Autor: Dr. Heinz Klausmann
Haltestelle Bahnhof Andermatt, 8:32 Uhr. Herr Arnold, der Postbus-Chauffeur in seiner Uniform mit tadelloser Weste weiß Bescheid. Die Räder sind angemeldet. Alles hat seine Ordnung. Pünktlich geht es los. Auf 2429 m. ü. M. ist die Furkapasshöhe erreicht. Kurz unterhalb steigen wir am Halt „Belvedere“ aus. Unsere Radtour beginnt an der Rhonequelle. Nicht am offiziellen Startpunkt des „Rhoneradwegs Schweiz“ in Andermatt. Beeindruckend ist der Blick nach Süden ins Wallis. Imposant die Kulisse der Viertausender im Hintergrund. Und auch der Anblick des Rhonegletschers im Norden. Vom nahen Gletschersee sprudelt ein Bergbach dem Tal entgegen. Die junge Rhone.
„Did you control the brakes”? Ron aus Bristol ist mit seiner Harley von Süden den Pass hinaufgeknattert. Er ahnt, was uns bevorsteht. Schwere Packtaschen bzw. Anhänger schieben die Mountainbikes die steile Passtrasse hinab. Es ist Montag. Und das ist gut so. Nur wenige Motorräder machen den Fahrrädern die Straße streitig. Nahezu 700 Höhenmeter und etliche Spitzkehren später ist in Gletsch das Gröbste überstanden. Am Abzweig zum Grimselpass lockt ein erster Biergarten. Keine Zeit zum Verweilen. Das Hochtal Goms mit seinen alten Walserdörfern erwartet uns. Am „Autoverlad Furka“ in Oberwald, dem Eingang zum Eisenbahntunnel nach Realp im Urnerland, wechselt die Rhone-Radroute auf einen breiten asphaltierten Radweg. Flach bis leicht abfallend. Was für eine Wohltat. Bei stahlblauem Himmel und 31 Grad im Schatten legen wir die auf der Abfahrt notwendigen Jacken ab.
Jeder Traum endet einmal. Hinter Reckingen zeigt die EuroVelo Route 17 ihr anderes Gesicht. Der Asphalt weicht Feldwegen. Grober steiniger Belag widersetzt sich dem Fortkommen. Das stete Auf und Ab über enger werdende Waldwege nährt Zweifel an der Streckenführung. Ein Blick in das Bikeline Spiralbuch schafft Klarheit. Ein Radweg in den Alpen entspricht vom Streckenprofil eben nicht einem „Fietspad“ an der holländischen Küste. Der Weg nach Mühlenbach wird zur schweißtreibenden Strapaze. Zwischen 1381 und 1496 gebaut, laden dort die Holzhäuser des ältesten derartigen Dorfkerns der Schweiz zum Bummeln ein. Eine Reise in die Vergangenheit. Die Gegenwart lebt auf der N9 vor Lax. Lastwagen, Motorräder und Autos zwingen zur Einsicht, dass die Hauptstraße zwar flacher als der alpine Radweg verläuft, der Fahrspaß hier allerdings auch nicht ungetrübt ist. Nach stressiger Abfahrt bis Naters erreichen wir einige Kilometer weiter glücklich das „Hotel Ambassador“ in Brig.
Durch die schmucke Altstadt geht es früh am nächsten Morgen zur Führung im imposanten Stockalperschloss. Nicht ohne Stolz bezeichnet die Führerin Beatrix Bärenfaller den 1691 82-jährig verstorbenen Kaspar Stockalper als ersten Milliardär der Schweiz. Der „König des Simplon“ ließ den Saumpfad über den Pass ausbauen, um den transalpinen Warenaustausch zu stärken. Patente und Handelsrechte verhalfen dem weitgereisten Kaufmann zu unermesslichem Reichtum. Schon bald geht es wieder aufs Rad. Der Rotten, wie die Rhone im deutschsprachigen Teil des Wallis genannt wird, führt nach dem Starkregen der Vorwoche graues, sedimentreiches Wasser.
