Der Schweiß tropft aufs E-MTB-Display, das Hinterrad will im tiefen Schotter keinen Grip finden, die Sattelspitze bohrt sich schmerzhaft in meinen Hintern. Doch die Schotterrampe zum Weißseejoch hinauf will kein Ende nehmen. Es scheint, als hätten meine Gefährten Claus und Stefan eine bequemere Taktik gefunden, die Steilheit dieser Skipiste zu überlisten: Einfach im Zickzackkurs Höhe machen, und schon bleibt das Vorderrad am Boden. Bei mir geht diese Rechnung leider nicht auf, das Hinterrad dreht trotzdem durch und das Heck schmiert seitlich ab. Vermutlich haben die beiden wieder irgendein Tech-Gimmick montiert, das ich noch nicht kenne. Oder aber, meine Beine sind heute einfach zu matt für einen Monsteranstieg dieser Art.
Wir befinden uns immerhin auf fast 3000 Meter Höhe, mitten in der Überfahrung zweier hochalpiner Täler: vom Kaunertaler Gletscher übers Weißseejoch ins einsame Langtauferertal – also meilenweit entfernt von jeglichem Flow. Ausgeheckt und auch schon durchgezogen hatte diese Mission ein Jahr zuvor bereits Bosch-CEO Claus Fleischer zusammen mit Bike-Designer Lutz Scheffer. Und noch am gleichen Abend ihrer Expedition tippte Claus eine WhatsApp an mich: „Stille über dem Hotspot – unten reihen sich die Urlauber im Stau, essen Pommes rot-weiß am versunkenen Kirchturm, darüber tobt der Dreiländer Enduro-Zirkus. Aber hoch droben in den Seitentälern ist niemand. Dort sind zwei kühne E-MTB-Abenteurer auf sich selbst, ihre Schiebehilfe und Fahrtechnik gestellt.“ Dazu gab es natürlich ein paar Schnappschüsse von Trail-Kurven in grobem Gestein mit strahlendem Ortler und Weißkugel im Hintergrund. Ein Panorama, wie ich es von der Reschensee-Region auch noch nicht kannte. Also war klar, dass ich beim nächsten Abenteuertrip hoch über Nauders dabei sein würde.
Dass solche Unternehmungen auch ganz schnell an hochalpinen Gefahren zerschellen können, wurde uns gestern eindrücklich klar: Eine Mure hatte wenige Stunden zuvor Teile der Kaunertaler Gletschertraße verschüttet. So konnten wir nicht, wie geplant, den regulären Bus zum Tourenstart nehmen. Auch heute fährt noch kein Bus, also mussten wir auf ein Taxi zurückgreifen, das uns an der Bushaltestelle Weißsee abgesetzt hatte. Seitdem kämpfen wir uns nun stetig steil bergauf.
Auf dem Weg zum Joch hinauf staune ich erstmal nicht schlecht. In einem Bergsteiger-Portal hatte ich im Vorfeld etwas über einen einsamen Steig durch „grünbraun gefärbten alpinen Rasen“ gelesen. Das klang nach Idylle. Doch wir wühlen uns hier gerade eher eine breite Skipiste hoch. Ein grobes Schottermeer, würde ich sagen, nur eben gefühlt fast senkrecht bergauf. Das sei ihm bei der ersten Befahrung letztes Jahr auch schon aufgefallen, erzählt Claus. Tatsächlich wird hier seit 2021 ein weiteres Refugium für den Skitourismus erschlossen. Für den Bau einer neuen 10er-Kabinenbahn zum Weißseejoch samt Abfahrtspiste hat man hier oben keinen Stein auf dem anderen gelassen. Riesige Kunststoffplanen versuchen die Schneereste des letzten Winters zu konservieren. Ein Bagger knirscht durchs Geröll und versucht die letzten Steinhaufen glatt zu ziehen. Verrückt, diese neue Seilbahn hatte zum Zeitpunkt unserer Tour noch nicht mal Google Earth registriert.
Für beste Laune sorgt dagegen der endlich erreichte Aussichtspunkt vom Weißseejoch hinunter: Aus einer Höhe von exakt 2960 Metern blicken wir nun Richtung Süden auf unzählige 3000er auf Südtiroler und Schweizer Seite. Claus zeigt erst gen Nordosten: „Ötztaler Alpen.“ und schwenkt den ausgestreckten Arm weiter zu einem besonders eisbepackten Gipfel: „Gepatschferner, zweitgrößter Gletscher Österreichs.“ Während wir unsere verdiente Gipfelbrotzeit auspacken, zückt Claus sein Handy, um uns ein abfotografiertes, 40 Jahre altes Foto zu zeigen. Darauf er mit seinem Vater in 80er-Jahre-Wanderkluft auf dem Gepatschferner.
