Text: Christian Bonk
Die Emilia-Romagna ist für deutsche Touristen so etwas wie der Inbegriff eines Italienurlaubs an der Adria. Unendliche Sonnenstunden, endlose, wenn auch stark frequentierte Strände und laue Sommernächte, in denen auf den Flaniermeilen der Urlaubsorte der Tag nicht zu enden scheint. Das Hinterland hingegen ist ein geradezu verschlafenes Paradies für Radler.
Als wir im auf Radsportler spezialisierten Bike-Hotel Gambrinus mitten in Riccione ankommen, liegen vier verführerisch klingende Touren von etwa 50 bis 60 Kilometern Länge bei wolkenlosem Spätsommerwetter vor uns. Schon im Hotel umgibt uns das Flair gelebten Radsports. Nicht nur Trikots von Radsportikonen wie Marco Pantani oder Maurizio Fondriest zieren die Hotellobby, auch in den Gängen, an den Wänden der Zwischenetagen, Flure und im Speisesaal erinnern unzählige Insignien des Radsports daran, warum etwa 90 Prozent der Gäste immer wieder herkommen: Im Gambrinus, das die charismatische Hotelchefin Grazia Nicoletti mit ihrem Bruder Luca in dritter Generation leitet, dreht sich buchstäblich alles um die Leidenschaft fürs Biken – inklusive Rad-Werkstatt und einem Nachmittags-Pasta-Buffet zum Auffüllen der Kohlenhydrat-Speicher.
Nach der erholsamen Nacht im Gambrinus treffen wir unseren Guide Patrick, der uns für die nächsten Tage durch die Emilia-Romagna begleiten wird. Heute stehen mit Saludecio, Mondaino und Montegridolfo malerisch gelegene Dörfer auf dem Plan. Wir verlassen Riccione Richtung Hinterland und befinden uns schon nach wenigen Kilometern in idyllischer Abgeschiedenheit. Wir sind umgeben von Sonnenblumenfeldern, Weingärten und den für diese Region typischen Zypressen und Pinien. Ich bin mit meinem Bergamont-Touren-E-Bike gut ausgestattet, denn größtenteils sind wir auf Regionalstraßen unterwegs, die wir uns mit allerdings nur selten vorbeibrausenden Autos teilen. Ich entschließe mich, hauptsächlich den Eco-Modus – der mir an die 80 Kilometer Reichweite spendiert – einzuschalten, denn Hotelchefin Grazia hatte uns schon darauf hingewiesen, dass wir auf unseren Touren kaum mit einer nennenswerten Ladeinfrastruktur rechnen können. Darum ist in der Packtasche neben reichlich Wasser auch das Ladegerät verstaut, um im Akku-Notfall in einer Bar-Centrale nach einer Steckdose fragen zu können.
Die erste Erkundungspause legen wir nach etwa 20 Kilometern mit 350 angenehm befahrbaren Höhenmetern in Saludecio ein. Es präsentiert sich ein malerisches, verschlafenes Dorf mit hübschen Häuserfassaden, die von einer lebendigen und langen Geschichte zeugen. Im Zentrum bestaunen wir die Reste des mittelalterlichen Schlosses sowie das repräsentative Eingangstor Porta Marina, das uns durch die Stadtmauer in die Gassen des Städtchens führt. Hier genießen wir bei einem Cappuccino die Ruhe das italienischen Landlebens, bis wir wieder auf die Räder steigen, um die nächste Teil-etappe zur Stadt Mondaino ansteuern. Wieder führt uns die Route über sanfte Hügel und friedliche Täler, es wechseln sich Felder, kleine Waldstücke und Wiesen ab, die Temperatur hat sich bei dreißig Grad eingependelt, und wir radeln unter einem tiefblauen Adria-Himmel weiter. Nach einer guten Stunde erreichen wir Mondaino, das uns mit seinem charmanten Stadtbild wieder ins Mittelalter versetzt.
