Abenteuer in den DolomitenUmrundung der Marmolata mit dem MTB

Andreas Kern

 · 12.11.2023

Die Marmolata: Mit 3343 Metern die Königin der Dolomiten. Aber ihre Krone schmilzt und bröselt.
Foto: Andreas Kern
Zwei Tagesrunde um die Dolomiten-Königin Marmolata
Mit dem Mountainbike einmal rund um die Marmolata – laut Karte scheint das in zwei Tagen sogar auf spannenden Trails möglich. Doch wir mussten feststellen: Die Eiskönigin der Dolomiten ist nicht nur schön, sie kann auch ihre kalte Schulter zeigen.

Sagenhafte Dolomiten. Das Zackenreich zwischen Bozen und Cortina ist ein Wimmelbuch aus Zwergen, Zauberern und Prinzessinnen. Unter dem ewigen Eis und inmitten der Geröllwüsten erdachten sich die Bergbewohner einst Königreiche und unermessliche Goldschätze. Wenn es blitzte und donnerte, dann grollte der böse Zauberer „Spina de Mùl“. Wenn der Karersee im Enrosadira, dem magischen Dolomiten-Abendrot, bunt schimmerte, wähnte man eine Prinzessin in den Wellen. Sagen gehören eben zu diesen bleichen Bergen genauso wie Luis Trenker und die Sellaronda. Epizentrum dieser von Generation zu Generation weitererzählten mystischen Geschichten sind die Fassaner Dolomiten, also die Gegend dies- und jenseits des Fassatals. Hier streben einige Bergpersönlichkeiten senkrecht in den Himmel, die seit Menschengedenken mächtig Eindruck machen: Latemar, Schlern, Langkofel, Plattkofel, Sella. Und die Marmolata.

Marmolata. Die Italiener sagen Marmolada, die Ladiner Marmolèda. Der Name kommt vom ewigen Eis, das wie weißer Marmor in der Sonne glänzt. Der einst gewaltige Gletscher stupste schon seit jeher die menschliche Fantasie an: Hoch oben in der markanten Eisplatte soll das Schloss des Volkes der Cayùtes thronen. Und in der 800 Meter hohen, senkrechten Südwand der Marmolèda soll der Sage nach das wunderschöne Mädchen Conturìna von der bösen Schwiegermutter eingemauert worden sein. Lange Rede, kurzer Sinn: Die Marmolata ist rundherum sagenhaft.

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„Klar, da bin ich dabei!“ Mein Freund Markus ist kein Zauderer. Eher ein Zauberer. Der Lebenskunst. Der Mann war Snowboard-Profi, Bike-Guide, James-Bond-Helfer, Model, Schauspieler, Eisbader, Bademeister. Einer der schrillsten Typen, die ich kenne. Und für jeden Schmarrn zu haben. Schon ewig steht die Umrundung des Marmolata-Felsturms auf meiner To-Do-Liste. Der Zeitrahmen ist blitzschnell gesetzt: Vor Sonnenaufgang hole ich meinen Freund in Innsbruck ab. Tags darauf setze ich ihn nach Sonnenuntergang wieder daheim ab. Weil er am nächsten Morgen wieder ältere Herrschaften vor dem Ertrinken bewahren will. Die Route ist beim Blick auf die 1:25000-Tabacco-Karte auch relativ klar. Allerdings muss ich zwei Stellen mit einem Fragezeichen markieren. Der Spruch „Kann gehen, muss aber nicht!“ sollte sich noch als denkwürdig herausstellen.

Los geht's mit dem Bindelweg

Markus hat verpennt. Das war so klar! Um die Zeit wieder halbwegs reinzuholen, starten wir nicht wie geplant unten in Canazei mit einer Liftfahrt, sondern gleich oben am Passo Pordoi. Damit ist unser Vormittagswerk ein guter alter Bekannter: der Bindelweg. Mit Verlängerungsoption Padon-Kamm. Normalerweise gondeln Mountainbiker auf dem idyllischen „Viàl dal Pàn“ bis zur Porta Vescovo und kämpfen sich auf wüstem Weg hinunter zum Fedaiasee. Markus und ich wollen aber auf der Höhe bleiben. „Kann gehen, muss aber nicht!“ Es geht! Wir radeln 95 Prozent. Das erste Fragezeichen unserer Route entpuppt sich damit als fettes Ausrufezeichen. Läuft!

