DolomitenDie 3 spektakulärsten MTB-Touren von Cortina d’Ampezzo

Markus Greber

 · 31.01.2024

Die Cinque Torri dekorieren die wirklich gemein steilen letzten Höhenmeter zur Averau-Hütte hinauf. Aber auch einen schönen Trail bergab.
Foto: Markus Greber / Skyshot
Cortina d'Ampezzo ist umringt von prominenten Dolomiten-Gipfeln. Gefehlt haben bisher nur spannende Trails. Doch der Ort in den Belluneser Dolomiten hat neue Verbindungen geschaffen und eröffnet damit auch für Endurobiker ganz neue Horizonte.

Das Revier Cortina d'Ampezzo gehört zur Provinz Belluno in Venetien und hat 5627 Einwohner. Spätestens seit den Olympischen Winterspielen 1956 wurde Cortina als mondänder Wintersportort bekannt. Szenen in den Filmen James Bond (In tödlicher Mission) und Sylvester Stallone (Cliffhanger) verhalfen Cortina maßgeblich zum heutigen Image. Für Biker ist der Ort Cortina vor allem Dreh- und Angelpunkt für diverse Highlight-Touren in die Dolomiten: Naturpark Fanes, Averau, Tofana, Cinque Torri und Forcella Ambrizzola liegen von hier aus nur ein paar Pedalumdrehungen entfernt. Außerdem hat die Cortina Ski-World ihren Radius um ein paar Liftanlagen erweitert, die im Sommer auch Biker transportieren. Schon damit auch die neuen Bikepark-Trails leichter zu erreichen sind. Wer dieses landschaftliche Dolomiten-Spektakel auf Cortinas neuer Infrastruktur für Biker erleben möchte - hier geht’s lang:

Tour 1: Fanes-Tofana-Runde

  • Länge: 45,6 Kilometer
  • Bergauf: 1391 Höhenmeter
  • Dauer: 5 Stunden
  • Schwierigkeit: schwer
Von Cortina zum Col Druscie geht es mit Lift hinauf. Danach muss man sich das Panorama selbst erkurbeln.Foto: BIKE MagazinVon Cortina zum Col Druscie geht es mit Lift hinauf. Danach muss man sich das Panorama selbst erkurbeln.

Tourenbeschreibung

Die Fanesrunde: Von St. Vigil und Pederü aus ist die Runde ein Südtiroler Tourenklassiker und landschaftlich ein absolutes Highlight – doch ohne größere fahrerische Ansprüche. Von Cortina d'Ampezzo aus aber trifft man auf einige spaßige Enduro-Sektionen, die Landschaft ist noch imposanter und es gibt sogar eine helfende Seilbahn. Trotzdem bleiben noch 1391 Höhenmeter, die man aus eigener Kraft treten muss: Die neue 10er-Gondel in Cortina schwebt in den ersten Stock zum Col Druscie hinauf. Dort oben beginnt die Tour am Stausee Lago Po`Drusciè mit einem breit gekiesten Höhenweg. Der startet steil, führt dann aber fast eben durch die Waldhänge und öffnet immer wieder Traumausblicke auf das gegenüberliegende Cristallo-Massiv.

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Doch bald kippt der Weg fast in Falllinie in die Schluchten des Naturparks Fanes Sennes Prags. So wie das Fanes-Bächlein, das hier unten als gewaltiger „Gola di Fanes“-Wasserfall aufschlägt. Dann heißt es beißen: Der Anstieg im tiefen Schotter zur Fanes-Hochebene hinauf kostet Körner, die man in der Großfanes Alm auf dem Hochplateau mit einem leckeren Knödel-Tris aber wieder auffüllen kann. Auf breitem Schotter, später auf Trails geht's weiter bis zum Aussichtspunkt Col de Locia, wo die erste Enduro-Challenge wartet: Steil, verblockt und mit Stufen durchsetzt fällt ein Wanderweg etwa 200 Tiefenmeter Richtung St. Cassian hinunter ab. Wer Spaß an Trial-Gebastel hat, kann hier einige Passagen versuchen – sofern keine Wanderer in Sicht sind.