Das Tal weitet sich. Die Route verläuft zunächst entlang des anschwellenden Flusses. Später durch Wiesen und Äcker. Und immer wieder auch durch kleinere hübsche Dörfer. In Gampel erreicht das Thermometer 32 Grad Celsius. Irgendwo hier verläuft der „Röstigraben“, die Sprachgrenze zwischen dem deutsch- und französischsprachigen Teil des Wallis. Cédric Savioz erwartet uns am „Lac Souterrain“ in Saint Léonard, dem größten unterirdischen See Europas. Nach der Hitze auf dem Rad bietet die 1942 entdeckte Höhle eine willkommene Abkühlung. Bei einer Bootsfahrt mit mehrsprachiger Führung sind zahlreiche Regenbogenforellen als Indikatoren für sauberes Wasser zu bewundern.
Nächster Boxenstopp in den „Celliers de Sion“ bei David Héritier. Er zerstreut unsere Bedenken. Die vorgesehene Weinprobe kann warten. Erst einmal gibt es Wasser zum Erfrischen. Eine Multi Media Show erläutert das Konzept der kooperierenden Weingüter Bonvin und Varone. Sie stellen im „Oenoparc“ mit Besenwirtschaften, Events, Weinbergwanderungen etc. den Weinanbau im Wallis touristisch dar. Ein Gläschen „Petite Arvine“ darf es zum Abschied schon sein. Das stärkt für den Weg zum „Hotel Castel“ am Fuß des Burgbergs von Sion. Die Burg Tourbillon hoch über der Stadt strahlt in der Morgensonne beim frühen Aufbruch nach Martigny. Auf dem Treidelweg rechts der Rhône sind bereits Jogger, Biker und Gassi-Geher unterwegs. Entspannte Stimmung entlang des still in seinem Kanal fließenden Flusses. Auf den Feldern überwiegen nun Gemüse- und Obstanbau. Das lokale Klima ist günstig. So sind die Aprikosen von Saxon für ihre Qualität und intensiven Geschmack berühmt.
Entscheidend für den wirtschaftlichen Aufschwung der Region waren die Kanalisation der Rhone und Trockenlegung der umliegenden Sumpfgebiete Ende des 19. Jahrhunderts, berichtet Florian Rard von Martigny Tourismus bei unserem Treffen im Skulpturen-Garten der „Fondation Gianadda“. Das tempelartige Museum beherbergt eine bedeutende Dauer- und viel beachtete Sonderausstellungen. Im Untergeschoss zieht ein fantastisches Automuseum mit unzähligen Oldtimern den Besucher in den Bann. Vorbei am gut erhaltenen römischen Amphitheater führt der Weg zum „Barryland“, dem Sitz der „Stiftung Barry“. Sie setzt seit 2005 die über Jahrhunderte am nahen „Col du Grand Saint Bernhard“ vom Mönchsorden der „Chanoines“ gepflegte Zucht von St. Bernhardinern fort. Projektleiterin Marilyne Emery und Pflegerin Celia machen uns mit Bernhardiner Zeus und seinen Gepflogenheiten vertraut.
Zurück auf dem Radweg nervt auf den 15 letzten Kilometern nach Lavey der Gegenwind. Im Lärm der nahen Autobahn wird jede kleine Steigung zur Tortur. Erleichterung bei der Teamsitzung im „Grand Hotel des Bains“. Nur noch 41 Kilometer bis Vevey. Die Bikeline-Karte zeigt einen durchgehend autofreien Radweg ohne Anstiege. Lediglich zwei Pfeile auf der Karte vor Montreux verheißen Unheil. Die Aussicht auf einen Ruhetag beruhigt. Morgen sind wir schon am Genfer See! Wir kommen dem Rhone-Delta näher. Bei einer Rast am Flussufer kontrastiert das klare Wasser im seitlichen Zufluss zum dunklen Strom der Rhone. Das Tal dehnt sich in weiten Mais- und Kartoffelfeldern aus. Wie eine Fata Morgana taucht in der Mittagshitze hinter Vouvry der Kiosk „Chez Marilou“ auf. Eistee und „Rivella rot“ bringen uns wieder auf Betriebstemperatur. Bei Villeneuve ist der „Lac Léman“, der Genfer See, erreicht. Die Hauptstraße führt durchs mondäne und verkehrsreiche Montreux zum beschaulichen Tagesziel Vevey. Das Hotel „Les Négoçiants“ bietet Erholung inmitten der Altstadt.