Hier erwartet uns auch ein kulinarisches Highlight unserer Tour: Wir sind zu Gast in der Käserei Formaggio Pecorino die Fossa, die seit Generationen in der Mulino della Porta di Sotto beheimatet ist. Die mittelalterliche Mühle war in Zeiten der Malatesta-Festung von Mondaino ein wichtiger Baustein für die autarke Versorgung der Festung. Im 18. Jahrhundert wurde sie als Salzmühle genutzt und befand sich für etliche Jahre im Besitz der Bankiersfamilie Rothschild. Vor zwanzig Jahren haben die Chiaretti-Brüder Emanuele und Michele sie aufgekauft, um hier den traditionellen Fossa-Käse herzustellen. Wir genießen vier köstliche Sorten der inzwischen in viele Länder exportierten Spezialität und machen uns gestärkt auf die letzte Teiletappe, die uns über Montegridolfo wieder Richtung Küste führt. 58 Kilometer haben wir am Ende zurückgelegt und dabei circa 850 Höhenmeter absolviert.
An Tag zwei verlassen wir frühmorgens das langsam erwachende Riccione Richtung Misano Adriatico. Wir sind an dem Wochenende unterwegs, an dem in Misano das legendäre MotoGP-Rennen ausgetragen wird. Als wir das Motodrom passieren, scheint das erste freie Training zu beginnen. Wir hören die Boliden auf zwei Rädern ihre Runden drehen und sind froh, dass unsere Route anfänglich entlang des ruhigen Conca-Flusstals in die üppige Natur des Hinterlandes führt. Wenig später befinden wir uns bereits in der Region Marken und erklimmen auf Feldwegen knappe 200 Höhenmeter Richtung Gradara mit seiner prachtvollen Burg, einem der wichtigsten Wahrzeichen der Region.
Das über dem verschlafenen Ort thronende Castello di Gradara und das gut erhaltene mittelalterliche Dorf unterhalb der Burg sind von einer gewaltigen Mauer mit Wehrgängen umgeben, die die jeweiligen Herren der Burg und die Bewohner des Dorfes vor Aggressoren schützte. Im Jahr 1150 von der Adelsfamilie De Griffo errichtet, war die Festung über die Jahrhunderte immer wieder Schauplatz von Eroberungen, auch wenn sie eine Zeit lang als uneinnehmbar galt. Vom über 30 Meter hohen Donjonturm lassen wir die Blicke bis zur Adriaküste schweifen und genießen die Aussicht über das immergrüne Hügelland der Marken.
Nach einem Snack und dem obligatorischen Cappuccino setzen wir unseren Weg fort, radeln über von Zypressen und Pinien bewachsene Hügel des Küstenhinterlandes und erreichen die Provinzhauptstadt Pesaro. Die quirlige Hafenstadt empfängt uns mit einer Vielzahl an historischen Gebäuden sowie Cafés, Bars und Restaurants. Die Atmosphäre empfinden wir als weniger touristisch als in den Ferienorten der Emilia-Romagna, wenngleich auch Pesaro zu den besonders beliebten Urlaubsdestinationen an der italienischen Adriaküste zählt.
Nach einer kurzen Rast in Patricks Lieblings-Café steht ein kräftezehrender Aufstieg über die Via Panoramica an, die durch den Parco Regionale Monte San Bartolo führt. Wir kommen am höchsten Aussichtspunkt auf etwa 400 Metern Seehöhe an und genießen dort den Blick über die Bucht von Rimini, der vielfach für die gerade mühevoll absolvierten Höhenmeter entschädigt. Die folgenden gut 25 Kilometer verlaufen auf der Via Panoramica und bieten uns eine sich sanft auf und ab bewegende traumhafte Kulisse. Weite Ausblicke über die Küste und ins Hinterland wechseln sich ständig ab – wir können uns nicht sattsehen angesichts dieses Spektakels für die Augen. Die letzten Kilometer zurück an die Küste führen in steilen Serpentinen hinab. Von dort treten wir den Heimweg nach Riccione an und haben dann insgesamt 66 Kilometer (mit rund 800 Höhenmetern) in den Beinen.