Der zweite Teil der Tour führt meist auf Schotter über den Valparola- zum Falzaregopass – vorbei an historischen Stellungen aus dem Ersten Weltkrieg. Auf der Passhöhe blickt man linkerhand auf den Lagazuoi und die Türme der Tofana-Gruppe, rechts auf die Cinque Torri und tief im Tal auf Cortina d`Ampezzo. Das Finale bringt den zweiten Leckerbissen für Enduro-Freaks: eine 20 Kilometer lange und 1000 Tiefenmeter andauernde Trail-Abfahrt. Zwar grob entlang der Passstraße, aber immer in gebührendem Abstand. Technisch und mit Wurzeln gespickt passiert der Pfad kleine Seen und quert ein Bachbett. Dieser Flug durch einen Märchenwald endet erst im kleinen Örtchen Mortisa, kurz vor Cortina.

Startpunkt: Die Tour startet nach der Seilbahnfahrt von Cortina zum Col Drusciè hinauf, an dem kleinen See Lago Po`Drusciè.

Highlights: Landschaftlich hören die Highlights auf dieser Tour gar nicht auf. Der Fanes-Naturpark gehört zum Kern der Dolomiten!

Schlüsselstellen: Für die Enduro-Segmente braucht man gute Fahrtechnik. Am Col de Locia sind am Wochenende viele Wanderer unterwegs!

Einkehr: Das Essen auf der Großfanes Alm ist hervorragend!

Tour 2: Strada de la Vena

  • Länge: 50,2 Kilometer
  • Bergauf: 1066 Höhenmeter
  • Bergab: 2988 Tiefenmeter
  • Dauer: 6 Stunden
  • Schwierigkeit: mittel
Am Duca d’Aosta kommt man zwischen den Liftfahrten in den Genuss des Bikepark-Trails Tofalina.Foto: BIKE MagazinAm Duca d’Aosta kommt man zwischen den Liftfahrten in den Genuss des Bikepark-Trails Tofalina.

Tourenbeschreibung

Die Strada de la Vena gehört eigentlich zum Einzugsbereich von Alleghe im Nachbartal. Doch von Cortina aus lässt sich der Touren-Klassiker dank der neuen Lift-Infrastruktur zu einer echten Superrunde ausbauen.

Teil 1 der Tour beschäftigt sich mit dem Erreichen der Averau-Hütte: Insgesamt vier Lifttransfers überbrücken gut 1100 Höhenmeter. Zwischen der Bergstation des Sessellifts „Duca d'Aosta“ und der Talstation der Skyline-Bahn ist erst vor kurzem der spaßige Flowtrail „Tofalina“ entstanden. Danach hievt der Sessellift weiter zum Rifugio Scoiattoli hinauf, das nur einen Steinwurf von den berühmten Cinque Torri entfernt auf einem Plateau thront. Von hier aus muss man die letzten 150 Höhenmeter bis zur Averau-Hütte auf einer Schotterrampe tatsächlich noch selbst treten. Doch auf 2413 Meter Höhe ist es geschafft, man blickt gen Süden ins nächste Tal hinunter und fährt 200 Meter lang ein Stück auf der Skipiste steil bergab, klettert rechts kurz einen Felsabsatz hinauf (auf Pfeil-Markierung achten!) und folgt dann einem steinigen Trail unterhalb der Averau-Felszacken. In weiten Kehren erreicht dieser Pfad bald ein freies Wiesengelände, bevor man in den Wald eintaucht.