Der See legt sich in der Abendröte gerade zur Ruhe, als wir zum Dinner im „Ze Fork“ an seinem Ufer eintreffen. Mit leichtem Kräuseln umspielt das Wasser die golden schimmernde Gabel vor dem „Alimentarium“, dem Ernährungsmuseum. Am Ruhetag führt uns Muriel Bovey durch die Weinberge des Weltkulturerbes „Coteaux de Lavaux“. Von hoch oben bieten sich unvergleichliche Ausblicke über den Genfer See. Vor allem Chasselas-Reben prägen die Weinregion. Im Weingut von Melanie Weber in Cully verkosten wir Weißweine unterschiedlicher Lagen. Melanies mehr als hundert Jahre alte Weinpresse arbeitet zuverlässig. In 12 Stunden unermüdlicher Arbeit ringt sie unter stetig steigendem Druck den in der Früh geernteten Chardonnay-Trauben ihren Saft ab. Traditionelles Handwerk. Auf dem Schaufelraddampfer „Italia“ bietet die Küche vor der Kulisse der „Montreux Riviera“ herrliche in Butter gebratene Eglifilets.
Nach eineinhalb Stunden ist Chillon erreicht. Das meistbesuchte Schloss der Schweiz erstrahlt in seiner ganzen Pracht. Weniger beachtet aber noch eindrücklicher steht das im Jahr 2020 eröffnete Museum Fort Chillon für die Wehrhaftigkeit der neutralen Schweiz. Die in den Felsen gemeißelten Stollen der Festung geben Einblicke in die unterschiedlichen Bereiche des militärischen Wirkens der eidgenössischen Verteidigung. Mit dem Bus geht es zurück nach Vevey zu „Chaplin‘s World“. Leben und Wirken des großen Comedians sind in seinem Anwesen aufwändig dargestellt. Ein Blick in die Wetter-App entscheidet die Strategie für die Weiterreise.
Bei der großen Hitze geben wir der wenig befahrenen Küstenstraße den Vorzug vor der Schweizer Veloroute A1 mit ihrem steten Bergauf und Bergab durch die Weinberge. Weiter nach Lausanne. Am Quai d‘ Oursy 1 liegt dort das Olympische Museum. Auf drei Ebenen vermittelt die Ausstellung die Olympische Geschichte, die sportlichen Höhepunkte der Spiele und die Grundlage des Olympischen Geistes. Inspiriert durch die Besichtigung streben wir ganz im Sinne von „Höher, schneller, weiter“ dem Etappenziel in Etoy entgegen. Noch vor Sonnenuntergang kommen wir im „Afterwork“ Hotel an.
Geschafft von Hitze und dem ständigen Auf und Ab der N1 sinken wir in die futuristischen Sessel der „Roof Top Bar“. Nur noch 51 Kilometer bis zum Ziel. Stundenmittel von 22 km/h erlauben eine Rast mit kalter „Rivella Rouge“ an der Schiffsanlegestelle in Nyon und ein kurzes Verschnaufen am Hafen von Coppet. Begeistertes Klatschen der Passagiere auf dem Schaufelraddampfer „Simplon“ spornt zum Durchhalten an. Genf begrüßt uns mit seinem Wahrzeichen, dem „Jet d‘ Eau“, einer bis zu 140 hoch in den Himmel schießenden Wasserfontäne.
