Markus Weinberg
· 20.06.2024
Radfahren gehört zu Südafrika wie Tafelberg, Wildtiere und Weinanbau. Das Land am südlichen Ende Afrikas ist ein Hotspot für die MTB-Weltelite, Freizeitradler und für großartige Events. Ein Biker-Paradies mit Tausenden Kilometern an Trails, zahlreichen Bikeparks und einer stetig wachsenden Community. Vor allem die Provinz Westkap, um Kapstadt herum, erlebt einen Boom, in dem ständig neue Bike-Infrastruktur entsteht.
Für den Aufbruchsgeist sorgen auch sie: Südafrikas MTB-Frauen. Ihre Wünsche und Visionen, aber auch Sorgen und Bedürfnisse treiben die Entwicklung des Radsports in Südafrika voran. Sieben von ihnen haben wir in ihrer Heimat besucht.
Dreh- und Angelpunkt für Einsteiger in den Sport, aber auch für viele Mädchen und Frauen ist der kleine Bikepark “The Bike Park” südlich des Zentrums von Kapstadt. Ila Stow und ihre Schwester Jessi Nixon betreiben den Spot samt Radgeschäft und Fahrtechnikschule zusammen mit ihrem Stiefvater Chris. “Viele Frauen kommen direkt zu uns ins Geschäft, weil wir nicht so männerdominiert sind”, erklärt Ila und ihre Schwester ergänzt: “Oft fragen Kundinnen gezielt nach uns, um speziell Frauenthemen ansprechen zu können. Das nimmt eine große Hürde.”
Auch außerhalb des eigenen Geschäfts sind die beiden präsent und gehen als Vorbilder voran. Ila nimmt regelmäßig an Rennen teil. Erst kürzlich startete sie zum ersten Mal bei den Profi-Frauen beim Cape Epic, nachdem sie 2016 und 2017 bei der berühmten Etappenfahrt mit ihrem Mann im Mixed-Wettbewerb an den Start gegangen war. Auch beim Cross-Country-Weltcup in Stellenbosch ging sie schon auf die Jagd nach UCI-Punkten. Nach der Geburt ihres Sohnes fuhr sie für den Cape-Epic-Veranstalter ein Media-E-Bike, voll bepackt mit Kameras und Akkus. “Eine unglaubliche Erfahrung”, die nun drei Jahre später auch ihre Schwester Jessi machen durfte. Die Aufgabe ist extrem herausfordernd: acht Tage Vollgas und hoch konzentriert im Rennen der Weltelite des Frauen-Mountainbike-Sports mitfahren, für spektakuläre Bilder sorgen und dabei das Rennen nicht behindern. “Ich war schon etwas besorgt, denn Jessi ist technisch sehr gut, allerdings noch nie so ein Rennen gefahren”, lacht Ila.
Während Jessi mit einer Gruppe Kinder zum Fahrtechniktraining im Bikepark verschwindet, versinkt Ila in Gedanken über die Zukunft. Als junge Mutter fällt es schwer, alles unter einen Hut zu bekommen. Neben der Pflege des Familien-Bikeparks möchte sie auch weiterhin an Rennen teilnehmen. “Es macht noch immer einen großen Unterschied, ob eine Frau mehr oder weniger am Start steht – im Gegensatz zu den Männer-Events”, meint Ila. “Ich schätze mich glücklich und es motiviert mich, dass ich für viele junge Mädchen ein Vorbild sein kann.”
Auch Katja Steenkamp blickt zuversichtlich in die Zukunft. Sie betreibt seit 2015 die Firma BreakAway Rides, mit der sie Fahrtechniktrainings und Guiding anbietet. “Als ich 2006 zum ersten Mal nach Kapstadt kam, gab es in der Nähe kaum einen richtigen Trail, seitdem ist extrem viel passiert”, erzählt die gebürtige Dresdnerin. “Nach Corona ging es hier so richtig los!” Inzwischen nehmen über 140 Mädchen und Jungen wöchentlich an ihren Kursen teil, zudem beschäftigt Katja mehrere Guides, die das Gebiet wie ihre Westentasche kennen.
