ElternzeitVater und Sohn auf winterlicher Bike-Tour

Gunnar Fehlau Pressedienst Fahrrad

 · 31.03.2017

Elternzeit: Vater und Sohn auf winterlicher Bike-TourFoto: Kay Tkatzik
Elternzeit: Vater und Sohn auf winterlicher Bike-Tour

Wie bringt man Elternrolle und Bike-Leidenschaft unter einen Hut? Gunnar Fehlau startete mit seinem 15-jährigen Sohn zu einer winterlichen Tour – und kehrte mit einer Erkenntniss Gewissheit zurück.


Wir haben noch nicht einmal das Ortsschild passiert, da hämmert mein Puls bereits bis in die Zehen. Den Reißverschluss der dicken Winterjacke habe ich vor wenigen Metern heruntergezogen, ach was, aufgerissen. Sonst würde ich kollabieren.

Wird wohl nichts mit einem gemütlichen Winter-Biwak mit dem Sohnemann. Kurz nach dem Start liegt die Erwartung bereits 0:1 gegen die Realität hinten. Oskar fährt vorneweg. Wahnsinn, mit welcher Leichtigkeit der 15-Jährige sein Fatbike den verschneiten Hügel hinaufpedaliert! Kopfschüttelnd schaue ich hinterher. Gerade erst haben wir die Schillerwiesen, einen beliebten Park für Familienausflüge, verlassen. Wie oft waren wir schon in diesem Park? Hier sind Oskar und sein Bruder Moritz die ersten "Downhills" mit den Laufrädern gefahren. Hier haben sie den Bach in bester Bibermanier gestaut und unzählige Kindergeburtstage gefeiert. Die Schillerwiesen liegen etwa 50 Höhenmeter über unserem Haus. Zehn Jahre ist es her, als wir zum ersten Mal mit den Kinder-MTBs hier "hochgefahren" sind. Die Jungs hielten mehrfach an, um sich "vom Anstieg" zu erholen. Am Ziel angekommen, spendierte ich Brause am Kiosk. Ein großer Fehler für die Familienkasse, aus heutiger Sicht betrachtet. Seit damals ist der Getränkestopp zum ritualisierten Bestandteil jeder Bike-Tour geworden. Ich habe in den Jahren sicherlich den Gegenwert eines Titan-Rahmens in den Biergärten der Umgebung versenkt.

Aus väterlicher Rücksicht ist die Hast eines alten Mannes geworden. Gunnar hat große Mühe, bei seinem 15-jährigen Spross dranzubleiben.Foto: Kay Tkatzik
Aus väterlicher Rücksicht ist die Hast eines alten Mannes geworden. Gunnar hat große Mühe, bei seinem 15-jährigen Spross dranzubleiben.

Die Belohnung dafür: Ich hechle meinem Sohn hinterher. 65 Kilogramm fettfreie Muskelmasse im pubertären Testosteroneinschuss jagen bergauf Richtung Bismarckturm. Ich bekomme fast Mitleid mit dem massiven Nicolai-Rahmen. Wird er den Belastungen gewachsen sein? Das sicherlich! Aber wie steht es mit mir? Die Zeiten, in denen ich spielerisch das Tempo herausgenommen habe, um den Jungs nicht den Spaß zu nehmen, sind vorbei. Jetzt geht es ans Eingemachte. Und zwar bei mir.

Unser Plan an diesem Januarwochenende ist ein Winter-Overnighter. Wir wollen über das Heimatrevier der Göttinger Mountainbiker, das Hainholz, Richtung Eichsfeld radeln und dort ein lauschiges Plätzchen für unsere Schlafsäcke finden. Der Wetterbericht verspricht, dass der Schneefall sich zur Nachtmitte verliert. Die Temperatur wird bis auf Minus 13 Grad sinken, was auf einen wolkenlosen Sonnenaufgang am nächsten Morgen hoffen lässt. Wäre da nicht das Laktat in meinen Beinen, wäre die Welt in Ordnung. Durch geschickte Linienwahl versuche ich, jedes meiner spärlichen Watt Tretenergie in Vortrieb zu überführen.

