Er stieg vom Rad, lehnte es gegen die Hauswand und ging ins Wirtshaus. Der erste Tour-de-France-Sieger Maurice Garin bestellte Käse, Wurst, Baguette und eine Flasche Rotwein, um wieder zu Kräften zu kommen – während des Rennens! Deutsche Piloten im 2. Weltkrieg steckten sich „Scho-Ka-Kola“ in den Mund, eine koffeinhaltige Schokolade, um schärfer zu sehen und schneller zu reagieren. Und Sportler in den 1950ern mussten Datteln, Rosinen, Nüsse futtern oder Apfel und Banane beißen, um ihren Blutzucker nach oben zu treiben.
Energie-Riegel gab es noch nicht. Erst mit Beginn der Raumfahrt und dem Wettlauf zum Mond stieg der Bedarf an kompakter, energiereicher Nahrung. Die US-Astronauten brauchten eine schnelle, konzentrierte Zufuhr von Kalorien in handlichem Format – und die amerikanischen Wissenschaftler machten sich an die Arbeit. Doch ihre Entwicklungen blieben unter Verschluss: top secret!
Für die Öffentlichkeit gab es damals nur den Granola-Bar. Er bestand aus gepressten Haferflocken, Nüssen, Früchten und Honig. Oder man konnte Schokoriegel in handlichen Abmessungen kaufen wie Milkyway, Mars oder Nuts – aus Erdnüssen, Karamell und Milchschokolade als geballte Ladung Einfachzucker.
Dem Langstreckenläufer Brian Maxwell reichte das nicht. Als ihm bei einem Marathon der Blutzucker so absackte, dass er das Rennen abbrechen musste, ertüftelte der gebürtige Engländer einen eigenen Energie-Riegel. Zusammen mit seiner Freundin, der Ernährungswissenschaftlerin Jennifer Biddulph, experimentierte Maxwell 1983 in der eigenen Küche an einem leicht verdaulichen Riegel mit viel Energie. Der erste wirkliche Energie-Riegel war geboren!
1986 nahmen die zwei einen Kredit auf über 50.000 Dollar und gründeten 1986 Powerbar, Firmensitz: Glendale, Kalifornien. International bekannt wurde Powerbar (anfangs nur in der Geschmacksrichtung Schoko) durch Rennradstar Lance Armstrong, den Powerbar sponsorte.
Der Ur-Powerbar – eine klebrige, zähe Masse, die an Fensterkit erinnerte – war das, was man sich in den 1980ern als HighTech-Food für Astronauten und Profi-Sportler vorstellte. Auch das traf den Zeitgeist und begründete den Erfolg von Powerbar. Tückisch: Bei Kälte wurde der Powerbar so zäh, dass er Zähne zog. Abbeißen? Schier unmöglich!
Der flache Riegel war in goldener Folie eingeschweißt mit prägnantem Logo (ziegelrote Schrift auf eidottergelben Grund). Auch die folgende Werbekampagne traf genau den Zeitgeist der 1990er: In Anlehnung an die Evolution den Homo Sapiens richtet sich eine Banane auf und wird zum Powerbar.
In den Folgejahren stiegen die Verkäufe ins Absurde. Was als Experiment in der Küche angefangen hat, wurde zum Welterfolg – im Jahr 2000 verkaufte Maxwell seine Firma an den Nahrungs-Giganten Nestlé für 375 Millionen Dollar!
Erst Anfang der 1990er kamen die ersten Konkurrenz-Produkte auf den Markt. Allen voran: Clifbar, ebenfalls aus Kalifornien. Viele weiteren folgten. Heute biegen sich die Regale vor lauter Angeboten. Es gibt Low-Carb-Bars, Protein-Bars, Regenerations-Bars, Vegan-Bars, Gels, Drops – in allen Geschmacksrichtungen. Die Rezepturen der klassischen E-Riegel sind sich alle recht ähnlich. Sie beinhalten wenig Fett, etwas Protein und viel Kohlenhydrate, gepresst in ein handlichen, zirka 50 Gramm schweren Klotz.
Ironie des Schicksals: Powerbar-Gründer Maxwell starb mit nur 51 Jahren an einem Herzinfarkt, wenige Jahre nachdem er seine Firma verkauft hatte. Doch Ehre, wem Ehre gebührt: Es ist Brian Maxwell und seinem Erfindergeist in der heimischen Küche zu verdanken, dass wir unsere Energie-Speicher heute so schnell auffüllen können – mit einem Griff in die Trikottasche.