Nicht nur in den Dolomiten haben sich Kriegsparteien die Köpfe eingeschlagen. Auch in den Westalpen rüsteten die Franzosen und Italiener entlang ihrer Grenze massiv gegeneinander auf. So wartet auch hier ein dichtes Netz aus alten Militärpfaden, das sich von einem Fort zum anderen hangelt. Besonders ergiebig für Mountainbiker ist das Val di Susa, knapp zwei Autostunden westlich von Turin. Da gibt es zum einen den 3136 Meter hohen Gipfel des Mont Chaberton mit seinen acht massiven Geschütztürmen. Ein Trail-Klassiker für den man allerdings einiges an Kondition und Fahrtechnik mitbringen muss. Doch auf dem Gipfelplateau gleich gegenüber wartet dieses Flow-Erlebnis der allerfeinsten Sorte: der Supertrail namens Lago di Sette Colori.
Ein echter Spaß-Trail, ohne grobes Gerüttel, hatte Bike-Kumpel Maxi versprochen. Wir folgen ihm von Claviere aus über die französische Grenze und dann vier Kilometer lang auf der Passstraße nach Montgenèvre hinauf. „Och nee, Bikepark?“ entfährt es Sabine, als wir die Lifttickets nach Chalmettes hinauf lösen. Maxi grinst. Natürlich nicht. Tatsächlich nutzen wir nur die beiden Aufstiegshilfen des Bikeparks Montgenèvre. Nach 700 schmerzlos überflogenen Höhenmetern hüpfen wir am Fort du Gondran aus dem Liftsessel. Es dauert nicht lang dann blicken wir dem Mont Chaberton direkt auf sein Zähnchen-Haupt. Wir stehen zwar 800 Meter tiefer, aber die Himmelsrichtung stimmt – vom Fort du Gondran aus könnten die vernichtenden Salven, damals im Zweiten Weltkrieg, auf das italienische Fort am Mont Chaberton abgefeuert worden sein. Ehrfürchtig stehen wir noch eine ganze Weile da und blinzeln zur Pyramide des Mont Chaberton hinüber. Unglaublich, dass wir gestern etwa zur gleichen Zeit noch dort oben standen. Und was war das für eine Tortur!
Ganz anders hier drüben: Auf einer glatt polierten Murmelbahn des Bikeparks rauschen wir die ersten 200 Höhenmeter hinunter, dann zweigt die Schotterstraße ab, die zum Col du Gondran hinauf zieht. Mit ihrer Hilfe schütteln wir den Bikepark endgültig ab und stehen auf einmal mitten im Hochplateau der Monti della Luna. Eine wirklich mondartige Wüstenlandschaft tut sich da vor uns auf. Sanft wellen sich die Sandhügel dahin. Das Regenwasser, das auf diesen staubigen Boden trifft, reicht gerade mal für ein paar Grasbüschel.
Unser Trail nimmt in dieser Steppen-Kulisse nun Fahrt auf. Im Auf und Ab surfen wir wie auf feinstem Schmirgelpapier dahin. Keine Felsstufe, die unseren Rhythmus ins Stocken bringt, kein Baum, der sich ins Panorama schiebt – sechs Kilometer lang erleben wir feinsten Flow. Dann steuern wir auf den Lago di Sette Colori zu – oder Lac Gignoux, wie die Franzosen sagen.
Der Pfad umrundet dieses kleine blaue Auge mitten in der Wüste erst ganz harmlos, dann zieht er plötzlich am anderen Ufer schnörkellos und – man kann es nicht anders sagen: sacksteil Richtung Col de Saurel hinauf. Aber nur für 100 Höhenmeter, das lässt sich verschmerzen. Am Pass selbst knistert kurz Schotter unter den Reifen, dann reißt wieder ein Trail die Regie an sich.
Kurzer Griptest – wieder so ein Pfad mit diesem herrlichen Schmirgelpapier-Untergrund. Kurve um Kurve reizen wir Grip und Fliehkräfte bis zum Maximum aus. Was für ein Natur-Trail! Kein Bikepark-Designer dieser Welt könnte sich einen schöneren Verlauf ausdenken oder einen besseren Untergrund zusammenmischen. Und zum krönenden Abschluss gibt’s noch ein achterbahnartigen Trail durch einen lichten Märchenwald obendrauf. Ganze 600 Tiefenmeter hält dieser Fahrspaß an, dann stoßen wir wieder auf eine Schotterstraße, die uns ins italienische Claviere zurück leitet. Was für ein Erlebnis!
Die GPS-Daten zum Supertrail Lago di Sette Colori gibt es ab sofort hier in unserem neuen DK-Tourenportal.
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Seilbahn: Die Tour startet auf französischer Seite, an der Talstation der Seilbahn Les Chalmettes in Montgenèvre. Man nutzt die beiden Lifte des Bikeparks (Gondel Les Chalmettes u. Sessellift zum Fort du Gondran). Saison: 8.7. – 31.8.24, tägl. 9:30 – 16:30 Uhr, Juni u. Sept. nur am Wochenende, Tageskarte: 20,50 Euro, montgenevre.com
Schlüsselstellen: Nach dem „Lago di Sette colori” gilt es ein paar extrem steile Rampen zu meistern – auch mit Motorunterstützung ist das eine fahrtechnische Herausforderung. Wer es nicht schafft, schiebt. Wer sich die beiden Lifte sparen will, kann auch selbst pedalieren, braucht dann aber zwei Akkus und sollte die Tour entsprechend rechtzeitig starten. Lange Runde!
Unterkunft: Mit dem Camper bleibt man am besten im Vallée Etroite über Nacht. Dabei handelt es sich um einen Naturpark vom Feinsten, Camper: kein Problem. Ansonsten liegt auch der Ort Bardonecchia zentral, gerade wenn man die beiden Touren Monte Chaberton und Sette Colori kombinieren möchte.
Einkehr: Im „Il Laghetto“, der Sportgaststätte gibt es leckere Pizza und Pasta in typisch italienischem Ambiente. Reservierung macht Sinn, da das Restaurant auch unter den Locals sehr beliebt und meist entsprechend voll ist.
Kombi-Tipp: Wer schon mal da ist, sollte sich den Mont Chaberton gegenüber nicht entgehen lassen. Allerdings: Sehr roughes Terrain und keine Lifte! Doch der spektakuläre Gipfel mit seinen acht Geschütztürmen ist diese „Tortour“ definitiv wert!