Abenteuer: Winterliche Bike-Tour mit Biwak im Wald: BIKE-Autor Gunnar Fehlau wagte ein besonderes Abenteuer mit Sohn Oskar.
Foto: Kay Tkatzik

Wir biegen nach links ab. Es geht über ein knapp vier Meter langes Viadukt auf die andere Seite eines Grabens. Der Steinpfad in gut drei Metern Höhe ist kaum 40 Zentimeter breit, die Anfahrt macht eine leichte Rechtskurve. Fährt man zu schnell, treiben einen die Fliehkräfte vom Viadukt herunter. Ist man zu langsam, droht das Hinterrad im Kurveninneren in die Tiefe zu sacken. Ganz schön knifflig, das vollbeladene Fatbike in die ideale Schneise zu zirkeln. Ich habe keine Ahnung, ob der Schnee auf dem Viadukt griffig ist, oder nur die Puderzuckertarnung über gefährlichem Eis. Jetzt übernimmt die Angst das Regiment in mir. Mein Puls rast, und das Fatbike schiebt sich Richtung Abgrund. Sicherheitsstopp oder volles Risiko? Mir bleibt vielleicht noch ein halber Meter, um mich zu entscheiden. Gute Gelegenheit, die Rangordnung gegenüber meinem Zögling geradezuziehen! Ich weiß, dass Oskar hier zucken wird, und ich bin schon viele Mal drübergefahren. Aber hey, welches Fass mache ich hier gerade auf? Ich bin ja kompetitiver als Kaderathleten beim Normwettkampf! Und überhaupt, welche Vorbildfunktion habe ich hier eigentlich als Vater? Wettkampf und Nervenkitzel befeuern, oder verantwortungsvolles und genussvolles Feierabenteuern zelebrieren? Ertappt! Behutsam ziehe ich die Heckbremse, setze einen Fuß ab und drehe mich friedfertig zu Oskar um: "Ich prüfe lieber den Schnee. Kannst Du mein Rad halten?" Mit beherztem Tritt checke ich die Traktion auf den Steinen. Top! Wir setzen zurück und fahren behutsam drüber. Oskar vorneweg, ich eiere ängstlich hinterher. Zum Glück hat er keinen Rückspiegel!

Im folgenden Anstieg zum Kehr, Göttingens Spaziergängerparkplatz mit beliebtem Biergarten, muss ich an Moritz denken. Oskars jüngerer Bruder ist zu Hause geblieben. Nicht, weil er keinen Spaß an Abenteuern hat, aber seit einem Septemberwochenende im Jahr 2013 belässt er es lieber bei sommerlichen Touren. Damals hatten wir unser Lager oberhalb des Leinetals aufgeschlagen. Lagerfeuer, Würstchen, Sonnenuntergang. Auch am morgendlichen Feuer mit Kakao war noch alles in Ordnung. Als wir nach Hause aufbrachen und schnell an Höhe verloren, fuhren wir geradewegs in den kalten Morgennebel, der das Tal in einen Gefrierschrank verwandelt hatte. Ich weiß bis heute nicht, wie ich es damals geschafft habe, gleichzeitig vier Kinderhände warmzureiben. Im kollektiven Erinnerungsbewusstsein der Familie hat sich das tief eingebrannt und dem Jüngsten die Overnighter ziemlich verhagelt. Keine Sternstunde väterlicher Hobby-Vermittlung.

Im Sommer ist es oft nur romantische Zierde, im Winter ist ein Feuer aber überlebenswichtig.Foto: Kay Tkatzik
Im Sommer ist es oft nur romantische Zierde, im Winter ist ein Feuer aber überlebenswichtig.

Ich schaue auf und bin blitzartig wieder aus den Erinnerungen zurück: Oskar ist weg. Der Trail schlängelt sich Richtung Kerstlingeröder Feld, einem ehemaligen Truppenübungsgelände, das heute Naturschutzgebiet und Naherholungsgebiet ist. Plötzlich taucht seine apfelgrüne Jacke zwei Windungen weiter oben wieder zwischen den kahlen Bäumen auf. Wieder heißt es, die Lücke zuzufahren. Doch der Frust weicht dem Stolz: Man hat doch Kinder genau dafür, dass man sie erst aufzieht und ihnen anschließend nicht mehr das Wasser reichen kann. "Hashtag Vaterstolz" nenne ich dieses Gefühl von nun an. 45 Minuten später erreichen wir den Supermarkt in Klein Lengden und kaufen nach Herzenslust ein: Würstchen, Steaks, eine Dosensuppe, Cola, Chips, Schokolade und Kakao. Ich gönne mir zwei Dosen Bier. Das letzte väterliche Privileg. Dessen Zeit ist aber sicher auch bald gezählt.

Weiter geht es durch das Gartetal. Nach 200 strammen Höhenmetern erreichen wir schließlich eine Lichtung, die ideal zur Sonne steht. Jetzt kommt der kniffligste Teil beim Winter-Biwak. Aus der Belastung heraus kühlt man im Lager super schnell aus. Wir wechseln die Unterwäsche, trocknen uns in Windeseile ab und ziehen gleich mehrere kuschelig warme Bekleidungslagen über. Beim Feuermachen sind wir eingespielt, wenn auch etwas mehr gefordert als bei Sommer-Biwaks: Das Holz ist von Schnee überzogen und feucht.

