Sissi Pärsch
· 13.10.2023
Zur Umrundung des Cislon (1563 m) startet man von Tramin zunächst auf dem Radweg entlang der Etsch, bevor es auf der alten, 1963 stillgelegten Fleimstaler Bahntrasse in konstant mäßiger, akku-freundlicher Steigung (maximal 6 %) bergan geht. Der schmale Weg schlängelt sich an Montan vorbei durch den Naturpark Trudner Horn. Man blickt auf Weingärten, passiert kleine Siedlungen mit alten Steinhäusern, fährt durch Felstunnel und über Steinviadukte bis nach Truden. Von hier gelangt man über einen Forstweg und schließlich einen sanften Trail zur Cisloner Alm, die auf einer weiten Lichtung liegt.
Idyllischer kann es kaum werden: ein kleiner Teich vor der hübschen Hütte, drum herum Zicklein und Kühe und ein Panoramablick ins Südtiroler Unterland und die Brenta-Gebirgsgruppe. Einen ruppigen Kontrast bildet im Anschluss der 1er-Trail, der mit seinen S2-Passagen selbst gute Techniker fordert: Er ist geröllig und stufig, hält zig Spitzkehren und Felsplatten parat, bevor man es auf weichem Waldboden ein wenig laufen lassen kann. Nach dem Lexnhof geht es links ab und über die Pferdewiese spaßig hinab nach Neumarkt.
Startpunkt: Tramin
Schlüsselstellen: Der 1er-Trail von der Cisloner Alm hinunter ist anspruchsvoll und enthält ein paar fordernde, teils steil abschüssige S2-Passagen.
Einkehr: Cisloner Alm (Tipp: Strauben), Lexnhof (Tipp: Schlutzer), Arlecchino Gelateria (sehr leckeres Eis!)
Während Südtirols Gipfel hier auslaufen und sich das Etschtal mehr und mehr weitet, ragt der Monte Roen eindrucksvoll im Rücken von Tramin auf. Er ist der höchste Berg des Mendelkamms, seine Flanken sind wuchtig und steil, und vom Tal bis zum Gipfel auf 2116 Metern sind es rund 1900 Höhenmeter am Stück. Die Westrampe des Mendelpasses – und somit 850 Höhenmeter – nimmt einem aber die urige Standseilbahn ab, die in St. Anton bei Kaltern startet.
Zur Talstation fährt man von Tramin aus nur ein Stück auf Asphalt, bevor es kurz nach Camping Gretl auf kleinen Wegen bergan durch Weinfelder Richtung Kaltern geht. Oben am Pass angelangt, pedaliert man gen Süden den Südtirol-Trentino-Grenzkamm entlang. Immer wieder fordern steile Stiche, doch die sind nichts gegen die finalen, extrem steilen und verblockten 350 Höhenmeter ab der Romeno-Alm. Der Kampf lohnt sich: Hat man die Baumgrenze überwunden, öffnet sich das Hochplateau des Roen und präsentiert ein Rundumpanorama auf die Dolomiten, die Ortler-Gruppe und den Alpenhauptkamm. 14 Trail-Kilometer sind es nun hinunter nach Tramin ins Tal. Sehr anspruchsvoll geht gleich der erste, steile Abschnitt (Wegmarkierung 500) los, der dank losem Geröll und engen Winkeln eher als Schiebestrecke einzuordnen ist. Und kurz darauf wird auch die Abfahrt zum Kreuz am Schwarzen Kopf nochmals knifflig rutschig.
Es folgt der 1a-Trail (der Name ist Programm) nach Graun und schließlich die Wege 6 und 4 bis nach Tramin. Je weiter man nach unten kommt, desto flowiger wird es. Generell ist alles dabei: von ruppig-rüttelnden, technischen Abschnitten bis hin zu waldweichem Treesurfing und Canyon-Fahrten.
Startpunkt: Tramin
Schlüsselstellen: Bergauf macht der lange Stich ab der Romeno-Alm zu schaffen. Bergab vor allem die ersten Abschnitte des Trails entlang der Mendelkamm-Kante. Ab der Baumgrenze kann man den Trail auch immer wieder auf der Forststraße umfahren.
Einkehr: Romeno-Alm und Lenzenhof, ein Stück abseits an der Trail-Abfahrt.
Harmlos sieht er aus, der Montiggler Hügel: ein „waldiger Buckel“, der sich in der Etschtalebene unscheinbar hinter dem Kalterer See erhebt. Von Tramin geht es zunächst durch die Wein- und Obstplantagen und am Ostufer des Sees entlang, bevor man nach dem Klughammer rechts bergauf in den Wald abzweigt. Edelkastanien, Buchen, Ulmen, Eschen, Eichen – so bunt gemischt wie das Blätterwerk, so bunt treibt es hier auch das Wegegeflecht. Im Montiggler Dickicht versteckt sich neben zwei capriblauen Seen ein so beeindruckendes wie verwirrendes Trail-Netz.
