Bike-Trip in die Volkrepublik Nordkorea

Dan Milner

 · 23.08.2019

Bike-Trip in die Volkrepublik NordkoreaFoto: Dan Milner
Bike-Trip in die Volkrepublik Nordkorea

Was kann man von diesem Bike-Trip erwarten? Wenig Freiheiten und Trails, dafür Kontraste: gewaltige Landschaft, Propaganda, Uniformität und Freundlichkeit, omnipräsente Kims und Karaoke zum BBQ.

"Das gesamte Atomwaffenarsenal der USA ist auf Dich gerichtet, und Du machst Dir Gedanken über Schlangen?" stichelt Tom Bodkin. Er hat natürlich recht: Wir biken durch Nordkorea – der größten Zielscheibe des Planeten – und Schlangen rangieren auf der Liste der Herausforderungen nicht ganz oben.

Wir bekommen auch keine zu Gesicht. Stattdessen weckt mich Harald am nächsten Morgen mit Zähneklappern. "Ich muss den Kocher anschmeißen", flüstert er. Letzte Nacht haben wir unseren strikten Reiseplan ein wenig biegen können und das Hotel gegen ein Biwak am Berg eingetauscht. In der feuchten Kälte zweifeln wir an unserer Entscheidung. Harald will warmen Tee. Ich auch.

Der gestrige Tag war brutal anstrengend. Mit unseren Bikes sind wir Guide Kim In Guk hinterhergestolpert, durch Gestrüpp und über Felsen einen unfassbar steilen Hang hinauf. Kim ist 70, trägt einen alten Trainingsanzug, geht wie ein Cowboy, und mit seinem Stock erinnert er ein wenig an Yoda aus dem Film Star Wars. Während er auf uns wartet, die frisch gedrehte Zigarette in den Fingern, reckt er lächelnd den Daumen nach oben. Lächelnde Gesichter sehen wir viel hier in Nordkorea. Die Menschen stürzen sich nicht auf uns, sie sind zurückhaltend, aber durchweg freundlich.

  Tragepassage am Grenzzaun aus Beton.Foto: Dan Milner
Tragepassage am Grenzzaun aus Beton.

Keiner hat gesagt, dass Biken in Nordkorea eine einfache Sache werden würde. Viele bezweifelten, dass wir es überhaupt hierherschaffen. Einige bezweifelten, dass wir es wieder herausschaffen. Zu Nordkorea hat jeder eine Meinung, und keiner weiß wirklich was. Es nennt sich Demokratische Volksrepublik, wird diktatorisch regiert und ist nicht wirklich ein Tourismusmagnet. Mich aber reizt diese letzte kommunistische Bastion. Und die Profi-Biker Harald Philipp und Max Schumann ebenso. Doch sogar mit der ganzen Logistik, die Toms Agentur Secret Compass für uns übernommen hat, ist es ein unsicheres Unterfangen. Wie kann man Dinge berechnen, wenn man in ein Land reist, das von einem unberechenbaren Psychopathen regiert wird

"Ihr könnt alles fotografieren, außer Militärisches", meint Pak Song Gun (35), als er uns mit einem Minibus am Flughafen von Pjöngjang abholt. Pak und sein 26-jähriger Kollege Om Jin Song sind unsere beiden Aufpasser für den Trip. Sie sprechen gutes Englisch und stellen uns über die Zeit neugierig viele Fragen – hinterfragen aber niemals ihre Führer. Auf ihren Anzügen prangen die Konterfeis der Führer Kim Il-sung und Kim Jong-il, Großvater und Vater des aktuellen Diktators. Die Erfolge der Kim-Familie propagieren sie vorbildlich.

  Kurze Rast im Holzpavillon: Tom neben Pak, Kim und Om sowie Max und Harald (von links).Foto: Dan Milner
Kurze Rast im Holzpavillon: Tom neben Pak, Kim und Om sowie Max und Harald (von links).

Wir steuern durch die Straßen. Die Stadt wirkt luftig und ruhig – und "recht einheitlich", mein Max. Von bunter Markenvielfalt und individuellem Ausdruck ist nicht viel zu sehen. Etwas später, während wir auf dem Land an endlosen Reisfeldern vorbeifahren, auf Straßen so breit wie Flugzeuglandebahnen, murmelt Max: "Ich fühl’ mich wie in einem alten Film. Als wäre die Zeit vor 70 Jahren stehen geblieben." Wir nicken. Die Szenerie auf der Fahrt gen Nordosten ins Myohyan-Gebirge ist geprägt von großer Einfachheit. Keine Werbeplakate, kaum ein Auto.

Die Laubwälder von Myohyang jedoch sind spektakulär. Wobei wir für die nordkoreanischen Touristen anscheinend die größere Schau sind. In ihren Slippern laufen sie aufmerksam lächelnd an uns vorbei. Wer hat, der zückt das Smartphone und filmt uns beim Biken. Die Aufnahmen werden niemals auf YouTube landen. Einen Zugang zum Internet gibt es nicht. Das ist uns auch sehr bewusst. Mit der Landung haben wir uns völlig in die Hände unserer Aufpasser begeben. Sie sind keineswegs autoritär und tragen auch keine Waffe. Aber wir wissen, dass wir ihnen Folge leisten müssen und keinen Freiraum haben.