Das Joch selbst markiert die Grenze zwischen Österreich und Italien. Unsere Route folgt jetzt dem steilen Steig ins Langtauferertal hinunter. Schmuggler haben diesen Pfad wohl einst angelegt und rege genutzt. Aber eben zu Fuß. Unsere Reifen finden wegen der gezogenen Bremsen erstmal nur unkontrollierten Halt. Das Gefälle lässt zwar bald nach, aber dafür mutiert das Geröll nun zu Felsblöcken. Halbwegs geschmeidig steuert hier nur Stefan durch und der war einst Vizeweltmeister im Trial. Claus und ich schaffen es immerhin, dass wir mit den Füßen auf den Pedalen bleiben. Zumindest die ersten Kehren. Dann folgt hier ein Fußabsetzer, dort eine zu riskante Stufenspitzkehre – aber das war klar. In der Karte ist dieser Weg nur gepunktet eingezeichnet, was für Mountainbiker ja meist schieben bedeutet. doch mit dem Erreichen eines türkisblau leuchtenden Bergsees haben wir die Schlüsselstellen hinter uns gelassen.
Das Langtauferertal ist eines der ursprünglichsten Täler Südtirols. Es zieht seine Kerbe von den Gletschern der Ötztaler Alpen gen Westen bis nach Graun am Ufer des Reschensees hinunter. Genau dort wollen wir hin. Ich sehe mich schon nach einer rauschenden Trail-Abfahrt am Ufer-Imbiss das verdiente Feierabendbier samt 'Pommes rotweiß' bestellen, doch diese Vorfreude weiß Claus mit einem Satz zu dämpfen: „Das dauert noch 'ne Weile. Bis nach Graun hinunter wartet noch ein ganz schönes Brett.“ Wir folgen nun dem Langtauferer Höhenweg, der leicht bergab durch die grünen Bergflanken mäandert. Im Rücken strahlen die Ötztaler mit der mächtigen Weißkugel. Wir machen zwar ein paar Tiefenmeter, kurbeln die aber kurz darauf schon wieder sanft hoch.
Jetzt wissen wir, was Claus gemeint hat: Der Weg führt nicht direkt ins Tal. Knapp 18 seiner insgesamt 22 Kilometer weigern sich unter die 2500-Höhenmeter-Marke abzutauchen. Vielmehr quert das Wegband die Bergflanken von Großer Schafkopf, Wölfeleskopf und Mataunkopf. Von Weitem sieht es aus, als würde der Weg dabei immer wieder über Bügelfalten in der Landschaft klettern. Doch das täuscht. Tatsächlich handelt es sich dabei um Gegenanstiege in Form von so steilen Rampen, dass uns selbst im Turbomodus der Puls im Hals hämmert. Bei diesem Höhenweg handelt es sich um einen alten Versorgungsweg, der im Zweiten Weltkrieg zu einer Militäranlage führte. Genau an dieser alten Kaserne machen wir auf halber Strecke Halt. Ähnlich wie die berühmten Panzersperren auf der Plamort-Hochebene über Nauders, gehört auch diese Anlage zum „Vallo Alpino“, dem „Alpenwall“, den Mussolini gegen Nazi-Deutschland hatte errichten lassen. Aus Angst, Hitler, sein eigentlich Verbündeter, könnte ihm Südtirol streitig machen.
Weiter geht's über die anstrengenden Bügelfalten des Höhenwegs, bis wir irgendwann den glasklaren Pedross-See passieren, wieder einen Anstieg hinaufpressen – doch diesmal wissen wir oben am Joch gar nicht, wohin wir zuerst schauen sollen: Tief unten klafft die lange Kerbe des Vinschgaus, König Ortler schmeißt sich ins Profil, der Reschensee leuchtet wie ein kleiner Edelstein und wir sehen die Gondeln der Schönebenbahn zuckeln. Für uns geht's jetzt wirklich nur noch bergab: 1200 feinste, sportlich steile Trail-Tiefenmeter lang, an vereinzelten Weilern vorbei, bis in die Zivilisation von Graun. Spätnachmittags herrscht hier am Seeufer, nahe des versunkenen Kirchturms, reges Urlaubertreiben. Zwar haben auch wir bald Pommes rotweiß in der Hand, fühlen uns aber trotzdem nicht Mainstream, denn schon morgen klettern wir wieder da hoch. Dann Richtung Fluchtwand.
