„Verdammt, nimmt das denn kein Ende?“ Tobi leidet bereits auf unserer ersten Etappe. Das Bike geschultert kämpft er sich auf dem rutschigen Schotterpfad nach oben. Axel probiert es mit Schieben. Ich hatte beiden im Vorfeld den GPS-Track der geplanten Route geschickt. Sie wussten, dass die Tour mit einer 1900-Höhenmeter-Auffahrt startet. Für meinen Kumpel Axel sind lange Touren im Hochgebirge gewohntes Terrain, fast schon eine Passion. Für den 22-jährigen Freerider Tobi ist diese Etappenfahrt dagegen eine Premiere, so ganz ohne Shuttle oder Lift. Doch die Verlockung auf neue Trails und Mountainbike-Abenteuer war groß, er wollte mit. Seit über vier Stunden sammeln wir nun Höhenmeter. Die meiste Zeit im Sattel, aber die letzte Rampe auf den Pasubio-Kamm ist einfach zu steil, das Geröll zu lose. Erstmals können wir erahnen, welche Strapazen die Gebirgsjäger im Ersten Weltkrieg durchleiden mussten. Schon, um das schwere Gerät auf diesen Berg zu schleppen. Auch wir wollen ganz nach oben, uns entlang des Grates zu den Schlachtfeldern vorarbeiten. Nach zwanzig Minuten Kletterei ist es geschafft.
Auch Tobi kann wieder lachen, als er die weitere Route entdeckt. Schier endlos balanciert der MTB-Trail nun auf einem Sims am Südhang entlang, bis er durch eine Lücke im Grat auf die andere Seite des Berges schlüpft. Endlich wieder fahren, wenn auch nicht entspannt. Zu verwegen führt der Pfad teilweise am Abgrund entlang. Wie kann der Mensch auf die Idee kommen, hier oben Krieg zu führen? Wir werden keine Antwort finden. Nur noch mehr Fragen, je näher wir dem Epizentrum der Kampfhandlungen kommen. Kurz nach Überquerung des Piccolo-Roite-Sattels kann man die Dimensionen erahnen. Die Bergflanke ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Kalte, dunkle Höhlen, in denen die Soldaten sommers wie winters ihr Dasein fristeten. An den Sieben Kreuzen, unterhalb der alten Gefechtsfelder, machen wir Rast.
Wenngleich das Monte-Pasubio-Massiv nur einen kleinen Abschnitt der viele hundert Kilometer langen Front darstellte, so erreichten die über zwei Jahre dauernden Kampfhandlungen hier oben einen absurden Höhepunkt. Auf dem Grat über uns lagen sich Italiener und Österreicher auf zwei nur wenige hundert Meter voneinander entfernten Gipfeln gegenüber, heute genannt Dente Italiano und Austriaco. Als kein Meter an Boden gewonnen werden konnte, begannen die Truppen, sich gegenseitig zu unterminieren. Der Wettlauf endete mit einer gewaltigen Sprengung, bei der die italienische Platte komplett zum Einsturz gebracht wurde. Ein Wanderweg führt durch das Trümmerfeld hinauf zu den ehemaligen Gipfelstellungen. Leider ist unsere Zeit zu knapp für einen Abstecher, wir müssen weiter. Am Rifugio Achille Papa, das wie ein Adlerhorst am Pasubio-Sattel klebt, legen wir vor der Abfahrt noch einen Stopp ein.
Am Rifugio Papa mündet mit der Strada delle 52 Gallerie ein weiteres Zeugnis des Kriegswahnsinns. Um den Nachschub an Baumaterial und Munition zu sichern, bohrten die italienischen Alpini eine Straße mit 52, teilweise wie ein Korkenzieher gewundenen Tunneln durch den Berg nach oben zum Pasubio-Sattel. So waren sie vor dem Beschuss der österreichischen Kaiserjäger sicher. Kaum vorstellbar, wie mit Hilfe von Tragtieren ganze Artilleriegeschütze durch die Felsröhren zu den Stellungen gewuchtet wurden. Bikern ist die Befahrung dieser einmaligen Straße bereits seit vielen Jahren verboten. Wir trösten uns mit einer Abfahrt auf der nicht minder spektakulären Strada degli Eroi, die auf der anderen Seite des gigantischen Bergkessels in die Tiefe fällt.
