Gitta Beimfohr
· 14.12.2016
Auf lange und oft steile Anstiege folgen von kantigem Geröll übersäte Abfahrts-Trails. Wie wurde dieses Revier zu einem Trail-Mekka? BIKE-Redakteurin Gitta Beimfohr über die wahren Touren-Klassiker.
Der große Run auf den Gardasee stammt noch aus einer Zeit, als lange Anstiege schick und brauchbare Touren-Beschreibungen rar waren. Wo in den Ostalpen kann man sich schon von 65 Metern Seehöhe bis zu einem 2000 Meter höher gelegenen Gipfelkreuz hinaufschinden? Bis heute ziehen selbst im Hochsommer ganze Karawanen die Straße zum Altissimo hoch. Wobei längst nicht alle die 2000-Meter-Marke im Visier haben. Viele Biker biegen unterwegs auf einen der Trail-Klassiker ab, die von der Altissimo-Straße in unterschiedlichen Höhen abzweigen. Viele drehen aber auch einfach wieder um und lassen die erkämpften Höhenmeter auf der Asphaltstraße wieder durch den Tacho rasseln. Warum? Weil ihnen für die klassischen Geröllwacker-Trails am Gardasee die Fahrtechnik fehlt.
Leichte Touren sind am Lago so rar wie feine Kieselsteine. Umso erstaunlicher, dass der Gardasee von Anfang an zu den absoluten Top-Bike-Revieren der Alpen gehörte. Und das schon zu einer Zeit, als das Fully noch in der Kinderfederung steckte. Schuld daran war ein gewisser Elmar Moser. Der Münchner brachte Anfang der 90er-Jahre die ersten wirklich brauchbaren Bikeguides heraus. Und wer bereits die exakten Touren-Beschreibungen aus den Moser-Guides Tegernsee und Karwendel zu schätzen wusste, der folgte auch dem Band 3 an den Gardasee. Dort dürften sich die Moser-Jünger allerdings nicht nur die Augen, sondern sicher auch bald die aufgeschlagenen Knie gerieben haben. Selbst die vermeintlich einfache Runde über den Monte Brione ließ viele Touren-Biker in den Abgrund des Schreckens blicken. Auch ich stand dort oben einst am Trail-Einstieg und musste zum ersten Mal in meinem Leben mein Fahrrad bergab schieben – was für eine demütigende Erfahrung.
Dennoch – oder gerade deswegen – hat sich der Gardasee in nur wenigen Jahren zum absoluten Trail-Mekka entwickelt. Eben solche Trails, wie der 601er ("Da Oanser"), der im Moser-Guide mit "… sehr extrem, mit steilsten Geröllpassagen" beschrieben ist, wurden schnell zur Messlatte unter ambitionierten Fahrern. So endete die "Oanser"-Abfahrt immer erst an der Mecki-Bar und zwar mit der Frage: "Und, was bist gefahr’n?" "’Nen Zweier. Aber der Hans hat an Nuller hingelegt!" Was bedeutete, dass Hans null Mal absetzen musste, den Trail also komplett durchgefahren ist. Bis heute zählen diese Moser-Touren der ersten Stunde zu den absoluten Lago-Klassikern. Auch wenn die Trails dank moderner Fahrwerke natürlich längst ihren Schrecken verloren haben.
1. Tremalzo (ca. 30 km, 397 hm – Schwierigkeitsgrad 3 von 5 Punkten)
Es ist DIE Tour am Gardasee. Und hätte es zu Mosers Zeiten schon einen Bikeshuttle gegeben, wäre er die Tour auch so herum gefahren: Eine dreiviertel Stunde dauert die Fahrt zum Rifugio Tremalzo hinauf. Dann kurbelt man zum berühmten Tremalzo-Tunnel hoch und rollt die grob geschotterten Militärstraßen-Kehren zum Passo Nota hinunter. Über den Passo Rocchetta zurück nach Riva. Ein landschaftliches Ereignis!
2. Capanna Grassi (25 km, 1045 hm – Schwierigkeitsgrad 3 von 5 Punkten)
Diese Halbtages-Tour wird vor allem für ihre schöne Einkehr geliebt. Von Riva geht’s zunächst auf der Straße Richtung Tennosee, aber nur bis zum Abzweig nach Campi. Dann folgt man den Schildern in den Talschluss bis zur Capanna Grassi. Nach der Einkehr orientiert man sich hinter der Hütte in den Wald, wo ein recht rumpeliger Schotterpfad um eine Bergflanke herum wieder ins Tal führt.
3. Sentiero 601 (76,8 km, 1568 hm – Schwierigkeitsgrad 5 von 5 Punkten)
Dieser Klassiker der ersten Stunde gilt bis heute als Messlatte. Auch Frauen wollen den 601er mittlerweile mit nur wenigen Absetzern runtergepoltert sein. Wer sich das steile und grobstufige Geröllmoster wirklich antun möchte, klettert die Altissimo-Straße bis zu einer Höhe von 772 Metern hinauf und zweigt dann am Wegweiser 601 ab. Der Pfad kreuzt die Straße, man kann also wieder aussteigen.
