Laurin Lehner
· 03.11.2023
BIKE: Wer schneller reagiert und entscheidet, ist schneller auf dem Rad. Sie sagen, Life Kinetik hilft dabei. Was ist das genau?
Horst Lutz: Das ist richtig. Life Kinetik ist eine Kombination aus Bewegung, Wahrnehmung und Kognition. Das sind Dinge, die wir im Alltag ständig brauchen. Für Biker heißt das: Wer diese Fähigkeiten verbessert, kann auf dem Trail schneller und richtiger reagieren, denn je schneller man wahrnimmt, desto mehr Möglichkeiten hat man. Zum Beispiel bei der Linienwahl oder dem Zeitpunkt, wann man für eine Kurve anbremsen muss.
Nino Schurter und Co. jonglieren auf Pezzibällen. Also klassische Life Kinetik Übungen?
Nein, bei dieser Übung fehlt der dritte Punkt, nämlich die Kognition, also das Denken. Wenn während der Übung Rechenaufgaben gestellt werden, sind alle drei Komponenten von Life Kinetik enthalten. Das Jonglieren auf dem Pezziball schult den Gleichgewichtssinn. Das ist gut fürs Radfahren, lässt sich aber schnell automatisieren. Kurzum: Die Übung ist für Biker sicher super, aber mit kognitivem Aspekt noch besser.
Was passiert bei so einer Übung genau im Kopf?
Bei Life Kinetik geht es darum, die Fähigkeit des Gehirns zu nutzen, neue Verbindungen zu schaffen. Je mehr Verbindungen ich habe, desto leistungsfähiger bin ich. Das bedeutet: stressresistenter, mehr und länger konzentriert, besser wahrnehmen und Eindrücke schneller verarbeiten. Mit diesen Fähigkeiten kannst du übrigens auch andere Trainingsschwerpunkte besser trainieren.
Man spricht oft davon, dass beide Gehirnhälften angesprochen werden.
Wir unterscheiden nicht nur zwischen links und rechts, sondern zwischen acht Hirnarealen. Es geht um Vernetzung. Man spricht davon, die Konnektivität zu steigern. Denn alle Areale haben unterschiedliche Aufgaben, und wenn die Vernetzung besser ist, kann man schneller und richtiger entscheiden.
Was bedeutet das für den Radfahrer auf der Rennstrecke?
Normalerweise hat man vielleicht fünf Varianten im Kopf, wenn eine technische Passage kommt. Zum Beispiel, wie ich die Kurve anfahre, wann ich bremse und so weiter. Wenn man die Hirnareale vernetzt, hat man vielleicht neun Optionen und kann sich schneller und besser für eine der Lösungen entscheiden - durch die Vernetzung.
Wie verbreitet ist Life Kinetik Training im Profisport?
Sehr häufig. In allen Ballsportarten wird diese Fähigkeit genauso trainiert wie Kraft oder Ausdauer. Es nützt dem Fußballer oder Tennisspieler nichts, wenn er gute Ausdauerwerte hat, aber die Flugkurve des Balles nicht einschätzen kann. Beim Skislalomfahrer ist es ähnlich. Und beim Radfahren ist es auch ähnlich. Denn auch hier geht es darum, Räume, Untergründe und Entfernungen einzuschätzen und möglichst schnell die richtige Aktion parat zu haben.
Sie sind also sicher: Mit diesen Übungen bin ich schneller auf dem Rad?
Auf jeden Fall. Je technischer das Gelände und je schneller die Bewegungen, desto mehr hilft Life Kinetik. Auch Triathleten vertrauen auf Life Kinetik. Das konnte ich anfangs nicht nachvollziehen, weil mir genau diese Aspekte fehlten. Aber Life Kinetik wirkt sich auch auf die richtige Strategie aus. Und die setzt man mit vernetzten Hirnarealen besser und richtiger um. Kurzum: Egal in welcher Sportart: Wer mehr wahrnimmt und besser vorausschauen kann, hat die bessere Aktion zur Verfügung. Nicht nur im Sport, sondern auch im Leben.
Das klingt plausibel. Gibt es Studien, die das belegen?
Mittlerweile gibt es über 45 wissenschaftliche Belege* für die Wirksamkeit von Life Kinetik. Viele zeigen, dass gerade im Sportbereich eine verbesserte Konzentrationsfähigkeit die Fehlerquote senkt und die Ausführungsgeschwindigkeit erhöht. Also schneller und fehlerfreier. Mir fällt keine Sportart ein, bei der das nicht von Vorteil ist. Aber auch im Alltag.
