Trans-TessinLegendäre Enduro-Trails über Lago Maggiore, Luganer- und Comersee

Trotz Shuttle- und Seilbahn-Einsatz kann es mit dem Tageslicht auf einer Enduro-Tour schon mal knapp werden.
Foto: Markus Emprechtinger
Sonne, Seen, Singletrails – mehr Gedanken muss man sich als Teilnehmer einer geführten Trans-Tessin nicht machen. Nur als Guide braucht man stramme Nerven. Markus Emprechtinger nimmt uns mal mit auf den Enduro-Trip mit Gästen.

Text: Markus Emprechtinger

Alle wollen auf den Großglockner - als Guide ist das manchmal echt zermürbend. Da kann man sich den Mund fusselig reden, dass die direkt daneben liegenden Gipfel nicht nur einsamer, sondern meist auch viel schöner sind. Trotzdem zieht es alle da hin, wo die anderen schon sind. So ist das auch mit dieser Enduro-Tour: “Joaaa, Tessin habe ich schon mal gehört, aber habt ihr auch ne Tour am Gardasee?” Deshalb bin ich auf der Tessin-Tour meist zu 80 Prozent mit Stammgästen unterwegs. Die haben sich irgendwann mal zu einer Trans-Provence umstimmen lassen und hangeln sich seither durch das komplette Enduro-Programm.

Wobei das auch für mich ein Vorteil ist, weil ich die Fahrtechnik-Skills bekannter Teilnehmer schon kenne und die Gruppe insgesamt besser einschätzen kann. Außerdem weiß ich bereits, wer morgens zu spät kommt, wer wann Hunger kriegt und wer beim Regen lieber im Shuttlebus sitzen bleibt. Entspanntes Guiden könnte man meinen, doch ganz so einfach ist es nicht. Tatsächlich gehört die Trans-Tessin zu den größeren Herausforderungen für einen Guide, denn es lauert so manche Orga-Schlüsselstelle: Die Tage im Sattel sind auf der Tour lang und die Shuttle-Straßen zum Teil sehr eng. Es gibt Schiebepassagen und exponierte Trails, die jedes Jahr ein bisschen anders aussehen und das wiederum führt zu späten Mittagspausen. Das alles kann geschmeidig ablaufen - muss aber nicht. Hakt es an nur einer Stelle, muss man als Guide ganz schön jonglieren. So wie bei einer unserer letzten Tessin-Touren zwischen Lago Maggiore und Comersee.

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Tag 1 - Können die Trails überhaupt alle fahren?

Gott sei Dank gibt’s diesmal keine Stau-Action am Brenner, wir nehmen die A13 von Innsbruck Richtung Westen. Zielort: Lumino, ein kleiner Ort kurz vor Locarno am Lago Maggiore. Knapp fünf Stunden, sagt das Navi. Das passt gut, denn für heute sind schon erste 1000 Tiefenmeter Singletrail-Abfahrt geplant und dafür müssen wir die letzte Bergfahrt der kleinen Gondel in Lumino erwischen. Wobei ich, wie jedes Jahr, innerlich bete, dass die überhaupt noch fährt. “Wo soll hier ne Gondel sein?”, höre ich auf der Zielgeraden prompt einen Teilnehmer mit Fensterplatz raunen. Mir rutscht kurz das Herz in die Hose. Die Talstation der Bahn sieht heute tatsächlich etwas mehr nach verlassener Garage aus als sonst. Aber am Gartentor steckt ein Schild mit einer Telefonnummer - puh, und es geht sogar jemand dran.

Anruf genügt: Wer in Lumino die Seilbahn nutzen möchte, muss sie erst finden und sich bemerkbar machen. Aber dann spart sie doch 1000 Höhenmeter und führt zu einem sensationellen Trail.Foto: Markus EmprechtingerAnruf genügt: Wer in Lumino die Seilbahn nutzen möchte, muss sie erst finden und sich bemerkbar machen. Aber dann spart sie doch 1000 Höhenmeter und führt zu einem sensationellen Trail.

Keine fünf Minuten später beeilt sich ein Mann über den Parkplatz, der die Seilbahn für uns anschmeißt. Pro Gondel haben nur drei Biker Platz. Und da es nur eine Gondel gibt, brauchen wir drei Fahrten. Die Teilnehmer natürlich zuerst: Fünf der sieben kenne ich bereits von anderen Touren, Simon und Helene sind neu dabei. Am Telefon vor der Buchung klangen sie nach versierten Enduristen, doch als sie mir in Innsbruck ihre Bikes auf den Shuttle-Anhänger reichten, war ich mir nicht mehr so sicher. Solide Bikes zwar, aber untere Federwegsklasse und dünnwandige Reifenkarkassen - das könnte im schlimmsten Fall bedeuten, dass ich die Route Vorort noch umverlegen muss. Aber die erste Abfahrt wird gleich zeigen, wie schwer oder leicht sich die beiden den Rest der Woche tun werden.

