Dimitri Lehner
· 07.02.2023
Der österreichische Freeride-Profi Hannes Klausner belud seinen Van und cruiste damit in den Süden Italiens. Klausner sucht am Ätna auf Sizilien nach der längsten Freeride-Abfahrt seines Lebens. Und fand sie. “Screesurfing” heißt das kontrollierte Schwingen durch Sand. Wir wollten von Hannes im Interview wissen, ob Screesurfing so cool ist, wie es aussieht, und wie es richtig geht.
Heißer Sand, der Berg bebt und grollt. Das Naturerlebnis beeindruckt mich genauso stark wie der Ritt vom Vulkan. – Hannes Klausner
FREERIDE: Du nennst Dein Projekt: Freedom. Warum Freiheit?
Hannes Klausner: Als Biker musst du auf Trails fahren. Sie geben den Kurs vor. Doch mir imponiert das freie Gelände, so, wie ich es vom Skifahren kenne. Du stehst auf dem Gipfel und suchst dir deine eigene Linie ins Tal. Als Freeskier liebe ich dieses Gefühl. Auf dem Ätna mit seinen Hängen aus Lavasand schien mir das auch mit dem Bike möglich. Also freie Linienwahl, volle Freiheit.
Bei Deinem letzten Projekt hast Du in Steinbrüchen nach dieser Freiheit gesucht. Hast Du sie dort nicht gefunden?
Etwas Freiheit habe ich selbst dort gefunden, doch die Hänge waren kurz und der Schotter oft grob. Oder das Gelände zu technisch, dass die Felsen diktierten, wo ich fahren musste. Deswegen wollte ich jetzt zum Ätna. Da sahen die Berghänge aus wie Tiefschnee im Winter, nur eben schwarz.
Das klassische Freeriden scheint etwas aus der Mode zu kommen. Wie siehst Du das?
Freeriding geht immer mehr Richtung Slopestyle. Selbst die Rampage mutiert zum Big-Mountain-Slopestyle. Das mag der Zeitgeist sein. Doch mir gefällt Freeriding, wie es früher war. Das kann man jetzt oldschool nennen, doch für mich war das klassische Freeriden der Grund, überhaupt mit dem Biken anzufangen. Kein Format, keine Regeln, freies Gelände – ohne alles umzubauen – Freeriding im Wortsinn.
Also wie in den Anfangstagen als Wade Simmons und Brett Tippie Sandhänge hinuntergesurft sind.
Genau. Als ich damals von Simmons und Tippie hörte und Filme sah, sprach mir deren Idee voll aus der Seele. Denn zu der Zeit fuhr ich viel Ski und dachte mir: Wow, Freeriden geht auch mit dem Bike. Das musst du machen.
Du sagtest, dass Du Dich auch vom Wingsuit-Fliegen inspirieren lässt. Wie das?
Mit dem Wingsuit suchst du dir deinen Kurs auch ganz frei, hier sogar dreidimensional. Komplette Freiheit: Du fliegst hin, wo du willst. Das macht mir ungemein Spaß. Warum also nicht aufs Bike übertragen? Ich hatte recherchiert, wo das am besten geht, checkte einige Vulkane und habe mir dann den Ätna ausgesucht, da schienen die Bedingungen am besten, die Abfahrt am längsten.
Wingsuit-Fliegen, dagegen ist Freeriden ja ein eher sicherer Sport.
Das Image trügt. Klar, wenn du mit dem Wingsuit von Felsen springst, darfst du dir keinen Fehler erlauben. Aus dem Flugzeug dagegen ist es ziemlich sicher. Da ist Freeriden gefährlicher, wenn auch weniger tödlich.
Machen Risiko und Gefahr das Erlebnis im Sport intensiver?
Da kann ich nur für mich sprechen: Ich suche keine Gefahr. Doch je besser du wirst, desto höher die Drops, der Speed, die Steilheit – da steigt die Gefahr unweigerlich.
Du nennst diese Art des Bikens: the next level freeriding. Bike-Profi Andreu Lacondeguy scheint auf einem ähnlichen Trip. Warum?
Andreu hat alles im Freeriden mitgemacht, von Dirtjump bis Slopestyle. Jetzt will er da fahren, wo vielleicht noch niemand je gefahren ist. Er ist auf der Jagd nach solchen Lines. Vielleicht ist er durch den Film “Where the Trail Ends” auf den Geschmack gekommen.
Dafür lohnt es sich, das Bike zu buckeln und stundenlang den Berg hochzuklettern?
100 Prozent.
Wie lang musstest Du den Ätna hochkraxeln?
Wir waren einen Tag unterwegs.
Die wenigsten Hobby-Freerider haben das sogenannte Screesurfing ausprobiert, wie Du am Ätna. Was macht den Reiz aus?
Es ist ein Spiel mit der Traktion. Deine Reifen müssen rollen, um Speed aufzubauen. Erst dann sind Schräglagen möglich, und du kannst das Bike in die Turns drücken. Das ist eine Technik, an die auch ich mich erst gewöhnen musste. Wenn du’s raushast, kannst du, ohne zu bremsen, durch den Hang surfen. Die Faszination ist die gleiche wie beim Tiefschnee-Skifahren. Hast du es einmal erlebt, willst du es immer wieder haben.
Wie schwer ist die Technik?
Nicht schwer, doch ich habe einige Tage gebraucht, um rauszufinden, wie gut der Grip ist und wie sehr ich das Bike in den Turn drücken kann. Denn du wirst ja auch sehr schnell.
