MTB-Reviertest UmbrienWeniger ist Meer

Steffi Marth

 · 08.07.2024

Der nicht ganz 900 Meter hohe "Arale" ist der Star unter den Trail-Gipfeln am Südufer des Trasimeno-Sees.
Foto: Marco Fischer
Keine spektakulären Berge, keine Zypressen, kein Badestrand am Meer – aber es muss ja Gründe geben, wenn die Schwester von Trial-Legende Hans Rey in Umbriens Hügeln ein Bike-Resort aufbaut. Steffi Marth wollte es wissen und hat Silvia am Trasimeno-See besucht.

Die einzige Region im italienischen Stiefel ohne Küstenabschnitt – was andere Urlauber wohl eher abschreckt, hat mich total neugierig gemacht. Umbrien – das klingt schon nach Geheimtipp für Mountainbiker, finde ich. Ganz anders als Toskana und Ligurien, wo jedes Jahr Tausende hinpilgern und anschließend alle die gleichen Trail-Geschichten erzählen. Andere italienische Gebiete wie Aostatal, Piemont, Trentino und Südtirol haben ja schließlich auch keinen Zugang zum Meer, glänzen dafür aber mit sensationellen, hochalpinen Trails und schönstem Panorama. Darauf werden wir auf unserem Umbrien-Trip allerdings auch verzichten müssen. Zwar gibt es einen Vorzeige-Gipfel, den 2476 Meter hohen Monte Vettore, aber der residiert im Apennin und liegt weit entfernt von dem Spot-Tipp, den wir bekommen haben. Unser Navi lotst uns nämlich von der Autobahnausfahrt durch eine idyllische, grüne Hügellandschaft bis nach Panicale. Ein beschauliches Örtchen, 35 Kilometer westlich von Perugia. Von hier aus kann man weder den Apennin noch das Meer am Horizont entdecken. Nicht mal an einer malerischen Zypressen-Allee bleiben die Augen hängen. Ich gebe zu: Das Ah!-Erlebnis will sich hier noch nicht einstellen. Das kommt erst mit dem Parken vor unserer Unterkunft, der Villa Rey.

Silvia Rey (rechts) ist unglaublich viel mehr als nur die Schwester von Trial-Legende Hans Rey.Foto: Marco FischerSilvia Rey (rechts) ist unglaublich viel mehr als nur die Schwester von Trial-Legende Hans Rey.

Es ist eigentlich eine Schande, diese Frau so anzumoderieren, aber Silvia Rey, unsere Wirtin, ist die Schwester von Trial-Legende Hans 'No Way' Rey. Wieso Schande? Weil sich in den nächsten Tagen zeigen wird: Silvia ist selbst eine echte Macherin, eine Powerfrau und Mountainbike-Pionierin. Die Kunststücke, die ihren Bruder auf dem Bike berühmt gemacht haben, gelingen Silvia hier ganz ohne Tamtam, Sponsoren und Hall of Fame. 1989 gründete sie mit Alps Biketours einen der ersten Bike-Veranstalter Deutschlands, bevor sie mit ihrem Mann nach Umbrien übersiedelte und mitten in diesem weißen Fleck auf der Biker-Landkarte dieses Kleinod aufzog. Aus einem verfallenen Hof formte sie ein modernes Wellness-Resort mit Pool, erfasste mit Bike und GPS das komplette Pfadnetz der umbrischen Hügel und begeistert ihre Gäste mit einem gigantischen Knowhow zur lokalen Kulinarik.

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Mousse au chocolat mit Olivenöl

Tatsächlich schmecken Artischocken ganz anders, wenn Silvia am großen, gemeinsamen Gästetisch vom mühsam herauszufindenden Erntezeitpunkt dieser Blütenköpfe erzählt. Sie weiß auch, vor welchen Herausforderungen der Biobauer gerade steht, bei dem sie heute Morgen dieses hauchzarte Carpaccio für unser Abendessen besorgt hat. Und dass diese unfassbare Cremigkeit ihrer Mousse au Chocolat nur mit einem ganz bestimmten Olivenöl gelingt. Draußen im Garten weht nach dem Abendessen noch immer ein laues Frühlingslüftchen. Eine Wolke von Blütenpollen pufft aus dem riesigen Pappelbaum, darunter hat es sich einer der anderen Gäste mit einem Glas Wein bequem gemacht und zupft an seiner Gitarre. Eine fast schon kitschige Szene, die uns aber sofort in Urlaubsmodus versetzt und uns später in unserem Gästehäuschen wohlig einschlafen lässt.