Die Forststraße kann man schnell verlassen, und über schmale Pfade geht es immer Richtung Norden in einem Auf und Ab zunächst zum Großen Montiggler See. Hier gibt es ein Strandbad und entsprechend auch etwas Wanderverkehr. Weniger los ist da schon am Kleinen Montiggler See, um den man eine spaßige Trail-Schleife ziehen kann. Zurück geht es dann parallel zur Etsch am Rand der Pfattner Wände entlang (die man im Unterholz aber nicht erahnt). Das Wirrwarr an Weglein lässt sich nur schwer beschreiben, deshalb am besten mit Guide oder GPS-Track fahren. Sie variieren von schnellen Spaß-Routen auf weichem Untergrund bis hin zu Wegen mit engen und steilen Steinstufen.
Startpunkt: Tramin
Schlüsselstellen: Die Waldboden-Trails sind nur leicht verwurzelt (maximal S1).
Einkehr: Die Jausenstation am Kleinen Montiggler See
Anreise: Tramin liegt etwa 25 Kilometer südlich von Bozen. Über die Brennerautobahn fährt man an der Ausfahrt Auer/Neumarkt/Tramin ab und ist vier Kilometer später in Tramin.
Die Bahn- und Fernbusverbindungen nach Bozen sind sehr gut. Von dort fährt der Linienbus etwa 30 Minuten nach Tramin. Info: bahn.de
Beste Tourenzeit: Die Saison beginnt bereits Mitte/Ende April und reicht bis Ende Oktober. Durch das Klima und die tiefe Lage von Tramin auf 210 Metern sind viele der Berge schon früh schneefrei und gut fahrbar.
Unterkünfte: Das Bike-Hotel schlechthin am Ort: Aufgebaut von Oma Rita, von Sohn Armin zum Rad-Hotspot entwickelt und von Enkel Andreas kultig-modern gestaltet. Die Zimmer sind hochwertig, die Küche ausgezeichnet und die hauseigene Bar auch von Einheimischen gern besucht. Hotel Traminerhof, Weinstraße 43, I-39040 Tramin a. d. Weinstraße, traminerhof.it
Im Nachbarort Kurtatsch gibt es mit dem Hotel Terzer ebenfalls eine Bike-Unterkunft, in der man hervorragend umsorgt und verpflegt wird. Bike-Hotel Terzer, Obergasse 5a, I-39040 Kurtatsch, gasthof-terzer.it
Andreas Pomella kann es sich leisten, diese Einstellung. „Ich bin schon eher der Schönwetterfahrer“, gesteht er. „Ich mag Regen und Schlamm nicht unbedingt.“ Ja, das sagt sich leicht, wenn man ein sonnenverwöhnter Traminer ist. Wenn man einen gut gelaunten Himmel hat, an dem sich scheinbar niemals plumpsschwere Wolken einnisten. Wo es keine naturtrüben Aussichten gibt, sondern blühende Apfelplantagen.
Tramin liegt auf rund 210 Metern Meereshöhe an der Etsch. Im Süden Südtirols also, wo das Deutsche nach wenigen Kilometern endgültig vom Italienischen abgelöst wird. Der weite Talboden erstreckt sich von Bozen bis nach Trient und weitet sich schließlich in die Po-Ebene aus. Viele schalten im Etschtal auf Durchzug. Sie rauschen schnurstracks weiter gen Gardasee. Womöglich, weil man dem Kalterer See seine Wärme nicht zutraut, vielleicht auch, weil man die Pizza den Knödeln vorzieht – oder weil einem das dichte Gedränge und die ruppigen Trails am Lago einfach so vertraut sind.
An der Weinstraße hingegen geht es gemütlicher zu. Mild ist das Klima, würzig der Traminer und die zahlreichen Trails und Touren sowohl als auch: eine mild-würzige Mischung. Den ersten Beweis hält die Tour zur Cisloner Alm parat. Durch schmale Tunnel und über kleine Viadukte geht es für uns heute zunächst auf der längst stillgelegten Bahntrasse vom Fleimstal bergauf. Im Ersten Weltkrieg wurde sie von russischen Kriegsgefangenen unter grausamen Bedingungen gebaut, heute könnte sie idyllischer kaum sein. Die stetige Steigung raubt uns kaum Akku, führt uns vorbei an urigen Steinhäusern, durch Weinreben und hinein in den Naturpark Trudner Horn. Ein sanfter Trail entlässt uns schließlich auf die weite, offene Hochebene der Cisloner Alm. Sie liegt auf 1249 Metern und gibt den Blick frei auf die wuchtigen Brocken der Brenta-Gruppe. Die Kühe grasen, die Ziegen starren, die Hühner picken, und die Wirtsleute servieren frisch herausgebackene Strauben. Wir ziehen die süßen Spiralen durch die Preiselbeeren und blinzeln schmatzend in die Sonne. So gehört es sich, das Leben, zumindest in Südtirol.