Mittagessen! Markus mampft auf der Sonnenterrasse des Rifugio Passo Padon seine Spaghetti Bolo, ich wundere mich über die Gegend. Der Padon-Kamm sieht so ganz anders aus als die zackigen Zinken ringsum: schwarz, rund, finster. „Dieser Kamm besteht aus Lava“, scheißt mein Kumpel klug. „Der Sage nach war hier früher das unterirdische Reich der Auròna.“ Die Bewohner schürften unter Tage Gold, durften aber nie die Sonne sehen. Bis eines schönen Tages Odòlghes, der Prinz von Contrín, das Weinen der Auròna-Prinzessin Somawìda vernahm, das goldene Tor zur Unterwelt zerschlug und mit seiner neuen Freundin in den Sonnenuntergang ritt.

Laut Karte (noch aus Papier) ein breiter Militärweg, gut fahrbar. Die Realität: 1000 Höhenmeter tragen!Foto: Andreas KernLaut Karte (noch aus Papier) ein breiter Militärweg, gut fahrbar. Die Realität: 1000 Höhenmeter tragen!

Also wenn wir vor Sonnenuntergang am Passo San Pellegrino ankommen wollen, müssen wir schleunigst weiter. Die Forca Rossa wartet. Kartenlesen ist keine Rocket Science. Aber manchmal liegt die Tücke im Detail. Beim Grübeln, ob fahrbar oder nicht, kam ich zum Schluss: breiter Weg, sehr viele Kehren, garantiert ein Militärweg aus dem Ersten Weltkrieg. Also mit dem Mountainbike fahrbar. Doch die Realität sieht leider anders aus: Wir schieben und schieben und schieben. Markus kann das die Stimmung nicht vermiesen. Der Typ macht mich fertig. Im Stechschritt stiert er dem seit zwei Stunden sichtbaren Pass entgegen. Einmal macht er eine kleine Pause. Aber nicht, um zu rasten, sondern um zu ratschen. In ulkigem Tiroler Englisch plaudert er mit zwei kanadischen Wanderinnen. Den einzigen Seelen, die uns hier auf der Ostseite der Marmolata entgegen kommen. Zum Abschied geben sie uns noch ein „You must be nuts“ mit auf den Weg.

Okay, manchmal eignet sich der Weg an der Roten Scharte auch zum Schieben.Foto: Andreas KernOkay, manchmal eignet sich der Weg an der Roten Scharte auch zum Schieben.

Die Sonne steht schon bedenklich tief im Westen, als wir endlich am rettenden Pass ankommen. Forca Rossa. Die rote Scharte. Welch treffender Name. Das rote Gestein leuchtet mit der untergehenden Sonne um die Wette. 2490 Meter über den Dingen. Diese zähen 1000 Höhenmeter werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Nächstes Problem: Mein Zeitplan ist derart zerbröselt, dass wir die geplante Übernachtungshütte nie und nimmer erreichen. Also schwingt sich Markus ans Handy und sagt in experimentellem Italienisch ab. Damit sich keiner Sorgen macht. Aber wo pennen? Ich hol die gute, alte Tabacco-Karte aus dem Rucksack. Plan A: Rifugio Fuciade. „Chiuso!“ Plan B: ein Hotel am Passo San Pellegrino: „Geht keiner ran.“ Bleibt noch Plan C: Rifugio Flora Alpina. Wenn die uns nicht nehmen, haben wir ein Problem. Aber wer kann dem lustig plappernden Markus einen Korb geben? „Avanti, der Jacuzzi macht um halb acht zu!“

Fahrbar! Die Forca Rossa macht im Abendlicht auch noch ein schönes Bild.Foto: Andreas KernFahrbar! Die Forca Rossa macht im Abendlicht auch noch ein schönes Bild.