Im Dorf Larzonai beginnt schließlich die eigentliche Strada de la Vena. Ab hier rollt man auf nicht mehr ganz so spannenden Schotterwegen nach Colle Santa Lucia, wo man in die Straße zum Passo Giau einmündet. 800 Höhenmeter sind es nun bis zum Kassenhäuschen des Fedara-Sessellifts, der wieder hoch zur Averau-Hütte shuttelt. Auf Schotter nun wieder Richtung Rifugio Scoiattoli, nun aber rechts um die Cinque Torri herum und weiter zum Rifugio Cinque Torri. Hier übernimmt ein etwas verblockter Waldweg, der im leichten Auf- und Ab und schließlich als feinster Enduro-Spaß hinunter nach Cortina führt. Achtung: Die Trails im Wald sind wild und zum Teil nicht leicht zu erkennen. Kurz vor Pocol muss man ein kurzes Stück auf die Hauptstraße, dann zweigt an einer Leitplanke links der nächste Trail in den Wald ab. Am besten behält man akribisch den GPS-Track im Auge, sonst hat man sich schnell verfahren.

Startpunkt: Die Tour startet an der Seilbahn Col Drusciè in Cortina.

Highlights: Das Panorama am Averau-Passübergang ist auf beiden Seiten gigantisch. Die Strada de la Vena wurde leider ein Stück zum Schotterweg verbreitert, macht aber immer noch Spaß.

Schlüsselstellen: Der Trail vom Rifugio Cinque Torri hinunter ist kernig, zum Teil verwachsen und dann schlecht zu erkennen.

Einkehr: Auf der Terrasse des Rifugio Averau gibt es sehr leckere Pasta!

Tour 3: Forcella Ambrizzola

  • Länge: 40,8 Kilometer
  • Bergauf: 1791 Höhenmeter
  • Dauer: 5,5 Stunden
  • Schwierigkeit: schwer
Die ersten 400 Höhenmeter der Tour sind hart, aber die letzten 250 hm gehören wahrscheinlich zu den schönsten Europas!Foto: BIKE MagazinDie ersten 400 Höhenmeter der Tour sind hart, aber die letzten 250 hm gehören wahrscheinlich zu den schönsten Europas!

Tourenbeschreibung

Die Forcella Ambrizzola ist ein Passübergang – da bekommt man selbst als erfahrener Dolomiten-Tourenbiker noch feuchte Augen wegen dieses unfassbar großartigen Panoramas. Wirklich sinnvoll lässt sie sich allerdings nur als Transalp-Übergang oneway einbauen. Wobei sie in Tourenportalen auch als Tagestrip empfohlen wird: Hoch zur Forcella, dann auf gleichem Weg wieder zum Lago Federa zurück und über den Sentiero 431 zurück nach Cortina. Doch dieser Weg ist für Biker verboten, meist voll mit Wanderern und außerdem extrem erodiert. Also: spaßfrei.

Wir haben die Tour ganz neu geplant: mit Überquerung der Forcella und auf der Südseite Richtung Alleghe. Hier fährt man auf einsamen Trails ab bis Selva di Cadore und auf der Straße zum Passo Giao bis zum Federa-Sessellift. Damit geht’s hoch zur Averau-Hütte und auf Trails zurück nach Cortina. Und so fühlt sich diese Runde an:
Die 800 Schotter-Höhenmeter zum Lago Federa sind zu Beginn heftig steil, flachen gen Ende aber etwas ab. Das Restaurant Croda da Lago liegt an einem idyllischen See, ist aber am Wochenende dank Busverbindung sehr überlaufen. Ruhiger wird es auf den nun folgenden 200 Höhenmetern zur Forcella Ambrizzola (2277 m) hinauf, wo der Panorama-Wahnsinn beginnt. Und hat man den Pass erst erreicht, ist man für die nächsten 600 Trail-Tiefenmeter durch alpines Wiesengelände ganz allein unterwegs. Später rollt man weiter durch pittoreske Dörfer bis man auf die meist stark frequentierte Passstraße Richtung Passo Giao stößt. Der Spuk endet aber am Rifugio Fedare, wo man wieder sehr beschaulich im alten Sessellift zur Averau-Hütte hochzuckelt. Die Abfahrt von dort oben zurück nach Cortina verläuft auf der gleichen Route wie der Downhill aus der Strada de la Vena-Tour: Auf Schotter Richtung Cinque Torri, dann aber rechts an den markanten Felstürmen vorbei zum Rifugio Cinque Torri. Ab hier geht’s in den Wald und auf technisch anspruchsvollen, wurzel- und felsdurchsetzten Trails zurück nach Cortina. Vorsicht: Bitte akribisch an den Track halten. Der Trail im Wald ist stellenweise schwer erkennbar.

