Experiment4 Tage mit Bike & Kids durch die Dolomiten

Holger Meyer

 · 26.08.2019

Experiment: 4 Tage mit Bike & Kids durch die DolomitenFoto: Andreas Vigl
Experiment: 4 Tage mit Bike & Kids durch die Dolomiten

4 Tage durch die Dolomiten mit Kindern? Karen Eller und Holger Meyer haben das Abenteuer gewagt. Eine Tour mit vielen kleinen und großen Überraschungen, bei der tatsächlich alle auf ihre Kosten kamen.

Die Soldaten im Schützengraben schauen böse. Der Kommandant sitzt in einem Unterstand und telefoniert. Im Lazarettzelt liegen zwei Verletzte.

"So war das im Ersten Weltkrieg?", fragt Leni (12) mit großen Augen. Lois (9) dagegen macht sich mehr Gedanken über die zwei Verletzten. Werden sie wieder gesund? Das Museum zieht die beiden sichtlich in Bann. Es befindet sich direkt am Fuße der Cinque Torri mit Blick auf Sassongher, Lagazuoi und die Tofane von Cortina d’Ampezzo. Die untergehende Sonne taucht vier der Felstürme gerade in orangerotes Licht, der fünfte ist umgefallen. Normalerweise heißt es jetzt, schnell runter vom Berg. Sonst ist es finster. Heute aber ist noch ein bisschen Geschichte angesagt. Denn wir dürfen oben bleiben. Direkt neben dem Freiluft-Museum, auf der Scoiattoli-Hütte, haben wir unser Lager bezogen – auf unserer Dolomiten-Runde zusammen mit den Kindern.

Mit Kindern heißt: wenig quälende Höhenmeter, nicht zu technische Abfahrten und abends spannende Hüttenübernachtungen. Das bedeutet im Vorfeld mehr Planung. Was jedoch mit einem bleibenden Ferienerlebnis belohnt wird. Unsere Tour startet im Grödnertal. In Wolkenstein nehmen wir die Bahn zum Ciampinoi. Mit Blick auf den Langkofel schießen wir auf einem Forstweg Richtung Plan de Gralba. Die zwei neu gebauten Lines haben es unserem Neunjährigen gleich angetan. Auch unsere Zwölfjährige kann sich das Grinsen nicht verkneifen – und schon sitzen wir alle nochmals in der Seilbahn. Die Steilkurven der Jumpline sind perfekt geshapt, und die Sprünge kommen wie in einem Videospiel auf einen zu. Alle Versuche, Lois zu überholen, scheitern. Quietschvergnügt macht er die Ideallinie zu. Damit müssen sich die Eltern abfinden, wenn die Kinder am Gasgriff drehen. Auch für uns eine neue Erfahrung. Wann schreit man "Stopp!", wann lässt man sie fahren? Man will seinen Kindern keine Angst machen und ihnen die Unbeschwertheit nehmen. Aber man will natürlich auch nicht, dass sie ihre Ferien im Krankenhaus verbringen.

Der Nachwuchs ist auf dem Sprung, da kommen Mama und Papa kaum hinterher.Foto: Andreas Vigl
Der Nachwuchs ist auf dem Sprung, da kommen Mama und Papa kaum hinterher.

Nach ein paar Abfahrten ziehen wir weiter auf unserer Tour Richtung Grödner Joch. Unser Plan ist, einen Teil der berühmten Sella-Runde mitzunehmen. Man muss allerdings die richtige Richtung fahren, sonst hat man nicht nur mit erheblichen Höhenmetern, sondern auch zusätzlich noch mit Protest von Kinderseite zu rechnen. Wir machen alles richtig und fahren im Uhrzeigersinn. Auf einem Flowtrail geht es hinab bis in Gader-Tal und entspannt weiter auf dem Radweg nach Pedraces im Alta Badia. Hier müssen wir den letzten Sessellift erwischen, sonst heißt es hochstrampeln. Lois wird erst wieder locker, als wir im Vierersessel Richtung Heilig Kreuzkofel gleiten. Oben erwartet uns ein fantastischer Ausblick auf Marmolada und Sella, die Sonne geht langsam unter, und die Kirchenglocken der 500 Jahre alten Kapelle läuten zum Abendessen.