Heute führt uns Patrick ins Conca-Flusstal, in dem wir auf Kieselwegen dem mäandernden Flussverlauf durch die typische Flora des Hinterlandes der Emilia-Romagna folgen. Nach circa eineinhalb Stunden sehr entspannter Fahrt verlassen wir das Flussufer und bewältigen die ersten sanfte Bergaufpassage des Tages, ehe wir in Morciano einen Espresso und einmal mehr den Ausblick über die herrliche Landschaft bis zur Küste genießen. Der Koffeinschub muss jetzt allerdings auch seine volle Wirkung entfalten, denn vor uns türmt sich ein recht anspruchsvoller Aufstieg auf. In rund 90 anstrengenden Minuten erklimmen wir den Hügel, auf dem das beeindruckende Montefiore liegt, eines der vielen mittelalterlichen Dörfer, die die Region prägen. Es ist von einer massiven Mauer umgeben,
in dessen Mitte die weithin sichtbare Festung Montefiore Conca majestätisch in die Höhe ragt. Von Montefiore Conca nehmen wir eine rasante Abfahrt durch einen dichten Wald unter die Räder, bis wir schließlich den Badeort Cattolica erreichen, um auf dem inzwischen gewohnten Rückweg unser Hotel anzusteuern. Insgesamt 50 Kilometer mit 550 Höhenmetern haben wir heute bewältigt.
Die Abschluss-Tour mit 54 Kilometern und 700 Höhenmetern führt uns ins hiesige Weintal, das wir auf sanften Auf- und Abstiegen durchqueren. In Trarivi, einem weiteren mittelalterlichen Dorf in traumhafter Lage, besichtigen wir ein Miniatur-Open-Air-Museum, das an die Gefallenen aus den beiden Weltkriegen erinnert. Wir setzen unseren Aufstieg fort und erreichen das pittoreske Dorf Montescudo, in dem die Festungsanlagen, der Stadtturm und ein mittelalterliches Eishaus an die lebhafte Geschichte des Ortes erinnern, den die Malatestas im 14. Jahrhundert als wichtigen Außen- und Sicherheitsposten massiv befestigten. Von hier fahren wir eine Zeitlang bergab und passieren die Ortschaften San Savino und Coriano, bis wir schließlich San Clemente erreichen, das in der Region den Beinamen „Stadt des Weins“ trägt. Von hier schweift unser Blick über Felder und Weinberge, deren Rebstöcke hauptsächlich pralle Sangiovese-Trauben tragen; aber auch Trebbiano und Rebola gehören zu den hier kultivierten Rebsorten, sogar Riesling wird hin und wieder angebaut. Im Weingut Enio Ottaviani erwartet uns eine stilvolle Weinprobe bei deftig belegten Pinsas. Perfekt gestärkt und beschwingt steigen wir in die Sättel, um die letzte Etappe unserer Tourentage abermals über Cattolica zurück nach Riccione unter die Räder zu nehmen.
Die Region Emilia-Romagna erstreckt sich in Norditalien zwischen den Apeninnen und der Po-Ebene. Sie grenzt im Norden an die Lombardei und Venetien, im Süden an die Marken und die Toskana und im Westen an Ligurien sowie in wenigen Abschnitten auch an das Piemont. In erster Linie ist die Emilia-Romagna für die ihrer Touristenmetropolen Rimini, Riccione, Ravenna, Cattolica und Misano Adriatico bekannt. Aber auch die im Landesinneren gelegenen Städte Bologna oder Parma sind einen Besuch wert. Wir haben per Bike das direkt an die Küstenregion angrenzende, hüglige Hinterland erkundet. Und haben neben der üppigen mediterranen Natur traumhafte Städtchen mit eindrucksvollen Schlössern und Befestigungsanlagen auf wehrhaften Hügeln entdeckt. Die Beschaulichkeit und Ruhe, die schon wenige Kilometer hinter der Küste herrschen, haben uns begeistert.
