„Es tut mir leid, dann können Sie leider nicht fliegen.“ Ich fixiere die Dame hinterm Check In-Schalter am Münchner Flughafen, denn ich bin mir sicher: Die Frau will jetzt nur irgendwie witzig sein. Doch für sie scheint die Angelegenheit erledigt, sie schiebt mich beiseite, indem sie bereits den Herrn hinter mir begrüßt. Bedröppelt kehre ich zu meinen Mitreisenden Karen und Moritz zurück und erkläre ihnen, dass sie ohne mich fliegen müssen. Warum? In meinem Kopf sortiere ich, was ich gerade eben gelernt habe: Die Kapverden gehören gar nicht zu Portugal und damit auch nicht zur EU. Sie sind vielmehr ein eigenständiger Inselstaat, für den man einen Reisepass braucht, der noch sechs Monate gültig ist. Und meiner? Genau: läuft in vier Monaten ab. Mann, was hatte ich mich gefreut auf Sonne und zweistellige Plusgrade. Ich habe mich heute schon in T-Shirt und kurzer Hose zum Abendessen flanieren und frischen Fisch aus dem Atlantik filetieren sehen. Stattdessen heben die anderen beiden nun in den Himmel gen Süden ab und ich kehre ins frostige deutsche Dezember-Grau zurück.
Kap Verde war mal eine Kolonie Portugals, ist aber seit 1975 ein unabhängiger Inselstaat. Er besteht aus 15 Inseln, die knapp 570 Kilometer vor der senegalesischen Küste aus dem Atlantik ragen. Bei einem flüchtigen Blick auf die Karte kann man sie leicht mit den spanischen Kanaren verwechseln. Doch während die Inseln des ewigen Frühlings auf Höhe von Marokko im Atlantik schwimmen, herrscht auf den 1700 Kilometer weiter südlich gelegenen Kapverden bereits der ewige Sommer. Kältester Monat: Januar mit durchschnittlich 23 Grad. Bedingungen, die schon seit vielen Jahren Surfer anlocken. Mountainbiker sind dagegen seltene Gäste, obwohl sich auf einigen der neun bewohnten Inseln Kanaren-ähnliche Vulkangebirge auftürmen. Mit ausgesprochen lohnenden Trails, wie ein Schweizer Biker erkannte und der nun auf der Hauptinsel Santiago eine Bikestation eröffnet hat. Genau die wollen wir uns anschauen.
Mitten in der Nacht lande auch ich am nächsten Tag mit einem express-verlängerten Reisepass in Praia, der Hauptstadt des Archipels. Deshalb sehe ich auf der Shuttle-Fahrt zum Hotel nichts von den Vulkanbergen der Insel Santiago. Aber die einstündige, kurvenreiche Fahrt nach Tarrafal an der Nordküste der Insel, lässt schon mal ein spannendes Revier erahnen. Fast 1400 Meter sei er hoch, der Pico da Antónia und es gebe von dort oben Wege in alle Himmelsrichtungen, erklärt mir mein Taxifahrer in relativ gutem Englisch. Er sei zwar selbst kein Mountainbiker, aber die wenigen bikenden Touristen, die er inzwischen schon wieder zum Flughafen zurück shutteln durfte, seien bisher alle ganz begeistert gewesen.
So auch Karen und Moritz, die inzwischen natürlich schon einen ersten Trail-Ausflug ohne mich gemacht haben. Sie wissen am nächsten Morgen schon, wie man die Bikes auf die Ladefläche des Pick-ups schiebt. Die Holzbank daneben ist unser Platz. Sie vibriert, weil aus den Lautsprecherboxen darunter laute Reggae-Musik wummert. „Der Platz für Passagiere ist unbegrenzt“, kichert Karen vielsagend, als wir lospreschen. Und tatsächlich dauert es nicht lange, bis uns ein paar Schüler hinterher rennen und auf das Trittbrett aufspringen. In kürzester Zeit wächst die Zahl der Mitfahrer zu einer richtigen Traube heran, bis der Fahrer etwas Gas wegnimmt und plötzlich alle gleichzeitig abspringen. Das war wohl die „Haltestelle“ an der Schule.
Wir kurven noch eine ganze Weile länger ein kantiges und porös-trocken aussehendes Gebirge hinauf. Viel Regen scheint es hier nicht zu geben, aber für ein gesprenkeltes Grün in der Landschaft reicht es. Was wohl daran liegt, dass die Kapverden klimatologisch zur Sahelzone gehören. Doch scheinbar gab es in der vergangenen „Regenzeit“ (September bis Oktober) ein paar ergiebige Schauer. Dort, wo sich das Wasser etwas halten konnte, sprießt es nun grün aus dem Boden. Am höchsten Punkt angekommen, besprechen unsere beiden Guides mit dem Fahrer den nächsten Treffpunkt, dann erklärt uns Bruno, welche Richtung wir mit den Bikes einschlagen werden. Bruno ist Schweizer und Chef der Bikestation in Tarrafal. Adelson ist auf der Insel geboren und hat erst vor zwei Jahren mit dem Mountainbiken angefangen. Dafür kann es schon richtig gut. Nur die Verständigung hakt etwas, denn er spricht Creol, also Kreolisch, die ursprüngliche Landessprache der Kapverden.
