Holger Feist
· 27.10.2016
Der Berg ist ein Mythos im Motorsport. Seit 1916 jagen Rallye-Profis die Kurvenstraße zum Pikes Peak hinauf. Doch es gibt auch einen MTB-Trail, der sich vom 4301-Meter-Gipfel ins Tal hinunterwickelt.
Der Pikes Peak in Colorado erlangte in den 80er-Jahren Berühmtheit durch den Rallye-Sport. Unvergessen Walter Röhrls Rekordfahrt im Audi Quattro, der die Sandpiste 1987 unter elf Minuten hochdriftete. Heute ist diese Strecke asphaltiert, doch das Video muss man gesehen haben:
Besser kann man ein Fahrwerk nicht abstimmen. Die Reifen zeigen satt in den Kurveneingang, driften unter Vollgas durch den engen Scheitel, um dann zielgerichtet in die nächste Gerade hineinzupreschen. Dabei schießt jedes Mal eine gewaltige Staubfontäne in die Luft – die wie ein Vorhang aus Sand und kleinen Kieseln auf die anfeuernden Zuschauer niederrieselt. Dann frenetischer Jubel am Zielbogen auf 4301 Metern Höhe: unter elf Minuten! Rallye-Weltmeister Walter Röhrl hat das prestigträchtige Pikes-Peak-Rennen im Audi Quattro gewonnen. Walter ist ein Held und sein Auto nun der unbezahlbare Traum eines jeden Rallye-Fans. Aber ich habe ja sowieso noch keinen Führerschein. Denn als ich das Rennen als Jugendlicher vor unserem neuen Farbfernseher verfolgte, schrieben wir das Jahr 1987.
Niemals hätte ich damit gerechnet, dass ich einmal selbst auf diesem legendären Pikes Peak in den Rocky Mountains stehen würde. Flynn und Kal, zwei sehr talentierte US-Enduro-Biker, haben mich heute Morgen um 6 Uhr im Hotel abgeholt und im Auto die 19,99 Kilometer lange Rennstrecke hinaufgeshuttelt – die Route ist heute komplett asphaltiert.
Die Luft auf 4301 Metern Höhe ist frisch, aber weniger kalt, als man als Alpen-Biker um diese Jahreszeit vermuten würde. Colorados Berge baden gerade in Herbstfarben: rote Felsen, grüne, rote und gelbe Laubbäume und darüber ein stahlblauer Himmel. Unten strecken sich die Straßen von Colorado Springs in eine schier endlose, flache Weite. Reizhusten schüttelt mich, als wir zum Trail-Eingang rollen. Ich führe das auf die Höhe zurück. Schließlich hatte Walter Röhrls Turbolader auch Probleme damit.
Der Barr-Trail wurde bereits 1918 von Fred Barr in die Flanken des Berges geschürft. Er kurvt insgesamt 21 Kilometer und über 2400 Tiefenmeter durch den Pikes-Peak-Nationalpark bis nach Manitou Springs hinunter. "Nur die ersten 100 Höhenmeter sind etwas verblockt. Der Rest ist feinster Flow", verspricht Flynn und dropt gleich mal zwischen zwei Felsen in den Abgrund. Ich ziehe nach und bin heilfroh, dass die Felsen, auf denen ich lande, außergewöhnlich guten Grip haben. Die Reifen kleben förmlich auf dem Gestein. Das gibt Mut für die nächsten Moves durch ziemlich verblocktes Gelände. Doch dann folgen einige Passagen, in denen wir die Bikes doch schultern müssen. Mein Körper ist jetzt hellwach. Hochkonzentriert widme ich mich den nächsten ruppigen, aber wieder fahrbaren Passagen. Kehre um Kehre schrauben wir uns bergab. Tatsächlich wird der Trail bald flüssiger, und wir verlieren schnell an Höhe. Trotzdem lässt mein Reizhusten nicht locker. Nach zwei Stunden Abfahrt – gerade als wir vom felsigen auf staubig-sandigen Untergrund wechseln, röchelt auch noch der Trinkschlauch meines Rucksacks: Die Wasserblase ist leer. Der Trail schlägt derweil weiter Kurven durch den roten Fels und nähert sich nur langsam der herbstbunten Waldgrenze. Dort geben sich die Trail-Kurven nun immer sanfter. Allein dieser Abschnitt wäre schon einen eigenen Ausritt wert. So aber ist es 16:30 Uhr, als wir schließlich völlig ausgepowert Manitou Springs erreichen. Ein Siegesgefühl macht sich breit. Nur werden wir leider nicht so gefeiert wie damals Walter Röhrl.
Ort des Trails: Vom Pikes Peak (4301 m) nach Manitou Springs (Colorado, USA)
Länge des Trails: 21 km/2400 hm (bergab)
Charakter: Der Wanderpfad wurde 1918 vom Amerikaner Fred Barr angelegt, nach dem der Trail auch benannt ist (Barr-Trail). Zum Trail-Einstieg lässt man sich am besten shutteln – und zwar auf der legendären Rallye-Route (19,99 km und 156 Kehren).
Tipp: Ausreichend Wasser und Verpflegung mitnehmen. Anders als in den Alpen gibt es in den Rocky Mountains keine Brunnen und Wasserläufe, in denen man die Trinkflaschen auffüllen könnte.
Fahrertyp Enduro: Holger ist Enduro-Fahrer der ersten Stunde und als solcher seit vielen Jahren in den großen Gebirgen dieser Welt unterwegs. Der Reizhusten, der ihn am Gipfel des Pikes Peak überfallen hatte, baute sich auf der Trail-Abfahrt übrigens zu einer handfesten Lungenentzündung aus – wie er später, noch ungeduscht, im Krankenhaus erfahren sollte.
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