Gitta Beimfohr
· 23.02.2017
Das Zeitfenster für Hochgebirgs-Touren ist kurz. Wir haben drei Touren-Profis gefragt, welche Tour sie in den Alpen als erstes angehen, sobald der letzte Schnee von den Pässen geschmolzen ist.
Die GPS-Daten der drei Hochtouren im Ötztal, im Karwendel und in den Dolomiten können Sie im Download-Bereich unterhalb dieses Artikels kostenlos herunterladen.
1. Vom Talschluss des Ötztals über den Gletscher bis zur Similaun-Hütte und am nächsten Morgen übers Schnalstal wieder zurück. Eine hochalpine Tour mit gleich zwei absoluten Traum-Trails. (Foto oben)
Ich bin so gern im Ötztal, weil man einfach hinkommt und sich direkt mitten im richtigen Hochgebirge befindet – mit durchaus fahrbaren Trails. Und obwohl diese Runde keineswegs unbekannt ist, bin ich noch nie einem anderen Biker begegnet.
Start ist im Talschluss im Bergsteigerdorf Vent, das schon auf 1890 Metern liegt. Bis zur Martin-Busch-Hütte auf 2500 Metern Höhe kurbelt man einen einsamen Karrenweg hoch und kann die Höhenmeter an der Atmung festmachen, die langsam schwerer fällt. Dafür wächst aber das 3000er-Panorama ringsum. Das Übernachtungsziel, die Similaun-Hütte an der Grenze zu Südtirol, thront auf 3019 Metern Höhe. Dorthin folgt man einer Fahr-Schiebe-Tragepassage samt Gletscherschneefelder, die man am Schluss noch überqueren muss. Aber das ist schaffbar – vor allem, wenn man weiß, unweit wartet eine richtig geile Hütte mit bester Verpflegung, Sonnenterrasse und Wintergarten mit Blick auf den Ortler.
Ich war jetzt fünf Mal dort oben und meistens der einzige Biker zwischen all den Bergsteigern, die in aller Herrgottsfrüh zu ihren Touren aufbrechen. Wenn die Wanderer dann gegen 10 Uhr zurückkommen, starte ich auf einen der besten Abfahrts-Trails der Alpen. Die ersten 300 Höhenmeter sind noch technisch, aber dann geht’s flüssig und schnell dahin. Das ist das, was ich meine: Es ist sensationell, so weit oben im Hochgebirge biken zu können, ohne Vollprofi sein zu müssen. Man quält sich nicht durch zig Schlüsselstellen, sondern schießt unten raus einfach nur noch durch. Dazu strahlt der türkisblaue Vernagt-Stausee herauf, den man die ganzen 1300 Tiefenmeterfahrt niemals aus den Augen verliert. Von dort kurbelt man dann eine gute Stunde nach Kurzras, dem letzten Dorf im Schnalstal oberhalb von Meran. Das nächste Ziel ist das Rifugio Bellavista. Entweder kämpft man sich 800 Höhenmeter die sacksteile Straße hinauf – oder man fragt an der Gondel nett, ob man auch mit Bike hoch dürfte. Von der Hütte überblickt man wirklich das ganze Tal und große Teile der Abfahrt. Letztere wartet mit einigen Gegenanstiegen und bis zum Hochjochhospiz auch mit einigen tricky Abschnitten auf. Doch dann die Achterbahn: ein steinfreier Pfad, perfekt ausgetreten von den vielen Wanderern – die aber um die Zeit nicht mehr unterwegs sind. Ein finaler Traum-Trail auf dieser absoluten Traum-Tour.
Fabian Gleitsmann war als 13-Jähriger erstmals auf der Similaun-Hütte – allerdings zu Fuß. 20 Jahre später ist das Ötztal sein favorisierter Bike-Abenteuer-Spielplatz.
2. Selbst im Karwendel kann man abseits der ausgetretenen Wege noch Abenteuerland entdecken. Man muss nur etwas mehr Mühe in Kauf nehmen. Zum Beispiel die Tragerei im Wilde-Bande-Steig.
Die Entdeckung des unbekannten Bekannten – das sind für mich die besten Touren. Viele machen sich die Routenwahl zu kompliziert. Sie suchen nach dem Highlight mit großem Namen – Bilderbuchkram eben. Auf solchen Strecken stapeln sie sich dann, während in der Nachbarschaft, ganz unspektakulär, sensationelle Erlebnisse warten. Einer meiner absoluten Favoritenrunden ist diese Tour im Karwendel. Landschaftlich wunderschön bis magisch. Allerdings enthält sie auch eine längere Schiebepassage – und genau die macht die Strecke für mich erst zu diesem speziellen Gesamterlebnis.
Start ist in Scharnitz. Von hier geht es zur Pfeishütte am Ende des Samertals hinauf. Die Strecke ist keineswegs unbekannt, obwohl die meisten Biker auch hier auf ganz anderen Wegen unterwegs sind. Die süße Pfeishütte auf knapp 2000 Metern Höhe wird von einem netten Pärchen bewirtschaftet und wäre meine Übernachtungsempfehlung. Die beiden kochen hervorragendes Essen, und generell spürt man einfach, dass sie sich unglaublich bemühen und ihnen Hütte, Natur und Gäste am Herzen liegen. Bis hierhin ist alles idyllisch, und auch am nächsten Tag ist die Auffahrt zum Stempeljoch top. Aber ab dort muss man den Wilde-Bande-Steig zum Lafatscherjoch schieben, wobei es sich hier nicht um eine konditionelle Horrorschlepperei handelt. Der Weg verläuft mehr oder weniger eben dahin und ist nicht extrem ausgesetzt. Nur zum Fahren ist er halt zu verblockt.
Vom Lafatscherjoch geht es dann auf einem anfangs einfachen, dann etwas verzwickten Trail hinunter zur Hallerangeralm – und das ist für mich einer der schönsten Plätze im Karwendel oder in den Alpen generell. Dort steht etwas vorgelagert eine kleine Kapelle. Es gibt nur wenige Orte, die für mich magisch sind, wo alles stimmt – und einer davon liegt genau hier. Im Hallerangerhaus könnte man auch nächtigen. Dann rollt man über die Kastenalm eigentlich nur noch entspannt nach Scharnitz aus. Ich kann diese Zwei-Tages-Tour jedem leicht ambitionierten Biker ans Herz legen, trotz der Schiebepassage. Dadurch entdeckt man häufig, gerade im bekannten Revier, ganz neue Seiten und erweitert seine Standardstrecken zu einem besonderen Abenteuererlebnis. Hier ist die Ernte eine wunderschöne, riesige Runde durchs Karwendel.
Lutz Scheffer lebt in Garmisch-Partenkirchen und entwickelt als Industrie-Designer seit Beginn der Marke Bikes für Canyon. Das tut er im Büro wie am Berg.
3. Dolomiten-Wochenende Forcella Ambrizzola, Nuvolau-Hütte, Cinque Torri, Porta Vescovo und Passo di Crepe Rosse – mehr sport- und landschaftliche Highlights sind in zwei Tagen nicht möglich.
"Wenn du es schaffst, dass ich eines Tages aus eigener Kraft da oben stehe", sagte der sichtlich von Krankheit gezeichnete adelige Deutsche zu seinem Bergführer in Cortina d’Ampezzo, "dann bauen wir genau dort hinauf eine Berghütte. Und ich zahle die Hälfte von dem, was sie kostet". Sein Blick war sehnsüchtig Richtung Cinque Torri und dem markanten Gipfel links daneben gerichtet. Und: Eines Tages stand er oben, hatte die Tuberkulose besiegt und löste sein Versprechen ein. Und so thront noch heute mit fassungslos machender 360-Grad-Aussicht das Rifugio Nuvolau zwischen Civetta und Tofana. Sie ist die älteste Berghütte der Dolomiten. Einfach und gemütlich. Wasser zum Duschen gibt es leider nicht, dafür aber gutes, einfaches Essen, und das schmeckt nirgendwo besser als auf dieser Aussichtsterrasse.
Die Übernachtung auf der magischen Nuvolau-Hütte krönt eine sehr ausgewachsene Zwei-Tages-Singletrail-Tour. Sie startet im touristisch immer noch ein wenig herumdümpelnden Alleghe (und genau das mag ich hier). Per Gondel geht es zum Col de Baldi hinauf, und dann geben sich auf dieser Runde die Dolomiten-Highlights die Hand: die Forcella Ambrizzola, der berühmte Transalp-Pass einmal andersrum, inklusive einer in drei Portionen aufgeteilten Schiebe-Tragepassage. Frisch gemachte Casunzei in der Hütte am wunderschönen Bergsee Croda da Lago, Blicke auf Mondänes rund um Cortina, die berüchtigten Steilrampen zwischen den Cinque Torri (die nur noch zu viert sind) und dem Rifugio Averau. Wer hier Körner sparen möchte, kann gute 400 Höhenmeter mit dem Cinque-Torri-Lift einsparen. Weiter geht es über den Murmeltier-Trail in stetem Auf und Ab nach Arabba und noch einmal mit der Gondel 900 Höhenmeter hinauf zur Porta Vescovo. Hier startet der viel bessere Bindelweg von der Porta Vescovo hinüber zum Rifugio Padon. Am Passo di Crepe Rosse wähnt man sich in totaler Einsamkeit, muss aber mit hinterfotzigen Fallensteller-Murmeltieren rechnen. Den Abschluss bilden ein super flowiger Sinkflug und ein handwerklich gebrautes Zielbier in Alleghe. Und all das im "schönsten Gebirge der Welt" (sagt Reinhold Messner, und der hat nicht immer Recht, hier aber hat er Recht). Bergab geht es fast immer auf schmalen Wegen und Trails, die Spaß machen und selten zu technisch sind. Bergauf hilft die eine oder andere Seilbahn.
Mathias Marschner ist als Chef der Bike-Schule TrailXperience viel mit Gruppen auf Dolomiten-Tour. Was ihn aber nicht davon abhält, dort auch alleine zu biken – im Gegenteil.