4. Pregasina-Straße (13,4 km, 485 hm – Schwierigkeitsgrad 1 von 5 Punkten)
Es ist definitiv die leichteste Tour am Lago, doch in Sachen Seeblick steht sie den großen Runden in nichts nach. Direkt hinterm Ortsschild von Riva zweigt die 1865 angelegte Schotterstraße ab und zieht sich in sanfter Steigung durch kleinere Tunnels nach Pregasina hinauf. Am besten fährt man hier früh morgens oder abends, dann kann man die ausgefahrenen Anlieger bergab ohne Gegenverkehr genießen.
5. San Giovanni (28,5 km, 1170 hm – Schwierigkeitsgrad 2 von 5 Punkten)
Keine Mutprobe, kein stundenlanges Bergaufgeschrubbe – und trotzdem gehört die Tour zum Ristoro San Giovanni zu den beliebtesten Klassikern. Man rollt an der Sarca entlang nach Arco und Varignano und folgt einer schmalen Bergstraße nach San Giovanni hinauf. Zurück kann man die klassische Schotter- und Asphalt-Route nun mit einem Flow-Abstecher über den Sentiero dei Russi aufpeppen!
...
Mit ein Grund, warum es so viele Biker an den Gardasee zieht: die vielen Cafés, Bars und Restaurants, in denen man die Radsport-Prominenz trifft.
• Ponale Alto Belvedere
Das Haus lag viele Jahre lang brach, wurde nun grundsaniert und 2014 wieder eröffnet: Das Pasta- Restaurant mit sensationeller Aussichtsterrasse liegt direkt an der Ponalestraße – mit Blick über den See. Tel. 0039/347/6936502
• Eiscafé Flora
Man kann es morgens, mittags, abends und auch spät nachts noch essen und kann sich dennoch nie entscheiden, welche Eissorte nun die leckerste ist. "Die Flora" liegt in der Viale Rovereto 54 am Ortseingang von Riva. Tel. 0039/0464/551671
• Mecki’s Bike & Coffee
Seit Aldo Beltrami 1962 die Mecki-Bar eröffnete, wird hier frühmorgens der erste Cappuccino gebrüht. Längst kann man hier Appartements mieten und Klamotten shoppen. DER Treffpunkt nach der Tour – Via Matteotti 5, Torbole. Info: www.meckis.com
• Ristorante Pizzeria al Porto
Eine der besten Pizza-Adressen am Nordufer des Gardasees. Aber es gibt auch leckere Fleisch- und Fisch-Gerichte mit Gemüse. Der Service ist schnell, Wartezeiten gibt’s nur an der Kasse. Piazza Goethe 18 in Torbole. Info: www.pizzeriaalporto.com
• La Colombera
Ausgezeichnete Steaks, Pizza und Nudelgerichte drinnen in uriger Gewölbe-Atmosphäre oder draußen auf der Terrasse im Garten. Meist sehr voll! Via Rovigo 30, Riva del Garda. Tel. 0039/0464/556033
• Villa Aranchi
Viele sagen, im Biergarten der Villa Aranchi gäbe es definitiv die allerbeste Pizza. Dafür sieht man sogar über den oft ruppigen Service und die lange Schlange an der Kasse hinweg. Viale Rovereto 23, Riva del Garda. Info: www.villaaranchi.it
• Leon d’oro
Mitten in der Innenstadt von Riva und seit Jahren die Homebase des Rocky-Mountain-Teams. Wer also mal einen Abend am Nachbartisch von Wade Simmons verbringen möchte – hier sind die Chancen groß! Via Fiume 28, Riva. Tel. 0039/0464/552341
• La Grotta
Vor 26 Jahren wurde der ehemalige Kuhstall hinterm Brione zu einem urigen Restaurant mit Garten umgebaut. Die Speisekarte ist international, aber die meisten kommen ohnehin wegen einer echten La-Grotta-Spezialität: dem Bergkäse vom Grill. Via Monte Brione 5 in Arco. Info: www.allagrotta.com
• Agritur madonna delle Vittorie
Rindfleisch, Pasta, Olivenöl und Wein aus eigener Herstellung, alle übrigen Zutaten aus der Region. Das Ganze servieren hübsche Bedienungen auf einer kleinen, idyllischen Palmen-Terrasse. Via Linfano 81 in Arco. Tel. 0039/0464/505542
• La Fattoria
Abseits des Touristenrummels versteckt sich die Fattoria im Industriegebiet von Riva. Im rustikalen Ambiente werden hier an langen Tischen Gerichte serviert, deren Zutaten aus der Region stammen. Via Marone 13, Riva del Garda. Tel. 0039/0464/557844
• Ristorante alla Lega
Uraltes Gebälk und freskenverzierte Wände: Im Alla Lega speist man ein Menü aus traditionellen italienischen Gerichten. Da steht dann auch schon mal gegrilltes Pferdefleisch auf der Speisekarte. Via Vergolano, 8 im historischen Zentrum von Arco. Info: www.ristoranteallalega.com
...
