Keine Ahnung, ob es an den 25.000 Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg liegt, die hier oben im Ossarium begraben liegen, oder an der Abfahrt, die gleich kommt: Steigt man am Gipfel des Monte Grappas aus dem Shuttle-Bus, kriecht eine elektrisierende Anspannung unter die Haut. Rückblickend ist dieser Adrenalinspiegel von Vorteil, denn der schärft auch die Konzentration – und die kann man auf dem legendären Frontsteig Sentiero 153 gut gebrauchen.
Der 1775 Meter hohe Monte Grappa sieht aus, als wäre er einst aus den Dolomiten abgebröckelt und in die italienische Tiefebene hineingewürfelt worden. Wie eine riesige Festung liegt er da mit seinen fast senkrechten, weißen Felswänden. Uneinnehmbar, so scheint es auf den ersten Blick. Die österreichischen Truppen versuchten es im Ersten Weltkrieg – und bezahlten ihr Scheitern mit vielen Tausend toten Soldaten. Die am Gipfel verschanzten Italiener konnten ihr Land in dieser letzten großen Schlacht am Monte Grappa zwar verteidigen, bluteten für diesen Sieg aber ebenfalls mit 12615 gefallenen Soldaten, in nur sechs Tagen. Seither gilt der Berg in Italien als Heiligtum.
Ehrfurcht ist daher auch für Biker angebracht. Denn die meisten der berühmten Zickzack-Trails in der Steilwand haben die Soldaten allein im Winter 1917/18 in den Fels gehackt. Diese ehemaligen Nachschubwege sind also ziemlich genau 100 Jahre alt – und trotzdem dürfen wir sie heute ohne Verbote mit dem Bike befahren.
Doch apropos fahren: Die Tour beginnt mit dem Sentiero 156, der direkt vom Parkplatz des Gipfelplateaus abzweigt. Hier hat der Weg noch Saunahandtuch-Breite und kurvt im leichten Auf und Ab an der Hochplateaukante dahin. Bei besonders klarem Wetter soll man von diesem Höhenweg bis zur Adria blicken können. Aber die Vogelperspektive über die Po-Ebene ist auch ohne Meerblick schon beeindruckend.
Dann wird der Weg schmaler und setzt zur ersten Abfahrt in eine Talmulde an. Ein kurzes Stück auf Asphalt an einem alten Fort vorbei, dann links dem Militärpfad zum Monte Boccaor hinauf folgen. Der Pfad klebt hier ganz dicht am verwinkelten Fels, fädelt durch einen Tunnel, klettert schotterige Rampen hinauf, und manchmal ragen Büsche in die zunehmend schmalere Fahrspur. Knapp 100 Höhenmeter, die anstrengen, aber auch warm machen – für das, was noch kommt.
Und den kompletten Überblick auf das, was noch kommt, erhält man unvermittelt nach einer Linkskehre um einen Felsvorsprung: der Sentiero 153 in seiner ganzen Pracht am Gegenhang. Wie von Picasso in die Felswand geritzt. Mit Tunnels, die von hier oben wie Mäuselöcher aussehen, zackt sich der Weg ins Tal hinunter. Für Nicht-Schwindelfreie ist das vielleicht der schönste Moment der Tour, denn ab dem Einstieg in den 153er sind keine Fehler mehr erlaubt: Schmal und fein geschottert krallt sich der Pfad in die Wand.
Sorge bereiten nur vereinzelte lockere Steine. Trifft man einen davon mit dem Vorderrad, sollte man das schnell wieder unter Kontrolle bringen. Also besser zum Hang hingelehnt fahren? Im besten Fall ritzt das Gebüsch dann ein paar Striemen in die Arme. Im schlechtesten Fall hakt man mit dem Lenker ein und wird abgeworfen. Also besser schulmäßig zentral über dem Bike sitzen, nicht in den nahen Abgrund schauen, zur Not ein paar besonders kniffelige Spitzkehren schieben – und einfach die Nerven bewahren. Nach 700 Tiefenmetern blickt man ehrfürchtig zurück auf das Trail-Gemälde in der Felswand und spürt, wie das Adrenalin einem wohligen Glücksgefühl weicht.
Der Sentiero 153 gehört zu den echten Trail-Klassikern. Schon wegen seiner spektakulären Wegführung in der Felswand. Abgesehen von zwei bis drei etwas verblockten Spitzkehren, lauern keine Stolperstellen – absolute Schwindelfreiheit vorausgesetzt. In Sacello di San Liberale endet der Trail. Von dort geht‘s auf Schotter, Asphalt und Trails am Fuße des Berges zurück nach Borso del Grappa.
Die GPS-Daten zur Tour finden Sie in unserem DK-Tourenportal zum Download
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Der Trail startet oben am großen Parkplatz des Rifugio Bassano. Wer die 1500 Höhenmeter dort hinauf selbst erkurbeln möchte, nimmt am besten die „Fliegerstraße“ SP140. Trotz der Shuttle-Busse ist auf dieser Kurvenstrecke noch am wenigsten Autoverkehr unterwegs.
Es gibt am Monte Grappa nur Shuttles für Paraglider. Wenn Platz ist, dürfen Biker da mitfahren. Günstiger kommt man mit dem eigenen Auto zum Rifugio Bassano. So muss nach der Tour nur noch einer (ohne Bike) hochshutteln und das Auto holen. Kostenpunkt dann: 20 Euro. Treffpunkt der Shuttle-Busse: Tilly‘s Locanda in Semonzo di Borso del Grappa, Via Casale 87, www.tillys.it
Im Rifugio Bassano gibt‘s guten Espresso und an der Hüttenwand interessante Bilder vom Krieg. Die nächste Einkehr wartet erst wieder im Rifugio San Liberale. www.cimagrappa.it
Hotel Garden Relais, Borso del Grappa, mit eigenem Shuttle, www.gardenrelais.it
Die Tour ist ohne Einschränkungen mit dem E-MTB fahrbar. Wer die 1500 Höhenmeter über die SP140 hochtreten möchte, kommt bei sehr sparsamer Fahrweise mit nur einem Akku aus. Und spart sich zeitaufwändiges Shutteln.