MTB Abenteuer PatagonienTorres del Paine

Dan Milner

 · 06.02.2018

MTB Abenteuer Patagonien: Torres del PaineFoto: Dan Milner
MTB Abenteuer Patagonien: Torres del Paine

Es gibt kaum einen Flecken, der sich weniger zum Biken eignet als Patagonien. An Landschaft und Trails liegt es nicht. Es sind Naturgewalten, die um den Torres del Paine alle Touren-Pläne zerfetzen.

"Sie ist jetzt 15. Sobald sie 25 wird, machen wir Churrasco aus ihr", sagt der Cowboy, der Che Guevara wirklich zum Verwechseln ähnlich sieht.

Dabei klapst er seinem Pferd liebevoll den Hals. Doch bevor das Tier auf dem Grillrost landet, hat es noch einiges vor sich. Ein Pferd hat es nicht leicht in Chiles Patagonien, aber das Leben von Gaucho Lito auf seinem Rücken ist auch nicht einfacher. Wer sich durch Patagoniens ungezähmte Landschaft bewegt, kämpft jeden Tag gegen die Naturgewalten. Und dabei geht es meistens immer gleich ums Überleben. Sogar beim Mountainbiken.

  Gaucho Lito und seine Stute trotzen dem Sturmwetter jeden Tag. Dennoch geraten auch sie immer noch in heikle Situationen. Foto: Dan Milner
Gaucho Lito und seine Stute trotzen dem Sturmwetter jeden Tag. Dennoch geraten auch sie immer noch in heikle Situationen. 

Wie sich das anfühlt, bekommen wir gleich auf unserem ersten Ausritt zu spüren. Matt Hunter, René Wildhaber und ich haben den 1508 Meter hohen Cerro Paine im Visier. Das Bike längst auf die Schultern gewuchtet, stapfen wir schon eine Weile die steilen Bergflanken bergan, als der Wind plötzlich von oben bläst. Er drückt mir das Bike auf einmal so tief in den Rücken, dass es schlagartig das Dreifache wiegt. Mir knicken die Knie ein. Da packt mich schon die nächste Bö, gegen die ich mich jetzt mit vollem Körpereinsatz seitlich stemmen muss. Ein paar Meter weiter oben sehe ich Matt und René genauso torkeln. Schon hakt sich bei mir die nächste unsichtbare Welle unter und schleudert mich endgültig auf den Boden. "Na, das wird ja eine lebhafte Abfahrt", schreit Matt in den Wind. Noch können wir lachen.

Es gibt nur wenige Orte auf der Erde, die sich zum Biken so wenig eignen wie Patagonien. Das wussten wir vorher, aber es hat uns fast noch neugieriger gemacht. Die dramatische Mordor-Kulisse des Torres-del-Paine-Nationalparks gilt eigentlich als das Mekka der ambitionierten Bergsteiger und Kletterer. Allenfalls Packtaschenradler wagen sich noch hierher. Sie durchkreuzen diese 2500 Quadratkilometer weite Wildnis auf einem Schotterstraßennetz. Allerdings nur unter allergrößter Anstrengung. Ich weiß das deshalb, weil ich vor etwa 20 Jahren einer von ihnen war. Da besteht die Herausforderung darin, im leichtesten Gang gegen diesen Sturm anzupressen und sich mit einem völlig überladenen Bike von einem Campingplatz zum nächsten durchzuschlagen. Alles nur, um diese einzigartige Landschaft mit ihren schwarzen Gipfeln und aquamarinblauen Seenaugen endlich von der Bucket-Liste streichen zu können. Die Packtaschen habe ich inzwischen abmontiert. Diesmal wollen wir die Trails ent­decken, die bisher wirklich nur eine Handvoll Biker je befahren hat.

Unser Hike-und-Bike-Trip auf den Cerro Paine sah von unserem Basislager Hosteria las Torres eigentlich nach einer Halbtagesbeschäftigung aus. Nur hatten wir da Patagoniens Wettereskapaden noch nicht mit eingerechnet. Als wir nun auf halber Höhe aus dem Wald heraustreten, sehen wir die letzten Bäume schon wild verdreht mit den Ästen im Wind fuchteln. Ab jetzt wird jeder Schritt zum Kampf. Selbst im flachen Gelände. Doch am Ende ist es nicht der Wind, der uns stoppt, sondern die Landschaft. Vor uns türmen sich gewaltige Granitzähne in einer Reihe. Wie der Unterkiefer eines schlafenden Riesens. Es sind die berühmten Torres, die dem Park seinen Namen verleihen.

