Markus Greber
· 14.06.2020
In Ischgl schaffen es Mountainbiker dank Gondeln und E-MTB ganz entspannt in die obersten Etagen der Silvretta- und Verwall-Gruppe. Dort warten Abfahrten mit über 2000 Tiefenmetern.
Wenn sich die Götter einen Pumptrack gebaut hätten, er sähe genau so aus. Ein Superlativ aus Fels, Geröll und Sand. Fassungslos stehen wir an der Greitspitze auf fast 3000 Metern Höhe und starren auf dieses Filetstück von Singletrail, das sich auf schmalem Grat kilometerlang vor uns aufrollt. Und hätte uns nicht die Gondel und ein voller Akku ins Dachgeschoss der Silvretta gehievt, wir hätten diese Perle wohl nie entdeckt.
Mit der Gondel in den ersten Stock, um dann fit und mit frischem Akku bis in die Penthouse-Lagen der Silvretta-Gruppe zu klettern. Dass dieses Konzept Zukunft hat und zudem die Lift-Infrastruktur im Sommer auslastet, haben die Ischgler schon in der 90ern begriffen. Sie schufen damit den Prototypen aller alpinen Bikeparks.
Die Gondel als Aufstiegshilfe – das war eine Revolution. Und so machte auch ich mich mit meiner Münchner Bike-Clique im August 1995 auf nach Ischgl. Lautlos hochschweben und dann 2000 Höhenmeter Abfahrt genießen – das war für uns Downhillfans wie ein Schlaraffenland. Der Begriff "Flow" war allerdings noch nicht geboren. Also rumpelten wir mit knappen Federwegen in der Falllinie die Skipiste zur Idalpe hinunter.
"Hochgondeln, runtergeigen – die Seilbahn eröffnet neue Dimensionen", titelte ich damals in einem Artikel, den ich als Gastautor für das Ischgl-Magazin schreiben durfte. Seitdem ist viel passiert rund um das Biken im "Ibiza der Alpen". Dabei wurde nicht mit Superlativen gegeizt. Man erfand den Ischgl Ironbike, den Marathon mit dem höchsten Preisgeld der Welt. Man holte sich Transalp-Papst Uli Stanciu als Berater, Bike- Legende Hans Rey als Spokesman und die Innsbrucker Vertrider als Trail-Bauer ins Boot. Alles, was im Bike Zirkus Rang und Namen hat, fand sich mehr oder weniger regelmäßig in Ischgl ein.
Doch nicht nur der Promifaktor verhalf dem Ski-Eldorado zu Bekanntheit im Sommer. Auch das Trail-Netz wuchs mit den Jahren auf stattliche 754 Kilometer an. So folgten im Paznaun auf den ersten gebauten Trail, den Velill-Trail, einer ruppigen, gebauten Steilabfahrt mit Sprüngen und Anliegern, weitere 36 ausgeschilderte Bike-Touren. Dazu gedieh eine Bike-Infrastruktur mit speziellen Hotels, Verleihstationen und Shops.
Der göttliche Pumptrack hat uns inzwischen in endlosen Kehren zum Salaaser Kopf geführt, um dort zackig nach links abzubiegen. Bereits auf der Samnauner Seite schweben wir jetzt durch die wilde Schönheit der hochalpinen Silvretta-Gruppe. Kurz vor der Alp Trida dann wieder ein perfekt geshapter Flowtrail, bevor uns der Schotteranstieg zum Viderjoch wieder in den Sattel zurücksinken lässt. Von dort aus carven wir in weiten Radien und mit lockerem Finger an der Bremse den Flimjoch-Singletrail hinunter. Der für Biker gebaute Kurs verläuft direkt neben der Piste, die uns vor fast 25 Jahren das Fürchten lehrte. Es ist wie Nostalgiekino, und der Film spielt sich vor meinen Augen noch mal ab.
Es hat sich viel getan im Ur-Bikepark der Alpen. Deshalb war EMTB-Fotograf und Autor Markus Greber wieder in Ischgl, um die vier schönsten MTB-Touren für E-Mountainbiker auszukundschaften. Das Ergebnis – vier Top-Touren samt Beschreibung und GPS-Daten – finden Sie hier.
Hochalpine Felsen-Trails, sanfte Almwege, knorrige Hütten – diese vier MTB-Touren verbinden sämtliche Highlights der Region rund um Ischgl.
1 Schmugglerpfade
Sie ist die Königs-Tour von Ischgl und der Stolz der lokalen Biker-Gemeinde. Kein Wunder, denn in dieser Runde ist wirklich alles drin, was einen erfüllten Touren-Tag beschert: grandiose Ausblicke, Trails in allen Facetten und körperliche Herausforderung.