Das Revier Über die felsigen Berge rund um den nördlichen Gardasee zog sich im Ersten Weltkrieg die Frontlinie. Aus dieser Zeit stammt das weit verzweigte Netz von Militärwegen, das Ende der 80er-Jahre von Mountainbikern als Touren-Eldorado entdeckt wurde. Obwohl jedes Jahr Tausende von Bikern über die Trails driften, blieb das Gebiet erstaunlich lange von Fahrverboten verschont.
Aktuell sieht die Gesetzeslage im ganzen Trentino so aus: Grundsätzlich sind alle Wege für Biker freigegeben, die Regionen können aber einzelne Ausnahmen mit Verbotsschildern versehen. Gründe für eine Trail-Sperrung können sein: Naturschutz, zu viel Verkehr (Wanderer) oder zu gefährliches Terrain. Bisher haben sich die Behörden am Gardasee auf wenige Trail-Sperrungen beschränkt: Brione, Pianaura-Trails, Anaconda und Sentiero della Pace. Eine rücksichtsvolle, naturschonende Fahrweise kann dabei helfen, dass es auch dabei bleibt. Eine Karte mit allen erlaubten und gesperrten Trails finden Sie hier online ->
In Sachen Bike-Infrastruktur macht dem Gardasee kein anderes Revier etwas vor. Hotels, Campingplätze, Restaurants und Bars sind auf Biker eingestellt. Es gibt Shuttle-Services, Shops und Touren-Anbieter.
Anfahrt Über die Brennerautobahn A22, Ausfahrt "Rovereto Süd, Lago di Garda Nord" und auf der Landstraße weiter bis Torbole. Bei viel Verkehr kann es sich lohnen, eine Ausfahrt früher, in Trento, von der Autobahn abzufahren, um dann über Arco an den Gardasee zu kommen.
Touren-Infos
• Die beiden Moser-Guides 11 (Gardasee Nord und Ost) und 12 (Gardasee West) mit insgesamt 100 Klassiker-Touren sind nach wie vor erhältlich. Preis pro Band: 39,90 Euro, www.delius-klasing.de
• Touren mit GPS-Daten: Uli Stanciu war einer der ersten Biker am Gardasee. Bis heute entdeckt er mit den Locals neue Pfade. Alle Touren mit GPS-Daten unter www.bike-gps.com
• Andreas Albrecht hat mehrere Guides mit GPS-Download (auch in englischer Sprache) herausgebracht. Info www.gps-bikeguide.com
Geführte Touren Fast jeder deutsche Veranstalter hat eine Touren- oder Fahrtechnikwoche am Gardasee im Programm. Es gibt aber auch Touren-Anbieter vor Ort:
• www.gardamtbtours.com – täglich geführte Touren aller Schwierigkeitsgrade mit der deutschen Rennfahrerin Kerstin Brachtendorf.
• www.gardaonbike.com – täglicher Touren-Treff am Gardabikeshop (Cannondale-Leih-Bikes) in Riva
• www.3s-bike.com – seit über 25 Jahren Touren-Anbieter mit Scott-Leih-Bikes am Parkplatz an der Mecki-Bar.
Shuttle-Service
Eine Seilbahn gibt es nur in Malcesine. Am Nordufer gehören daher die Shuttle-Busse längst zum Verkehrsbild:
• Torbole Bike Shuttle mit Startpunkt am Bikeshop Carpentari, Tel. 0039/329/4352878, Info www.bikeshuttletorbole.com
• Coast to Coast mit Startpunkt am 3S-Center an der Mecki-Bar, Tel. 0039/347/4713748
• Bike Shuttle Barcelli, individuelle Fahrten nach Vereinbarung, Tel. 0039/335/6780715
Bikeshops
• Carpentari Bike Shop: der Profi in Sachen Bike-Verleih, Werkstatt und Verkauf von Zubehör www.carpentari.com
• The Lab di Girardi Stefano: Der Werkstatt-Guru und Highend-Spezialist (auch E-Bikes) ist mal wieder umgezogen. Man findet sein neues Reich nun in der Viale Rovereto 11b in Riva. Direkt gegenüber vom BIKE-Festival-Gelände. Tel. 0039/0464/550951
• Bikeshop Giuliani: die beste und günstigste Werkstatt in Arco mit Bike-Verleih www.bikegiuliani.com
• Garda Bikeshop: Werkstatt, Verleih von Bikes und Protektoren, Verkauf von Zubehör, geführte Touren und Shuttle-Service. Viale Rovereto 3A in Riva. www.gardabikeshop.com
Unterkünfte Vom Campingplatz bis zum Sterne-Hotel sind am Gardasee alle Unterkünfte auf Biker eingestellt. Eine Liste aller Unterkünfte und sonstige Informationen gibt es im Fremdenverkehrsamt, www.gardatrentino.it
Die BIKE können Sie in der BIKE-App (iTunes und Google Play) lesen oder die Ausgabe im DK-Shop nachbestellen: