Dieser Trail ist Panoramaexplosion und Charakterfrage zugleich! Selten sticht beim Kartenstudium eine Linie zwischen dem Wirrwarr aus Strichen, Farben und Symbolen so hervor, wie dieser Weg oberhalb des Lago d’Idro. Eine Kammlinie, nahezu immer auf dem Grat zwischen Idrosee und Valle del Caffaro, alleinstehend und offensichtlich endlos lang, verspricht Weitblicke über den See in der einen und über das Valle del Chiese hinweg ins Hochgebirge auf der anderen Seite.
Googelt man diesen Weg, so findet man unter den Kommentaren alles zwischen „der wohl beste Trail der Welt“ und „weitgehend unfahrbar und extrem ausgesetzt“. Nachdem ich den Trail nun mehrfach gefahren bin, lautet meine Einschätzung als Guide: Der Trail teilt sich in drei völlig unterschiedliche Abschnitte. Zu Beginn zieht er extrem schmal und ausgesetzt dahin – Fahrfehler hätten hier absolut finale Auswirkungen. Charakter beweist also derjenige, der hier oben demütig das Bike über die gefährlichsten Passagen schiebt, auch wenn er sie rein vom Fahrtechnischen her vielleicht fahren könnte. Der zweite Abschnitt: ein Feuerwerk an technisch variantenreicher Unterhaltsamkeit. Und zum großen Finale folgt das Flowigste, was man sich nur vorstellen kann. Einige hundert Höhenmeter über dem glitzernden See gleitet man nahezu rüttelfrei dahin.
Aber zuerst einmal muss man hinauf. Vom Ort Anfo aus warten gute 1000 Höhenmeter auf historischem, mittlerweile asphaltiertem, Militärweg – konstant zehn Prozent ansteigend, herrlich zu fahren und im oberen Bereich mit fulminanten Ausblicken gesegnet. Eine Pause lohnt sich im Rifugio Rosa di Baremone. Oder man plant seine Auffahrt am Nachmittag und bleibt über Nacht, um den Abend kulinarisch verwöhnt am Berg zu verbringen und den Trail im Morgenlicht in Angriff zu nehmen. Von hier aus geht es noch ein Stück über Schotter weiter. Ein Abstecher zur massiven Wehranlage Forte di Cima Ora, auf einem Vorgipfel des Breda, lohnt sich in jedem Fall – geschichtlich wie auch optisch. Am Ende des Schotterwegs schieben wir das Bike ein paar Minuten hinauf zum Gipfel des Monte Breda (1504 m), der mit einem kleinen Kreuz markiert ist. Der Trail-Abschnitt 1, der hier beginnt, ist wahrlich nur für absolut Versierte und Schwindelfreie ein Genuss – aber wie gesagt: Wenn man die extrem ausgesetzten Passagen schiebt, tut dies dem beeindruckenden Erlebnis keinerlei Abbruch. Je weiter wir kommen, umso fahrbarer und abwechslungsreicher gibt sich dieser Supertrail. Steilstufen, schnelle Richtungswechsel, Sinkflüge in den lichten Bergwald, Felspassagen und Sprünge. Auf Schnelles folgt Verblocktes, und umgekehrt. Der Variantenreichtum entlockt uns wahre Freudenschreie, und das macht wiederum unsere Guidin Erika stolz.
Bevor wir allzu schnell den See erreichen, biegt sie noch einmal scharf rechts ab und tritt in die Pedale. Es folgt ein wahrer Rausch, wellig und zumeist nur leicht abfallend, immer am Hang entlang, parallel zum Seeufer. Ich kann nur versuchen, an Erika dranzubleiben, aber es gelingt mir nicht. Kurz bevor wir die Straße erreichen, wartet die ehemalige Cross-Country-Racerin an einem restaurierten Rustico und reicht uns frische Feigen. Offensichtlich hatte sie sogar noch Zeit für eine schnelle Ernte.
Startpunkt: Anfo, Parkplatz unweit der Lago-d’Idro-Glamping-Boutique.
Einkehr/Übernachtung: Rif. Rosa di Baremone, www.rosadibaremone.it
Der zertifizierte DIMB-Guide Mathias Marschner sitzt schon seit Kindesbeinen an im Sattel und ist stets auf der Suche nach neuen Revieren. Der Lago d’Idro, westlich des Gardasees, hat ihn ganz besonders fasziniert. Was ihn ärgert: Wenn man den Idrosee als “kleinen Bruder des Gardasees” bezeichnet. Trotz ihrer nachbarschaftlichen Lage hätten die beiden Seen praktisch nichts miteinander zu tun. “Die Trails am Idrosee führen durch einsame, halbhohe Berge und haben ihren ganz eigenen, wilden Charakter. Perfekt für echte Abenteuer!”