Rasch sind das Gebäude der Welthandelsorganisation, der Standort des Internationalen Roten Kreuzes und der Quai de Paquis passiert. Beim Blick auf die imposante Kulisse der Genfer Altstadt hinter dem „Pont du Mont Blanc“ sind alle Anstrengungen vergessen. Auf dem Weg durch die quirlige Metropole genießen wir die Erinnerungen an den Start vor sechs Tagen. Mehr als 300 Kilometer entfernt. Annähernd 2.000 Meter höher gelegen. Welche Freude, die Rhone auf ihrem Weg zu begleiten. Bei ihrer Wandlung vom Gebirgsbach, zum Bach, zum Fluss und zum „Lac Léman“. Wir haben es genossen und sind: Ganz schön abgefahren.
Die GPS-Daten zum Rhone-Radweg Schweiz erhalten Sie im DK-Tourenportal:
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Die Strecke führt abwechselnd über öffentliche Straßen, Feldwege und Radwege. Der Belag wechselt von Asphalt bis Schotter. Insbesondere zwischen Oberwald im Goms und Brig sind einige beträchtliche Steigungen zu bewältigen. Auf den Straßen am Oberlauf der Rhone und bei Ortsdurchfahrten herrscht teilweise starker Verkehr!
Bahn: Mit der Schweizer Bundesbahn (SBB) zum Bahnhof Andermatt. Von dort mit dem Postbus in einer Stunde zum Furkapass (Halt Belvedere)
Ab Genf mit der SBB beste Verbindungen in die Schweiz und ins europäische Ausland
Flug: Ab Flughafen Genf täglich internationale Verbindungen
In einer Woche sind längst nicht alle Höhepunkte am Wegesrand gründlich zu besichtigen. Wer ausreichend Zeit hat, sollte besser zwei Wochen für die Tour einplanen.
Brig: Altstadt, Saltinabrücke, Stockalperschloss
Sierre: Altstadt, Zahnradbahn nach Crans-Montana
St. Léonard: Lac Souterrain (Höhle mit großem See)
Sion: Schloss Tourbillon, Basilika von Valeria, Oenoparc
Martigny: Fondation Gianadda, Barryland, Distillerie Morand
Lavey-les-Bains: Thermalbad, Kurpark
Saint Maurice: Abbaye Saint Maurice, 380 n. Chr. kam der heilige Sankt Mauritius über die Alpen und wurde zum Märtyrer. 2014/15 feierten die Augustiner Chorherren die 1500 Jahr Feier des nach ihm benannten ältesten Klosters des Abendlandes, das ohne Unterbrechung besteht.
Vevey: Weltkulturerbe “Coteaux de Lavaux”, Museum, Chaplin’s World, Nahrungsmittel Museum
Montreux: Zahnradbahn Rochers de Naye, die 1892 eingeweihte Zahnradbahn schüttelt sich mit lautem Geknartze in 48 Minuten von Seehöhe 396 m auf 1970 m. Vom Gipfel reicht der Blick zu den Walliser Viertausendern im Osten sowie über den See bis nach Genf und den Weinbergen von Lavaux im Westen; Standseilbahn Territet-Glion
Chillon: Schloss Chillon, Festung Chillon
Lausanne: Olympisches Museum
Aubonne: Arboretum, weitläufiges Waldgelände mit Jahrhunderte alten Zedern, Magnolien, Eichen und Obstbäume; „Forêt japonaise“, „Chemin du Lac“
Genf: Altstadt mit Kathedrale St. Pierre, Patek Philippe Museum, Rotes Kreuz Museum, Europäisches Kernforschungszentrum C.E.R.N., Botanischer Garten, Bootsfahrt zum „Jet d‘ Eau“, Île Rousseau / Pont Mont Blanc, Hausberg Salève
Bikeline-Radtourenbuch Rhone-Radweg, Aare-Radweg; Maßstab 1:50.000, 172 Seiten, 16,90 Euro