Startpunkt: Die Tour startet in Cortina d'Ampezzo.

Highlights: Mehr Panorama geht nicht. Um dieses Erlebnis mit Breitwandkino nicht zu trüben, sollte man unbedingt die Wochenenden samt Wanderer-Trubel meiden.

Schlüsselstellen: Der Anstieg zum Rifugio Croda da Lago ist wirklich gemein steil. Fahrtechnisch am schwierigsten ist der wilde Trail von Pocol nach Cortina hinunter.

Einkehr: Am Rifugio Croda da Lago freut man sich über Energie-Nachschub, sonst im Rifugio Averau, wenn die Höhenmeter geschafft sind.

GPS-Daten zu MTB-Touren um Cortina d'Ampezzo

Cortina d’Ampezzo ist wirklich umzingelt von Dolomiten-Promigipfeln.Foto: Karin Kunkel-JarversCortina d’Ampezzo ist wirklich umzingelt von Dolomiten-Promigipfeln.

Infos Cortina d’Ampezzo

Unterkünfte

  • Hotel Montana: Relativ preisgünstig und mitten im Zentrum, www.cortina-hotel.com
  • Ciasa Lorenzi: Ebenfalls mitten im Ort mit sehr gutem Restaurant , www.ciasalorenzi.it
  • Hotel Serena: nettes, preisgünstiges Hotel, www.hotelserenacortina.it
  • Hotel de la Poste: elegantes, zentral gelegenes Grandhotel, www.delaposte.it
  • Hotel de Len: gerade erst neu eröffnetes, modernes Designerhotel, www.hoteldelen.it

Camping

Etwas außerhalb von Cortina und direkt am Fluss liegen drei idyllische Campingplätze. Wir haben mit unserem Wohnmobil im Camping Rocchetta (www.campingrocchetta.it) übernachtet. Sehr freundlich und sauber. Direkt gegenüber: Camping Cortina mit eigener, guter und günstiger Pizzeria (www.campingcortina.it). Von diesen Plätzen aus läuft man etwa 20 Minuten ins Ortszentrum. Noch etwas weiter außerhalb gibt es noch den etwas gehobeneren International Camping Olympia (www.campingolympiacortina.it)

Essen und Trinken

Diese drei Restaurants haben wir ausprobiert und können sie empfehlen:

  • Ristorante Pizzeria Al Passetto: Gegenüber vom Bahnhof. Inhaber ist Skilegente Kristian Ghedina. Super Pizza zu moderaten Preisen.
  • Pizzeria Cinque Torri: Mitten im Zentrum. In-Treffpunkt der Schickeria, trotzdem nicht überteuert.
  • Il Vizietto di Cortina: Etwas versteckt im Hinterhof, daher abseits vom Rummel. Gehobene italienische Küche, aber keine Pizza. Kleiner Geheimtipp.

Hüttenübernachtung

Besonders morgens und abends gibt es hoch über Cortina die eindrucksvollsten Lichtstimmungen. Es lohnt sich daher, oben zu übernachten. Entweder im frisch renovierten Rifugia Averau (www.rifugioaverau.it) oder noch eindrucksvoller im Rifugio Nuvolau (www.rifugionuvolau). In beiden Hütten kann man auch hervorragend essen. Unbedingt lange vorher reservieren!