„Hoffentlich taugt die Abfahrt wenigstens was“, plärrt Markus und zirkelt die ersten Serpentinen hinunter. Nach der 1000-Höhenmeter-Mühsal haben wir eine flowig-flotte Abfahrt mehr als verdient. Der Schmalweg leitet im Zickzack von der roten Glatze der Forca Rossa in flaches Wiesengelände hinunter. Ein Dutzend Pferde wundern sich über die merkwürdigen Abendgäste. Hier waren noch nicht viele Biker, so viel ist klar. Zu hart der Aufstieg von der Malga Ciapéla. Ich höre Markus vor mir jubeln, er ist voll in seinem Element. Springt über kleine Bodenwellen. Nutzt jeden Mini-Anlieger für seine Slalomkünste. Lässt richtig die Luzie fliegen. Sprudelbecken, wir kommen!

Zum Passo San Pellegrino haben wir es nicht mehr geschafft. Aber gut - wir können es verschmerzen.Foto: Andreas KernZum Passo San Pellegrino haben wir es nicht mehr geschafft. Aber gut - wir können es verschmerzen.

Neuer Tag, neues Glück. Oder Pech? Schlimmer als die 1000 Höhenmeter-Schiebe-und-Trage-Orgie gestern kann es ja nicht mehr kommen. Dachte ich. Aber beim Frühsport hoch zum ersten Pass des Tages zeigen sich die Dolomiten-Trails schon wieder von ihrer hässlichen Seite. Der Weg ist zwar schön breit, aber auch schön senkrecht. „Mit dem E-MTB wäre diese Runde wahrscheinlich geil“, mein Freund ist schon wieder in Plauderlaune, als er an mir vorbeischiebt. Wir haben aber keine E-MTBs, denke ich mir und schlucke meinen Frust runter. Zu schön ist dieses Sagen-Reich! Die Pellegriner nennen die Marmolata sogar „Rosàlya“. Weil ihr Gipfel im Abendlicht so herrlich rot leuchtet. Als heilig galt der Berg bei allen Urvölkern rundherum. Gleich sind wir am Pass! Damit nähern wir uns dem zweiten Fragezeichen der Tour. Mal sehen, ob ich da auch ein Ausrufezeichen drüber malen kann.

Die nächste Spaßbremse oben am Pass: ein Bike-Verbotsschild

Das Fahrrad-Verboten-Schildchen ist klein, aber nicht klein genug, um übersehen zu werden. Das hatte uns die Papierkarte natürlich verschwiegen. Shit! Was tun? Wieder unverrichteter Dinge zurückrollen und den weiten Weg außen rum nehmen? Oder schieben? Dagegen kann ja niemand was sagen. Eine Stunde stolpern wir die verbotenen 500 Tiefenmeter bergab, bis wir wieder auf einen erlaubten Fahrweg stoßen. Aber was ich von meinem Kumpel lernen kann: Eine sonnige Grundstimmung macht vieles leichter. Frei nach Karl Valentin: „Ich freue mich, wenn ich schiebe. Denn wenn ich mich nicht freue, schiebe ich trotzdem.“ So einfach.

Nochmal 300 Höhenmeter schieben wir zum San Nicolò hinauf.Foto: Andreas KernNochmal 300 Höhenmeter schieben wir zum San Nicolò hinauf.

Der Passo San Nicolò ist der vierte und letzte Pass unseres Marmolata-Loops. Wieder tragen wir unsere Bikes eine Direttissima hoch, aber diesmal nur 300 Höhenmeter. Oben zeigt sich der Nicolò-Pass dann als gespaltene Persönlichkeit: auf seiner Westseite gerade noch sausteil, im Osten: blümchenflach. Die Einkehr im gleichnamigen Rifugio schenken wir uns. Ich will den Kreis nun mit Anstand, Würde und Tempo schließen. Die letzte Gondel von Penìa hoch zum Passo Pordoi geht um Punkt fünf. Um zehn vor kaufen wir die Tickets. Wenigstens etwas klappt!

