Florentin Vesenbeckh
· 13.07.2019
Der Supertrail-Klassiker von Santa Caterina klettert über die 3000-Meter-Marke bis ins Eisfach der Alta-Rezia-Gipfel. Wir haben uns mit E-Mountainbikes auf Flow-Suche begeben.
Die 1370 Höhenmeter von Santa Caterina zum Passo Zebrù sind zäh, steil und mit wachsender Höhe auch kalt und sauerstoffarm. Mit einem zweiten Akku im Rucksack wäre das kein Problem – aber wir haben nur einen. Also rutschen Markus und ich zu den beiden Lupato-Brüdern auf die Rückbank des Shuttle-Busses. Die beiden Italiener gehören zur internationalen Enduro-Elite und begleiten uns auf der Tour ohne Motor am Bike, dafür aber mit Shuttle für die ersten 1000 Höhenmeter. Natürlich können sie sich ein süffisantes Grinsen nicht verkneifen, als wir unsere E-Bikes auch in den Bus wuchten. Sie kennen den Zebrù-Trail bereits und sind überzeugt, dass die Akku-Reichhöhe noch unser geringstes Problem sein wird. Am Rifugio Forni ist das Asphaltband zu Ende, und wir müssen in einen Landrover mit Anhänger umsteigen. Auf einem holprigen Schotterweg geht’s weiter bis zum Rifugio Pizzini auf 2700 Metern Höhe, dann: Endstation.
Scharfkantige Grate, Felsspitzen – dazwischen hängen die Gletscher von Königsspitze, Ortler und Cevedale wie überdimensionale Laken zum Trocknen. Weniger dramatisch sehen die verbleibenden 300 Höhenmeter Anstieg zur Passhöhe aus. Doch die zunächst harmlos wirkende Almwiese hat es in sich: Über die fiesen Löcher und Steine kann Markus nur dank seiner Fahrtechnik und E-Antrieb rappeln. Alle anderen schieben. Dann kurbeln wir alle durch ein leeres Gletscherbett und auf einem Zickzackband die letzte Felswand hinauf. Für Alex und Denny Lupato ist der Pfad schlichtweg zu steil, sie werfen sich ihre Bikes gleich über die Schultern. Wir fahren noch ein kleines Stück und freuen uns dann über die Schiebehilfe.
"Passo Zebrú, 3005 m" verrät ein Schild – geschafft. Es soll Biker geben, die kommen nur wegen dieser gigantischen Aussicht hier hoch. Aber auch die Urwelt berauscht: Diese Wüste aus scharfkantigen Steinen wurde bisher nur vom ewigen Eis geschliffen, die inzwischen verwaisten Gletscherbetten auf der anderen Talseite strahlen noch immer eisige Kälte aus. Und mitten durch diese martialische Landschaft zieht sich wie ein feiner Pinselstrich unser Abfahrts-Trail. Man sieht ihn erst ein paar Haken schlagen, dann Fahrt aufnehmen und weit hinten eine Talflanke schneiden, bis er hinter der nächsten Talstufe verschwindet. "Jetzt bin ich gespannt, wie Ihr das mit dem E-Bike hinkriegt", meint Denny und stößt sich hinter seinem Bruder in den Trail ab.
Tatsächlich habe ich Mühe, meine Reifen im Geröll-Sand-Gemisch in der Spur zu halten. Immer wieder Stufen. Wir überqueren Schneefelder, die Bremsen quietschen. Und plötzlich bricht der Pfad nach unten ab: eine Geländestufe mit Sicherungsseil an der Felswand. Das feuchte Gestein unter den Füßen rollt, das Bike zerrt am linken Arm – ich bin froh, mich mit der rechten Hand am Drahtseil festkrallen zu können. Danach zieht sich der Pfad nun flacher durch die Moränen-Landschaft. Man darf nur nicht zur Seite schauen, denn der Spielraum Richtung Abgrund ist hier eher knapp bemessen. Immer wieder müssen wir Bachläufe queren. Die Schmelzwasser haben sich hier einige Meter tief in den Geröllboden gefräst. Manchmal fungieren ein paar Holzbretter als Brücke, einmal rutschen wir mehr oder weniger auf dem Hintern die kleinen Böschungen hinunter, hüpfen im Bach von Stein zu Stein, um halbwegs trockene Füße zu behalten und kämpfen uns auf der anderen Böschungsseite wieder hoch. "Ihr habt Glück, dass es die letzten Tage nicht geregnet hat", meint Alex, "sonst wären das jetzt reißende Flüsse." Der Trail hält bald auf ein sonniges Tal zu, erste Bäume, dann Wald. Als wir schließlich in eine Schotterstraße münden, begegnen wir den ersten Wanderern. Ob man uns ansieht, dass wir gefühlt gerade direkt vom Mond kommen?