Infos

www.cortina-tourism.com, skipasscortina.com


Revier-Highlights um Cortina d'Ampezzo

Weltkriegsmuseum: Durch die Berge oberhalb von Cortina verlief vor über 100 Jahren eine der am härtesten umkämpfte Frontlinie des Ersten Weltkriegs. Die historischen Stätten hat man teils im Urzustand erhalten. Die Frontabschnitte Lagazuoi, Cinque Torri, Sasso di Stria sowie der der Festung Tre Sassi am Valparola-Pass bilden das größte Freilichtmuseum des Ersten Weltkriegs. Die Begehung kostet keinen Eintritt. Besonders empfehlenswert ist eine Gondelfahrt auf den Lagazuoi. Von dort aus kann man durch die antiken Stollen nach unten wandern. (Keine Bikes erlaubt!)

Drehorte besuchen: Stallone in Cliffhanger, James Bond in tödlicher Mission – das sind nur zwei von vielen bekannten Filmen, die in Cortina gedreht wurden. Einige Drehorte kann man auch heute noch besuchen. Zum Beispiel die berühmte Hängebrücke aus „Cliffhanger”, die nach der Sprengung für den Film 1993 extra wieder aufgebaut wurde. Mehr Infos dazu gibt’s hier: www.dolomiti.org

Bikepark: Seit letztem Jahr werden in Cortina auch fleißig Trails gebaut. Der „Cortina Bike Park Dolomiti“ bietet ein Streckennetz von 18 Kilometern aller Schwierigkeitsgrade.

Die Nuvolau-Hütte thront oberhalb der Averau-Hütte auf einem Felsspitz. Die Aussicht von da oben ist nur schwer in Worte zu fassen. Geschweige denn in einem Bild!Foto: Markus GreberDie Nuvolau-Hütte thront oberhalb der Averau-Hütte auf einem Felsspitz. Die Aussicht von da oben ist nur schwer in Worte zu fassen. Geschweige denn in einem Bild!

Die Nuvolau-Hütte:

Wirklich wie ein Adlerhorst klebt dieses Haus auf dem Felsspitz des Monte Nuvolau, auf 2575 Metern Höhe. Es ist das älteste Schutzhaus der Dolomitenregion von Cortina und wurde 1883 eröffnet. Ein Oberst aus Sachsen, der damals wegen einer schweren Lungenkrankheit in Cortina weilte, ließ die Hütte zum Dank für seine Genesung erbauen. Bis heute hat sich die Hütte den Bergsteiger-Charme des 19. Jahrhunderts erhalten und bietet 24 Schlafplätze. Info: www.rifugionuvolau.it


Die BIKE-Reportage: Mitten ins Herz

1909 war die Welt hier oben noch in Ordnung. In diesem Jahr wurde die große Dolomitenstraße eingeweiht, auf der wir uns gerade, kurz vor dem Valparolapass, hochkämpfen. Als eines der wichtigsten Ingenieur-Projekte des neuen Jahrhunderts wurde diese Verbindungsroute damals gefeiert. Nicht ahnend, dass auf ihr nur acht Jahre später keine Touristen mehr, sondern ausschließlich Kriegsgerät transportiert werden sollte.

Wir schreiben das Jahr 1917. Zwei Jahre zuvor hatte das Königreich Italien dem österreichisch-ungarischen Kaiserreich den Krieg erklärt. Seither tobt am Valparolapass ein heftiger Stellungskrieg. Vergeblich versuchen die italienischen Alpini, sich von Süden her über den Pass Zugang zum Gadertal und ins strategisch wichtige Pustertal zu verschaffen. Doch die österreichischen Kaiserjäger haben sich über dem Pass, auf dem Gipfel des kleinen Lagazuoi und auf dem gegenüberliegenden Hexenstein verschanzt. Jede Bewegung der Italiener wird von dort oben mit Artilleriefeuer im Keim erstickt. Eine Pattsituation für beide Seiten. Also muss eine neue Strategie her. Es ist der 20. Juni 1917, als eine gewaltige Explosion die Luft erzittern lässt. Die Staubwolke über der Südflanke des Lagazuoi ist so groß, dass sie die Sonne verdunkelt. Riesige Felstrümmer prasseln über den Valparolapass. Die Italiener hatten unter der Stellung der Österreicher ein Tunnelsystem in den Fels gebohrt und mit 33 Tonnen Dynamit gefüllt...