Wie schnell?
Genau weiß ich es nicht, doch 80 bis 90 km/h hatte ich da sicher drauf.
Bist Du mal gestürzt?
Nur am Probetag, bei der langen 1000-Höhenmeter-Abfahrt nicht. Da hatte ich einen Faststurz, konnte das Bike aber noch mal einfangen.
Beim Screesurfen sieht man, wie das Heck zur Seite geschlenzt wird. Muss man so wedeln?
Wenn es steil wird, ja. Das ist die Technik, um den Speed zu kontrollieren. Ähnlich wie beim Skifahren die Kanten, hackst du mit dem Heck in den Hang. Du reißt das Bike förmlich hin und her. Je flacher und offener der Hang, desto weiter und gecarvter die Schwünge. Du siehst, da sind viele Parallelen zum Tiefschnee-Skifahren.
Wie wichtig sind die Bedingungen?
Mit den Bedingungen steht und fällt alles. Ist es grober Schotter statt Sand, wird aus Spaß Qual. Oder wenn der Hang mit zu großen Felsbrocken durchsetzt ist. Am Ätna gibt es nur einen Monat im Jahr, wo eine solche Abfahrt funktioniert. Zu früh im Jahr, und der Sand ist hier überfroren. Zu spät, und er wird so heiß und tief, dass du drin versinkst.
Wie kann ich mir das vorstellen: hochkraxeln, runterfahren?
Nein. Das klappt beim Freeskiing ja auch nicht. Du musst schon grob wissen, wo es hingeht und die Verhältnisse kennen. Auch am Ätna gibt es Abbrüche und Klippen. Da ist eine sorgsame Vorbereitung wichtig, damit du weiß, wo es hingeht und was dich erwartet. An manchen Stellen ragt Lava-Gestein aus dem Sand, sehr scharfkantig. Solche Gefahrenstellen musst du kennen. Ich habe mir eine Linie ausgeguckt mit perfektem Sand von oben bis unten. Das war unglaublich schön zu fahren.
Wo kann man so was noch machen, außer am Ätna?
Der Ätna ist in meinen Augen ziemlich perfekt, um dieses Erlebnis zu bekommen. Das ist übrigens auch legal. Vorteil: Du kannst mit dem Auto sehr hoch auf den Ätna hinauffahren. Das war mir auch wichtig bei meinem Projekt, ich wollte am Spot wohnen. Von dort aus kann man auch ohne langen Aufstieg erste Erfahrungen sammeln. Kurz: Bei uns auf dem Kontinent ist der Ätna die beste Wahl. Aber klar, es gibt auch Vulkane in Kamtschatka, Mittelamerika oder Südamerika. Andreu Lacondeguy war in Peru unterwegs und hat da irre Abfahrten machen können.
Der Ätna ist aktiv. Hast Du davon was gespürt?
Und ob. Der Berg hat gebebt und geraucht. Ich bin bis in den Krater hineingefahren. Unten war der Boden so heiß, dass man sich nicht hinsetzen konnte.
Der Ätna ist im Februar ’22 ausgebrochen, im Mai warst Du dort. War Dein Projekt gefährlich?
Es war ein Tanz auf dem Vulkan – so muss man es nennen. Locals haben uns für verrückt erklärt. Der Berg hat gegrummelt, ständig gab es Wetterumschwünge. Mal Sonne, mal hast du die Hand vor Augen nicht gesehen. Doch wir hatten Glück, sechs Tage später ist der Ätna dann ausgebrochen für eine ganze Woche.
Was ist Dein nächstes Projekt?
Das verrate ich natürlich noch nicht. Ich hab so viele Ideen. Daran hapert es nicht, die Finanzierung ist der schwierige Part.
Der ehemalige Snowboard-Profi aus Salzburg nennt sich selbst Abenteuersportler und ist ständig auf der Suche nach coolen Lines. Er sucht sie in Steinbrüchen, Sandwüsten, Vulkanen, ja selbst die ägyptischen Pyramiden ist Hannes schon runtergefahren.
Schrei dein Glück zum Himmel! Hast du’s geschafft, wird dich ein Glücksgefühl übermannen, das kaum zu beschreiben ist.
Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen: Fahre Dich auf dem Untergrund ein, gewöhne Dich an die Bedingungen, und schau’ Dir Deine Linie exakt an, bevor Du Dich von oben in einen Hang stürzt. Übermütige Schnellschussaktionen können hier ganz rasch in die Hose gehen.
Wie beim Skifahren brauchst Du Geschwindigkeit. Erst dann kannst Du das Bike in den Turn drücken. Wichtig: Die Räder müssen rollen; keine abrupten Bremsmanöver! Das Vorderrad braucht Grip, das Heck schwimmt auf. Beginne erst mit sanften Turns.
Auch wenn es Überwindung kostet: Bleib’ vorne. Eine zentrale Position ist das Erfolgsrezept. Nicht hinten hängen! Nur so kriegst Du Druck und Grip aufs Vorderrad und kannst das Heck entlasten. Je weicher und loser der Untergrund, desto vorsichtiger musst Du bei der Kurvenlage sein.
Kontrolliere den Speed! In flachem Gelände können Deine Turns lang und schnell sein. Je steiler es wird, desto energischer schlenzt Du das Heck von einer Seite zur anderen. Das verlangsamt die Fahrt. Die Reifen dürfen nicht blockieren, sonst rutschen sie weg.