Ich kann aufatmen: Simon sitzt total souverän auf dem Bike. Helene ist dagegen nicht die Schnellste, steuert aber sehr solide durchs Gelände. Da muss ich mir um die Schnelleren oft mehr Sorgen machen. Jetzt ist jedenfalls klar: Auf den geplanten Trails können und werden alle Teilnehmer Spaß haben. Darauf gibt’s unten am Shuttlebus erstmal ein kühles Getränk, bevor es mit viel Vorfreude auf die Woche weiter ins Hotel nach Locarno geht.

Für zwei Nächte werden wir hier einchecken. Das ist ungewöhnlich für eine Etappentour, aber Gäste für nur eine Nacht sind auch in Schweizer Hotels nicht besonders beliebt. Ich weiß nicht, wie viele Stunden Büroarbeit das jedes Mal sind, um die Übernachtungen einer Etappentour klar zu machen. In diesem Fall ließ sich der Hotelier immerhin von einer Woche auf zwei Nächte runterhandeln.

Beim Abendessen erzähle ich von den Trails, die wir in den nächsten Tagen fahren werden und kündige zur Sicherheit schon mal die ein oder andere Schiebepassage an. Erfahrungsgemäß werden 75 Prozent der Gruppe diese Infos morgen schon wieder vergessen haben, aber mein Gewissen ist erleichtert. Es soll niemand sagen können, er hätte von einem anstrengenden Anstieg nichts gewusst.

Tag 2 - die Sorge um den Shuttle-Fahrer

Der Tag beginnt mit einer Shuttle-Fahrt auf schmaler Bergstraße. An manchen Stellen muss man etwas Glück haben, dass niemand entgegenkommt. Sonst wird es mühsam. Allzu weit mit dem Anhänger rückwärts fahren ist einfach nicht drin, vor allem wenn am Straßenrand nur steiles Gelände lauert. Oben angekommen steigen wir aus und der Shuttle-Fahrer macht das Ganze nochmal durch. Jetzt ganz allein. Ich hoffe nur, in den nächsten Stunden keinen Anruf zu kriegen, dass er irgendwo feststeckt. Abenteuerliche Situationen kommen schon mal vor, aber bislang ging alles gut aus.

Alle fertig zum Losfahren? Nein, natürlich nicht. Ein Bike steht schon wieder auf dem Kopf. “Gibt’s ein Problem?” René schüttelt den Kopf: Er wolle nur noch schnell die Bremsbeläge wechseln. Wieder mal der Beweis, dass unsere Stammgäste die Teilnehmerinfos gerne ignorieren. Fünf Minuten schaue ich René zu, dann dauert’s mir zu lang: Zeig mal her... Die Bremse ist überfüllt und ohne die Entlüftungsschraube zu öffnen, lassen sich die Beläge nicht zurückdrücken. Danach müssen die neuen Beläge noch schnell eingebremst werden. René freut sich: „Ich weiß ja, warum ich mein Bike nicht zum Service bringe – hier krieg ich den ja umsonst!“ Ich nehme es mit Humor. Jetzt aber den anderen hinterher. Die sollten schon mal vorausfahren und am ersten großen Fotospot auf uns warten.

Griffige Spitzkehren mit Blick auf den Comersee: Unbezahlbar - wenn das Wetter mitspielt.Foto: Markus EmprechtingerGriffige Spitzkehren mit Blick auf den Comersee: Unbezahlbar - wenn das Wetter mitspielt.

Der restliche Tag verläuft wie am Schnürchen. Auch, weil das Wetter mitspielt: Der Seeblick ist top, die Wurzeln und auch die steinige Spitzkehren geben sich griffig. Gestoppt wird nur zum Tüfteln an Schlüsselstellen und für Fotos. Oben auf der Cimetta wird’s dann wieder spannend: Der Trail endet mit 300 Tiefenmetern Treppenabfahrt. Bei einer Pause zum Arme ausschütteln, überlege ich laut, ob man statt dieses Gerumpels das nächste Mal nicht doch besser die Straße runterrollt. “Bloß nicht!”, ruft Wolfgang dazwischen. „Am Anfang fand ich es auch scheiße. Aber wenn man sieht, wie absurd lang diese Treppen-Abfahrt ist, wird sie eigentlich mit jedem Meter geiler.“ Und damit steht das Gesprächsthema beim After‑Bike‑Bier bereits fest.

