Wie gut ist die Idee, mit Kindern in die Dolomiten zu fahren? Also dorthin, wo die Landschaft zwar Tiktok- und Instagram-Potenzial hat, aber auch Anstiege, die selbst Erwachsene in den Jähzorn treiben. Meine Frau schüttelt entschieden den Kopf. Doch auf meine beiden Töchter Magdalena (14) und Sophie (12) ist Verlass: Beide zucken mit den Schultern, was man als Zustimmung werten darf. Tatsächlich macht ihnen Bergradeln – wohlgemerkt: bergab und bergauf – einfach Freude. Anders als so manch Nachbarskind, das dank Gravity Card noch nie einen Meter bergauf treten musste, haben sich meine Mädels von Anfang an ihren Abfahrtsspaß verdient. Was zur Folge hat, dass sie ihren Eltern bergauf inzwischen um die Ohren fahren. Ihr Held bin ich nur noch bergab. Noch.
Mein alter Spezi Arno wohnt in Innichen, zu Füßen der Sextener Dolomiten. Dort, wo sich die berühmten Drei Zinnen in den Südtiroler Himmel recken und von Gipfeln umgeben sind, die Elfer, Zwölfer und Einser heißen und im Sommer die Armbanduhr ersetzen. Das wäre eine schöne Gelegenheit mit dem Kumpel nach Jahren mal wieder eine Tour zu drehen. Das Hotel, das wegen seines Wellness-Bereichs auch meine Frau Tanja überzeugt, ist schnell gebucht.
„Helm! Was für ein komischer Name“, kichert Magdalena und drückt sich die Nase am Seilbahnfenster platt. Auch wenn ich Dolomiten-Fan bin und die geografischen Lücken meiner Kinder eventuell ein wenig ausgenutzt habe, so bin ich doch kein Unmensch. Natürlich ist mir klar, dass die Wege zwischen den senkrechten, bleichen Felszinken das falsche Geläuf für friedliche Familienferien sind. Manche Anstiege sind hier so steil, dass es einen schier rückwärts vom Bike hebelt. Da hätten selbst meine Kinder mir nach der ersten halben Tour einen Vogel gezeigt. Aber ich wusste natürlich: Wenn es in den Alpen ein nahezu lückenloses Seilbahnnetz für Biker gibt, dann in den Dolomiten – und speziell in Sexten. Mit Respekt, Rücksicht und gesundem Menschenverstand kommen hier Wanderer und Biker prima miteinander aus.
Dennoch bin ich etwas nervös, denn oben an der Bergstation ist noch nicht Schluss. 400 Höhenmeter fehlen noch bis zur Gipfelhütte, die da wie das i-Tüpfelchen auf dem 2434 Meter hohen Berg thront. Und die Schotterserpentinen dorthin haben nicht vor, mit Flachpassagen zu langweilen. Viele motivierende Worte meinerseits braucht es allerdings nicht, Magdalenas Ehrgeiz ist wie immer hellwach. Tapfer stampft sie los und hat uns bald um einige Kehren abgehängt. Ganz ohne Absteigen schafft sie die hochprozentige und immer geröllhaltigere Rampe zwar nicht, aber bis der Rest der Familie das Helmhaus erreicht, blickt sie schon länger in die gegenüberliegende Gipfelprominenz und hat bereits die Drei Zinnen ausgemacht. Etwas schüchtern lugen sie hinterm Einser hervor.
Was die Kids nicht wissen: Wir sind hier oben am Karnischen Grenzkamm auf historisch interessanten Wegen unterwegs. Vor gut 100 Jahren verlief hier die Front des Gebirgskriegs. Österreichische Kaiserjäger und italienische Alpini legten diese Straßen bis zu den 2000 Meter hohen Bergkämmen an. „Und wo geht's jetzt weiter?“ Sophie freut sich schon seit Tagen auf die angepriesenen langen Trail-Abfahrten, nicht auf irgendwelche historischen Hintergründe. Doch anders, als ich ihr zuhause vorgeschwärmt habe, ist die wilde Achterbahnfahrt nach fünf Minuten am Obermahdsattel schon wieder zu Ende. „Ach so ja, zur Sillianer Hütte geht's hier erst nochmal hoch...“ Meine Versuche, sie beim Hochschieben dieser extra steilen Rampe mit all den Bunkern, Schützengräben und Spähposten entlang des Weges abzulenken, scheitern. Die Mädels interessieren sich keine Bohne für den Krieg, sondern für die friedlichen Dinge des Lebens: den Kaiserschmarrn und die versprochene Hängematte auf der Sillianer Hütte.