Mit Nauders verbindet man die Dreiländer-Endurotrails, doch über den Seilbahnstationen klettert man in eine Hochgebirgswelt, die mit großem Panorama und abenteuerlichen Trail-Erlebnissen aufwartet. Hier die drei Top-Touren in der Übersicht:
Startpunkt: Hotel Central in Nauders, Unterdorfweg 196
Die Tour: Wenn Hotelier und Mountainbike-Urgestein Harry Ploner Gäste auf seine Lieblings-tour mitnimmt, dann geht es fernab von Gondel und Bikeparks in den einsamen, nordöstlichen Teil seiner Hausberge. Hier kurbelt man von Nauders kurz auf Asphalt, dann auf gepflegtem Schotterweg bis zur Baumgrenze und von dort im Zickzack durch die Flanken des Schmalzkopfs. Nach Labaunalm und Labaun-Hochleger lohnt noch ein Abstecher (ruppiger Almpfad) zur Fluchtwand mit einzigartiger Aussicht über Nauders, König Ortler und eine Edelweißwiese. Zurück geht's über Labaun-Hochleger und dann auf technischem Uphill-Trail hoch zum Saderer Joch. Hier starten 1400 Tiefenmeter Abfahrt auf vorwiegend feinsten Singletrails ins Inntal hinunter. In Pfunds führen Radwege am Inn entlang zur Alt Finstermünz. Die mittelalterliche Holzbrücke mit Burg diente einst als Zollstation. Im Anschluss führt die alte Passstraße – heute ein eingewachsener Pfad – zur Festung Nauders hinauf. Der Weg entlang alter Tunnelanlagen ist besonders mit dem E-MTB ein echtes Highlight. Offiziell ist der Weg für Biker allerdings nicht erlaubt.
Schlüsselstellen: Der Trail vom Labaun-Hochleger hoch zum Saderer Joch ist sehr technisch. E-MTB-Fahrtechnikexperten werden ihn lieben, mit klassischen Bikes schiebt man.
Einkehr: Labaunalm, Berghof Pfunds (alles Bio und regional), Gasthof Zur schönen Aussicht und Klausenschenke Altfinstermünz an der Burganlage.
Startpunkt: Startpunkt Busstation Weißsee, Kaunertaler Gletscherstraße, Kehre 4 (2500 m).
Die Tour: Die Überschreitung vom Kaunertal über das Weißseejoch ins Langtauferertal ist alles andere als eine gemütliche Tagestour. Eher ein hochalpines Trail-Abenteuer, für das man neben Ausdauer ein hohes Fahrtechniklevel braucht. Die Fahrt zum Startpunkt macht man am besten mit dem Bus: von Nauders nach Prutz und von dort mit der Linie 230 ins Kaunertaler Gletscherskigebiet. Direkt von der Haltestelle Weißsee startet die Tour mit einer ultrasteilen Rampe über die Skipisten hoch zum Weißseejoch. Von hier aus fährt man auf steilsten Geröllpisten und Felsen-Trails hinunter ins Langtauferertal, biegt nach etwa drei Kilometern rechts auf den Höhenweg ab, der etwa auf halber Höhe und in ständigem Auf und Ab das Tal in Längsrichtung quert. Das Finale bildet eine fast 1200 Tiefenmeter lange Abfahrt auf feinsten Singletrails nach Graun am Reschensee. Dann auf dem Radweg zurück nach Nauders.
Schlüsselstellen: Steile Geröllabfahrt direkt nach dem Weißseejoch mit sehr technischen Schlüsselstellen. Absteigen empfohlen.
Einkehr: Keine Einkehrmöglichkeit im oberen Kaunertal und im Langtauferertal. Unbedingt genügend Wasser und Proviant mitnehmen!
Startpunkt: Hotel Central in Nauders, Unterdorfweg 196
Die Tour: Die Route von Scuol durch die spektakuläre Felsenschlucht Val d`Uina zur Sesvennahütte hinauf ist ein Klassiker für Alpenüberquerer. Auch, wenn man das Bike in der Galerie aus Sicherheitsgründen ohnehin schieben muss, macht das Ganze bergab deutlich mehr Spaß. So wie bei dieser Tagestour, die Bike-Designer Lutz Scheffer ausgeklügelt hat: Von Nauders geht's auf Radwegen zum Reschensee und nach der Talstation an der Seilbahn Schöneben ein Stück auf Asphalt bergan. Dann zweigt ein Forstweg ins einsame Rojental ab. Der Weg wird bald ruppig, das letzte Stück zur Rasasserscharte muss man schieben. Doch die Aussicht ins Engadin ist sensationell. Mit etwas Glück kreiseln hier sogar Bartgeier am Himmel! Der folgende Wiesen-Trail enthält eventuell ein paar Stolperfallen, doch spätestens am Schlinigpass trifft man wieder auf befestigten Weg. Nach einem Abstecher zur Sesvennahütte wartet die Uina-Schlucht. Hier ist schieben bis Ende der Galerie Pflicht. Doch sobald sich die Felsen wieder öffnen geht's auf flowigem Trail und später auf Wald- und Schotterwegen nach Sur En im Engadin hinunter. Vom Ufer des Inn schließlich auf Forstweg-Serpentinen zurück nach Nauders.