Zum Radfahren ist Katja durch ihren Freund gekommen, als sie in Kapstadt Politik und Medien studierte. Erste Rennen und Reisen durchs südliche Afrika folgten. Nach dem Studium blieb sie dem Land treu und gründete schließlich ihre eigene Firma. 2016 erlebte sie ihr persönliches Highlight, als sie bei der Tour d’Afrique – ein Rennen über mehr als 9000 Kilometer von Kairo nach Kapstadt – als Erste über die Ziellinie rollte und sich gegen die gesamte männliche Konkurrenz durchsetzte. “Ein unvergessliches Erlebnis”, erinnert sich Steenkamp. Den Durchhaltewillen, den sie auf den 76 Etappen bewies, konnte sie auch in ihrer Firma brauchen.
Die ersten Jahre waren zäh. Mangelnde Anmeldungen zu den Kursen, immer wieder Absagen. Steenkamp setzte auf ein nachhaltiges und faires Geschäftsmodell, bezahlte ihre Mitarbeiter trotz ausgefallener Stunden, bot Ausweichtermine für Kinder an, wenn sie mal an einem Tag nicht dabei sein konnten. “Das hat sich in der Szene herumgesprochen”, meint Katja. Auch dass es in und um Kapstadt viel mehr Trails gibt, sorgt dafür, dass bei ihr die Anmeldezahlen steigen und sie heute von ihrer Firma leben kann. Ihre Kunden kommen meist aus der weißen Mittel- und Oberschicht. Aber auch die deutschen Schulen nutzen ihr Angebot. “Heute bieten Schulen Fahrradkurse an und viel mehr Kinder steigen aufs Rad.” Nicht nur die Sprache, auch ihr Konzept, Skills und Abenteuer zu kombinieren, steigert den Erlebnischarakter für die Kinder. “Ich möchte mit denen auch mal in die Pfütze springen können.” Dafür nutzt Katja auch den Bikepark von Ila und Jessi. “Wir kennen uns hier alle untereinander und sind gut vernetzt.”
Ihre Zeit auf dem Rad oder dem Surfbrett verbringt Katja gerne mit Caroline Elleke. Die engagierte Unternehmerin aus Deutschland hat sich mit ihrer Familie in Südafrika eine zweite Heimat aufgebaut. Zu Hause führt sie mit ihrer Schwester die bekannte Fahrradkette Stadler, in Südafrika betreibt sie mittlerweile nicht nur ein Hotel, sondern gleich ein ganzes Weingut, das Laborie Wine Estate, als Teil des Trailcenters Paarl Trails. “Ich bin der Meinung, dass man mehr Farmer und Landbesitzer überzeugen kann, auf ihrem Land Trails anzulegen, wenn man ihnen damit auch eine Einnahmequelle aufzeigen kann.” In Paarl ist ihr das mit Partnern vor Ort gelungen. Heute befinden sich auf dem Gut nicht nur ein Restaurant und ein Biomarkt, sondern auch eine Bikestation für die Paarl Trails, inklusive Bikeverleih.
Das mehrere Hundert Kilometer lange Trailnetz verbindet einige der umliegenden Weingüter. Die aufwendige Pflege, der Bau von Trails und Nutzungsgebühren für das Land werden über eine ganze Palette von Einnahmen refinanziert: Trailtickets, Gastronomie- und Übernachtungsangebote sowie der Bikeservice, Camps und Reisen füttern die laufenden Kosten. Caroline ist stolz darauf, dass sie mit ihren Partnern die ersten Trailbauer Südafrikas ausgebildet hat und mit “ihren” Schülern mittlerweile auch die Trailpflege und den Trailbau für benachbarte Mountainbike-Orte wie Wellington übernimmt. “Damit schaffen wir vor Ort Know-how, Perspektiven und geregelte Jobs und nehmen die Anwohner bei der Entwicklung mit.”
