Gitta Beimfohr
· 19.05.2016
Für viele Biker fängt die Tour da an, wo der Schotterweg aufhört. Denn erst eine Trail-Abfahrt gibt die Würze, die im Gedächtnis haften bleibt. Zeit, die wirklich epischen Trails in Angriff zu nehmen.
Für viele Biker fängt die Tour da an, wo der Schotterweg aufhört. Denn erst eine Trail-Abfahrt gibt die Würze, die im Gedächtnis haften bleibt. Höchste Zeit daher, dass Sie die wirklich epischen Trails in Angriff nehmen!
Neulich kehrte Kollege Henri Lesewitz von einem Mountainbike-Rennen aus dem Himalaja zurück und berichtete von einer 60 Kilometer langen Abfahrt. Wow! Doch dann schob er ernüchternd hinterher: "… auf Sandpisten." Oh. Wie langweilig. Schläft man da nicht ein? Nein, Henri ist nicht eingeschlafen. Er war einfach nur froh, dass ab einer gewissen Höhe die Kopfschmerzen nachließen, seine Bremsen nicht abgeraucht sind, die Sandkurven ihm das Vorderrad nicht weggerissen haben und er im Abfahrtsrausch in kein entgegenkommendes Auto gekachelt ist – alles Probleme, die man als Singletrail-Fahrer gar nicht erst hat.
Auf einer einsamen Pfadabfahrt im Hochgebirge warten keine Highspeed-Gefahren, sondern die Herausforderung. Schon beim Einstieg klopft das Herz vor Vorfreude und einer gewissen Anspannung, ob das eigene Fahrkönnen dem Pfad wohl gewachsen sein wird. Kleinere Hürden überwindet man mit Körperspannung, Konzentration und Schweinehundausblenden. Bei zu großen Hindernissen steigt man eben kurz ab und schiebt. Das ist keine Schande und beugt unliebsamen Verletzungen vor.
Allerdings wird man sich deswegen eventuell später bei den eigenen Kumpels erklären müssen. Denn während es in den Alpen noch keine einzige Schotterstraßenabfahrt in den Status "legendär" geschafft hat, ranken sich um die Singletrails nur so die Heldensagen. Auf Facebook, Twitter und in einschlägigen Bike-Foren wird den ganzen Sommer über geprahlt, was das Textfenster hergibt. Da fabulieren die Einen von einem neu entdeckten "Wahnsinns-Flowtrail", von dem Andere längst wissen, dass sie genau diesen Weg zur Hälfte runtergeschoben haben.
Beschreibungen wie "Einige Kurven sind vielleicht etwas eng gezogen", verheimlichen beim La-Varda-Trail im französischen Les Arcs zum Beispiel den Umstand, dass es sich dabei um steil abfallende und notdürftig in den Fels gehackte Spitzkehren handelt, die dazu auch noch um Haaresbreite an den Abgrund hinkitzeln. Mutige Forenteilnehmer, die das Abenteuer auf diesem Trail noch immer in den Knochen spüren, wagen daraufhin vielleicht einen realistischeren Gegenbericht, und schon entsteht eine muntere Diskussion. An deren Ende hat der diskutierte Abfahrtspfad nicht nur einen Namen, sondern meistens auch das Prädikat "Kult".
"Legendäre Schotterstraßen gibt es nicht. Es sind die Singletrail-Abfahrten, deren Fahrbarkeit im Internet oft kontrovers diskutiert wird. Dadurch bekommen die Trails ihren Namen und erlangen schnell einen Kultstatus."
Im Falle des Tschilli-Trails ist dabei auch schon mal etwas schiefgelaufen. Tausende werden diesen legendären Trail am Vinschger Sonnenberg inzwischen schon mal abgesurft sein. Unterwegs wird sich dabei sicher jeder bis ins Tal hinunter gefragt haben, wann der Trail denn nun an Schärfe zulegen wird, um seinem Namen gerecht zu werden. Doch Fehlanzeige. Selbst Trail-Einsteiger werden hier nur an der schmalen Hängebrücke kurz einen Fuß absetzen müssen, um nicht mit dem Lenker im Geländer einzufädeln. Danach läuft es wieder wie geschmiert. Woher also der Name "Tschilli"? Den hat der Trail einem deutschen Netzwerkautoren zu verdanken, der sich den Namen des Hofes nicht merken konnte, an dem er unterwegs vorbeigeradelt ist. "Irgendwas mit Tschilli" schrieb er ins weltweite Netz hinaus und meinte damit den Ratschillhof …
Der Goldsee-Trail im Stilfser-Nationalpark führt dagegen tatsächlich an einem kleinen, gold schimmernden See vorbei. Allerdings ist sein Becken im Sommer nur nach besonders schneereichen Wintern mit Wasser gefüllt. Dennoch löste der Pfad unter Bikern echte Goldgräberstimmung aus – und zwar, nachdem er für ein paar Jahre für Biker verboten war. Wanderer könnten in dem ausgesetzten Gelände an der Dreisprachenspitze nicht ausweichen, hatte die Nationalparkverwaltung entschieden und Bikern einen Riegel vorgeschoben. Daraufhin wurde jahrelang auch öffentlich gestritten und diskutiert. So lange, bis man schließlich die frohe Kompromissbotschaft verbreiten konnte: Biker dürfen den Pfad mit seinen 2000 Tiefenmetern wieder fahren, und zwar vor 9 Uhr und nach 15 Uhr. Der Ansturm war gleich zu Beginn gewaltig. Wer möchte, kann mittlerweile sogar in den Shuttlebus steigen, um den Frühtermin zu erreichen.
Können Sie eigentlich aufzählen, welche der legendären Alpen-Trails Sie bereits gefahren sind? So aus dem Stehgreif wahrscheinlich nicht. Dann geht es Ihnen wie meinen Kollegen hier in der Redaktion. Doch als sie die Liste mit den charismatischen Alpen-Trails vor sich liegen hatten, konnten sie überraschend viele davon als "schon gefahren" abhaken. Aber auch der Ach-ja-den-wollte-ich-schon-immer-mal-fahren-Effekt war groß.
Probieren Sie den Test selbst aus! Auf der Liste unten (im Downloadbereich unter diesem Artikel) finden Sie die 20 längsten, legendären Alpen-Trails. Da es aber auch Supertrails gibt, die nicht durch vierstellige Tiefenmeterzahlen, sondern durch besonders fahrfreudige Wegführung herausstechen, haben wir die Liste noch um einige Trails erweitert. Einfach downloaden, übers Bett hängen, träumen und vornehmen!
Übrigens ist mir jetzt doch noch eine Schotterstraßenabfahrt eingefallen, die Kultstatus erlangt hat: der Tremalzo am Gardasee. Erstaunlich eigentlich.
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