Dass man nicht durchs hohe Gras schlendern soll, war hier schon wieder vergessen.Foto: Marco FischerDass man nicht durchs hohe Gras schlendern soll, war hier schon wieder vergessen.

Zum Frühstück dann die erste Pulsbeschleuniger-Information für mich: Schlangen. Es gebe hier giftige Vipern. Wir sollen während der heutigen Tour nicht unachtsam durch hohes Gras schlendern und Naturtoilette am besten vermeiden. Aber in ihrer über 30-jährigen Bikeguide-Erfahrung habe sie noch keinen Biss verarzten müssen, fügt Silvia beruhigend hinzu. Trotzdem lasse ich die flankierenden Grasbüschel beim Anstieg zum Castello di Mongiovino hinauf besser nicht aus den Augen. Doch bald lullt mich dieser Thymian-Duft ein und die uralten Mauern der Burg treten in den Vordergrund. Klatschmohn sprießt aus den Steinritzen. Ein magischer Ort mit weitem Blick in die Landschaft, menschenleer. Am Wochenende sei hier oben häufig was los, erzählt Silvia. Wenn sich nämlich die Dorfbewohner aus dem Umkreis zu kleinen Festen treffen.

Unser nächster Aussichtspunkt ist ein alter Turm, um den sich Zypressen, Pinien und abgestorbene Baumgerippe gruppieren. Gipfelbucheintrag, dann folgt unser erster Trail-Kontakt: Der „Rollercoaster“ wirft seine erdigen Kurven im Hang aus. Vier Kilometer satter Flow, garniert mit Steinen und Felsen, an einem Golfplatz vorbei und an den Weinreben von Ferrucio Lamborghini. Der habe sich nach dem Verkauf seiner Sportwagenfirma als Weinbauer hierher zurückgezogen, plaudert Silvia aus dem umbrischen Nähkästchen.

Nach der Torta di Testa noch schnell einen Espresso wie es ihn eben nur in Italien gibt.Foto: Marco FischerNach der Torta di Testa noch schnell einen Espresso wie es ihn eben nur in Italien gibt.

„Double easy“ klingt einladend für einen Uphill-Trail, doch Silvia grinst und wir spüren schnell: der Name ist äußerst ironisch gemeint. Konstante 15 Prozent Steigung wollen hier hochgedrückt werden. Dafür rollen wir, fix und fertig oben angekommen, direkt durch einen gemauerten Torbogen, hinein in die mittelalterlichen Gassen von Panicale. In einer Bar an der Piazza machen wir Halt und Silvia bestellt „Torta di Testo“ für alle – ein Fladenbrot aus dem Holzofen, mit Prosciutto und Pecorino. Während dieses Gedicht von einem Sandwich auf meiner Zunge zergeht, kann ich nicht glauben, dass wir diesen Platz für uns allein haben. Nebenan, in der Toskana, wäre dieser Ort definitiv eine Touristenhochburg!

Warum die Umbrer locker aufs Meer verzichten können

Zu einem Ort, der auch in Umbrien gut besucht ist, führt uns Silvia am nächsten Tag. Auf einer typischen Strada bianca (Naturpiste) klettern wir einen lichten Eichenwald hinauf und stehen irgendwann am Gipfelkreuz des 853 Meter hohen Montarale. Es ist der höchste Berg der Region, es ist wieder kein Mensch in Sicht, aber es bläst ein ausgesprochen kalter Wind. „Genau der ist der Grund, warum sich die Menschen aus den Tälern im Sommer am liebsten hier oben aufhalten“, erklärt Silvia. „Unten ist die Hitze an manchen Tagen einfach nicht mehr auszuhalten.“

Ich würde mich im Moment über zehn Grad mehr nicht beschweren, entdecke aber beim Jacke anziehen einen Bergriesen am Horizont und Silvia nickt: der Monte Vettore! Man kann den Apennin also doch von hier aus sehen. Der eigentliche Grund für den langen Anstieg auf den „Arale“ aber heißt „Knochenbrecher-Trail“. Ich überlege noch fieberhaft, ob da wieder Ironie im Spiel sein könnte, aber wir bekommen es wirklich zwei Kilometer lang mit schräg liegenden Schieferplatten, großen Felsformationen und Stufen in verschiedenen Höhen zu tun.

Also wirklich: Wer braucht da noch ein Meer?!Foto: Marco FischerAlso wirklich: Wer braucht da noch ein Meer?!

