Ines Thoma
· 30.10.2023
Beim Rennen der Enduro World Series in Canazei war dieser Trail der absolute Star der Veranstaltung. Mehr als 1000 Tiefenmeter, spektakuläre Wegführung und ein Dolomiten-Panorama, das dauernd die Konzentration störte. Da bin ich froh, dass ich jetzt, ein paar Jahre später, noch mal die Gelegenheit habe, den Tutti-Frutti-Trail abzufahren. So ganz ohne Rennstress. Mit Zeit für eine Einkehr und für diese bombastische Aussicht:
Mit der Gondel schweben wir von Campitello di Fassa dem 2484 Meter hohen Col Rodella entgegen. Draußen vor dem Fenster wachsen die Türme des berühmten Sellastocks im Zeitraffer. Unten leuchten die typisch weißen Dolomiten Schotterwege, die sich durch die Almwiesen zum Pass hinaufschlängeln. Die hätten wir natürlich auch nehmen können, aber dann hätten wir unten im Tal die Spinatknödel nicht essen dürfen. Mit vollem Magen hatte keiner Lust auf eine lange, steile Dolomiten-Rampe.
Ach, wie schön es am Col Rodella doch sein kann, wenn alles passt! Vor zwei Jahren hetzte ich hier oben bei brütenden 30 Grad zur Stage, weil ich wegen eines Defekts bei der vorigen Wertungsprüfung viel Zeit verloren hatte und Rang drei nicht verlieren wollte. Heute stehe ich hier bei angenehmen 20 Grad, drehe mich um die eigene Achse und kann mich gar nicht sattsehen: Sella, Rosengarten, Langkofel, Marmolada – die Dolomiten in ihrer vollen Pracht!
Aber nun geht es los mit dem wilden Ritt, der damals schon so viel Spaß gemacht hat: Auf einem breiten Kamm zieht der Tutti-Frutti-Trail zunächst über offene Wiesen. Erst schnell und geradeaus, dann folgen enge Kehren und ausgewaschene Rinnen. Die kommen mir jetzt tiefer vor, deutlich schwieriger zu fahren. Kurz vor der Waldgrenze bauen sich einige interessante, wurzelige Gegenanstiege auf. Bei Nässe könnten die eine schmierige Angelegenheit werden. Aber auch so findet man besser rechtzeitig den richtigen Gang, um in letzter Sekunde noch den nötigen Schub über die kurzen Rampen und querliegenden Wurzel geben zu können. Im Wald gesellen sich sogar noch mehr Wurzeln dazu. Sie ragen aus dem lehmhaltigen Boden, der bei Trockenheit, Gott sei Dank, hart und schnell ist. Bei Regen dürften die Reifen dagegen gerade in den Steilpassagen ganz schön ins Schlingern geraten.
Eine Art Halbzeit mit Einkehrmöglichkeit wartet an der Sellajoch-Pass-Straße: Das Restaurant Lupo Bianco soll eine gute Küche haben. Aber wir haben ja leider schon gegessen und die Fahrt mit der Seilbahn hat uns jetzt auch nicht gerade einen Hungerast beschert. Also fädeln wir gleich in Abschnitt zwei des Trails ein:
Rechts der Asphaltstraße zweigt ein Wanderweg ab. Der verläuft zwar immer in der Nähe der Straße, bespaßt aber ebenfalls mit jeder Menge engen Kehren, kleinen Bachüberquerungen und den obligatorischen Wurzelpassagen. Am Ende schießen wir noch ein Stück Skipiste hinunter, dann fangen uns irgendwann doch die ersten Häuser von Canazei auf. Was für eine lange, geniale Abfahrt, wenn man jeden ihrer 1000 Tiefenmeter und jede einzelne Schlüsselstelle gebührend genießen kann! Da habe ich damals im Adrenalinrausch während des Rennens, mit nicht mal 15 Minuten Fahrzeit, doch einiges verpasst.
Wir rollen die letzten drei Kilometer von Canazei nach Campitello auf der Straße zurück und bekommen den Ohrwurm einfach nicht mehr aus dem Kopf: „Tutti Frutti – aw rooty“.
Die komplette Abfahrt vom Col Rodella über Canazei nach Campitello zurück misst 9,9 Kilometer und 1049 Tiefenmeter. Der Trail-Anteil mit 4,4 Kilometern liegt bei 44 Prozent. Wer in Campitello die Seilbahn nimmt, hat nur 64 Höhenmeter Gegenanstieg zu treten.
Die Allgäuerin gehört zur deutschen Enduro-Elite und hat auf den Rennen rund um die Welt schon viele Supertrails gesehen.