Schlüsselstellen: Steiles, hochalpines Schiebestück unterhalb der Rasasserscharte. Die Abfahrt dahinter enthält im oberen Bereich ein paar unflowige Löcher im Almboden. Ausgesetzter, aber zum Großteil gesicherter Felsen-Trail durchs Val d'Uina mit einigem Gegenverkehr.
Einkehr: Lohnenswert ist der Abstecher zur Sesvennahütte. Ebenfalls einen Stopp wert: Die urige Alp Uina Dadaint mit einfacher Küche, aber schönem (Rück-)Blick auf die Uina-Schlucht.
Seit Juni 2024 musste die berühmte Felsenschlucht wegen einiger Erdrutsche immer mal wieder gesperrt werden. Zuletzt war von einer Sperrung bis zum 31.10.24 die Rede. Wer die DK-Touren-App abonniert hat, bekommt mit dem GPS-Track die aktuelle Situation automatisch angezeigt.
Nauders eignet sich ideal als Ausgangspunkt für die drei Touren, da die Infrastruktur des Ortes am Reschensee seit Jahren auf Biker ausgerichtet ist. Unterkünfte, Bikeshops und die berühmten Enduro-Trails mit Lift.
Nauders liegt im südlichen Tirol auf 1394 Meter Höhe, kurz vorm Reschenpass, an der italienischen Grenze. Seine Lage im Dreiländereck öffnet ein breites Angebot an Tagestouren auch nach Italien und in die Schweiz hinüber. Mit dem legendären Snow-Downhill entdeckte der Ort in den 90er-Jahren, als einer der ersten Wintersportorte der Alpen, Mountainbiker als potenzielles Klientel. Das Bike-Angebot wuchs, doch erst mit dem Enduro-Trend hatte Nauders seine Bestimmung endgültig gefunden. Zusammen mit den italienischen Nachbarn entwickelte man die große gefeierte Dreiländer Enduro-Runde und versteht sich bewusst nicht als Bikepark-Destination. Infos zu Touren, Trails, Liftanlagen und Unterkünften: nauders.com
Fünf Bergbahnen sind die ganze Saison geöffnet und transportieren auch Bikes. Das Enduro-Netz besteht aus 30 Trails mit insgesamt 60 Kilometern. Besonders für Familien eignet sich das Gebiet an der Bergkastelbahn. Endurofahrer finden am Schöneben-Lift in Reschen ihre Herausforderung. Die Trails am Mutzkopf brillieren mit hohem Flow-Faktor.
Mit der Dreiländer Bike Card hat man Zugang zu allen Liften und kann sämtliche Trail in der Runde in Angriff nehmen. Die Tageskarte: 46 Euro, Saison-Karte: 307 Euro.
Neu für 2025 im Bergkastelgebiet: Der Goldsee-Trail an der neuen Goldseebahn, mit einer roten und einer blauen Jumpline.
Bikerfreundliche Unterkünfte gibt es in Nauders zuhauf. Ein paar davon kennen wir selbst schon getestet:
Hotel Central (hotel-central.at): Eines der besten Hotels am Platz. Hotelier und Bike-Pionier Harry Ploner macht für bikende Gäste alles möglich und sein Sohn Michi leitet die exzellente Küche.
Gasthof Zum Goldenen Löwen (loewen-nauders.com) und Naudererhof (naudererhof.at) und Hotel Post (post-nauders.com) – ebenfalls Oberklasse-Bikehotels.
Günstiger im Preis und ebenfalls top:
Ferienhaus Auer (ferienhaus-auer.at): mit gemütlichen Zimmern und mit tollem Blick.
Alpenrose-Apart (alpenrose-apart.com): Ferienwohnungen auch für größere Gruppen.
Camping: Alpencamping Nauders (camping-nauders.com).
Tipp für Selbstversorger: Am Parkplatz der Bergkastel-Bahn darf man für 20 Euro pro Tag mit dem Camper stehen und auch übernachten.
Green Days: Das Opening Festival der Dreiländer Enduro-Trails mit Testbikes, BBQ, Party. Termin: 29.5. bis 1.6.25.
Father & Son-Days: Ein Riesen-Spaß von und mit Holger Meyer (auch für Mütter mit Töchtern). Termin: immer am ersten August-Wochenende.
Dreiländer Enduro-Rennen: Einer der rennomiertesten Enduro-Wettbewerbe. Termin: 29. bis 31.8.25.
Biwak Nauders: (biwak-nauders.at) Im Dorf und an der Bergkastelbahn. Leihbikes auch online buchbar.
Sport Spöttl (sport-nauders.at) und Auto Hutter (auto-hutter.at) Auto- und Bike-Werkstatt in einem.