Erst in Greppolischieto, einem alten Bergort, haben unsere Fahrwerke kurz Pause. Von der Festungsmauer überblicken wir den Grund, warum die Umbrer auf einen Küstenabschnitt am Meer locker verzichten können: den Trasimeno-See. Mit seinen Inseln erinnert er an den Chiemsee, ist aber fast doppelt so groß. Silvia deutet Richtung Ostufer des Sees: „Morgen kurbeln wir den ganzen Höhenweg mit Seeblick bis nach Passignano. Der Enduropark dort wird dir gefallen. Aber jetzt geht's erst mal zu Sergio“, sagt Silvia und ich ahne, es hat wieder etwas mit sehr leckerem Essen zu tun. Und richtig: Einen Trail später sitzen wir unter Olivenbäumen und kosten das würzig-scharfe Öl ihrer Früchte auf frisch geröstetem Weißbrot. Also da braucht man wirklich kein Meer mehr.

Info Umbrien

Das Revier: Umbrien liegt auf „Wadenhöhe“ des italienischen Stiefels und ist die einzige Region des Landes, die weder ans Mittelmeer, noch an ein anderes Land grenzt. Hauptstadt: Perugia. Die Hügel rund um den Trasimenosee haben Mittelgebirgscharakter, ganz im Osten ragt der Apennin mit den Monti Sibillini (Trail-Verbote im Nationalpark!) fast 2500 Meter hoch in den Himmel. Für Mountainbiker sind aber die nahezu menschenleeren Hügel rund um den Trasimenosee interessanter.

Entspannte Cruiser können sich auf den Strade Biance (breite Sand-Schotter-Wege) von Aussichtspunkten zum nächsten mittelalterlichen Bergdorf hangeln. Direkt am Seeufer wurde kürzlich ein neuer Radweg eröffnet, man kann den See aber auch auf einem aussichtsreichen Höhenweg umrunden. Wer auf die Trails abbiegt, sollte sich dagegen auf anspruchsvolles Terrain einstellen. Gebaute Flowtrails gibt es hier nicht. Die Pfade werden zwar freigeschnitten, aber mit natürlichen Hindernissen wie Stufen, Felsen, Wurzeln und Geröll gilt es klar zu kommen. So wie übrigens mit den Anstiegen auch: Sie sind nicht lang, aber oft schmerzhaft steil.

Anreise: Man kann mit dem Zug bis nach Chiusi Chianciano oder nach Perugia reisen. Doch der weitere Transfer in die kleinen Dörfer ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln fast nicht möglich. Die Anreise nach Umbrien gestaltet sich daher am einfachsten mit dem Auto (Entfernung von München nach Panicale: 770 km).

Übernachten: Es gibt rund um den Trasimeno-See Campingplätze, aber auch jede Menge Airbnb-Angebote in und um historische Ortskerne herum. Und im Vergleich zur Toskana zu wirklich günstigen Preisen.
Wir würden aber das Bike Resort Villa Rey von Silvia empfehlen. Hier bekommt man das Rundum-Paket mit Wellness, Pool, geführten oder GPS-Touren und leckerster umbrischer Küche. Info: www.villarey.eu, Tel. 0039/339/6855155.

Damiano und Andrea betreiben in Passignano den Lake Bike Store und schaufeln seit 2016 auch die Trails im Enduro-Trailpark.Foto: Marco FischerDamiano und Andrea betreiben in Passignano den Lake Bike Store und schaufeln seit 2016 auch die Trails im Enduro-Trailpark.

Passignano Enduro Trailpark: Bei Passignano, am Nordufer des Trasimeno-Sees, werden seit 2016 Trails gebaut. Inzwischen gibt es hier auch Flowlines. Das gesamte Angebot: 3 Enduro-Strecken (Gym, Twingym und Trenoline), 5 All-Mountain-Strecken (Folletto, Xmas, Filodiretto, Cappuccini, Olivastro und 8 XC-Strecken (Poggio, Belveduto, FotonicaIntro, Carbonaia, Nemesi, Tokio, Cerquasasso, Coccinella, Bellalago. Eine Aufstiegshilfe gibt es nicht, hier setzt man voll auf E-MTBs. Alle Infos zum Trail-Gebiet: www.trasimenobike.it

Beste Tourenzeit: In den umbrischen Hügeln fällt selten Schnee, daher kann man das ganze Jahr über biken. Am schönsten sind aber das Frühjahr und die Erntezeit von September (Wein) bis November (Trüffel!), dann ist es auch nicht zu heiß.

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