Die GPS-Daten zu den vier Tourenvorschlägen in der Emilia-Romagna gibt es hier zum kostenlosen Download oder in der MYBIKE Collection auf komoot
Am einfachsten erreicht man die Emilia-Romagna mit dem Auto über den Brenner und dann über die italienische A 14 , die ab Bologna direkt an die Adria führt. Alternativ lassen sich auch die Flughäfen Bologna und Rimini von vielen deutschen Flughäfen aus anfliegen. Dazu verfügt Rimini über einen großen, international gut angebundenen Bahnhof, der auch eine bequeme Anreise mit der Bahn ermöglicht. Wer sich für die Autobahn entscheidet, muss für die Brennerpassage 11 Euro pro Strecke und die österreichische Autobahnvignette budgetieren (9,90 Euro für zehn Tage). Auch auf Italiens Autobahnen ist eine Maut fällig. Bis Riccione, den Ausgangsort unserer Touren, sind dafür knapp 40 Euro pro Strecke fällig.
Wir waren im Hotel Gambrinus einquartiert, eine absolute Empfehlung für jede und jeden Radreisenden. Das Hotel wird in dritter Generation von den Geschwistern Grazia und Luca Nicoletti charmant geführt und bietet für Radbegeisterte ein durchdachtes Komplett-Paket mit Werkstatt, Trikot-Waschservice und einem nachmittäglichen Nudel-Buffet zum Auffüllen der Energiereserven nach der Tour. Das Hotel liegt in zweiter Reihe hinter der Strandpromenade und bietet ein authentisches italienisches Abendmenü, Tischgetränke inklusive. Liebevolle Dekoration mit Trikots von Weltklasse-Radprofis.
Die Emilia-Romagna bietet alle Köstlichkeiten, die typisch für italienische Gaumenfreuden sind. Von hier stammen Klassiker wie der Parmaschinken, Cannelloni, Tagliatelle, Pasta-Sauce Bologneser Art oder der Balsamico-Essig – hinzu kommen fangfrischer Fisch und Meeresfrüchte aus der Adria auf die Teller. Zum Essen empfiehlt sich ein gut gekühlter Trebbiano oder in den Abendstunden ein kräftiger Sangiovese. Wer am Abend die lebendige Fußgängerzone in Riccione durchstreift, findet jede Menge Restaurants in allen Preisklassen. Neben allgegenwärtigen Pizza- und Pasta-Offerten finden auch Gourmets das passende Lokal fürs Diner, um beispielsweise Fisch- oder Fleischgerichte zu genießen.
Die hügeligen Strecken in der Emilia-Romagna sind ziemliche Akku-Fresser. Allerdings steckt die Elektrifizierung durch E-Bike-Ladestationen in der Region noch in den Kinderschuhen. Selbst in den Urlaubsorten am Meer sind Ladepunkte noch Mangelware. Es empfiehlt sich also auf jeden Fall, das Ladegerät auf den Touren mitzuführen. Die freundlichen Menschen im Hinterland sind jederzeit bereit, während eines Cappuccinos oder einer Pasta am Mittag einen Bike-Akku an einer normalen Steckdose aufzuladen.
Käserei Formaggio Pecorino di Fossa in Mondaino: Der Grubenkäse, der für Monate im alten Gewölbe der ehemaligen Salzmühle reift, wird in verschiedenen Variationen angeboten. Wer sich vor seinem Besuch anmeldet, erlebt eine Präsentation des Käsereiverfahrens und eine Verkostung des schmackhaften Grubenkäses. Der Käserei-Shop bietet weitere Leckereien aus eigener Herstellung der Familie Chiaretti.
Weingut Enio Ottaviani: Auch hier empfiehlt sich die vorherige Anmeldung, um beispielsweise eine Weinprobe zu erleben, die von köstlichen Spezialitäten begleitet wird. 12 Hektar Weinberge bewirtschaftet die Winzer-Familie und hat sich einen hervorragenden Ruf für Chardonnays, fruchtbetonte Bombino Biancos sowie natürlich aromatische Sangioveses erarbeitet. Das moderne Weingut bildet einen tollen Kontrast zu den sanften Weinhügeln, in deren Mitte es gelegen ist.
Für die Groborientierung ist die Emilia-Romagna - Bologna Straßenkarte 1:150.000 von Freytag und Berndt zu empfehlen. Der Tourismusverband der Emilia-Romagna unterstützt Tourenplanungen mit Karten. emiliaromagnaturismo.it/de/sport/radfahren
Italienische Zentrale für Tourismus ENIT, www.italia.it/en/emilia-romagna
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