Unter uns falten sich die Bergflanken der Serra Malagueta auf. Ein knapp über 1000 Meter hoher Nationalpark mit Canyons, die sich bis zum Atlantik hinunterziehen. Doch falsch gedacht, unsere Tour startet nicht mit einer Abfahrt, sondern mit einer Schotterstraße bergauf. Das tut besonders der Aussicht gut, denn die nimmt rechts und links überwältigende Ausmaße an: Hügel in allen Formen und Sandfarben staffeln sich in den milchigen Horizont, dann blicken wir eine Schlucht, die bis ins satte Atlantikblau hinunter stürzt. Hier oben wird jetzt die Vegetation immer dichter, die Luft spürbar feuchter.
Bevor wir in den Abfahrtsmodus wechseln, passieren wir zwei freundlich grüßende Nationalpark-Ranger, die kein Problem damit haben, als wir in einen offensichtlich erst frisch ausgeschnittenen Trail abzweigen. Adelson und seine Jungs waren vor ein paar Wochen auf sämtlichen Trails der Insel unterwegs, um sie mit Machete und Säge von ihrem „Winterpelz“ zu befreien. Aber auch in der Wegführung fließt eindeutig etwas Schweizer Trail-Bauerfahrung mit. Oben halten ein paar Spitzkehren den Speed unter Kontrolle, doch dann heißt es Vollgas. Der Trail schlängelt sich geschickt und mühelos durchs Berggelände, bis regelmäßig eingestreute Technikpassagen wieder etwas Tempo rausnehmen. So muss Mountainbiken sein.
Ein paar Bergbauern haben hier oben ihre Hütten errichtet und einige Quadratmeter Land drumherum urbar gemacht. Mais, Bohnen und Kürbis – drei Pflanzen, die in Symbiose miteinander leben und kaum Pflege brauchen. „Damit leben die Menschen hier oben fast unabhängig“, erklärt Bruno. An einer dieser Hütten biegen wir links in den nächsten Singletrail ein. Der wartet schlagartig mit ein paar Steinpassagen auf und es gilt ein paar enge Kurven zu meistern. Passenderweise führt uns diese ruppige Abfahrt ins Dorf der Rabelados, was auf Kreolisch soviel wie Rebellen bedeutet. Hier hat man sich einst der portugiesischen Kolonialmacht und der katholischen Kirche verweigert. Bis heute lebt diese Dorfgemeinschaft dank eigener Tierhaltung und Landwirtschaft autark.
Zurück am Hotel checken wir den Surfspot am Nachbarstrand. Hier lebt Paxiola, einer von Adelsons Guide Kollegen, mit fünf anderen Jugendlichen in einer Strohhütte. Surf Cabana – ein Sozialprojekt für elternlose Kinder. Sie bieten Surfkurse an, es gibt zu essen und zu trinken und Schmuck, den die Jungs aus Strandgut basteln. Wir setzen uns mit den Jungs ans Lagerfeuer und sehen der Sonne zu, wie sie im Meer versinkt.
Der King-Fisher-Trail ist das Juwel der Insel und beschert uns einen echten Epic Day. Hoch geht's früh morgens wieder mit dem Shuttle, dann steigen wir auf die Bikes und folgen einem Höhenweg, der sich quer übers Inselgebirge zieht. Wieder zeigt sich die Landschaft steppenartig, die Pfade ziehen schnell und nahezu flach durch den Sand. Fahrtechnischen Herausforderungen begegnen wir hier oben nicht. Bis der Trail doch irgendwann in die Vertikale kippt und uns in einen Canyon zerrt. „Care!“, ruft Adelson und reißt dabei die Augen auf. Wahrscheinlich meinte er „be careful“, denn wir holpern hinter ihm in eine Art lose Steinwüste hinein. An einem Absatz stoppt er. Kurz Arme ausschütteln.
Bei der Gelegenheit erzählt Adelson gerade von einem Typen, der hier mitten in der Pampa wohnt und Drogen anbaut, als uns wie aus dem Nichts plötzlich drei Pfauen angreifen. Schnell weg hier! So folgen wir Adelson etwas unvorbereitet in die nächste Schlüsselstelle: Unsere Pfadspur balanciert bald auf einem abfallenden Grat entlang. Rechts und links droht der Abgrund, geradeaus verlangt ein grober, steiniger Untergrund nach Tempo und von oben grillt die Sonne. Die Landschaft wird mit jedem Tiefenmeter karger und steiler. Spätestens jetzt ist klar: Die Tour endet unten am Meer, es gibt kein Zurück mehr. Ich frage Adelson, ob wir am Strand von einem Boot abgeholt werden. Seine Antwort lautet „yeeh“, was wir als klares Ja interpretieren. Beruhigt rollen wir weiter, bis wir plötzlich an einem Abgrund stehen. Kein Trail weit und breit mehr, dafür dschungelartiger Wald.
