Jan Timmermann
· 18.04.2025
Die Unterschiede zwischen Frau und Mann füllen Kinofilme und Lieder. In den Sportwissenschaften fehlen aufgrund des sogenannten “Gender-Gaps” teilweise fundierte Erkenntnisse zu Geschlechterunterschieden.
Wie es um den aktuellen Stand der Forschung bestellt ist und warum Frauen und Männer wirklich unterschiedlich trainieren sollten, wollten wir von Dr. Markus Buchner wissen. Der Diplom-Physiker lehrt und forscht an der Universität Heidelberg zu Bewegungsabläufen. Leistungsdiagnostik, Bewegungssensorik und Ausdauertraining gehören zu seinen Fachgebieten.
Als akademischer Oberrat und Studiengangsleiter der Sportwissenschaft ist er Experte für unterschiedliche Trainingsbedürfnisse. Im Interview klärt uns Dr. Buchner zu Geschlechterunterschieden im Radsport auf.
BIKE: Wo liegen aus sportwissenschaftlicher Sicht die größten Unterschiede zwischen Männern und Frauen?
DR. MARKUS BUCHNER: Eigentlich haben Männer und Frauen im Sport viele Gemeinsamkeiten. So sind unter anderem die grundsätzlichen wissenschaftlichen Trainingsprinzipien die gleichen. Das gilt auch für das Prinzip Individualisierung. Sprich: Unterschiede zwischen den Geschlechtern können ihrerseits sehr verschieden sein. Nicht alle Frauen reagieren gleich auf Training und nicht alle Männer reagieren gleich auf Training. Das macht es den Sportwissenschaften schwer, Unterschiede zu definieren.
Natürlich gibt es aber anatomische Differenzen. Frauen haben beispielsweise breitere Hüften, Männer haben eher längere Extremitäten. Bei Frauen zeigen sich im Schnitt und im Verhältnis zur Innenbeinlänge allerdings längere Oberschenkel. Sportlerinnen sind beweglicher, besitzen weniger muskulären Schutz und deshalb ein höheres Verletzungsrisiko an den unteren Extremitäten. Bei ihnen führen zum Beispiel Sprung-Belastungen häufiger zu Kreuzband-Rupturen.
Bei der Regeneration besitzen Frauen dafür bestimmte Vorteile. Längere aerobe Ausdauereinheiten im Grundlagenbereich können sie oft schneller kompensieren. Männer haben einen Körperfettanteil von circa zehn bis 15 Prozent. Bei Frauen liegt der Anteil mit 20 bis 25 Prozent deutlich höher. Davon können sie dank eines besseren Fettstoffwechsels während längerer Ausdauerbelastungen profitieren. Männer erholen sich dagegen besser von intensiven Intervallen.
Zur Anatomie kommen hormonelle Faktoren. Auch dazu ist die Studienlage nicht optimal. Wir wissen jedoch, dass die Phasen des weiblichen Zyklus beeinflussen können, was trainiert und was besser vermieden werden sollte. Aufgrund des höheren Testosteronspiegels weisen Männer größere Maximalkraftanteile auf. Sie besitzen höhere Hämoglobin- und rund zehn Prozent höhere VO2max-Werte.
Wie machen sich Unterschiede zwischen Radsportlerinnen und Radsportlern bemerkbar?
Aufgrund der Menstruation ist eine gute Ernährung für Sportlerinnen vor allem in den ersten zwei Zyklus-Wochen besonders wichtig, um einen Eisenmangel zu verhindern. Bei hochintensivem Training müssen sie verstärkt darauf achten, was sie ihrem Körper zuführen. Auch im Sportverhalten sind Geschlechterunterschiede zu beobachten. Insgesamt gesehen bewegen sich Frauen weniger. Schon Töchter und Söhne werden von ihren Eltern unterschiedlich motiviert. Das hat unter anderem mit sozialen Rollenbildern zu tun.
Leistung, Kraft und Risikobereitschaft sind oft männlich besetzt. Hinzu können unterschiedliche Körperbeziehungen kommen. Im Leistungssport spricht man da etwa vom Kurnikowa-Syndrom. Anna Kurnikowa war in den Neunzigern eine erfolgreiche Tennisspielerin, die miterlebte, wie der öffentliche Fokus sich von ihrer sportlichen Leistung immer stärker auf ihr Aussehen verlagerte. Das kann auf Sportlerinnen abschreckend wirken.
Die anatomischen Unterschiede bei Extremitäten und Gelenkwinkeln machen sich natürlich in der Biomechanik bemerkbar. So verlangen weibliche und männliche Körper in der Regel unterschiedliche Sitzpositionen auf dem Rad. Radfahrerinnen können aufgrund breiterer Hüften einen anderen Q-Faktor benötigen und müssen öfters X-Bein-Stellungen berücksichtigen.
Je hochintensiver Kraft und Ausdauer gefragt sind, desto stärker sind Frauen benachteiligt. Je mehr Beweglichkeit und Koordination hineinspielen, desto mehr sind sie dagegen im Vorteil. Auch bei Reaktionszeiten haben Frauen häufig bessere Werte als Männer, das kann zum Beispiel im Downhill eine Rolle spielen.
Sollten Frauen und Männer in der Folge auch unterschiedlich trainieren?
Grundprinzipien, wie der Wechsel aus Intensität und Erholung, sind geschlechtsunabhängig. Auch bei Techniktraining oder wenn es in der Leistungsdiagnostik um Herzfrequenzzonen oder Laktatschwellen geht, gibt es zunächst keine Unterschiede.
Allerdings kann die Periodisierung unterschiedlich sein, wenn man diese auf den weiblichen Zyklus anpasst. In der ersten Phase des Zyklus sind die Östrogen- und Leistungswerte höher. In den zwei Wochen nach der Menstruation bietet sich deshalb Krafttraining an, während in der anschließenden Lutealphase Grundlagenausdauertraining besser platziert ist.
Sportlerinnen richten sich oft nach einem Periodisierungszyklus von zwei mal zwei Wochen. Männer hingegen legen ihre Trainingsperioden eher im Vier- oder Sechswochenrhythmus. Es gilt zudem zu betonen, dass Radsportlerinnen besonders stark von Krafttraining profitieren. Einerseits hilft es ihnen bei der Verletzungsprophylaxe, andererseits kann es die Trittökonomie verbessern.
Zu den geschlechtsspezifischen Unterschieden gibt es in den Sportwissenschaften allerdings viele Herausforderungen. Tatsächlich beschäftigen sich rund 80 Prozent der sportwissenschaftlichen Studien nur mit Männern. Das führt zum sogenannten Gender-Gap. Daten für Frauen fehlen.
Allerdings ändert sich das aktuell und das Forschungsthema wird zunehmend gehyped. In der Vergangenheit wurde Gender-Gap im Sport aus Gründen der Einfachheit oft vernachlässigt. Zum Beispiel können nicht alle Studien zusätzliche Hormon-Untersuchungen abbilden.
Forschung findet meist an Universitäten statt. Die Probandengruppen setzen sich deshalb zu großen Teilen aus Studierenden zusammen, was die Übertragung der Ergebnisse in den Leistungssport oder auf Anfänger erschwert.
Bei physiologischen Messungen haben Forscher zudem die Phasen des weiblichen Zyklus zu beachten. Eine berechtigte Frage ist auch, ob Frauen und Männer immer miteinander verglichen werden müssen. Es gibt schließlich auch im Radsport unterschiedliche Kategorien und Startgruppen.
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