Gut ausgeschlafen verstauen wir am nächsten Morgen unsere Sachen wieder im Rucksack und rollen weiter. Heute geht die Route Richtung Falzarego. Wir winken dem Kreuzkofel über uns zu und kurbeln auf einem herrlichen Wanderweg durch verzauberte Lärchenwälder. Wenig später nehmen wir die Gondel auf den Piz Sorega. Während sich die Eltern ein Päuschen im Liegestuhl gönnen, nehmen die Kinder den Wasserspielpark unter die Lupe. Ein perfekter Moment der Entspannung. Aber ein kurzer. Denn die neu gebauten Bikepark-Strecken locken die Kinder bald wieder aufs Bike.

Bergauf wird im Pulk gekurbelt.Foto: Andreas Vigl
Bergauf wird im Pulk gekurbelt.

Am nächsten Tag: "Wie lange noch?" Das habe ich jetzt schon zum dritten Mal gehört. Karen übernimmt und schiebt das Rad von Lois, ich motiviere Leni: "Nur noch eine Kurve, dann sind wir oben".

Gestern Abend, von der Hütte aus, sah es gar nicht so steil aus. Ich kannte diese Passage schon von der BIKE-Transalp, aber der Schotteranstieg zum Rifugio Averau hat es trotz seiner wenigen Höhenmeter echt in sich. Oben angekommen ist alles Gemotze zum Glück schnell vergessen. Der Blick auf die weißen Gletscherflanken der Marmolada und die Aussicht auf eine lange, flowige Trail-Abfahrt durch den Edelweiß-Geröllhang hat sich über Nacht bei den Kinder ins Gehirn eingebrannt. Mir hatte sich über Nacht nur eingebrannt: Was, wenn da nun kein Edelweiß mehr ist? Nach ein paar Trail-Metern der erste Aufschrei. Oh nein, was ist passiert? Ah, es ist doch nur ein Edelweiß gesichtet worden, puh. Der Tag ist gerettet.

Die Region um Wolkenstein ist ein MTB-Erlebnispark. Perfekt für Touren mit dem Nachwuchs.Foto: Andreas Vigl
Die Region um Wolkenstein ist ein MTB-Erlebnispark. Perfekt für Touren mit dem Nachwuchs.

Nach dem etwas felsigen Dolomiten-Gestein rollen unsere Stollenreifen nun auf grüner Wiese dahin. Langsam arbeiten wir uns tiefer in den Wald hinein. Wir befinden uns auf einer der schönsten und längsten Trail-Abfahrten der Dolomiten, der Strada de la Vena. Die Strecke ist schnell und vom Regen ganz schön ausgewaschen. Ich fahre voraus. Kurze Stopps zur Orientierung sind wichtig, auch um den Kids die Möglichkeit zu geben, die Hände zu entspannen. Ich warte immer so lange, bis sich wieder alle sammeln und vielleicht noch die Highlights der letzten Meter austauschen. Dann allerdings geht es zügig weiter. Trödeln macht nur den schönen Flow zunichte. Wir rollen durch einen kleinen Ort und biegen nach der letzten Scheune in den Trail ein. Doch huch, aber was ist da los? Eine breite Schotterpiste hat das ehemals schmale Trail-Band ersetzt und lässt eine Art Meuterei auf der Bounty aufkommen. "Voll langweilig …" , rufen die Kinder enttäuscht. Wenig später steigt die Laune dank heißer Schokolade im Orts-Café wieder. Das ist eine der essenziellen Erfahrungen unseres viertägigen Familien-Trips. Regelmäßiges Essen ist wichtig. Kinder merken nicht, wenn sie Hunger haben und fahren sich gerne in den Hungerast, solange der Spielsinn gefordert ist. Wird es langweilig, ist die Stimmung schnell im Keller.