Die Abfahrt vom Rifugio Campogrosso nach Valli del Pasubio gibt sich abwechslungsreich und hält genau das richtige Maß an technischen Herausforderungen bereit. Im Tal ist es Zeit für einen zweiten Cappuccino im Schatten der mächtigen Dorfkirche Santa Maria. Nach der Rast wirft einem der Monte Novegno alle Höhenmeter des Tages vor die Füße. Bis zum Weiler Santa Caterina kann man sich auf mäßiger Asphaltsteigung noch ein bisschen schonen, aber dann zieht der Schotter bis zum Gipfel ordentlich an. Ab jetzt begeistern zig Panoramen vom Feinsten, gekrönt vom wohl schönsten Trail-Abschnitt der gesamten Tour.
Am Nordrand der kleinen Hochebene am Monte Novegno erinnert einmal mehr ein Denkmal, geschmückt mit rostigen Granatenhülsen und Stacheldraht, an die blutige Vergangenheit. Denn wie der Pasubio-Hauptkamm ist auch dieser Bergrücken überzogen mit einem Netz aus Stellungen und einem Labyrinth aus Schützengräben.
Der Novegno, damals auch genannt „Der letzte Berg“, musste um jeden Preis verteidigt werden, stellte er doch für die Österreicher die letzte Hürde vor dem Einfall in die Po-Ebene dar. Heute schenkt uns das alte Wegenetz einen Traum-Trail hinunter nach Arsiero, der den Anschein erweckt, er sei extra für Biker angelegt worden. Flowig schwingt er sich am Hang entlang und überwindet dabei allerlei Felsabbrüche und Kanten.
Freerider Tobi ist bergab wieder voll motiviert und kitzelt den letzten Millimeter Federweg aus seinem Bike-Fahrwerk. Unser Grinsen könnte nicht breiter sein, als wir am Tagesziel im Weiler Crosara einrollen.
Auch auf der letzten Etappe der dreitägigen Pasubio-MTB-Tour folgt die Route weiter den Frontlinien des Ersten Weltkrieges. Es fällt schwer, die Beine noch einmal zu mobilisieren für den letzten großen Anstieg hinauf zur Lavarone-Hochebene. Doch der spannende Verlauf der Militärstraße über den Passo della Pianella vertreibt die Müdigkeit mit jeder Kurve. Der felsige Talkessel, überragt vom Monte Tormeno, scheint eine unüberwindbare Barriere. Selbst im hintersten Winkel klammern sich noch Siedlungen an die Steilhänge. Aber wie durch ein Wunder findet die Trasse immer einen Ausweg. Und typisch für einen historischen Transportweg ist die Steigung angenehm. Noch bevor die Kämpfe auf dem Pasubio begannen, verlief die Grenze zwischen Italien und Österreich über das Lavarone-Gebiet. Erst als der Versuch der Italiener scheiterte, ins Val Sugana und nach Trento vorzudringen, starteten die Kaiserjäger eine Großoffensive gen Süden. Zeitzeugen sind monströse Trutzburgen auf den Gipfeln, wo die Geschütze in Stellung gebracht wurden. Wie am Dosso del Sommo, den wir als höchsten Punkt der Etappe erreichen. Rund um das damals österreichische Fort sind die Almwiesen übersät von Bombenkratern. Scheinbar feuerte die italienische Artillerie über 4000 Granaten im Laufe eines Sommers auf die Bastion ab. Der Anblick der zerstörten Mauern löst noch heute ein beklemmendes Gefühl aus. Vor allem, wenn man an die aktuellen Ereignisse im Osten Europas denkt. Wir blicken ein letztes Mal hinüber zum Pasubio, dessen Kamm sich nun in Wolken hüllt. Dann stürzen wir uns in die finale Abfahrt nach Rovereto.
Gesamt: 131,7 Kilometer / 5154 Höhenmeter / 3 Etappen
Tipp: Unbedingt genügend Wasser auf der ersten Etappe mitnehmen. Auffüllmöglichkeiten gibt es erst wieder an der Coe-Passhöhe bei Kilometer 23!
Die erste Etappe von Rovereto zum Rifugio Campogrosso überquert das gesamte Pasubio-Massiv der Länge nach. Gleich der erste Aufschwung aus dem Etschtal bis auf 2000 Meter Höhe ist ein echtes Brett. Da hat der Asphaltbelag auf den ersten 16 Kilometern durchaus seine Vorteile. Zum Glück bietet das Rif. Vincenzo Lancia Gelegenheit zur Stärkung, denn danach heißt es: Bis zum Kamm hinauf nur noch beißen. Weitere Körner kostet der ausgesetzte, ellenlange Trail über den Sella Piccolo Roite zum Rif. Achille Papa. Die grandiose Abfahrt auf der Strada degli Eroi ist aber noch nicht das Finale. BIs zum Etappenziel warten nochmal 300 Höhenmeter auf einer brüchigen Militärstraße. Die Kleinen Dolomiten sind hier jedoch eine würdige Kulisse und Ablenkung.