Die Fanes-Tour ist eigentlich ein Klassiker von St. Vigil aus.Foto: Markus Greber / SkyshotDie Fanes-Tour ist eigentlich ein Klassiker von St. Vigil aus.

Eine Explosion wummert auch jetzt zwischen den Felswänden. Jedenfalls hört es sich so an. Nur, dass sich unser Gegner gerade als schwarze Gewitterfront über den Lagazuoi schiebt. Das Donnergrollen hallt uns bis an die Knochen, die heute ohnehin schon viel mitgemacht haben: Von Cortina d'Ampezzo aus haben wir bereits die Tofana umrundet und die Fanes-Hochebene überquert – macht 1500 Höhenmeter. Dabei gilt die Fanes-Tour eigentlich als typische Hausrunde von St. Vigil am Kronplatz aus. Aber wir wollten neben großartiger Landschaft auch noch eine 1000-Tiefenmeter-Enduroabfahrt erleben, und das geht nur von der Südseite her. Ein Leckerbissen, auf den sich mein Begleiter Maxi als Fahrtechnikexperte und ehemaliger Enduro-Profi, schon tagelang freut. Jetzt sieht es allerdings so aus, als würden wir auf der Abfahrt ganz schön nass werden. Wir beeilen uns über den Valparolapass und passieren dabei das zerbombte Sperrfort „Tre Sassi“ und die riesigen Schotterfelder, die heute noch von der Sprengung am 20. Juni 1917 zeugen. Kurz darauf fädeln wir am Falzaregopass in den Enduro-Trail ein. Das Sahnestück der Tour liegt vor uns, während uns das Gewitter von hinten immer stärker in den Rücken bläst.

Die Bikepark-Trails von Cortina bespaßen uns als Zubringer zum nächsten Lift.Foto: Markus Greber / SkyshotDie Bikepark-Trails von Cortina bespaßen uns als Zubringer zum nächsten Lift.

Maxi Dickerhoff fährt nicht einfach einen Trail. Er zelebriert ihn. Geschmeidig wie eine Raubkatze passt er sich dem Rhythmus des Trails an, zirkelt auf dem Vorderrad um die engen Kurven, drückt sich auf dem weichen Waldboden ab, als wäre es ein Trampolin, um dann im Tabletop über den nächsten Wurzelteppich zu segeln. Für einen Enduro-Profi sind Trails wie dieser, roh und unangepasst, das tägliche Geschäft. Es stört ihn auch nicht, als uns das Gewitter auf halber Strecke mit voller Breitseite erwischt. Johlend entschwindet er im dichten Wald Richtung Cortina, während Sabine, die dritte im Bunde, und ich von den rutschigen Wurzeln auf die rettende Falzarego-Passstraße wechseln. Als wir uns später – alle triefnass – am Campingplatz wieder treffen, hat Maxi seine Meinung über die Region gründlich geändert. Eher widerwillig hatte er sich ein paar Tage zuvor zum Trip nach Cortina überreden lassen müssen („schöne Landschaft, aber langweilige Trails“). Jetzt grinst er übers ganze Gesicht: „Okay, ich bleib noch ein paar Tage länger.“

Die Strada de la Vena und die Marmolada haben Federn gelassen, aber die Glücksgefühle sprudeln noch

Dabei sollte Maxi sein persönliches Cortina-Sahnestück erst am nächsten Tag erleben: die Strada de la Vena. Auch hier wildern wir in fremdem Revier. Denn der Startpunkt für diese Tour wird eigentlich in Alleghe verortet, einem kleinen Dorf im Nachbartal. Doch der Weg von Cortina dorthin ist einfach und extrem spaßig. Zumindest seit vor zwei Jahren die 10er-Kabinenbahn Cortina Skyline den Betrieb aufgenommen hat. Nun überbrücken vier Lifttransfers die dazwischen liegenden 1000 Höhenmeter und an der Bergstation des Sessellifts „Duca d`Aosta“ dient nun ein Flowtrail namens „Tofanina“ als Verbindung zur Talstation der Skyline-Bahn. 400 Tiefenmeter perfekt aneinander gereihte Kurven und Sprünge – der krasse Gegensatz zu den rauen Natur-Trails, die wir am Tag zuvor erlebt haben.