Auch in Somerset West südlich von Kapstadt mischt die Unternehmerin mit. Hier betreibt sie das Erinvale Estate Hotel direkt neben dem Lourensford-Weingut, welches in diesem Jahr den Startort für die 20. Ausgabe des Cape Epic bildete.
Nicht nur wirtschaftlich ist Caroline Elleke inzwischen fest in der südafrikanischen Bike-Szene verankert, auch in der lokalen Fahrrad-Community ist sie engagiert. Vor allem bei den Trail Angels, einer Frauengemeinschaft, die wie eine Art Fitnessstudio funktioniert, aber weit über Sportangebote hinausgeht. Ihre Freundin Nikki Haywood bringt hier Frauen nicht nur zusammen, sondern auch zum Radfahren. Mittlerweile verbindet die Community mehr als 500 angemeldete Frauen. “Als ich 2011 begonnen habe, haben wir erst mal eine eigene Kollektion an Radsachen für Frauen entwickelt. Die waren hier fast nicht zu bekommen”, erinnert sich Nikki und zeigt stolz auf das Trail-Angels-Logo auf ihrem Shirt.
Nikki ist in Südafrika geboren und aufgewachsen und hat 20 Jahre als Pilates-Trainerin gearbeitet, bis sie die Liebe zum Mountainbike entdeckte. Als sie nach der Trennung von ihrem Partner mehrere Wochen mit dem Bike durch das Land zog, kam ihr die Idee zu den Trail Angels. “Männer verstehen oft nicht, dass es nicht nur um den Sport geht”, meint Haywood und der Erfolg gibt ihr recht. “Die Kunst ist doch, dass die Frauen sich immer wieder aufs Rad setzen.” Die Trail Angels sind heute der größte Mountainbike-Club für Frauen auf der Südhalbkugel. Jede Woche treffen sich hier Hunderte Gleichgesinnte, um in den verschiedensten Gruppen gemeinsam Spaß auf zwei Reifen zu haben.
Noch so eine Vorreiterin ist Frankie du Toit. Die 27-Jährige ist aus Südafrikas Rad-Szene nicht mehr wegzudenken. Aufgewachsen in Pietermaritzburg in der Nähe von Durban am Indischen Ozean kam sie mit 15 zu ersten Rennen. Es folgten nationale Meistertitel im Einzelzeitfahren auf der Straße, später im Cross-Country und Marathon. Erst vor ein paar Wochen holte sie sich erneut den Titel bei den südafrikanischen Downhill-Meisterschaften.
Frankie hat Sportwissenschaften in Stellenbosch studiert und wollte beruflich schon immer in der Radbranche arbeiten. Nun leitet sie ein Fahrradgeschäft in der Radhochburg Stellenbosch. Ihre große Leidenschaft ist mittlerweile das Enduro. “Das ist die Essenz des Mountainbikens”, ist Frankie überzeugt. Ihre neue Liebe hat sie erst 2021 aus Großbritannien mitgebracht, wo ihre Eltern leben. Seitdem engagiert sie sich auch im Westkap dafür, dass Rennen stattfinden. Sie ist sich bewusst: “Die Downhill- und Enduro-Szene ist nicht groß genug, um sich voll darauf zu konzentrieren. Es sind vor allem viel zu wenige Frauen, die diesen Sport ausüben.”
Auch wenn zwischen Vollzeitjob und Training die Zeit knapp ist, so ist es ihr doch wichtig, Verantwortung zu übernehmen: “Und wenn ich nur dafür sorge, dass überhaupt ein Frauenrennen stattfindet.” Das freut auch Katja Steenkamp, die, wenn es die Zeit zulässt, auch gerne mal ein Enduro-Rennen bestreitet.