Highlights: Das Panorama am Pasubio-Kamm-Trail ist überragend. An den Sieben Kreuzen führt der Pfad mitten durch die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs.
Schlüsselstellen: Kurze Abschnitte des Kamm-Trails sind verblockt und erodiert. Abrutschgefahr! Die Hängebrücke Ponte Avis erfordert Schwindelfreiheit!
Einkehr: Trinkwasser ist unterwegs rar. Einzige Auffüllstationen: Brunnen im Weiler Giazzera (km 13), Rif. Lancia (km 21) und das Rif. Achille Papa (km 28).
Übernachtung: Rifugio Campogrosso, rifugiocampogrosso.com
Die zweite Etappe Richtung Arsiero wirkt im Höhenprofil etwas harmloser als sie tatsächlich ist. Vor allem aber sollte man genügend Zeit einplanen, um die fantastischen Trails und die Aussichten zu genießen. Gleich nach dem Frühstück sorgt der erste Trail des Tages für ein breites Grinsen: Die Abfahrt nach Valli del Pasubio ist abwechslungsreich und hält genau das richtige Maß an Herausforderungen bereit. Im Tal ist Zeit für einen zweiten Cappuccino im Schatten der Dorfkirche Santa Maria, danach wirft einem der Monte Novegno alle Höhenmeter des Tages vor die Füße. Bis zum Weiler Santa Caterina kann man sich auf mäßiger Asphaltsteigung noch ein bisschen schonen, aber dann zieht der Schotter bis zum Gipfel ordentlich an. Ab jetzt begeistern zig Panoramen vom Feinsten, gekrönt vom wohl schönsten Trail-Abschnitt der gesamten Tour.
Highlights: Der Blick vom Rif. Campogrosso auf die Kleinen Dolomiten ist ein Traum, genau wie die folgende Trail-Abfahrt nach Valli del Pasubio. Ebenso top: die finale Abfahrt nach Arsiero.
Schlüsselstellen: Bis auf wenige Stellen, die eine solide Fahrtechnik voraussetzen, kann man die Etappe einfach nur genießen. Der Hang-Trail am Monte Novegno ist teils ausgesetzt.
Einkehr: In Valli del Pasubio gibt es einige Bars, Cafés und einen kleinen Alimentari. In Santa Caterina (km 19,5) gibt es einen Brunnen an der Kirche. Am Gipfel des letzten Anstiegs wartet die Baita Novegno.
Übernachtung: Albergo Irma, ristoranteirma.it
Die Fahrt von Arsiero zurück nach Rovereto führt entlang des Südrands der Lavarone-Hochebene, einem weiteren schwer umkämpften Gebiet mit zahlreichen Forts und Festungen. Der Anstieg zum Plateau verläuft einmal mehr auf einer alten Militärstraße, die sich in einem einsamen Tal bei Arsiero versteckt. Moderate Steigungsprozente und viele Serpentinen machen die Kletterei zum Genuss. Am Passo Coe trifft man kurz auf die Straße, die die Regionen Venetien und Trentino verbindet - und damit punktuell auf ungewohnt hohes Menschen-Aufkommen. Es folgen ein paar giftige Rampen bergauf zum Dosso del Sommo, einer monumentalen Festungsanlage. Das Finale erfordert nochmals ein paar Körner und volle Konzentration. Denn die lange Trail-Abfahrt vom Monte Finonchio ins Etschtal hinunter enthält einiges an losem Geröll (kann aber auf der einfacheren Schotterstraße umfahren werden).
Highlights: Zwischen dem Passo Pianella und dem Passo Coe balanciert der Weg eindrucksvoll an der brüchigen Steilkante entlang. Auf den kniffligen Trails am Ende unbedingt Rücksicht auf Wanderer nehmen!
Schlüsselstellen: Der Trail vom Dosso del Sommo nach Serrada hat ein paar Tücken, anspruchsvoller ist aber der recht steile Trail vom Monte Finonchio mit Gardasee-typischem Geröll.
Einkehr: Wasser ist auf der ersten Hälfte der Etappe Mangelware. Letzter Brunnen beim Weiler Busati Grisi (km 5). Erst am Lago Coe oder an der Coe-Passhöhe (km 23) gibt es wieder Verpflegungsmöglichkeiten. Auch in Serrada gibt es Bars und Cafés.
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