Andreas’ Vater Armin war einer der ersten, der die Berge um das Etschtal mit dem Bike erkundete – und einer der ersten, der sein Hotel zum Bike-Hotel formte und seine Gäste auf den Sattel brachte. „Zu Zeiten, als man noch Touren mit 1900 Höhenmeter gefahren ist“, grinst Andreas und wirft ergänzend hinterher: „ohne Unterstützung!“ Seiner Generation geht es hingegen mehr ums Trail-Fahren. Und an Trails mangelt es der Region so wenig wie an Sonnentagen. Der 28-Jährige hat noch die traditionelle Bike-Schule genossen. Mit neun ließ ihn sein Vater seine erste eigene Gruppe guiden, mit elf nahm ihn Armin mit auf seine erste Transalp.
Deutlich entspannter geht es da auf der Cisloner Runde zu – bis jetzt. Denn hinter der Alm startet der 1er, ein Trail exakt nach Andreas’ Geschmack: steinig und stufig und steil. „Es gibt schon auch eine einfachere Variante bergab“, meint Andreas und hebt in Zeitlupe sein Hinterrad, um spitz zu kehren, „aber wir wollen ja Spaß haben.“ Der Mann kann sich auch diese Einstellung leisten: Unter seinen Reifen wirken die kniffligen Kehren wie geschmeidige Kurven.
Lassen Wald und Trail es mal zu, blickt man von dem tief abfallenden Hang weit über das Tal. Über die Weinberge und die Etsch nach Tramin und auf die mächtige Felswand des Roens dahinter. Welche Wege uns dort die kommenden Tage hinunterführen sollen, ist uns ein Rätsel. Die steilen Flanken scheinen wie gemacht für Kletterer. Andreas winkt ab. Alles fahr- und tragbar, meint er und lässt die Bremsen los. Die können jetzt endlich atmen, der Trail wird flüssiger, und über die Pferdewiese schießen wir schließlich hinab ins hübsche wie unaufgeregte Neumarkt und schnurstracks in eine versteckte Gelateria, die grandioses Eis serviert.
Die kleinen, schönen Weindörfer hier am Südzipfel Südtirols scheinen generell nicht viel Aufhebens um sich zu machen. In Tramin öffnen sich die schmalen Kopfsteinpflastergassen zu kleinen Plätzen, auf denen die Einheimischen klatschen und tratschen. An den Steinmauerfassaden rankt sich grüner Wein empor, vor den Fenstern leuchten rote Geranien. Hier findet man keine hohen Bauten und schon gar keine Bettenburgen. Das erste Hotel im Ort baute die Großmutter von Andreas 1962. Oma Rita war 27 Jahre alt und „noch ohne Mann“, wie sie betont. Als eine von wenigen glaubte sie daran, dass die Region einmal Gäste anziehen wird. Während sie den Korb mit frisch gewaschener Bike-Wäsche hochstemmt, erzählt die heute 88-Jährige, dass das Hotel, damals „mehr Gästebetten als das restliche Dorf zusammen hatte“. Noch heute ist der Grundriss des Traminerhofs der gleiche. Das moderne Innere ist aber dem Enkel geschuldet. Rita schüttelt den Kopf. Ihr Geschmack sei es ja nicht, aber sie vertraue dem Andreas.
Ihm vertrauen, das müssen wir auch, als wir am nächsten Tag in den Montiggler Wäldern unterwegs sind. Mit gutem Tempo rollen wir durch die Apfelplantagen zum Kalterer See. Entgegen seinem Namen ist er einer der wärmsten Badeseen der Alpen, wohl auch, weil er keine sechs Meter tief ist. Dahinter, zwischen Etsch und Kaltern, liegen fast unscheinbar die Hügel von Montiggl. Sie sind nicht sehr hoch und für Andreas deshalb das perfekte Wintertrainingsgelände. „Du hast hier selten Schnee und auch meistens trockenen Untergrund“, sagt der Schönwetterfahrer. „Und langweilig wird’s dir hier nie.“
Was gerade noch so harmlos erschien, entpuppt sich schnell als große Herausforderung: Im Dickicht der Bäume entspinnt sich ein Trail-Irrgarten – ein Netz an Wegen, in das wir uns ohne Andreas’ Führung heillos verstricken würden. Es ist ideales E-MTB-Gelände: Mal links, mal rechts, mal flowig, mal knifflig geht es bergauf und bergab, erst zum großen, dann zum kleinen Montiggler See. Hier stoppt man, um in den Lago zu hüpfen oder einen Espresso zu trinken, bevor man wieder in das Trail-Labyrinth ein- und erst eine gute Zeit später wieder am Kalterer See auftaucht.