Während draußen vor dem Gondelfenster das Dolomiten-Panorama noch mal für uns aufblüht, wächst die Erkenntnis: Nein, das war nix. Es hat scheinbar doch Gründe, warum man von einer Mountainbike-Umrundung der Marmolata noch nie gehört hat. Klar, das Bergerlebnis an sich war natürlich grandios. Aber das Preis-Leistungs-Verhältnis hat nicht gestimmt. Zu wenig Trail für so viel unfahrbare Plackerei. Aber so ist das eben in der Sagenwelt: Nicht alle Geschichten haben ein Happy End.

Infos Marmolata-Umrundung

Der Berg:
Die Marmolata ist mit 3343 Metern der höchste Berg der Dolomiten. Sie hat zwei Gesichter: Im Norden fällt sie relativ sanft zum Passo und Lago Fedaia hin ab. Ihre Nordflanke trägt auch den größten Gletscher der Dolomiten. Nach Süden dagegen bricht die Marmolata in einer zwei Kilometer breiten und bis zu 800 Meter hohen Steilwand fast senkrecht ins Ombrettatal ab. Passo Fedaia und Passo di San Pellegrino begrenzen das zehn mal fünf Kilometer große Bergmassiv im Norden und Süden.

Die Tour:
Rein landschaftlich ist die Tour rund um die Marmolata ein echter Hammer. Dennoch können wir das Nachfahren der Route nicht wirklich guten Gewissens empfehlen. Allein zur Forca Rossa türmt sich eine Rampe: 1000 Höhenmeter Schieben und Tragen. Dazu kommt das Fahrverbotsschild am Passo delle Selle, das uns nochmal zeitraubende 500-Tiefenmeter-Schiebepassage eingebrockt hat.

Und mit dem E-MTB? Mit vollem Akku und im Turbo-Modus sind die 1000 sausteilen Höhenmeter zur Forca Rossa hinauf im Prinzip fahrbar. Doch das Fahrverbotsschild am Passo delle Selle gilt natürlich auch für Stromfahrer. Alternativ könnte man den gesperrten Pass über die Pozza di Fassa umfahren, aber nicht ohne extrem an Fahrspaß einzubüßen. Daher verweisen wir lieber auf die drei Klassiker-Trailtouren im Marmolata-Gebiet. Sie haben sich definitiv bewährt.

Anreise:
Aus München fährt man auf der A8 und A 12 zum Brenner und auf der A 22 bis zur Ausfahrt Klausen/Gröden. Über Grödnertal und Sellapass erreicht man Canazei (320 km/4:00 h ab München).

Übernachten:
Die aussichtsreichste Übernachtung – genau gegenüber der Marmolata-Nordflanke – erlebt man am Bindelweg, im Rifugio Fredarola (www.fredarola.it). Wer aber vor dem knallharten Anstieg zur Forca Rossa lieber noch mal Kraft sammeln will, übernachtet in der Malga Gran Pian (www.malgagranpian.it).

Schafft man es dagegen doch noch über den Pass, dann bietet sich rund um den Passo di San Pellegrino eine relativ große Auswahl an Übernachtungsmöglichkeiten. Sehr empfehlenswert: das Rifugio Flora Alpina (www.floralpina.it) wenige Kilometer östlich des Passes mit feiner regionaler Küche und kleinem Outdoor-Jacuzzi.

Ein Idyll mit Whirlpool: das Rifugio Flora Alpina.Foto: Andreas KernEin Idyll mit Whirlpool: das Rifugio Flora Alpina.

Bikeshops:
Bei Bikeasy (www.bikeasy.it) in der Strèda Dolomites 22 in Canazei bekommt man bei technischen Problemen professionelle Hilfe. Hochwertige Bikes von Focus mietet man bei Webike (www.webike.rent) talauswärts in San Giovanni di Fassa. Im Süden der Marmolata sieht’s in Sachen Bikeshops eher düster aus.

Geführte Touren:
Peak Sport Adventure (www.canazeibikerent.com) in der Strèda de Pareda 83 in Canazei bietet neben Cube-Mietbikes auch jede Menge geführter Touren rund ums Val di Fassa an.

Tipp für nach der Tour:
Wer sich nach dem bestandenem Mountainbike-Abenteuer auf standesgemäße Art selbst belohnen will, entspannt im neuen, riesigen Wellness-Tempel Dòlaondes in der Strèda del Piz 7 in Canazei.

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