Jan Timmermann
· 02.03.2022
Selten liegt der Bikepark vor der eigenen Haustür. In der Realität fahren Familien meist zusammen eine Tour im lokalen Wald. Wir verraten, was Eltern beachten sollten.
In BIKE 04/2022 geben wir Empfehlungen zu Kinder-Bikes, Destinationen für den Familienurlaub und zum spannendsten Zubehör für den Nachwuchs. Doch wie motiviere ich mein Kind im Alltag zum Biken? BIKE-Volontär Jan Timmermann ist studierter Erziehungswissenschaftler und Sozialpädagoge. Aus zehn Jahren Trainererfahrung kennt er die wichtigsten Tipps und Tricks für Eltern.
Kaum ein Elternhaus liegt inmitten eines kindgerechten Trailnetzwerks. Tatsache ist, dass Eltern zusammen mit ihren Sprösslingen in den meisten Fällen eine Tour durchs nächste Waldgebiet fahren. Das ist grundsätzlich gut, denn gemeinsame Ausfahrten können die Eltern-Kind-Beziehung stärken. Sie bieten Gelegenheit, aus dem Alltagstrott auszubrechen und Erlebnisse als Familie zu teilen.
Aus pädagogischer Sicht sind das Schlüsselmomente, welche nachhaltig prägen können. Erlebnisse können Sie nicht erzwingen, doch Sie können ihnen einen passenden Rahmen schaffen. Ob Sie einen bislang unbekannten Berg erklimmen oder einen tollen neuen Trail abfahren: Bleiben Sie aufmerksam für das Besondere.
Erlebnisse sollten immer gemeinsam reflektiert werden. Ihrem Kind ist vielleicht gar nicht bewusst, dass es das Steilstück gerade das erste Mal geschafft hat, oder dass es eben schneller war, als jemals zuvor. Besonders wichtig ist eine solche Nachbesprechung bei Rückschlägen oder Misserfolgen. "Wie war es, als der Regen einsetzte und was haben wir dann getan?" "Warum haben wir den Anstieg nicht ganz geschafft? Was können wir das nächste Mal anders machen?"
Die Sicherheit der eigenen Kinder ist ein sensibles Thema. Auch eine Verletzung ist ein Erlebnis. Sie können Ihr Kind im Lernprozess unterstützen, indem Sie gemeinsam herausfinden, wie es zum Sturz kam. Machen Sie deutlich, dass Fahrfehler ganz normal sind. Auch Sie sind sicher schon das ein oder andere Mal gestürzt.
Zum Biken zwingen? Keine gute Idee! Gerade jungen Kindern fällt es schwer, sich lange für eine einzige Sache zu begeistern. Genau wie Laufen oder Schwimmen ist das Radfahren eine neue Bewegungsart für Kinder. Plötzlich sind sie schneller, erfahren andere Kräfte und kommen weiter, als bisher. Deshalb ist Biken prinzipiell spannend für Kids. Allerdings nur so lange, wie es nicht als unangenehm oder langweilig empfunden wird.
Planen Sie Ihre gemeinsame Ausfahrt deshalb umsichtig und dem Alter des Kindes angemessen. Kindgerechte Touren enthalten viele aktive Pausen. Unterbrechen Sie die Ausfahrt regelmäßig durch andere Aktivitäten, wie das Bauen eines kleinen Staudamms am Bach, das Balancieren auf einem Baumstamm, den Besuch eines Spielplatzes oder die Besichtigung einer Burg. Die Abwechslung macht’s.
Checken Sie vor Abfahrt die Technik, also auch das Bike Ihres Nachwuchses durch. Auf Touren sind zäh rollende Reifen mit zu wenig Luftdruck ein echter Motivationskiller. Das Gefühl, nicht voranzukommen ist für Kinder besonders frustrierend. Rumst die Motivation unterwegs trotzdem in den Keller, sollten Sie vorbereitet sein. Jetzt streng nach Plan fahren zu wollen, kann schwer nach hinten losgehen.
Versuchen Sie stattdessen, mit kleinen Tricks neu zu motivieren. "Wenn wir noch zwei Kurven weiter fahren, können wir das Haus von deinem Freund Max sehen!" Dazu müssen Sie die Strecke gut kennen und auch die eine oder andere Abkürzung in der Hinterhand haben. Ist die Energie weg? Das Bike zu schwer? Die Strecke zu langweilig? Nehmen Sie die Tiefs Ihres Kindes ernst aber lassen Sie sich nicht von Vorwänden an der Nase herumführen. Finden Sie heraus, woran das Motivationsloch wirklich liegt.