Adelson deutet in die Schlucht hinunter und nickt. Ich taste mich vor und schrecke im Gebüsch ein paar Ziegen auf. Lautes Affen-Gegacker aus den Baumwipfeln. Ganz unten im Canyon leuchtet jetzt ein Fluss, direkt vor uns: ein Felsabbruch. Mit geschulterten Bikes mussen wir den hinunterklettern. Geschafft. Nun schlängelt sich wieder ein Pfad auf sandigem Boden, der uns direkt in einer traumhaften Sandbucht am Meer ausspuckt. Just in diesem Moment tuckert ein buntes Fischerboot um die Ecke. „Nelito!!“ Adelson winkt seinen Freund heran, damit wir die Bikes aufladen können. Was bei diesem Wellengang gar nicht so leicht ist. Außerdem dürfen wir nicht auf den großen Fisch treten, den Nelito auf der Herfahrt geangelt hat. Den gibt es später lecker gegrillt bei uns am Strand.
Das Revier: Die Kapverden liegen im Atlantik, ca. 570 Kilometer vor der Küste des Senegals und 1700 Kilometer südlich von den spanischen Kanaren entfernt. Von den insgesamt 15 Vulkaninseln sind neun bewohnt. Darunter die größte Insel Santiago mit der Hauptstadt Praia. Etwa so groß wie die Insel La Palma, hat Santiago zwar nicht die höchsten Gipfel des Archipels zu bieten, aber mit der ersten Bikestation in Tarrafal (an der Bucht mit dem schönsten Strand der Insel) die beste Infrastruktur mit Trail-Crew, Guides, Leihbikes und Shuttle. Höchster Punkt: Pico da Antónia (1392 m). Höchster Gipfel des gesamten Inselstaates: der immer noch aktive Vulkan Pico do Fogo (2829 m). Eine europäischen Infrastruktur wie auf den Kanaren darf man auf den Kapverden nicht erwarten. Hier steckt der Tourismus noch in den Kinderschuhen. Cafés, Restaurants und Bars findet man auf Santiago nur in den Städten.
Beste Reisezeit: Die Kapverden werden auch die Inseln des ewigen Sommers genannt. Durch ihre Nähe zum Äquator gibt es Sommer wie Winter kaum Temperaturunterschiede. Am kühlsten ist es im Januar mit durchschnittlich 23 Grad, am wärmsten von August bis Oktober mit 29 Grad. Letzteres ist allerdings auch gleichzeitig die Regenzeit, die mit 2-3 Regentagen aber nicht allzu üppig ausfällt. Nur die Luftfeuchtigkeit ist in diesen Monaten ausgesprochen hoch. Am angenehmsten zum Mountainbiken sind die Monate November bis März/April. Dann hat auch das Meer noch Badetemperaturen von 20 Grad. Zeitverschiebung im Winter: zwei Stunden.
Sprache: Bis zu ihrer Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1975 waren die Kaverden eine Kolonie Portugals. Bis heute ist die Amtssprache daher Portugiesisch. Gerade auf dem Land wird aber vor allem Kreolisch gesprochen. Mit Englisch kann man in den wenigen touristischen Spots von Santiago aber Glück haben.
Währung: Den Cabo Verde Escudo zieht man sich am günstigsten am Flughafen vorort am Automaten oder am Bankschalter. 110 CVE sind derzeit umgerechnet 1 Euro.
Unterkunft: Die schönste Strandbucht auf Santiago befindet sich bei Tarrafal, im Norden der Insel (Ponta de Atum). Hier wartet auch das Hotel King Fisher Village samt Bikestation und Surfschule. Fahrzeit vom Flughafen Praia an der Südküste: ca. eine Stunde. Info: king-fisher-village.com
Anreise: Von Deutschland aus fliegt Air Portugal täglich mit einem Stopp (via Lissabon) auf die Kapverden. Flugdauer insgesamt ca. 8 bis 11 Stunden. In den Wintermonaten bietet Tuifly von einigen deutschen Flughafen auch Direktflüge an. ACHTUNG: Der Reisepass muss bei der Einreise noch 6 Monate gültig sein! Info: tui.com
Kapverden-Trip mit Guide: Holger Meyer wird seine Abenteuer-Reise ab kommenden Herbst als geführte Tour anbieten. Termine: 10. – 16.11.2024 und 9.-15.2.2025.
Alle Infos: dierasenmaeher.de