Bike-Fitting-SystemeWelches ist das beste?

BIKE Magazin

 · 19.03.2018

Bike-Fitting-Systeme: Welches ist das beste?Foto: Robert Niedring
Bike-Fitting-Systeme: Welches ist das beste?

Bike-Fitting kann Beschwerden mildern oder verhindern. Doch Fitting-Anbieter versprechen mehr: Die perfekte Sitzposition auf dem Rad soll sogar die Leistung steigern. Drei Systeme im Vergleich.

Dominik Schwaiger klingt wie Darth Vader mit Staublunge – und so fühlt er sich auch: Der 26-jährige Uni-Absolvent hockt verdrahtet und mit Schläuchen gespickt auf seinem Bike und keucht sich die Lunge aus dem Leib. "430 Watt" blinkt es auf dem Display vor ihm, während das Laktat in den Beinen köchelt. Schwaiger schwitzt für BIKE: als Versuchskaninchen, um herauszufinden, ob Bike-Fitting einen Leistungsvorteil bringen kann. Dazu ließen wir Dominik von drei Fitting-Anbietern einstellen: von Radlabor, von Specialized und von Waytowin.

Kann ein gutes Bike-Fitting schneller machen – das wollte BIKE wissen. Dafür suchten wir uns einen Testkandidaten, der ambitioniert Rad fährt, aber noch keine professionelle Einstellung des Gesamtsystems aus Biker und Bike hatte. Dominik Schwaiger beendete die BIKE-Transalp auf Platz 15. Er hat Leistungswerte, die ihn in die vorderen Ränge bei Marathons rücken, aber auch Probleme wie ein Patellaspitzensyndrom am Knie. Schwaiger stellt sein Bike selbst ein. An seinen körperlichen Schwachstellen trainiert der 26-Jährige zwei bis drei Mal in der Woche, doch Schwaiger hatte immer das Gefühl, noch nicht im Einklang mit seinem Bike zu sein. Unser Plan: den Münchner zu drei Anbietern mit seinem eigenen Bike zu schicken, einstellen und nach jedem Fitting zwei Leistungstests absolvieren zu lassen.


Der Fahrplan der Fitter

Die drei Anbieter Specialized (Fitter: Matthias Laar), Radlabor (Fitter: Johannes Gesell) und Waytowin (Fitter: Johanna Mohr) arbeiten nach ähnlichem Muster. Jedes Fitting beginnt mit einem Aufnahmegespräch, danach folgt eine Vermessung von Dominiks Körpermaßen (Größe, Beinlänge etc.), gefolgt von einem funktionellen Test. Erst danach beginnen die Fitter mit dem Einstellen des Bikes.


Das Aufnahmegespräch

Bevor unser Versuchskaninchen aufs Bike kommt, führen alle Fitter eine Art Anamnesegespräch durch. Dabei werden Fragen zu alten Verletzungen, akuten Problemen und der Bike-Disziplin gestellt. Das Erstaunliche: Die Frage-Protokolle weisen kaum Unterschiede auf. "Je mehr ich von einem Sportler erfahre, desto spezifischer kann man ihn einstellen", erklärt Matthias Laar von Specialized. Der Diplom-Sportwissenschaftler führt die Schulungen der Bike-Fitter für Specialized durch – er gilt als DER Fitting-Guru der US-Firma.


Die Vermessung

Im zweiten Schritt folgt die Vermessung unseres Probanden. Dabei nutzt Radlabor sein eigenes System, das die relevanten Punkte (Gelenke) mittels Laserpointer vermisst. Specialized arbeitet mit dem Retül-System, das via Funk die Daten überträgt. Die Vermessungsstation von Waytowin (von www.bike-Fitting.com) arbeitet klassisch mit Maßbandstation. Die Ergebnisse werden händisch in die Vermessungs-Software eingetippt. Der Vorteil aller Vermessungen: Fehlhaltungen im Standbild werden erfasst. Zudem errechnen die Programme passende Rahmen und Geometrien für den Fall, dass sich das eigene Rad trotz Anpassungen als nicht geeignet erweist. Specialized bietet allerdings nur eigene Modelle an. Waytowin und Radlabor schöpfen aus einem großen Pool von Radherstellern und deren Geometrien.