Kinder brauchen zwischendurch aber  Abwechslung.Foto: Andreas Vigl
Kinder brauchen zwischendurch aber  Abwechslung.

Der untere Teil der Abfahrt hält noch ein paar Trail-Happen bereit – und schon johlen die Kinder wieder.

Im kleinen Örtchen Caprile startet schließlich das Finale. Ein Shuttle bringt uns eine Etage höher nach Arabba. Von hier gelangen wir wieder auf die Spur der Sella Ronda. Am Passo Pordoi geht es über den Infinity-Trail hinab ins Fassatal bis nach Campitello. Hier könnte man noch eine Bikepark-Runde auf den Strecken von Canazei dranhängen, aber wir sind spät dran. Wir wollen die letzte Gondel auf den Col Rodella erwischen. Spät abends rollen wir wieder in Wolkenstein ein. Es war doch wieder länger als erwartet. Aber alle sind glücklich und wollen nur noch Pizza.

Hier geht's zum Family-Trail...Foto: Andreas Vigl
Hier geht's zum Family-Trail...

INFO DOLOMITEN-KIDS-TOUR


Das Revier

Die Dolomiten sind eine imposante Gebirgsgruppe, die mit ihren bis zu 3342 Meter hohen Gipfeln den Nordosten Italiens durchzieht. Die Region ist seit jeher ein Hotspot für Biker, die Infrastruktur mit ihren vielen alten Militär-Trails entsprechend gut. Auch das Angebot an Hotels, Pensionen und Gipfelhütten ist riesig.


Die Tour

Da Kinder ungern quälend lange Anstiege hochstrampeln, sondern lieber fluffige Trails hinabsausen, wurde die Runde mit Blick auf mögliche Aufstiegshilfen hin geplant. Es sollte eine optimiale Mischung aus Kurbeln, Liften und Trail-Fahren sein. Die Aufteilung in vier relativ kurze Tagesetappen ermöglichte einen entspannten Zeitplan inklusive genügend Pausen. Gesamtes Fahrpensum: ca. 100 km und 900 hm.

Perfekte Mischung: In den Dolomiten lassen sich natürliche Trails und Bikepark-Abfahren bestens kombinieren.Foto: Andreas Vigl
Perfekte Mischung: In den Dolomiten lassen sich natürliche Trails und Bikepark-Abfahren bestens kombinieren.


Die Etappen


Tag 1: von Wolkenstein aus mit der Ciampioni-Gondel hoch und dann rein in die Abfahrt nach Plan de Gralba. Nach kurzer Fahrt geht es wieder per Seilbahn noch oben, wo ein top Bikepark mit flowigen Strecken lockt. Die Dantercepies-Seilbahn liftet einen mitten rein in die irre Kulisse des Grödner Jochs, über das die Strecke hin zum Sessellift des Heiligkreuzkofels führt, auf dem sich eine Übernachtungshütte befindet.


Tag 2: Der Trail runter nach Sankt Kassian rüttelt angenehm die Morgenmüdigkeit aus dem Körper. Kurzes Verschnaufen in der Gondel zum Piz Sorega, dann wird erst mal ordentlich durch den Bikepark geheizt. Ein Shuttle hilft beim Erklimmen des Falzarego-Passes. Der Trail runter ins Tal führt zum Sessellift Cinque Torri, der einen in die bizarre Kulisse der Cinque Torri bringt, einer heute nur noch viertürmigen Felsformation. Von der Terrasse des Rifugio Scoiattolis, der Herberge der heutigen Etappe, hat man einen exzellenten Blick darauf.


Tag 3: Nach kurzem, aber kraftsaugendem Anstieg zum Rifugio Averau, geht es auf Trails nach Caprile. Dort steigt man ins Shuttle-Taxi nach Arabba ein, so bleibt noch genügend Kraft für die berühmten Trails dort. Übernachtung: im Hotel Pordoi.