Die Königsetappe hat sich Andreas für das Finale aufgespart: den Monte Roen, seinen Hinter-dem-Haus-Berg. Rund 1900 Höhenmeter steigt er im Rücken des Ortes bergan. Der Gipfel liegt auf 2116 Metern. Das seien zwei Tiefenkilometer, rechnet uns Andreas vor, voller Trails. Doch erst einmal gilt es, dort hinaufzukommen. Sein Vater sei früher mit seinen Gästen noch alles getreten – und tue es heute noch ab und an. Doch die meisten Biker nehmen die Bahn, um sich dann mit voller Kraft den Trails hinzugeben.
Oder sie nehmen das E-MTB und haben so schon auf den ersten 300 Höhenmetern bergauf ihren Spaß. Zur Mendelbahn in Kaltern geht es kurz auf der Straße, bald jedoch auf schmalen Pfaden durch die Weinreben. Die Talstation der 1903 eröffneten Standseilbahn liegt auf 510 Metern und steigt mit bis zu 64% bis auf 1364 Metern auf. Wuselig geht es oben am Mendelpass zu. Die Rennradler stehen zum Passschildfoto Schlange, und Touristen drängen sich um Postkartenständer. Es ist ja nicht nur die Aussicht. Päpste und Mahatma Ghandi, Kaiserin Sissi und Erzherzog Ferdinand haben hier Sommerfrischen verlebt – das muss man gesehen haben.
Doch kaum lässt man die Souvenir-Shops eine Schotterkehre hinter sich, wird es schlagartig ruhig. Wanderer begegnen uns nur wenige. Wir fahren in einer Bilderbuchidylle entlang der deutsch-italienischen Sprachgrenze, zwischen Trentino und Südtirol wechselnd, fordern den Motor an ein paar steilen Stichen, bis wir schließlich die Malga di Romeno erreichen. 350 Höhenmeter stehen noch aus. Aber, eröffnet uns Andreas bei einem Espresso Macchiato, die seien kein Zuckerschlecken, sondern der Start der größten Biker-Challenge der Region: Wer von hier die Strecke bis zum Gipfel durchtrete, gelte als Roen-König.
Was sich uns dann entgegenstellt, ist eine extrem steile, fies geröllige und verblockte Bergaufstrecke, die angeblich manch einer ohne „E“ meistern soll – und sehr viele auch trotz „E“ nicht. Nach dem Kampf belohnt uns der Monte mit einem weiten, offenen Plateau, das den Blick in alle Richtungen freigibt: Brenta und Paganella, Alpenhauptkamm und Ortler – und natürlich die Dolomiten mit Langkofel, Schlern, Rosengarten und Latemar. Unten flach wie eine Flunder, das Etschtal, das hier jeder nur Unterland nennt. Darauf gesprenkelt die kleinen Dörfer und das große Bozen, blitzeblau die Seen, und in Reih und Glied stehend die Apfelbäume und Weinreben.
Es ist so weit: Die Roen-Trails warten. Der Auftakt setzt ein forderndes Zeichen. Schmierige Kiesel und steinige Stufen. Doch die Fahrbarkeit nimmt Tiefenmeter für Tiefenmeter zu. Schier endlos geht es dahin in einer der wohl abwechslungsreichsten Abfahrten, die nicht nur Südtirol zu bieten hat. Vom Fels auf Waldboden, von Wurzeln auf weiches Terrain. Nach sieben Kilometern liegt Tramin noch immer tief im Tal. „Grob Halbzeit“, sagt Andreas mit einem Grinsen. Unglaublich. So unaufgeregt wie sich das Südtiroler Unterland präsentiert, so aufregend gestalten sich seine Trails – und so perfekt der Tour-Abschluss: Heute gibt es kein Gelati, sondern den Wein-Einkehrschwung im Rynnhof. Mitten im Ort stoßen wir an auf diese Traminer Mischung: mild, würzig und voller Überraschungen im Abgang.