Das Land der Tapferen: Patagonien liegt am südlichsten Ende Chiles
Foto: Dan Milner

Wir bewundern eine Weile unsere wilde Umgebung, bis der Wind wieder so stark an uns zerrt, dass wir bei Höhenmeter 1000 endlich beschließen umzukehren. Auf der Abfahrt umfegt uns der Sturm nun aus allen Richtungen. Dazu erfordert das lose Geröll höchste Konzentration. Schon wegen des konstant brodelnden Adrenalin-Pegels bin ich unten im Tal völlig erschöpft. Als wir nach einer weiteren Stunde wie Schiffbrüchige unsere Hosteria erreichen, freuen wir uns, dass wir uns überhaupt noch eins der überteuerten Biere kaufen können. Keine Ahnung, ob wir unter diesen lebensgefährlichen Bedingungen die anderen Trails überhaupt durchziehen sollten.

Wir befinden uns auf dem 50. Breitengrad Süd. Zum Vergleich: Köln liegt auf dem 50. Breitengrad Nord. Dass die Natur hier so viel brutaler ist, liegt daran, dass sie auf Südamerikas südlichstem Dreieckzipfel liegt. Hier prallen die Druckunterschiede von Pazifik und Atlantik ungebremst aufeinander und sorgen für dieses notorisch unstabile Wetter. Aber genau das hat die Torres ja zu Ikonen gemacht. Die Locals sagen: Wenn du hier mit dem Wetter nicht zufrieden bist, warte einfach zehn Minuten.

Der Gastraum unserer Hosteria ist eine einzige Lärmhalle. 130 wettergegerbte Gesichter zähle ich an den Holztischen. Doch unter all den grau melierten Bärten ist außer uns nur noch eine Radfahrerin im Raum: Sage. Sie stammt aus Anchorage und hat die 280 Kilometer vom Flughafen in Punta Arenas bis hierher mit dem Bus zurückgelegt, erzählt sie und schenkt sich dabei noch ein Glas aus unserer Weinflasche nach. Seit zwei Tagen erkundet sie die Gegend nun auf eigene Faust mit dem Rad. Da ich Patagonien ja schon selbst mal erradelt habe, weiß ich, wie sie sich fühlt. Harter mentaler und körperlicher Einsatz wird hier nicht mit einer entsprechenden Anzahl von Kilometern belohnt. Es ist mehr der romantische Kampf zwischen dir und den Naturgewalten, der für Zufriedenheit sorgt. Das Investment unseres Bike-Trips ist zwar ähnlich hoch, aber die Belohnung ist doch eine andere. Wir werden nicht nur mit unglaublichen Landschaften, sondern auch noch mit sinnlichen Singletrail-Abfahrten belohnt. Allerdings müssen wir uns die Wanderwege rund um die berühmten Torres leider aus dem Kopf schlagen – sie sind mit dem Bike verboten. Trotzdem wird uns die nächsten fünf Tage nicht langweilig werden, es warten genügend andere Trails.

Um keine Zeit mit Trail-Suche zu vergeuden, haben wir Javier Aguilar, einen chilenischen Bikeguide angeheuert. Er hat für uns zwei Trails durchs Land der chilenischen Forstbehörde (CONAF) ausgekundschaftet und zwei weitere, die aber, so wie der steile Anstieg auf den Cerro Paine, über privates Gelände führen. Ich hatte keine Ahnung, dass sich weite Teile des Torres-del-Paine-Nationalparks in Privatbesitz befinden. Aber dass die CONAF in einem Park, der bereits 150000 Ressourcen-raubende Besucher im Jahr einlässt, auch das Mountainbiken erlaubt, überrascht mich fast noch mehr. Wobei man die Zahl der bikenden Touristen bisher aber ohnehin an nur zwei Händen abzählen kann.

  Guanako-Lamas halten jeder Windstärke stand.Foto: Dan Milner
Guanako-Lamas halten jeder Windstärke stand.

