Björn Kafka
· 08.01.2017
Die Tage werden kürzer, der Winter ist im Anmarsch. Wir besuchten drei Biker, die die dunkle Jahreszeit gezielt für den Formaufbau nutzen, um topfit ins Frühjahr zu starten.
SIGI SCHULZE
Irongame: Sigi Schulze braucht kein Bike, um aus dem Winter fit ins Frühjahr zu starten. Der Fahrradmechaniker hält sich mit schweren Kniebeugen fit.
"Meine Saison startet im Grunde jetzt", erklärt Sigi Schulze (24) und lässt die Hantelstange in die Halterung krachen. Seit 40 Minuten wuchtet der Bike-Mechaniker am Eisen herum. "Ich muss jetzt meine Form auf Vordermann bringen, damit ich im Sommer Druck auf dem Pedal habe." Der Grund: die boomende Radbranche. "Wenn die ersten Sonnenstrahlen im Frühling rauskriechen, überrennen die Leute unseren Bikeshop. Mein Training beschränkt sich dann darauf, mit dem Rad zur Arbeit und zurück zu fahren. Und wenn ich ehrlich bin, manchmal ist selbst das zu viel, besonders wenn man mal wieder bis um 20 Uhr im Laden steht." Deshalb stemmt Schulze Gewichte: den Bewegungsapparat kräftigen und Rückenschmerzen vorbeugen. "Wenn man ewig an Rädern rumschraubt, wird der Rücken nicht besser. Das Krafttraining hilft richtig gut. Zudem fahre ich gerne die kurzen Marathons. Da bringt einem die Langhantel den nötigen Punch. Davor mache ich mich immer mit Körpergewichtsübungen warm." Doch Sigi holt sich seine Fitness nicht nur am Eisen. Am Wochenende steigt er auf die Ski. "Meine Freundin und ich stehen total auf Skit-Touren. Und wenn man die Berge vor der Haustür hat, sollte man das ausnutzen. Ich komme dann zu den ersten Rennen mit einer Bombenform – zumindest für meine Verhältnisse."
Sigi stellt sich unter die Stange, der nächste Satz steht an: fünf Wiederholungen mit 95 Kilo. Er saugt die Luft ein, drückt das Gewicht kurz aus dem Halter und senkt sich ab.
TIM WEISMANTEL
Andere Reize: Tim Weismantel lässt auch im Winter das Laktat kochen. Der Biker fährt in der dunklen Jahreszeit Cross-Rennen.
Tim Weismantel (25) steht am Startstrich eines Cross-Rennens und weiß selbst nicht so recht, was er hier verloren hat – das kann ja was werden: "Meine Trainerin meinte, ich solle etwas lockere Abwechslung in mein Training bringen." Da hämmert schon der Startschuss. Tim prescht mit der Meute los.
Der 25-Jährige konzentriert sich eigentlich auf die Marathonsaison und richtet sein Training danach aus. Dieses Jahr will er aber ein paar Änderungen vornehmen: Anstatt ewig auf dem Bike zu hocken, verlagert er seinen Sport auf Ski, in den Yoga-Raum oder versucht, etwas mehr Kraft durch die Kettlebell zu bekommen.
Die dritte Runde steht an: Tim keucht an neunter Position durch den Zielbogen. "Von wegen lockere Abwechslung", brüllt er und presst den Führenden hinterher. Weismantels größtes Problem beim Formaufbau ist jedes Jahr die Substanz. Der leichte Sportler verliert in den Wintermonaten oftmals noch etwas an Gewicht und Muskulatur. Spezielle Drinks (Weight Gainer aus dem Bodybuilding) sollen die Verluste verhindern – im Gegenteil sogar, sie sollen dem Biker ein, zwei Kilo mehr Muskulatur bescheren.
Die letzte Runde steht an: Tim klettet sich auf Platz acht fest. Sein Blick starr, er keucht, Sabber hängt ihm aus dem Mundwinkel. Er hämmert in die letzte Kurve rein und sackt im Ziel erst mal zusammen. "Alter, das waren mal verdammt harte 50 Minuten. Jetzt erst mal eine Currywurst und locker ausrollen, denn morgen steht das nächste Cross-Rennen an."
JULIAN PHILIP
Tretmühle: Julian Phillip nutzt jedes Zeitfenster, um effektiv zu trainieren. Die Uhrzeit ist dabei Nebensache.
"Die Tage sind lang, doch die Monate kurz bis zum Saisonstart", erklärt Julian Phillip (38) und hockt sich auf seinen Rollentrainer. 23:47 Uhr beziffert der Garmin – Phillips Normaltrainingszeit, wenn man so will. Der dreifache Familienvater arbeitet in der IT-Branche und filetiert sich seine Trainingszeit täglich heraus. "Ich nutze jede Sekunde, die sich familienkompatibel in Training umsetzen lässt – auch nachts." Dabei zählt der Münchener eine ganze Batterie an Möglichkeiten auf: "Ich fahre mit dem Rad in die Arbeit. Morgens mache ich Nüchternläufe und Abends schnalle ich mir den Compex auf die Beine (Elektro-Stimulation). Zudem hocke ich auf der Rolle, und am Wochenende gehe ich mit den Kids in die Berge. Ach ja, ich versuche, mich beim Essen perfekt zu ernähren und zielgerichtet Kohlenhydrate zu nutzen." Was das genau bedeutet, umreißt Phillip mit knappen Worten: "Wenn es hart und lang wird, gibt es was Süßes, wenn es locker oder kürzer ist (bis 90 Minuten) reichen Fett und Proteine." Fünf bis acht Stunden Training kann der 38-Jährige so aus einer Woche herausmelken. Und bringt das Minimalprogramm etwas? Bei Julian Phillip schon. Er fuhr dieses Jahr einen Sieg ein und weitere Treppchenplätze. "Ich schaffe es etwa auf 5,3 Watt pro Kilo Körpergewicht in der Saison. Das sind schon ordentliche Werte für meine Lebenssituation. Profis fahren bei guten 6 Watt pro Kilo."