Foto: Robert Niedring


Die funktionellen Tests

Die Fitter überprüfen mit speziellen Tests Kraft und Beweglichkeit des Sportlers. Specialized und Waytowin arbeiten nach einem fixen System von unterschiedlichen Übungen. Johanna Mohr (Sportwissenschaftlerin) von Waytowin nutzt den Functional Movement Screen (FMS), einen etablierten Funktionstest. Aus den gewonnenen Daten leitet sie die Einstellung ab und erstellt einen individuellen Kraft- und Beweglichkeitsplan. "Wir sehen den Fitting-Prozess zweiteilig: einmal das Einstellen, dann das Optimieren des Körpers mittels Training", sagt Mohr. Specialized entwickelte über Jahre ein eigenes Prozedere, das sich stark an physiotherapeutischen Tests orientiert. Der Clou: Dem Fitter wird jeder Schritt auf dem Rechner gezeigt. "Damit Händler ein Specialized-Fitting anbieten können, müssen sie eine Schulung bei uns gemacht haben", erklärt Matthias Laar. Das Programm hilft den Radhändlern dann beim Fitting. "Aber klar: je erfahrener und je größer der anatomischen Hintergrund des Fitters, desto besser das Ergebnis." Bei der Testreihe von Radlabor greift Johannes Gesell auf verschiedenste Übungen zurück. Protokolliert wird dabei aber nichts, vielmehr nutzt Gesell sein Wissen als Sportwissenschaftler und Landesverbandstrainer (Triathlon) in Baden-Württemberg. "Jede Radlabor-Niederlassung hat sehr gut geschultes Personal eingestellt (Sportwissenschaftler), die nahe an der Forschung sind und laufend fortgebildet werden", sagt Gesell. Die Ergebnisse der funktionellen Tests: Während Waytowin und Specialized eine deutliche Einschränkung in der linken Hüfte feststellten, attestierte Gesell dem Probanden einen Crosswalk (die Füße werden beim Gehen voreinander gesetzt, nicht nebeneinander).


Das Fitting

Specialized sowie Radlabor arbeiten mit einer Video-Analyse des Sportlers auf dem Bike, wobei Specialized ein spezielles Fitting-Bike verwendet und die Daten später auf das eigentliche Rad überträgt. Waytowin nutzt Druckmessfolien als Fitting-Tool. Aufgrund der verschiedenen Systeme verlaufen die Fitting-Prozesse am Anfang unterschiedlich: Gesell (Radlabor) und Lahr (Specialized) stellen die Cleats unter den Schuhen ein, bevor sich unser Proband aufs Bike setzt. Es gibt somit keine Bestandsaufnahme seiner Eingangseinstellung. Einzig Waytowin zeichnet eine Bestandsaufnahme mit der Druckmessung auf, bevor die Cleats angepasst werden. "Das machen wir immer, um dem Kunden ein klares Vorher- Nachher-Bild zeigen zu können", so Mohr.

Das weitere Einstellen des Bikes läuft bei allen Anbietern nach Näherungsversuchen ab: Es werden immer ein paar Millimeter umgestellt (Sattel, Cleat, Vorbau usw.) und danach gemessen. Während Specialized und Radlabor mittels Winkel­einstellungen und Bewegungsmustern des Sportlers die Position anpassen, konzentriert sich Waytowin auf eine Optimierung des Druckbildes am Fuß. Nach etwa drei Stunden hat Dominik seine neue Bike-Geometrie. Ob sich dadurch eine Leistungsverbesserung einstellt, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Wir haben in BIKE 1/2018 drei verschiedene Bike-Fitting-Anbieter und Systeme getestet. Drei der spannendsten Fitting-Experten im MTB-Bereich im Überblick:

1. Specialized mit dem Retül-System

Die Amerikaner gelten als Pioniere des Bike-Fittings. Zusammen mit Dr. Andy Pruitt schaffte es Specialized, Bikern die Notwendigkeit von perfekten Einstellungen und ergonomischen Produkten näherzubringen. Dazu kauften die Kalifornier die Fitting-Firma Retül. Retül entwickelt Geräte, die eine 3D-Messung der Bewegung ermöglichen. Mittels Tracking­software werden relevante Bewegungen der Gelenke aufgezeichnet und grafisch dargestellt. Über Realtime-Messungen lassen sich die Fitting-Ergebnisse in Echtzeit beobachten.

  Specialized (Retül)Foto: Robert Niedring
Specialized (Retül)

2. Waytowin mit Gebiomized-Messtechnik

Das Münchner Unternehmen Waytowin nutzt Druckmesssohlen von Gebiomized. Anhand des Drucks und der wirkenden Kräfte sowie der Messung der Links-Rechts-Verteilung, kann der Fitter genau erkennen, wie viel Energie auf die Pedalachse kommt. Aber: Das Messen mit Druckmessfolien ist nicht einfach und kann unter Umständen auch fehlinterpretiert werden. Nicht umsonst bietet Gebiomized verschiedenste Fitting-Module an (ähnlich wie Specialized), damit der Fitter verlässliche Ergebnisse erzielen kann.

  Waytowin (Gebiom)Foto: Robert Niedring
Waytowin (Gebiom)

3. Radlabor mit Smartfit-System

Dr. Björn Stapelfeld, Gründer von Radlabor, gilt als einer der Ersten, die Pedalkräfte messen konnten. Das Bike-Fitting-System von Radlabor arbeitet ähnlich wie Specializeds Video-Software, wobei die Tracking-Messung nicht ganz so ausgeklügelt ist. Zudem können vorab verschiedenste Fahrertypen durchgespielt werden (Hobbybiker, Marathon-Fahrer usw.). Nach dem Fitting-Prozess erhält der Kunde einen Ringordner mit verschiedenen Übungen zur Mobilisation und Kräftigung. Bei Radlabor sind ausgebildete Sportwissenschaftler am Werk.

  Radlabor (Smartfit)Foto: Robert Niedring
Radlabor (Smartfit)

In der Übersichtstabelle in BIKE 1/18 auf Seite 100/101 haben sich einige Fehler eingeschlichen. Die korrigierte Tabelle können Sie unten im Download-Bereich kostenlos herunterladen.


DER TESTLAUF NACH DEM FITTING


Was brachten die drei Bike-Fittings? Unser Testlauf analysiert die Ökonomie des Tritts und die maximale Sauerstoffaufnahme.

Viel Schweiß, Laktat und noch mehr Datensätze sammelten wir nach jeder Einstellung der einzelnen Fitter. Zuvor hatten wir Dominiks Eingangsposition und seine Leistungsfähigkeit mittels Spiroergometrie gecheckt. Das Ergebnis nach mehreren Testläufen zeigte, dass Schwaiger sehr unökonomisch fährt: Laut Druckmesssohlen lag die Links-Rechts-Verteilung der Kräfte bei 65 % zu 35 %. Wir testeten dabei verschiedene Widerstände, um ein genaues Bild der Druckverteilung zu erhalten. Vor jedem neuen Fitting wurden Bike und Cleats in die Ausgangsstellung gebracht und eine erneute Basismessung vorgenommen. Die Testmessungen des Tritts wurden bei drei Belastungen gemessen: Grundlagentempo, Sweetspot (schnelleres GA2-Tempo) und Entwicklungsbereich (das Tempo, das Dominik an den Anstiegen eines Marathons anschlägt). Zudem schauten wir uns an, wie effektiv die Kraft auf die Pedale eingeleitet wurde. Dazu maßen wir Kraftangriffspunkte. Je weniger Auslenkung diese Punkte dabei haben, desto harmonischer der Tritt und in Dominiks Fall eine bessere Links-Rechts-Balance.