Mit der Gondel geht’s zunächst zur Idalpe hinauf und weiter mit dem Sessellift aufs Äußere Viderjoch. Erst den letzten, steilen Uphill zur 2871 Meter hohen Greitspitze muss man sich aus eigener Kraft hinaufbeißen. Hier oben balanciert nun ein Bilderbuch-Trail am Grat entlang Richtung Süden. Ein kurzer Anstieg zum Salaaser Kopf, dann fällt der Trail steil bergab und schlängelt sich schließlich den Hang hinunter bis zur Alp Trida.
Auf den letzten 200 Tiefenmetern haben passionierte Mountainbiker Hand angelegt und einen perfekten Flowtrail mit Anliegern und Sprüngen in die Landschaft gezaubert. Nach gut 400 Höhenmetern Aufstieg auf Schotter erreicht man schließlich noch mal das Viderjoch und stürzt sich direkt in den gebauten Fels-Trail Flimjoch, der sich steil in endlosen, teils rutschigen Serpentinen zur Idalpe schlängelt.
Wer mit seinen Ressourcen gut haushalten konnte, schafft es nun mit dem ersten Akku gerade noch mal zum Viderjoch hinauf, bevor es in das große Finale dieser Super-Tour geht: den steil in den Fels gezimmerten Velill-Trail.
2 Paznauner Hütten-Loop
Es müssen ja nicht immer fahrtechnisch fordernde Trails sein. Manchmal ist es auch ganz schön, wenn man sich nicht ständig auf den Untergrund konzentrieren muss, sondern den Blick auch mal schweifen lassen kann. So wie auf dieser Runde, die auf leichten Schotterwegen von Hütte zu Hütte spaziert und dabei weite Panoramen in die Silvretta- Gruppe freigibt.
Von Ischgl geht’s anfangs taleinwärts auf flachen Wald- und Schotterwegen. Nach knapp acht Kilometern biegt man scharf links ab ins einsame Lareintal. Wer nach knapp 500 Höhenmetern schon Hunger verspürt, kann sich auf der Lareinalm mit selbst gemachten Spezialitäten stärken, bevor es in steilem Sinkflug auf Schotter und kurzen Trail-Abschnitten gen Talboden geht.
So ist man auch bestens gewappnet für die 15 Schotterkehren, die sich anschließend auf der anderen Talseite zur Friedrichshafener Hütte hinaufziehen. Eingebettet am Fuße der Verwall-Gruppe und mit Weitblicken auf die Silvretta wartet die Hütte mit sehr guter Speisekarte und sogar einem kleinen Badeteich zur Abkühlung auf.
Wer bergab nicht auf gleichem Weg hinunterrollen will, kann zwischen den Schotterkehren auf die Trail-Shortcuts abzweigen. Doch Vorsicht: Hier geht’s steil und fahrtechnisch recht anspruchsvoll zur Sache!
3 Zur Durrichalpe
Auf der Durrichalpe, hoch über Kappl, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Knorrige, vom Wetter gegerbte Almhütten sonnen sich hier auf einer Bergwiese knapp oberhalb der Baumgrenze. Eine Kulisse, in der man sofort einen Heidi-Film drehen möchte. Seine Brotzeit muss man allerdings selbst mitbringen, denn die Alm ist nicht bewirtschaftet.
Von Ischgl aus rollt man zunächst talauswärts bis nach Kappl. Dort biegt die Route auf eine Forststraße ab, der man fünf Kilometer lang teils stramm bergauf durch den Wald folgt. Irgendwann streift der Weg die letzten Bäume ab und mündet in eine wunderschöne Hochmoorlandschaft. Jetzt sind es nur noch wenige Kurbelumdrehungen bis zur 1900 Meter hoch gelegenen Durrichalpe.
So weit zum Thema Idylle. Fahrtechnisch interessant wird es nun auf dem zweiten Teil der Tour: Von der Durrichalpe rollt man wieder zurück zum Hauptweg, schlägt dort aber den Weg Richtung Gasthof Dias ein. Kurz nach der Hütte startet der Dias-Trail, das Singletrail-Highlight von Kappl.
Handtuchbreit schlängelt sich der Pfad erst durch dichten Märchenwald und dann über bucklige Wiesen zurück nach Kappl (Achtung, Wanderer haben Vorrang!). Danach geht’s auf Asphalt- und Schotterwegen im leichten Auf und Ab zurück nach Ischgl.