Geschickt stachele ich Oskars überbordende Energie an: "Ich glaube, das Holz lässt sich heute nicht gut hacken!" Zack: Wie eine menschgewordene Spaltmaschine treibt sich der Teenie durchs gefrorene Holz. Eine Viertelstunde später kann ich aus einem Repertoire unterschiedlich dicker Scheite auswählen und rasch das Feuer entfachen. Schnell schlagen die Flammen höher. Wir falten eine Isomatte zurecht und setzen uns hin. Oskar lehnt sich an mich. Ich nehme ihn in den Arm. Er vergräbt sich regelrecht in mir. Da ist er wieder, der kleine Sohn von den Schillerwiesen. Ein paar Tränen der Rührung sammeln sich in meinen Augenwinkeln. Im emotionalen Überschwang biete ich Oskar einen Schluck Bier an: "Lass gut sein, Vattahhh."


INFOS WINTER-BIWAK


Das Revier
Göttingen bettet sich malerisch ins Leinetal. Westwärts bietet das Weserbergland herrliche Trails. Im Nordwesten ist der Solling nicht weit. Um Südosten herum lockt das Eichsfeld mit giftigen Steigungen und der bekannten Stracke-Wurst. Nordostwärts kann man geradewegs gen Harz biken. Bis auf den Brockengipfel sind es 85 Kilometer. Göttingen liegt direkt an der A7 und hat einen ICE-Halt.


Micro-Abenteuer
Ein Micro-Adventure im Monat – nach diesem Motto startet Gunnar Fehlau regelmäßig zu kurzen Overnightern, also Touren mit Outdoor-Übernachtung. Der Untersatz variiert entsprechend der Jahreszeiten und der Mitfahrer. Meist ist es ein robustes Plus-Bike. Ein abendliches Lagerfeuer bildet bei den Touren stets das Highlight. Doch Achtung: Dafür immer eine offizielle Feuerstelle aufsuchen. Bei Waldbrandgefahr ist Feuermachen absolut tabu!


Die Tour
Gunnar Fehlau und Sohn Oskar hatten ein paar Ideen, wo sie die Nacht verbringen könnten, haben dann aber spontan entschieden, wo sie die Schlafsäcke ausrollen. Bei anderer Witterung, oder zu wärmerer Jahreszeit, würden sie die Tour etwas anders fahren. Von Göttingen aus ging es nach Klein Lengden, dann wurde das Gartetal gekreuzt. Die Tour führte weiter über den Kapellenberg und schließlich auf den Knüll-Kamm. Das klingt alpin, ist in Sachen Höhenmeter aber überschaubar. Im Umfeld des Knüll-Kamms fand sich ein Biwak-Spot mit garantiert freier Sicht auf den Sonnenaufgang. Am nächsten Morgen ging es in südlicher Richtung bergab und dann westlich vom Allerberg über den Kamm nach Diemarden und schließlich durch das Gartetal wieder zurück nach Göttingen. Gesamtlänge: 35 km und 800 hm.


Ausrüstung
Winter-Biwaks sind materialintensiv. Warme Bike-Kleidung, Thermo-Schuhe, vielleicht sogar ein Fatbike – alles muss Schnee und Kälte trotzen. Die Ausrüstung wird in speziellen Bikepacking-Taschen verstaut, beispielsweise von Ortlieb oder Revelate. Ein leichter, warmer Daunenschlafsack reicht in den meisten Fällen auch bei knackiger Kälte aus, wenn man ihn mit einem Biwak-Sack (US-Army) kombiniert. Dazu kommen Isomatte (zum Beispiel von Therm-A-Rest), Tarp, Grillausrüstung, Gaskocher und Klamotten je nach Bedarf: Jacken, Hosen, Sturmhaube, Unterwäsche, Handschuhe.


Bikepacking mit Kindern
Keine Sorge: Kids lieben Radfahren und Entdecken ebenso wie Lagerfeuer und Würstchengrillen. All das passt in ein Micro-Abenteuer mit Prädikat "pädagogisch wertvoll". Denken Sie sich bei der Vorbereitung und der Durchführung in die Kinder hinein. Kleine Distanzen und spannende Pausen sorgen für stabile Motivation. Ganz wichtig: den Nachwuchs zu nichts drängen!


Internet
Mehr Tipps von Gunnar Fehlau zur Bikepacking-Ausrüstung: www.bike-magazin.de / Webcode #28501

Winter-Biken verbrennt besonders viele Kalorien. Entsprechend üppig kaufen Papa Gunnar und Sohn Oskar im Supermarkt für den Abend ein.Foto: Kay Tkatzik
Winter-Biken verbrennt besonders viele Kalorien. Entsprechend üppig kaufen Papa Gunnar und Sohn Oskar im Supermarkt für den Abend ein.


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