300 Tiefenmeter Treppenabfahrt können sich ziehen. Oder aber: “Mit jedem Meter geiler werden”, meint Gast Wolfgang.Foto: Markus Emprechtinger300 Tiefenmeter Treppenabfahrt können sich ziehen. Oder aber: “Mit jedem Meter geiler werden”, meint Gast Wolfgang.

Tag 3 - Stressfaktor Wetter

Zu der Zeit plagen mich bereits neue Probleme: der Wetterbericht. Ab morgen Mittag sind heftige Gewitter vorausgesagt. Also früher starten, klar. Doch so früh, wie nötig wäre, geht leider nicht, weil wir auf die Gondel am Monte Tamaro angewiesen sind und danach noch der Restanstieg zum Gipfel anstehen. Eine Schiebepassage...

“Okay, heute ist nichts mit Trödeln, sonst müssen wir diese Etappe abbrechen”, erkläre ich der Gruppe am nächsten Morgen in der ersten Gondel zum Tamaro hinauf. Die Ansage sitzt. Früher als gedacht erreichen alle den Gipfel. Um uns herum formieren sich die Wolkentürme, doch laut Regenradar sollte das Zeitfenster jetzt auch noch für die Abfahrt reichen. „Sam fährt voraus, ich als Letzter. Wir fahren kontrolliert und machen nichts kaputt, sonst stehen alle im Regen.“ Auch das funktioniert. Vor allem, weil das Gewitter inzwischen die Richtung geändert zu haben scheint und sich laut Radar auf der anderen Seeseite austobt. Also setzen wir unsere Tour fort wie geplant - um dann eine Dreiviertelstunde später doch gegen einen Weltuntergangsregen anzukurbeln. Fünf Minuten von der rettenden Seilbahnstation des Monte Lema entfernt.

Einmal wichtig nass geworden, aber nach dem Regenguss gibt’s klarste Fernsicht vom Monte Lema. Diesmal im Blick: der Luganersee.Foto: Markus EmprechtingerEinmal wichtig nass geworden, aber nach dem Regenguss gibt’s klarste Fernsicht vom Monte Lema. Diesmal im Blick: der Luganersee.

Immerhin hat sich damit das Wetterthema erledigt für diese Woche, der Rest sieht gut aus. Aber für mich wird’s trotzdem nicht langweilig. Das nächste Trail-Highlight wartet am Monte Tremezzo, jenseits der italienischen Grenze. Ob wir Bargeld dabei haben, möchte der Zoll-Beamte wissen. “Ja, so 70 Euro”, antworte ich naiverweise. Der Mann muss sich ein Grinsen verkneifen und winkt uns durch. Glück gehabt. Er hätte uns für diese alberne Antwort auch das gesamte Shuttle-Fahrzeug auspacken lassen können - und das hätte jede Menge Zeit gekostet. Und die haben wir nicht, denn bis zum Trail-Einstieg am Rifugio Venini Galbiga müssen wir heute noch 1000 Höhenmeter selbst hochtreten. Dabei darf aber niemand überpacen, denn auf der anschließenden Abfahrt ist Konzentration gefragt.

Sicherheit oder Erlebniswert?

Der Trail ist zwar flach, aber das Gelände daneben so steil, dass ich im Falle eines Sturzes nicht mal sehen würde, wo der Verunfallte liegt. Aber es ist eine vernünftige Gruppe. Ich entschließe mich, jeden selbst entscheiden zu lassen, wo er/sie fährt oder lieber schiebt – sensibilisiere aber immer wieder auf das Absturzgelände. Als René im Mittelteil eine extrem exponierte Spitzkehre probieren will, greife ich zu einem Guide-Trick: „Lohnt sich nicht, da kommen noch 50 weitere.“ René lässt es sein, die weiteren Kehren sind weniger exponiert und alle kommen heil unten an. Nur Simon blickt noch mal zurück und staunt: „Wenn ich gewusst hätte, wie das Gelände von hier unten aussieht, hätte ich keine einzige Kehre probiert!“ Ja, als Guide wäre einem auch wohler, wenn an bestimmten Stellen alle schieben würden. Aber die Gäste brauchen das Abenteuer, sonst kommen sie nicht wieder.