Oft scheint es, als interessiere sich die sogenannte Jugend von heute nur noch für Action. Shredden wie Fabio Wibmer und springen wie Lukas Knopf. Wenn Eltern dann die Stirn runzeln und trotzdem auf die geplante Tour bestehen, ist Frust vorprogrammiert. Klar können Kinder an Anstiegen ihr Durchhaltevermögen trainieren und ihre körperliche Gesundheit stärken - das ist wichtig für ihre Entwicklung. Doch hin und wieder tut es vielleicht einfach ein leerer Parkplatz.
Nehmen Sie ein paar Holzbretter, etwas Seil und einige Tellerhütchen mit und schauen Sie zu, was ihr Kind mit der Situation macht. In einem solchen Freispiel ergeben sich die prägendsten Lernerfahrungen. Sie können immer wieder Angebote machen, wie einen kleinen Parcours aufzubauen. Stoppies und Wheelies sind auf dem Trail selten zu gebrauchen, doch sie bringen Spaß und schulen die Radbeherrschung.
Viele Eltern tun sich damit extrem schwer. Endlich kommt man nach einer stressigen Arbeitswoche zum Biken und muss sich dann auf einem Parkplatz herumdrücken, anstatt im Wald Strecke zu machen. Der Besuch eines Bikeparks oder eines Pumptracks ist eine Lösung dieses Problems – bei weitem jedoch nicht die einzige. Nutzen Sie die Parkplatz-Situation für Ihre eigene Fahrtechnik. Balance-Übungen, Vorder- und Hinterrad heben, Hinterrad umsetzen… Ihr Kind wird sich anschließen.
Wenn Sie sich unsicher fühlen, kann es hilfreich sein (gemeinsam mit dem Kind) einen Fahrtechnik-Kurs zu besuchen. In jedem Fall ist das Spiel der Schlüssel zur nachhaltigen Motivation von Kindern. Das kann auch auf der Tour gelingen. Unterbrechen Sie ihre Fahrt zum Beispiel für ein kleines Sektionstraining. "Wer schafft es, das Trailstück ohne Treten zu fahren?" Wettrennen und andere Herausforderungen halten die Tour auch für Kids kurzweilig. Achten Sie aber auch hier darauf, Überforderungen zu vermeiden und tasten Sie sich langsam heran.
Kinder sind wissbegierig. Nutzen Sie die gemeinsame Tour für eine spielerische Lernstunde zum Thema Natur. Warum nicht in einer Pause zehn verschiedene Blätter sammeln und gemeinsam bewundern? Jedes Kind ist auch ein Multiplikator, der anderen Kindern und Erwachsenen von solchen Erlebnissen erzählt und zum Nachdenken anregt. Gefundenen Müll mitnehmen und Wanderer grüßen – gerade Kinder im Grundschulalter lassen sich für Umweltthemen begeistern.
Thema Bremsspur: Nichts lieben Kinder mehr als mit blockierter Hinterradbremse zum Stehen zu kommen. Feilen Sie gemeinsam an der Bremstechnik und bringen Sie Ihrem Kind bei, dass ein rutschendes Hinterrad meist ein Zeichen schlechter Radbeherrschung ist. Legen Sie aber auch unbedingt einen Ort fest, an dem die Kinder "driften" dürfen. Das mildert die Spaßbremse ab und kann zum Beispiel die eigene Einfahrt sein.
Lassen Sie Kinder beim Biken schon früh Verantwortung übernehmen. Viele Kids sind sogar leichter dazu zu motivieren, ihr Bike zu putzen, als Erwachsene. Auch hier hilft das Verpacken in Geschichten: "Wenn Oma nachher kommt, zeigen wir ihr, wie sauber unsere Räder sind." Kinder können bei Reparaturen helfen und auf Tour navigieren. Ein Mountainbike ist ein tolles Lernspielzeug!
Ältere Kinder stellen ihre Handlungen zunehmend in den Kontext von Anderen. Auch hier können Sie Vorbild sein, aufeinander warten, gegenseitig helfen. Mit dem Einsetzen der Pubertät ist die elterliche Motivation meist zum Scheitern verurteilt. In dieser Zeit profitiert Ihr Nachwuchs trotzdem von den als Kind gemachten Erfahrungen. Besonders wichtig ist dann der Anschluss an eine Gruppe. Das muss nicht immer ein Verein sein. Bike-Freundschaften entstehen auch im Bekanntenkreis, in Bike- oder Skateparks oder bei Bike-Events.