"Scheinbar hat es sich noch nicht herumgesprochen, dass man hier inzwischen auch biken darf", meint Javier und zuckt mit der Schulter. So wie Javier das Biken, aber auch andere Dinge, angeht, ist typisch für einen Patagonier: Er überlebt hier mit Hartnäckigkeit und Glück. Javiers Bike ächzt und knackst bei jeder Kurbelumdrehung. Den linken Schalthebel zum Wechseln der Kettenblätter hat er abmontiert. Wenn er wirklich das kleine Kettenblatt braucht, dann hält er eben kurz an und legt die Kette mit der Hand um. "Die meisten Anstiege sind ohnehin zu steil zum Fahren", fügt er hinzu. Doch das, was Javier an Bike-Erfahrung fehlt, macht er mit seinem großen Herzen wieder wett. Schon als er uns vom Flughafen in Punta Arenas abholte, begrüßte er uns mit einer herzlichen Umarmung. Dann öffnete er seinen Van, um uns erst mal ein Willkommensbier zu reichen. Genauso herzlich scheint er auch mit den Landbesitzern verhandelt zu haben. Jedenfalls hat er so die Genehmigungen für seine beiden geführten Touren ergattert. Die eine zum Cerro Paine hinauf und die andere zur Lazo Ranch, am südlichen Ende des Parks. Beide Regionen sind durchzogen von Singletrails und grandiosen Aussichten auf die Torres und die schwarzen, 3000 Meter hohen Gipfel der Cuernos de Paine.

Am nächsten Tag kurbeln wir von der Hosteria am Fluss Paine entlang gen Norden zum Camp Seron. Wie ein Samtteppich schleust uns der Trail kurvenreich durchs Unterholz eines Waldes, dann klettert er mit uns Plateaus hinauf, von denen sich Wasserfälle stürzen. Zwanzig Kilometer geht es unter blitzblauem Himmel dahin. Kaum ein Lüftchen weht, und die patagonische Sonne färbt unsere euro­päische Winterhaut schnell zartrosa.

Zurück im Hostel riecht es in unserem Sechsbettzimmer mittlerweile schon nach Puma-Käfig. Als ich das Fenster aufreiße, sitzt draußen auf einem Geländer ein Caracara, eine südamerikanische Falkenart. Er beugt sich vor und zurück und beäugt dabei misstrauisch unsere Bikes. Wie alle Tiere, die wir bisher in Patagonien gesehen haben – Guanako-Lamas, Kondore, Feldhasen und Strauße – ist auch dieser Falke ausgesprochen riesig. Wahrscheinlich hat sich die Tierwelt hier der gewaltigen Landschaft einfach angepasst.

Tag fünf: Unser letztes Sixpack Bier parkt geduldig auf der Fensterbank. Das haben wir uns aufgehoben, um unseren zweiten Versuch auf den Cerro Paine zu feiern. Nicht, dass wir den Abfahrts-Trail so toll fanden, aber auf seinem Gipfel wartet das wohl meist fotografierte Motiv des Landes. Das wollen wir uns natürlich nicht entgehen lassen.

Doch wie naiv von uns zu glauben, man könne dem patagonischen Wetter doch irgendwie trauen. Gerade als wir wieder über die Baumgrenze hinausstapfen, hat sich schon wieder ein dicker Blumenkohl aus Wolken um die 2800 Meter hohen Torres geknüllt. Da frischt auch schon wieder der Wind auf. Keine Stunde später kauern wir uns in den Schutz eines Felsens, weil uns die Hagelkörner sonst waagrecht in die Gesichter spreißeln. Nur 200 Höhenmeter trennen uns noch vom Gipfel, aber es hat keinen Sinn. Der Cerro Paine will uns einfach keine Audienz gewähren. Ich blicke über das weite Plateau aus goldenem Grasland unter uns, durch das sich silbrig glitzernde Flüsse bahnen. Dieses Land ist im Wandel. Die Preise für Unterkünfte und Verpflegung sind bereits jenseits meiner persönlichen Back­packer-Schmerzgrenze, bald werden die Besucherzahlen für den Park limitiert werden. Aber wie gesagt: In diesem Winkel der Erde werden ohnehin nur die ganz Tapferen für ihre Mühen belohnt.

Foto: Dan Milner


INFOS PATAGONIEN


Torres del Paine ist eine der spektakulärsten Landschaften, die es mit dem Bike zu erfahren gibt. Hauptsaison: Januar bis Februar. Geöffnet ist der Park dagegen von Oktober bis April. Die Temperaturen bewegen sich zwischen 5 und 20 Grad, aber von Sommer bis Schneefall ist in kürzester Zeit alles möglich.


Touren
• Guide Javier hat eine eigene Firma in der südlichen Stadt Punta Arenas, wo es auch die meisten Trails gibt. Infos: www.patagoniamtbtrails.com
• Auch H+I Adventures wird künftig in seine Chile-Tour einen dreitägigen Ausflug in den Torres-del-Paine-Nationalpark integrieren. Infos: www.mountainbikeworldwide.com
• Fahrtwind bietet eine Anden-Überquerung inkl. Patagonien an: www.fahrtwind.de


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