Einen ganz anderen Blickwinkel auf das Thema Radfahren nimmt Alisha Myers ein. Seit zehn Jahren arbeitet sie für die Hilfsorganisation World Bicycle Relief und ist zuständig für das südliche Afrika. Sie versteht das Fahrrad als Hilfsmittel für Menschen, die ohne Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel große Distanzen überwinden müssen. “Es macht eben einen Unterschied, ob Menschen in den ländlichen Regionen tagelang in die nächste Stadt laufen müssen. Das Rad reduziert schlicht ihre Reisezeit.”
Für Alisha, die in Ohio in den USA aufgewachsen ist, war es ganz normal, als Kind Radfahren zu lernen. In Afrika, überwiegend in der schwarzen Bevölkerung, ist es das keineswegs. Auch nicht in Südafrika, wo das Einkommensgefälle zwischen der weißen und schwarzen Bevölkerung riesig ist. “Da ist oftmals einfach kein Rad vorhanden”, weiß Alisha. Die Sicherheitslage im Land tut ihr Übriges: “Du musst wissen, wo du fahren kannst, zu welcher Tageszeit und ob du als Frau allein unterwegs bist.” Ihr Büro befindet sich mitten im Zentrum Kapstadts. Über ein Fitnessstudio ist sie selbst zum Radfahren gekommen. Dass es Mountainbiken wurde, ist einem Zufall zu verdanken: Ein Filmteam benötigte 2012 für einen Werbespot eine Person of Color auf dem Mountainbike. Alisha sprang ein und vom Mountainbike quasi nie wieder ab. Bereits ein Jahr später stand sie bei ihrem ersten Cape Epic am Start. Bis heute ist das Event ein lokaler Anziehungspunkt. Der Hauptsponsor hat inzwischen ein eigenes Programm für Frauen gestartet unter dem Hashtag #SheUntamed, was übersetzt so viel bedeutet wie “Sie ist ungezähmt”. Das Ziel: mehr Frauen aufs Mountainbike und an die Startlinie zu bringen. Ein Ziel, an dem auch unsere sieben Protagonistinnen beständig weiterarbeiten.
Kapstadt und seine Umgebung sind eine Mountainbike-Hochburg. Ein Netzwerk aus fast 8500 Kilometern angelegten MTB-Trails (siehe Karte unten) durchzieht die Berge der Region und jährlich kommen weitere dazu. Zudem entstehen immer mehr Verbindungswege zwischen den Bikezentren. Am bekanntesten ist das Tygerberg-Revier im Norden von Kapstadt bei dem Örtchen Durbanville. Im Osten haben sich mehrere Regionen zu den Wine Lands Trails zusammengeschlossen, darunter u. a. Wellington, Paarl, Franschhoek, Stellenbosch und Somerset West. Im Süden von Kapstadts Stadtzentrum, am Rande des berühmten Tafelbergs, lockt das Tokai-Gebiet, welches direkt an die Tafelberg-Trails angebunden ist.
Die Regionen bieten Tages- und Jahrestickets oder Clubmitgliedschaften für die Nutzung der Trails an. Die Preisspanne reicht von circa 3 Euro für ein Tagesticket bis 90 Euro für eine Jahresmitgliedschaft in einer der Regionen. Ein Gesamtticket für die Westkap-Provinz gibt es nicht. Die Trails befinden sich überwiegend auf privatem Land von Wein- oder Obstfarmen. Ausnahme sind die Trails am Tafelberg, die sich im Nationalpark auf staatlichem Gebiet befinden und von lokalen Clubs angelegt und unterhalten werden. Diese verkaufen ebenfalls Tickets zur Nutzung.
Auf den Websites der einzelnen Bikeregionen in der Provinz Westkap gibt es detaillierte Trailbeschreibungen und hilfreiche Infos zu Bikeverleih etc.
In Südafrika finden jährlich einige der beliebtesten Radveranstaltungen statt. Zu den führenden zählen: