- und Freizeitsport am Uniklinikum Bonn. Die Expertin weiß, wie schlimm Übertraining für Sportler sein kann.

RED-S steht für „Relative Energy Deficiency Syndrome“. Der Begriff bezeichnet ein Defizit, bei dem die zugeführte Energie nicht ausreicht, um den durch Training entstandenen Bedarf und den der körperlichen Grundfunktionen zu decken.

Früher hieß das Phänomen „Female Athlete Triad“ – ein Dreiklang aus Energiedefizit, Menstruationsausfall und spröden Knochen, der vermeintlich nur Athletinnen betraf. Mittlerweile ist klar, dass es Menschen aller Geschlechter treffen kann: Die Bezeichnung RED-S etablierte sich.

Anzeichen für das RED-S sind geringe Belastbarkeit, schlechtere Erholungsfähigkeit, Ausbleiben der Periode bei Frauen (Amenorrhö) oder auch Stimmungsschwankungen bis hin zu Depressionen.

Lange ging man davon aus, dass RED-S nur Frauen im Umfeld von Menstruationsbeschwerden treffen könne. Heute weiß man, dass es auch Männer treffen kann.Foto: Bartek WolinskiLange ging man davon aus, dass RED-S nur Frauen im Umfeld von Menstruationsbeschwerden treffen könne. Heute weiß man, dass es auch Männer treffen kann.

Stress ist Stress ist Stress

Da die Symptome allgemein sind, ist die Problematik und damit eine Diagnose selbst für Sportmediziner oft schwierig. „Noch immer ist RED-S nicht ausreichend bekannt und bei der Untersuchung im Hinterkopf der Ärztinnen und Ärzte“, gibt Ursula Manunzio zu bedenken. Wer über mehrere Wochen mögliche RED-S-Symptome an sich feststellt, sollte das Training reduzieren und sich ausreichend Zeit für Erholung und ausgewogene, ausreichende Ernährung nehmen.

Job, Familie, Training – all das scheinen erstmal ganz unterschiedliche Dinge zu sein. Doch „alle sind potenzielle Stressfaktoren, und wenn nur ein Bereich fordernder wird, kann dies das gesamte Konstrukt, das im Vorjahr vielleicht noch funktioniert hat, kippen lassen“, warnt Ursula Manunzio. Deshalb: Auf genügend Entspannungszeit achten und gegebenenfalls mit Meditation oder einem Spaziergang den Stress reduzieren.

So entspannt lebt es sich mit hohem Trainingspensum selten. Wenn Training, Arbeit und Familie stressen, ist die Gefahr für Übertraining erhöht.Foto: Robert NiedringSo entspannt lebt es sich mit hohem Trainingspensum selten. Wenn Training, Arbeit und Familie stressen, ist die Gefahr für Übertraining erhöht.

Mach was, Coach!

Auch eine gute Beziehung zwischen Athlet und Coach kann das Übertrainingsrisiko verringern, weiß Ursula Manunzio. Dann nämlich, wenn der Coach bestimmte Faktoren abfragt und der Athlet bestimmte Beobachtungen zurückmeldet.

Darunter fallen zum Beispiel stressige Phasen im Job (Reisen, Messe, Hochphasen in der Firma), außertourliche Alltagsbelastungen (Erkrankung eines Familienmitglieds etc.) oder auch ein diffuses Überforderungs- oder Erschöpfungsgefühl.

Ein Coach weiß zwar, wie ein professioneller Trainingsplan aufgebaut ist. Er muss aber erst ein Gefühl dafür entwickeln, wie viel Belastung ein Athlet verträgt: Was ein Biker an Umfängen und Intensitäten locker wegkurbelt, ist für einen anderen zu heftig.

Bei anhaltenden Problemen – vor allem, wenn der Trainingsplan schon entschärft wurde – sollte ein Sportarzt konsultiert werden. „Er kann helfen, durch Anpassungen bei Ernährung und Training wieder zurück zur Normalität zu finden“, sagt Ursula Manunzio und beruhigt, dass ein kompletter Trainingsstopp meist nicht notwendig sei.

Geduld jedoch ist entscheidend. Die Regenerationszeit beträgt bei Übertraining und RED-S häufig 6 bis 12 Monate. Aber besser eine Zeit lang etwas kürzertreten, als dauerhaft auf dem Abstellgleis landen, oder?

Ein Coach sollte das Stresslevel seiner Athleten immer im Blick haben. Die Beziehung zwischen Sportler und Trainer kann Übertraining frühzeitig verhindern.Foto: Merlin MuthEin Coach sollte das Stresslevel seiner Athleten immer im Blick haben. Die Beziehung zwischen Sportler und Trainer kann Übertraining frühzeitig verhindern.

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