Bei den Profis geht es um Sekundenbruchteile. Inwiefern können auch Hobby-Biker davon profitieren?
Ich bin selbst kein Biker, aber ich kann mir vorstellen, dass auch Hobby-Biker schnell unterwegs sein wollen. Ein weiterer Aspekt: Wer schneller wahrnimmt und reagiert, stürzt auch weniger. Und wenn, dann wahrscheinlich besser.
Also helfen diese Übungen auch als Verletzungs-Prophylaxe. Wie viel Zeit muss ich investieren, um Verbesserungen zu spüren?
Ja, bei Life Kinetik reichen 45-60 Minuten pro Woche, egal wie man das verteilt. Die wissenschaftlichen Nachweise beziehen sich darauf, wenn man es richtig und konsequent nach der speziellen Life Kinetik Trainingslehre macht, die nur ausgebildete Life Kinetik Coaches beherrschen.
Können Sie eine Übung beschreiben, die einfach zu erklären ist? Wenn wir von Bällen sprechen, dann wie folgt:
1. Bewegungsbaustein: Zwei Bälle hochwerfen und mit gekreuzten Händen fangen. Dann wieder mit gekreuzten Händen werfen, mit nicht gekreuzten Händen fangen usw.
2. Gleichgewichts-/Wahrnehmungs-Baustein: Die Übung auf einem Wackelbrett durchführen oder einbeinig auf einer Weichbodenmatte stehen.
3. Kognitiver Baustein: Ich stelle mir eine Stadt vor, z. B. Berlin. Mit dem letzten Buchstaben muss ich eine andere Stadt nennen, während ich Punkt 1 und 2 durchführe. Also in diesem Fall: Nürnber(G), Gagena(U), Unterhachin(G)...
Das klingt anspruchsvoll. Sie machen das schon seit vielen Jahren. Sie müssten also der König des Multitasking sein.
Multi-Tasking wird oft missverstanden. Niemand kann zwei Dinge gleichzeitig tun, über die er nachdenken muss. Aber man kann lernen, schnell von einer Sache zur anderen zu wechseln: Dann sieht es so aus, als könnte ich multitasken. Aber in Wirklichkeit mache ich zwei Dinge nacheinander. Übrigens: Studien zeigen, dass es besser ist, eine Sache nach der anderen zu erledigen, als hin und her zu springen. So ist man schneller fertig.
* Studien: University School of Physical Education, Krakow, Poland, Application of Life Kinetik in the process of teaching technical activities to young football players (2015) | ZI Mannheim, The Exercising brain: Changes in functional connectivity induced by an integrated multimodal (2016) | Uni Regensburg, Cognitive Motor Coordination Training and the Improvement of Visual-spatial cognition in Office Work (2017) | Uni Regensburg, Cognitive Motor Coordination Training Improves Mental Rotation Performance In Primary School-Aged Children (2017) | Universität Tsukuba, Effect of multitask program in sitting position for nursing care users Focus on cognitive function, brain function, mental health (2020).
Ich merkte deutlich, dass ich mehr wahrnehmen kann. Das half mir in vielen Situationen im Spiel. Besonders wenn es eng wurde und schnell gehen musste. Seit ich Life Kinetik machte, habe ich mich deutlich verbessert. Es ist faszinierend, dass ein Training wie Life Kinetik einerseits so viel Spaß macht und andererseits auch noch so viel bringt! - Nuri Sahin, ehem. türkischer Nationalspieler, Landesmeister in Deutschland und Spanien, Fußballtrainer in der Türkei
Gleich von Beginn an war ich von Life Kinetik begeistert. Nicht nur, weil es großen Spaß macht, sondern auch weil ich schon nach wenigen Trainingstagen Verbesserungen feststellte. - Felix Neureuther, Ex-Skirennfahrer, Teamweltmeister, neunfacher Deutscher Meister, 15 Weltcupsiege
Ich habe neuro-athletische Trainingsformen schon ausprobiert und finde es erstaunlich, wie wach man sich danach im Kopf fühlt. Auf der Ebene der Neurotransmitter gibt es meines Wissens noch keine wissenschaftlichen Untersuchungen, die all die genannten positiven Effekte beweisen. Ich glaube, dass es beim Mountainbiken und beim Sport allgemein um Wiederholungen geht. Also Automatismen. Bei Life Kinetik gibt es das nicht, man springt von einer Aufgabe zur nächsten. Trotzdem: Ich sehe viele positive Effekte bei Life Kinetik, zum Beispiel das Training einer schnelleren Reaktionszeit. - Lorenz Westner, Trainer, Coach und MTB-Reha-Koryphäe, Sportschule Puch in Fürstenfeldbruck