Doch so locker das Programm erscheint, so hart ist es im echten Leben. Phillip reißt sein erstes von 21 Intervallen auf der Rolle ab: 440 Watt für 40 Sekunden.
ANDERE SPORTARTEN: WAS BRINGEN SIE FÜRS BIKEN?
Kurze Tage, Schmuddelwetter, knappe Zeit – im Winter werden die Stunden im Sattel rarer. Wer sich fit halten oder sogar die Form ausbauen will, kommt um Alternativen nicht herum.
LAUFEN
Durch die exzentrische Bewegung (das Körpergewicht wird abgefangen) entstehen neue Reize für den Muskel. Tipp: rantasten, damit Sehnen, Knorpel und Knochen sich gewöhnen (5x5 min mit Gehpausen). Wer will, kann Rad und Lauf kombinieren: Zwei Stunden Training mit 15-minütigem Wechseln von Rad und Lauf. Buch-Tipp für die Lauftechnik: "Natural Running" von Dr. Marquart.
Umfang: Faktor 1,3 zur Grundlage auf dem Bike. Dauer pro Training maximal zwei Stunden (hohe Gelenkbelastung)
Effekt: Besonders der Bergauflauf ähnelt der Hubarbeit beim Radfahren. Gut für Grundlage und Kraftausdauer
SKATEN
Skilanglauf gilt als ideales Wintertraining, kein anderer Sport bringt so ausdauernde Athleten hervor (gemessen an der VO2max) – nur doof für die Nordlichter der Republik, denen es an Schnee mangelt. Wer ohne winterliche Pracht vom Ganzkörpersport profitieren möchte, sollte Inliner mit Skistöcken kombinieren. Am besten ein Trinkrucksack aufsetzen und loslegen.
Umfang: Faktor 1,4 zur Grund-lage auf dem Bike. Dauer pro Training maximal drei Stunden
Effekt: Öffnet die verkürzten Hüftbeuger der Radsportler und schult die Koordination
SKI-TOUR
Wer Berge vor der Haustür hat, sollte unbedingt auf Ski-Tour gehen. Wieso: Die Hubarbeit beim Bergaufgehen ähnelt der Pedalierbewegung. Der hohe Anteil an genutzten Muskelfasern verbessert die maximale Sauerstoffaufnahme. Die Überkreuzbewegung (Ski, Stock) stärkt zudem den Rumpf – perfekt, um stabil auf dem Rad zu sitzen und die Hüfte ruhigzuhalten.
Umfang: Faktor 2 zur Grundlage auf dem Bike. Dauer pro Training maximal fünf Stunden (mit Pausen)
Effekt: Bergauf sehr effektiv. Stärkt Ausdauer, Koordination und durch den Stockeinsatz auch die Rumpf- und Armmuskulatur
KRAFTTRAINING
Gezieltes Krafttraining bildet eine ideale Grundlage, um effizient in die Saison zu starten. Starten sollte man mit geringen Lasten, denn Bewegungsqualität steht vor Maximalkraft. Bevorzugen Sie freie Gewichte an Stelle von Maschinen. Buchtipps: "Functional Fitness für Radsportler" (Kafka, Jenewein), "Krafttraining im Radsport" (Wagner, Sandig, Mühlenhoff).
Umfang: Faktor 1,5–3 je nach Intensität. Dauer pro Training maximal 60 Minuten
Effekt: Gezielte Kraftübungen beseitigen muskuläre Defizite und steigern mit entsprechendem Training die Maximalkraft
YOGA
Verkürzte Brustmuskeln, Hüftbeuger und hintere Oberschenkelmuskeln. Schwacher Rumpf, minimierte Gluteusaktivierung (Gesäßmuskel) – Radsport formt den Körper und zwar nicht immer zum Besten. Yoga hilft dabei, die Verkürzungen und die schwachen Muskeln sanft auf Vordermann zu bringen. Ideal: Extra für Radsportler gibt es www.yogalo.com mit Videos zum Nachturnen.
Umfang: Faktor 0,5 bis 2 zur Grundlage auf dem Bike. Dauer pro Training maximal 90 Minuten
Effekt: Löst Verspannungen und Verkürzungen. Besonders effektiv bei Problemen mit der Brustwirbelsäule
SCHWIMMEN
Wasserscheu – anders kann man das Gros der Radsportler nicht beschreiben. Dabei bietet Schwimmen eine Handvoll Positives für Biker: Stabilität des Rumpfes sowie eine funktionelle Bewegung vom Scheitel bis zur Sohle. Tipp: Wer Knieprobleme hat, sollte kraulen, da die Scherenbewegung beim Brustschwimmen Probleme bereiten kann. Unter www.swim.de finden sich Techniktipps.
Umfang: Faktor 2 zur Grundlage auf dem Bike.
Effekt: Dauer pro Training maximal 60 Minuten Öffnet die Schultermuskulatur und möbelt verkümmerte Rumpf-muskeln wieder auf
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