Dominiks maximale, relative Sauerstoffaufnahme bei der Eingangsmessung lag dabei auf 72 (ml/min/kg). Das Ergebnis änderte sich nach der Einstellung von Radlabor auf 75. Die Balance von links und rechts verbesserte sich auf 57/43. Deutlicher waren die Ergebnisse von Specialized-Lehrleiter Laar und der Sportwissenschaftlerin Johanna Mohr von Waytowin. Beide erreichten ein homogeneres Bild (Specialized 54 / 46, Waytowin 52 / 48). Dazu muss natürlich erwähnt werden, dass Mohr ebenfalls mit Druckmessfolien messen konnte. Spannend war dann der VO2max-Test, der eine klare Korrelation zwischen optimiertem Tritt und Sauerstoffaufnahme zeigte. Dort erreichte Schwaiger 78 (ml/min/kg). Aber macht sich das auch auf dem Trail und vor allem am Berg bemerkbar? Laut Schwaiger schon (er wusste vorher nicht, welches Ergebnis das beste war). Seine Aussage: Mit der höheren Position und der Cleat-Stellung von Waytowin fuhr er entspannter den Anstieg hinauf. Mehrheitsfähig war die Sitzhöhe (Specialized und Waytowin sehr ähnlich). Die Cleat-Position wurde von allen etwas anders interpretiert, wobei auch hier Specialized und Waytowin ähnlich waren.


Fazit: Alle drei Einstellungen optimierten die Leistung Schwaigers. Das Ergebnis von Waytowin war dabei etwas besser. Der Vorteil liegt dabei im Messsystem des Unternehmens (es zeigt eingeleitete Kräfte) und an Johanna Mohr, die während ihres Studiums viel mit diesem System arbeitete. Umso erstaunlicher das Ergebnis von Lahr, der mit guten Funktionstests die Einstellung optimierte. Radlabor punktete mit sehr guten Erklärungen beim Fitting an sich – hier wurden Zusammenhänge zwischen Leistungsentwicklung und Position am besten erklärt.

  Kraftverläufe: Die Kraftkurven zeigen, wie die Verteilung auf die Füße ausfällt. Je gleichmäßiger die Kurven, desto besser. Kurven mit Haken oder Absätzen deuten auf Blockaden im Bewegungsapparat und eine falsche Bike-Position hin. (rot: links | grün: rechts)Foto: BIKE Magazin
Kraftverläufe: Die Kraftkurven zeigen, wie die Verteilung auf die Füße ausfällt. Je gleichmäßiger die Kurven, desto besser. Kurven mit Haken oder Absätzen deuten auf Blockaden im Bewegungsapparat und eine falsche Bike-Position hin. (rot: links | grün: rechts)
  Druckverteilung unter dem Fuß: Die Drucksohlen   zeigen, wo und wie stark Kräfte wirken. Rote Bereiche deuten auf hohe Drücke hin. Der Druck sollte unter der Pedalachse und mittig am Fuß liegen. Die schwarzen Striche zeigen, wie die Kraft auf die Sohle trifft. Je weniger Striche, desto punktueller die Krafteinwirkung und besser die Ökonomie.Foto: BIKE Magazin
Druckverteilung unter dem Fuß: Die Drucksohlen zeigen, wo und wie stark Kräfte wirken. Rote Bereiche deuten auf hohe Drücke hin. Der Druck sollte unter der Pedalachse und mittig am Fuß liegen. Die schwarzen Striche zeigen, wie die Kraft auf die Sohle trifft. Je weniger Striche, desto punktueller die Krafteinwirkung und besser die Ökonomie.
  Bike-Fitting Vergleich: Radlabor, Specialized, WaytowinFoto: BIKE Magazin
Bike-Fitting Vergleich: Radlabor, Specialized, Waytowin


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