Nach dem erfolgreichen Boxenstopp steht nun endlich der „Arnese Trail“ zur Klammbachalm hinunter auf dem Plan. Oben am Einstieg bin ich mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob meine drei Mädels auf diesem Pfad Spaß haben werden. Sieht nach losem Geröll aus. Doch schon nach wenigen Metern zeichnet sich ab: Arnese rules! Glücklich und sturzfrei an der nächsten Jausenstation angekommen, schauen die Mädels tief in ihre gespritzten Apfelsäfte, Tanja und ich immer noch fasziniert hinüber Richtung Drei Zinnen.
Bei uns muss man sich nicht schämen, wenn man die Seilbahn nutzt. Aber manche Profis kommen gerade wegen unserer Rampen. - Reinhold Tschurtschenthaler, Bikehotel Schönblick
Ein echter Südtiroler heißt entweder Tschurtschenthaler. So wie Reinhold, unser bike-begeisterter Hotelier in Sexten. Oder Innerhofer. So wie Albin. Den habe ich vor Jahren schon einmal mit meinem Kumpel Arno auf dem Marchkinkele besucht. Kurz zuvor hatten er und sein Bruder Andreas gerade drei völlig marode – und unter uns gesagt: gruselige – Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg dort oben gekauft. Damals dachte ich im Geheimen: Oh mein Gott, was haben sich die beiden da bloß ans Knie gepinnt? Doch als wir jetzt die angenehm ansteigende Pustertaler Grenzkammstraße von der Thurntaler Bergstation zu diesen Bunkern hinauf kurbeln, traue ich meinen Augen kaum: Schon von Weitem sieht man in der Sonne ein neues Kupferdach glänzen. Im Inneren sorgt viel Holz für behagliche Stimmung und in der Gaststube fällt der Blick sofort auf eine große Siebträgermaschine, die einen hervorragenden Dienst tut. Meine Mädels sind begeistert, fläzen sich direkt in die Liegestühle und schauen fern: „Guck, da drüben ist wieder der Helm, wo wir gestern ganz oben waren!“, erklärt Magdalena ihrer Schwester stolz. Ganz genau. „Und morgen geht's auf der anderen Seite zum Stiergarten hoch!“, füge ich hinzu und blicke sofort in zwei verschreckte Gesichter. Keine Angst, wir nehmen natürlich die Rotwandbahn bergauf. Morgen schießen wir den ganzen Tag nur auf dem Standschützen- und dem Erla-Trail bergab, versprochen. „Geht's da wirklich nur bergab?“, fragt meine Jüngste vorsichtshalber noch mal nach. Und ich gestehe: ja..., fast.
Wer Stoneman-Luft schnuppern, aber keine 120 Kilometer und 4000 Höhenmeter keulen will, gibt sich die spektakuläre Passage am Karnischen Grenzkamm zwischen Helm und Klammbachalm. Dank Gondel muss man dabei nur gut 500 Höhenmeter selbst klettern und kann sich dann auf über 1200 tolle Tiefenmeter freuen. Der Abstecher zum weithin sichtbaren Gipfelhaus am Helm (2434 m) ist brutal steil, aber lohnend.
Schlüsselstellen: Die Abfahrt vom Obermahdsattel (2470 m) auf dem Weg 134 und später der 133er zur Klammbachalm hinunter enthalten ein paar S3-Stellen.
Einkehr: Das Monte Elmo-Restaurant an der Helmbahn-Bergstation; die Hahnspielhütte; die Sillianer Hütte (auch Übernachtung möglich) und die Klammbachalm
Im südlichen gelegenen Ortsteil Moos warten zwei spannende, von Hand geshapte Singletrails: der Standschützen-Trail und der Erla-Trail. Beide enden an der Après-Bike-Kneipe Henn Stoll. Hoch geht’s per Gondelbahn Drei Zinnen zum Stiergarten oder mit der nahegelegenen Gondelbahn zur Rotwand.
Schlüsselstellen: Unzählige nette S1- und S2-Stellen auf den beiden Singletrails.
Einkehr: Rotwandwiesenhütte und Rudihütte an der Rotwand-Bergstation; Restaurant Henn Stoll an der Talstation der Kabinenbahn Drei Zinnen.
Was haben die Ligurischen-, Karnischen- und Pustertaler Alpen gemeinsam? Genau! Direkt oben am Kamm verläuft eine alte Militärstraße. Die Pustertaler Grenzkammstraße ist vielleicht die unbekannteste, aber mitnichten die langweiligste Grenzkammstraße der Alpen. Und dank Seilbahnunterstützung ab Sillian ist sie nicht einmal ein besonderer Kampf.