Erst an den Cinque Torri müssen wir die letzten sacksteilen Höhenmeter zur Averau-Hütte selbst hochtreten. Dabei saugen sich die Profile unserer Reifen so richtig schön rein in diesen typisch tiefen Dolomiten-Schotter. Doch nicht nur die leckeren Schlutzkrapfen auf der Hüttenterrasse, sondern auch die Aussicht entschädigt für die Plackerei: Von diesem Joch aus blickt man in beide Täler. Im Norden bestimmen Lagazuoi, Tofana, Cinque Torri und das Cristallo-Massiv die Szenerie, gen Süden lässt sich die mächtige Civetta gerade den Bauch von der Sonne bescheinen, die Gipfelfelsen der Marmolada versuchen ihren verbliebenen Eispanzer zu beschatten und rechts davon protzt die Sella-Gruppe am Horizont. Die versammelte Gipfelprominenz der Dolomiten von nur einem Aussichtspunkt aus.

Ganz oben rumpelt noch viel Geröll unter den Reifen, danach geht’s fast lautlos durch Almwiesen dahin. Die Strada de la Vena mit Blick auf die Marmolada.Foto: Markus Greber / SkyshotGanz oben rumpelt noch viel Geröll unter den Reifen, danach geht’s fast lautlos durch Almwiesen dahin. Die Strada de la Vena mit Blick auf die Marmolada.

Allzu viel Zeit sollten wir aber nicht mehr mit Staunen verbringen, denn es gibt noch einiges zu tun und die Zeit kann schnell knapp werden, wie wir gestern gelernt haben. Gut, dass wir den Einstieg in den felsigen, etwas ausgesetzten Trail unterhalb der Averau-Felszähne auf Anhieb finden. Wie in dieses Panorama hineingemalt zieht sich der Pfad durch die Bergflanke. Erst alpin steinig, dann gleiten wir fast lautlos durch Wiesen dahin. Weniger spektakulär gibt sich die Namensgeberin der Runde, die Strada de la Vena. Dieser alte Versorgungsweg einer Eisenerzmine wurde in den letzten Jahren breit ausgeschottert. Damit ist ihr Charme leider dahin.

Es ist also nicht die Strada de la Vena selbst, die Maxi am Ende dieser Tour so begeistern wird, sondern ein Zufall, der uns auf dem Rückweg Richtung Cortina noch widerfahren sollte. Doch zuvor müssen wir bei Colle Santa Maria erstmal wieder die Straßenkehren zum Passo Giau hochtreten. Nach über einer Stunde Kurbelei bietet allerdings am Rifugio Fedare der betagte Sessellift seinen Dienst an. So schweben wir eine ganze Weile über die Almwiesen dahin, wieder aufs Rifugio Averau zu. Da dreht sich Maxi aus dem vorderen Sessel zu uns um: „Was ist denn das da rechts auf dem Felsen über der Averau-Hütte?“ Ich kneife die Augen zusammen. Stimmt, da scheint noch eine Hütte zu sein. Sabine zieht die digitale Karte in ihrem Handy groß: Rifugio Nuvolau. „Gibt's da einen fahrbaren Weg hoch?“ will Maxi wissen. Die Antwort lautet nein, wie wir nach 130 Höhenmetern Schieben und Tragen auf einem stufigen Pfad feststellen müssen. Doch als wir die Terrasse mit 360-Grad-Adlerperspektive betreten, spricht Maxi aus, was alle denken: „DAS ist der schönste Ort in den Dolomiten.“

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