Finale Abfahrt: Auf dem Carbon-Trail von der Alpe di Neggia zum Lago Maggiore hinunter.Foto: Markus EmprechtingerFinale Abfahrt: Auf dem Carbon-Trail von der Alpe di Neggia zum Lago Maggiore hinunter.

Am letzten Tag fehlen uns noch zwei richtig große Downhills, bevor wir mit der Fähre über den Lago Maggiore zurück zum Ausgangspunkt schippern. Die erste Abfahrt von der Capanna Monte Bar erleben wir im silbrigen Morgenlicht. Dann schließt sich unser Kreis wieder am Monte Tamaro, diesmal nehmen wir seine Rückseite, denn dort wartet einer der berühmtesten der Region: der Carbon-Trail. Er ist gebaut, nicht schwer und eignet sich schon daher perfekt als Abschluss-Abfahrt. Weil da oft nicht mehr alle hochkonzentriert ans Werk gehen. Doch während der Fahrt denke ich mir an zwei Stellen: Hui, in diese Waldböschung darf jetzt aber auch keiner mehr runterfallen…

Pause. Mal schauen, ob noch alle da sind. Wie erwartet, trudelt einer nach dem anderen ein. Auch Helene. Aber wo ist Simon? “Also eben war er noch direkt hinter mir”, wundert sich auch Helene. Wir warten noch eine endlos lange Minute. Ans Handy geht er auch nicht. “Ich schau mal hoch, bestimmt hat er einen Defekt”, sage ich, befürchte aber schon ganz was anderes. Zwei Kehren höher: keine Spur von Simon. Mein Blick schwankt nach rechts: ein 50 Meter tiefer Abgrund in einen Bachgraben. Er wird doch nicht…!? „SIIMOOOON!!“ Die Antwort kommt von oben. Ein Kehre über mir wechselt der Verschollene gerade den Schlauch seines Hinterreifens. Was für eine Woche, was für eine geniale Tour - auch wenn ich gerne mal wieder einfach nur Teilnehmer wäre.

Nach einer Woche schließt sich der Kreis wieder am Ufer des Lago Maggiore. Jetzt darf auch der Guide entspannen.Foto: Markus EmprechtingerNach einer Woche schließt sich der Kreis wieder am Ufer des Lago Maggiore. Jetzt darf auch der Guide entspannen.

Info Trans-Tessin

Die Tour des Veranstalters Flatsucks „Ticino Tre Laghi“ führt durch den Süden des Schweizer Kantons Tessin. In sechs Etappen werden die spannendsten Enduro-Trails von Locarno, Monte Tamaro, Monte Tremezzo und Monte Bar in Angriff genommen. Gipfel, die sich an den Nordufern von Lago Maggiore, Luganer- und Comersee drängeln. Die Abfahrten sind hier nicht nur besonders lang, sondern beeindrucken auch mit besonders spektakulären Aussichten über die großen Seen.

Bergauf helfen Seilbahnen und Shuttle, ein paar Restanstiege müssen aber aus eigener Kraft erkämpft werden. Fahrtechnisch sollte man auf Schwierigkeitsgrade bis S2, vereinzelt auch S3 vorbereitet sein, da einige hochalpine Kehren nicht nur spitz zulaufen, sondern auch mal ausgesetzt sein können.

  • Gesamt: 3500 Höhenmeter/12.400 Tiefenmeter
  • Nächster Termin: 12.-18.10.25
  • Preis: inkl. An- und Rückreise ab/bis Innsbruck, ÜF, 1 x HP, Lift/Shuttle, Gepäcktransport ab 1850 Euro
  • Infos: flatsucks.at

Der Autor: Markus Emprechtinger

“Ein Leben ohne Berge wird sich für mich nicht mehr ausgehen”, sagt der Wahl-Innsbrucker. Daher auch der Firmenname Flatsucks.Foto: Max Draeger“Ein Leben ohne Berge wird sich für mich nicht mehr ausgehen”, sagt der Wahl-Innsbrucker. Daher auch der Firmenname Flatsucks.

Der studierte Meteorologe ist professioneller Bergführer und Bikeguide aus Leidenschaft. Die meiste Zeit seines Sommers verbringt er mit Gästen auf Singletrails, dazwischen geht es dann selbst zum Erkunden neuer Gebiete. Neben seiner eigenen Reisefirma ist er auch eng in die neue Österreichische Guide Ausbildung involviert in welcher er Berufsanwärter bestmöglich auf die Freuden und Tücken des Bikeguidens vorbereitet.

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