Schlüsselstellen: Schiebestrecke vom Thurntaler See zum Bunker unter dem Hochrast-Gipfel und die steile Abfahrt zur Silvesteralm.
Einkehr: Die Bergstation Thurntaler/Gadein; die Marchhütte (ab 9.6. geöffnet, Übernachtung möglich) und die Silvesteralm
Das Revier: Die Sextner Dolomiten bilden das Herz des UNESCO-Weltnaturerbes Dolomiten. Weltberühmtes Wahrzeichen sind die Drei Zinnen. Die sind für Biker ab der Auronzohütte wegen des vielen Wanderverkehrs verboten. Macht aber nichts, denn rund um die Hauptorte Innichen (1175 m), Sexten (1310 m) und Toblach (1256 m) versteckt sich eine wahre Schatzkiste für Bergradler. Sextens Hotspot Nummer eins ist der Ostteil des Karnischen Grenzkamms zwischen Helm-Gipfel und Kreuzbergpass. Ab Innichen lockt vor allem der Pustertaler Grenzkamm mit dem Höhepunkt Marchkinkele (2545 m).
Anreise mit dem Auto: Aus Richtung München via Kufstein, Innsbruck und Brenner nach Brixen und durchs Pustertal (oft zähfließend) nach Innichen und Sexten (300 km/4 h ab München). Aus Richtung Ulm via Füssen und Fernpass nach Innsbruck und weiter wie oben (370 km/5 h ab Ulm).
Anreise mit dem Zug: Für umweltfreundliche Anreise nimmt man einen Fernreisezug Richtung Verona, steigt in Franzensfeste aus und fährt mit der Pustertalbahn nach Innichen. Hier wird man nach telefonischer Vereinbarung vom Hotelshuttle abgeholt. Infos und Buchung: bahn.de
Übernachten: Vom (Luxus-) Campingplatz über Appartments bis zum Top-Wellnesshotel findet in Sexten jeder seinen perfekten Unterschlupf. Wir übernachteten im Hotel „Schönblick“ (hotelschoenblick.com) auf 1340 Metern Höhe im Ortsteil Moos. Als langjähriges Mitglied der „Bikehotels Südtirol“ haben sich Hotelchef Reinhold Tschurtschenthaler und sein Team voll auf die Wünsche und Bedürfnisse von Mountainbikern eingerichtet. Wer hier eincheckt, kann sich auf einen unvergesslichen Bike-Urlaub freuen. Wellness nach der Action inklusive.
Bikeshop: Erste Adresse der Region ist die Bikeacademy Sextner Dolomiten. Der Shop befindet sich in Sexten, direkt an der Talstation der Helmbahn, Dolomitenstraße 45, Info: bikeacademy-sextnerdolomiten.com. Hier kann man hochwertige Bikes und E-MTBs von Scott und Rocky Mountain mieten – und sämtliches Zubehör kaufen. Danach mit der Helmbahn in wenigen Minuten auf 2040 Meter Seehöhe und mitten rein in die Wunderwelt des Karnischen Grenzkamms!
Geführte Touren: Keiner kennt die Dolomiten im Allgemeinen und die Sextner Dolomiten im Speziellen besser als Arno Feichter aus Innichen. Der Chef der Bikeacademy Sextner Dolomiten bietet mit seinem Team Touren für jeden Anspruch an und hat natürlich auch so manchen Secret Trail in petto. Außerdem kennen die Jungs die historischen Hintergründe der alten Militärwege und Kriegsbauten, bikeacademy-sextnerdolomiten.com
Stoneman Dolomiti: Roland Stauders Original-Riesenrunde (120 km/4000 hm) hat schon längst Legendenstatus. Die Hausstrecke des Ex-Weltcup-Profis aus Niederdorf muss jeder echte Biker einmal im Leben gefahren sein. In der Zeit zwischen 1. Juni und 3. Oktober gibt’s Starterpakete für ein, zwei oder drei Etappen. Info: stoneman.it
Kleiner Bikepark: Wer lieber bergab- als bergauffährt, sollte die beiden Trails ausprobieren, die sich nach Bad Moos schlängeln. Der „Erla Trail“ (6,8 km/660 tm) startet an der Bergstation Stiergarten, der „Standschützen Trail“ (4,2 km/485 tm) an der Rotwand-Bergstation.
Drei Zinnen: Mit dem Bike ist das Rienztal zum weltberühmten Dreigestirn strengstens verboten. Aber auch die Wanderung zu den Drei Zinnen ist spektakulär. Über Misurinasee bis zur Auronzohütte fährt ein Shuttlebus (50 Min).
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