Laurin Lehner
· 21.05.2014
Wer sein Hinterrad umsetzen kann, bezwingt selbst engste Spitzkehren – und das mit Stil. BIKE-Leser Robert Schmid will nicht mehr plump um die Kurve kriechen. Es ist Zeit für die gehobene Variante.
Spitzkehren meistern, ohne das Hinterrad umzusetzen – das ist wie Spaghettiessen mit Messer und Gabel. Es erfüllt so einigermaßen seinen Zweck, ist aber weder effizient noch elegant.
Besonders enge Spitzkehren lassen sich nur bezwingen, wenn man das Hinterrad umsetzt – das weiß auch BIKE-Leser Robert Schmid (36). Zwar kann man Robert als ambitionierten Mountainbiker bezeichnen, doch der Feinschliff fehlt ihm noch. Bisher vermied es unser Proband, bei engen Spitzkehren das Hinterrad zu versetzen, zuckelte stattdessen lieber im Schneckentempo ums Eck – und hoffte, dass sein Hinterrad nirgends hängen bleibt. Das will er nun aus zwei Gründen ändern. Erstens: In Spitzkehren trennt sich die Spreu vom Weizen – und Robert will zum Weizen gehören. Und zweitens: Im Herbst will Robert die Trainer-Prüfung als Bikeguide bestehen. Er spekuliert darauf, dass er dieses Manöver in der Prüfung zeigen muss. Der Online-Aufruf für ein Einzel-Seminar mit Fahrtechnik-Experte Stefan Herrmann kam für Robert also wie bestellt.
Auf einer BMX-Bahn nahe München wartet Stefan mit Kletterseil und Verkehrshütchen. Damit will er Robert heute das Bewegungsmuster einbläuen – erst dann geht’s auf den Trail zur "scharfen" Kurve. Stefan will ihn mit drei Übungen fit für die Spitzkehre machen. Doch was ist das denn? Bevor es wirklich losgeht, rebelliert Roberts Bremse. Der Druckpunkt zickt. "Klassiker”, quittiert Stefan. 50 Prozent der Bikes seiner Fahrtechnik-Teilnehmer haben technische Mängel. Ohne definierten Druckpunkt an der Bremse haben selbst Profis Schwierigkeiten bei diesem Manöver. Stefan versucht es mit Bremsenreiniger, doch das hilft nur kurzzeitig – neue Beläge müssen her. Nach der Zwangspause geht es endlich los.
Bei der ersten Übung dreht sich alles darum, den Druckpunkt der Bremse kennen zu lernen. Dazu läuft Robert neben seinem Bike her und zieht die Bremse so dosiert, dass das Hinterrad ständig in der Höhe schwebt, während sein Vorderrad weiterrollt.
Für die zweite Übung ist Mut gefragt: Er soll auf einer Teerabfahrt die Bremse ziehen und das Heck anheben. Das kostet anfangs Überwindung! Wer hier unbeholfen in die Vorderradbremse greift und zu beherzt nach vorne kippt, riskiert einen Abflug über den Lenker – die Urangst jedes Mountainbikers. Robert macht schnell Fortschritte. Stefan kann also endlich sein Kletterseil ausrollen. Damit simuliert er Spitzkehren auf dem Asphalt.
Stefan weiß: Der dritte Schritt fällt am schwersten. Denn jetzt muss alles passen – alle drei Aktionen zu koordinieren, das ist die große Kunst. Die Vorderradbremse ziehen, das Gewicht nach vorne bringen und die Hüfte nach außen schwenken. Viele Biker stoßen dabei an die Grenze ihrer Aufnahmefähigkeit. Robert hat den Hüftschwung nach einer knappen Stunde drauf.
Genug mit dem Vorspiel: Jetzt ist es Zeit für eine richtige Spitzkehre im Gelände. Die hat kaum Grip und ist erschreckend steil – steiler als auf dem Übungsgelände. Erst macht es Stefan vor – in Perfektion natürlich. Dann ist Robert dran. Er fährt an, bremst, hebt und schwingt. Stefan ist begeistert, Robert erst recht, und wir Zuschauer hätten uns insgeheim ein paar Fehlversuche gewünscht, natürlich nur für die Dramaturgie der Geschichte. Robert ist das egal. Seine nächsten Versuche gelingen ebenfalls. Von nun an will er bei engen Kurven nur noch umsetzen. Spaghettiessen mit Messer und Gabel – das sollen andere machen.
1. Anfahrt: Stefan fährt langsam und mit gebeugten Beinen und Armen an. Dabei fixiert er bereits einen Punkt, wo er das Vorderrad zum Stillstand bringen kann. Wichtig: Das Hinterrad muss genug Raum zum Schwenken haben.
2. Bremsen und Umsetzen: Sobald das Vorderrad die gewünschte Stelle erreicht, zieht Stefan die Vorderradbremse. Gleichzeitig gehen Beine und Arme dynamisch in die Streckung und unterstützen so die Gewichtsverlagerung nach vorne. Folge: Das Hinterrad hebt ab. Gleichzeitig gibt Stefan per Hüftschwung den Impuls zum Kurvenäußeren – das Heck folgt automatisch.
3 Bremse lösen: Sobald das Hinterrad die gewünschte Stelle erreicht hat, löst Stefan die Bremse dosiert – das Hinterrad senkt sich. Freie Fahrt.