Zurück zum Biwak: Wir haben viel geschoben und geflucht auf dem Weg zum Gipfel von Myohyang. Und für was? Der Regen hat die 1600 Tiefenmeter in eine einzige Schlitterbahn verwandelt. Immerhin kommen wir verletzungsfrei unten an. Eine kleine Schar Nordkoreaner hat sich unter einer Betonbrücke zu einer Party zusammengefunden: Rauchschwaden steigen vom Grill auf, es wird Bier getrunken und Karaoke gesungen. Sie winken uns zu sich, obwohl ihnen eigentlich der Kontakt zu Ausländern verboten ist. Wenige Sekunden später halten wir ein Bier in der Hand. All die Barrieren – Sprache, Kultur, Politik – sie lassen sich auch in Nordkorea überwinden. Bis Pak und Om dann doch etwas nervös werden und uns zur Weiterfahrt drängen.

Der nächste Stopp auf dem Programm ist der sagenumwobene Mount Paektu. Der Vulkan gilt als unberechenbar, aber für die Nordkoreaner ist er vor allem eng mit der nationalen Geschichte verwoben und wird wie ein Heiligtum verehrt. In den dichten Wäldern am Fuße des Berges soll Kim Jong-il zur Welt gekommen sein. Der Ort gilt als Ursprung der Revolution 1948. Mit seinen 2744 Metern ist er außerdem der höchste Punkt der koreanischen Halbinsel, und Kim Jong-un hat hier vor Kurzem dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in die Hand geschüttelt.

6 Uhr morgens auf dem höchsten Punkt der koreanischen Halbinsel. Max und Harald blicken über den Vulkan Paektu bis nach China.
Foto: Dan Milner

Doch der Mythos hüllt sich in Nebel. Über sechs Stunden verharren wir im Bus und starren frustriert in den Regen. Ein Truck nach dem anderen entlädt einheimische Touristen. In Plastikumhängen gehüllt folgen sie einem Mann, der mit roter Flagge in den Dunst entschwindet. Das Wetter schlägt auf unser Gemüt. Es war so anstrengend in diese abgelegene Ecke des Landes zu gelangen, und uns bleiben nur zwei Tage. Die Flüge in die nächst gelegene Stadt Samjiyong sind rar. Uns hat eine 49-jährige 4-Propeller-Sowjetmaschine hierher verfrachtet. Samjiyong ist gerade erst am Entstehen. Um die paar älteren Gebäude wie unserem Hotel und die Hütten werden fleißig moderne Häuser gebaut. Es ist eine neue Musterstadt geplant. Zum einen, weil der Tourismus um den heiligen Berg zunimmt – aber wohl auch als Machtdemonstration: Nur wenige Kilometer weiter nördlich verläuft die chinesische Grenze.

Am nächsten Morgen starten wir um 4.30 Uhr. Am Armee-Checkpoint steigen drei Soldaten ein und quetschen sich mit ihren Maschinengewehren zwischen uns und die Bikes. Sie sehen extrem jung aus, interessieren sich nicht wirklich für uns und spielen auf dem Smartphone. Der Bus schindet sich bergauf, vorbei an Arbeitern, die das Kopfsteinpflaster bereits um 6 Uhr morgens bearbeiten. Sie klopfen die Steine mit der Hand und tragen sie in Säcken. Maschinen sind keine zu sehen.

Schließlich halten wir am Rand des Vulkankraters. Wir springen auf unsere Bikes, und die Arbeiter mit ihren roten Hüten beobachten uns mit einem Grinsen, wie wir am Kamm entlangfahren. Wir treten bergauf zum Gipfel des heiligen Berges. Die Aussicht lässt uns schlucken: Der Vulkan ist riesig, der Blick gigantisch. Aus dem Krater strahlt der See blau, die karge Felswüste breitet sich aus – tief hinein bis China. Es ist surreal. Doch auch die Weite lässt uns nicht vergessen, wo wir sind. Die Propaganda – leuchtend rote Buchstaben auf Steinmonumenten – ist allgegenwärtig.

Dann, endlich, fahren wir von Koreas Gipfel ab. Es ist nur eine kurze Abfahrt, bis wir wieder bei Pak und Om landen. Sie ist dennoch der emotionale Höhepunkt unserer Reise. Nicht, weil wir den Berg als erste Biker befahren, sondern weil wir einen Hauch dieses Land erfahren durften – und das hätte kaum einer für möglich gehalten.

INFOS NORDKOREA

Foto: BIKE Magazin


Das Land
Der offizielle Name von Nordkorea lautet Demokratische Volksrepublik Korea. Der Name täuscht über die tatsächlichen Zustände in dem ostasiatischen Staat hinweg. Machthaber Kim Jong-un reagiert das Land mit diktatorischer Härte. Nordkorea gilt als das restriktivste Land der Welt – samt schwerster Menschenrechtsverletzungen. Die Einwohnerzahl beträgt knapp 25 Millionen.


Die Tour
Obwohl sich Nordkorea Touristen gegenüber in den letzten Jahren spürbar geöffnet hat, ist das individuelle Bereisen des Landes nach wie vor nicht möglich. Staatliche Aufpasser kontrollieren die Reiseroute und die Einhaltung der auferlegten "Regeln". Die auf ungewöhnliche Reiseziele spezialisierte Agentur Secret Compass half Dan Milner, Max Schumann und Harald Philipp bei der Organisation. Die Tour führte via Peking in die nordkoreanische Hauptstadt Pjöngjang und von dort zum Biken nach Myohyang. Per Flugzeug ging es nach Samjiyon, von wo aus der Vulkan Mount Paektu erklommen wurde. Ein Aufenthalt in Chilbo rundete die knapp zweiwöchige Tour ab.


Ausrüstung
Da es in Nordkorea keine Wanderkultur wie im Alpenraum gibt, ist die Infrastruktur in den Bergen äußerst dünn. Die Trails sind ruppig, weswegen sich ein Enduro oder ein robustes All Mountain empfiehlt. Ausreichend Ersatzmaterial sollte man immer dabeihaben.


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