Tag 4: Der Infinity-Trail nach Campitello erfordert gute Reflexe, ist aber angenehm zu fahren. Eine allerletzte Seilbahnfahrt, dann geht es zurück nach Wolkenstein.

4 Tage Dolomiten-Tour im ÜberblickFoto: Infochart
4 Tage Dolomiten-Tour im Überblick


Ausrüstung

Ob Fully oder Hardtail ist nicht so entscheidend. Das Bike muss nur gut passen und möglichst leicht sein. Auf ausgesetzten Trails empfehlen sich eher Flatpedals. Ratsam ist es auch, Knie- und Ellbogen-Protektoren mitzunehmen. Für die Eltern bedeutet eine Tour mit Kindern immer auch mehr Gepäck, denn Windjacke, Wechseltrikot, Verpflegung und so weiter tragen natürlich Papa und Mama und nicht der Nachwuchs.


Schlafen

Wo man übernachtet, das richtet sich ganz nach den persönlichen Vorlieben. Gipfelhütten versprühen einen Hauch Abenteuer, was dem Nachwuchs gut gefällt. Der Vorteil ist zudem, dass die nächste Etappe meist erst mal mit einer Trail-Abfahrt beginnt, was Kinder mehr motiviert, als am Morgen erst mal eine Schotterpiste hochzutreten. Ein kleiner Nachteil ist, dass es in Gipfelnähe in der Früh ganz schön frisch sein kann.

Einen Überblick über Hotels, Pensionen und Hütten gibt es auf dem Portal der Region Südtirol: www.suedtirol.info/de

Spaß im BikeparkFoto: Andreas Vigl
Spaß im Bikepark


SO KLAPPT'S MIT DEN KIDS


Fahrtechnikexpertin Karen Eller ist zweifache Mutter und kennt die Tücken von Familien-Touren. Hier ihre Tipps.


1. Auf Tour läuft nichts nach Plan. Oder besser: Pläne müssen ständig geändert werden, um auf spezielle Situationen einzugehen. Bei Touren mit Kindern ist Gelassenheit und Flexibilität unerlässlich. Man muss spüren, wann es Zeit für eine Pause oder für ein Gummibärchen ist.


2. Bei der Touren-Planung ist wesentlich mehr zu beachten, als wenn man mit seinen Kumpels fahren will. Zum einen kann man das gewohnte Pensum nicht auf Kinder übertragen. Zum anderen sollte man schauen, wo man zähe Höhenmeter mit Lift oder Shuttle überbrücken kann.


3. Zu den größten Fehlern gehört, nicht rechtzeitig für Flüssigkeits- oder Kohlenhydratnachschub zu sorgen. Kinder verbrennen extrem viel Energie. Da muss man ständig nachschieben. Kilometer und Höhenmeter bedeuten Kindern übrigens nichts. Pausen sind ihnen viel wichtiger.


4. Ohne Motivation geht es nicht. Irgendwann vergeht Kindern immer mal die Lust. Die Aussicht auf eine schöne Hütte, einen Abenteuer-Spielplatz, eine Trail-Abfahrt, oder was auch immer, facht die Lust aufs Weiterfahren schnell wieder an. Zur Not: hin und wieder ein Gummibärchen.


5. Die Kinder nicht überfordern. Lieber erst mal weniger Strecke und Höhenmeter fahren und Uphills mit dem Lift absolvieren. Nur, wenn Kinder das Bike-Erlebnis in guter Erinnerung behalten, werden sie künftig Touren fahren wollen. Am Anfang reichen 400 bis maximal 600 Höhenmeter am Tag völlig aus. Mehr ist Quälerei.

Fahrtechnikexpertin Karen Eller ist zweifache Mutter und kennt die Tücken von Familien-Touren. Hier ihre Tipps.Foto: Maria Knoll
Fahrtechnikexpertin Karen Eller ist zweifache Mutter und kennt die Tücken von Familien-Touren. Hier ihre Tipps.


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