4 Heidelberger Hütte
Für Alpenüberquerer ist die Heidelberger Hütte seit Jahrzehnten ein Muss. Wer hier auf seinem Weg gen Süden nicht übernachtet, der bleibt zumindest auf eine Knödelsuppe, bevor es weiter in den Anstieg zum legendären Fimberpass geht.
Aber man kann die Hütte natürlich auch auf einem spannenden Tagestrip besuchen. Dafür könnte man nun von Ischgl ganz einfach die 13 Kilometer auf Asphalt und Schotter das Fimbatal zur Hütte hinaufklettern und auf gleichem Weg wieder hinunterrollen, fertig.
Aber – und das wissen wohl die wenigsten – man kann die Tour zur Heidelberger Hütte auch mit feinsten Singletrails garnieren: Um auf der Tour mit nur einem Akku klarzukommen, lässt man sich am besten mit der Silvrettabahn auf die 2307 Meter hoch gelegene Idalpe heben.
Dort beginnt auch gleich der Trail-Spaß auf angelegten Flowtrails durch die Almwiesen. Anschließend kämpft man sich eine ultra-steile Uphill-Rampe zum Sassgalunkopf hinauf und fädelt oben in eine schmale, technisch anspruchsvolle Trail-Abfahrt ein. Sie mündet auf halber Höhe ins Fimbatal, wo jetzt nur noch leicht zu kurbelnde 500 Höhenmeter hoch zur Heidelberger Hütte warten. Zurück geht es das Fimbatal hinunter. Wer möchte, kann die Abfahrt aber kurz vor Ischgl noch mit kurzen Trail-Abstechern würzen.
Revier Ischgl liegt auf 1377 Metern Höhe im Paznaun in Tirol. Eingebettet zwischen den Dreitausendern von Silvretta-, Samnaun- und Verwall-Gruppe ergeben sich von hier aus reichlich Touren- Möglichkeiten. Von leichten Schotterrunden im Tal über gemütliche Almen-Touren bis hin zum hochalpinen Trail-Abenteuer am Grat entlang ist alles möglich. Das für Biker ausgeschilderte Streckennetz umfasst 754 Kilometer, darunter auch sieben Trails.
Anreise per Bahn Wer nicht mit dem Auto anreisen möchte, fährt mit der Bahn bis zur Haltestelle Landeck-Zams und steigt dort in den Linienbus 260 Richtung Paznaun. Die Busfahrt nach Ischgl dauert ca. eine Stunde.
Seilbahnen Die Betriebszeiten der Lifte im Sommer: Silvrettabahn, Flimjochbahn, Flimsattelbahn, Alp Trider und Sattelbahn laufen vom 19.6.–13.9.2020, der Twinliner vom 19.6.–11.10.2020. Liftpreise unter www.ischgl.com
Silvretta-Card Ab einer Übernachtung bekommen Gäste in Ischgl die Silvretta-Card überreicht. Damit sind verschiedene Vergünstigungen verknüpft: darunter auch kostenloser Bike-Transport in den Bergbahnen, Gratis-Eintritt in alle Hallen- und Freibäder, mautfreie Fahrt auf der Silvretta-Hochalpenstraße und kostenlose Fahrten mit öffentlichen Bussen. Infos: www.ischgl.com
Geführte Touren Silvretta Bike Academy, www.silvretta-bikeacademy.at, Bike Skull Ischgl, www.bike-skull-ischgl.at
Bikeshops und Verleih Direkt in Ischgl findet man zwei Reparatur- und Bike-Verleihstationen: Sport Bründl, Dorfstrasse 64, www.bruendl.at Sportalm Salner, Dorfstrasse 52, www.ischgl-rent.com
Unterkünfte Vom einfachen Hotel Garni bis hin zum Vier-Sterne- Haus – in Ischgl warten im Sommer Unterkünfte sämtlicher Preiskategorien. Speziellen Biker-Service inkl. Werkstatt, Waschplatz und Touren-Service bieten fünf Hotels an. Wer mit dem Camper anreist, findet den nächsten Stellplatz in Galtür am Camping Zeinissee. Infos zu allen Unterkünften gibt’s auf www.ischgl.com
MTB-Events Der legendäre Marathon findet 2020 zum 26. Mal statt: Ischgl Ironbike, Termin: 5.– 8. August 2020. E-Bike-WM für Elite und jedermann mit DJ und Live-Band, Termin: 14.–15. August 2020. SAAC-Mountainbike-Camp: Zertifizierte Guides lehren alles zum Thema Fahrtechnik, Material, Sicherheit und Trail-Ethik. Termin: 29.–30. August 2020. Infos zu allen Events: www.ischgl.com
Premium-Partner der Region ist BH Bikes.