Patrick Kunkel
· 11.09.2017
Hunderte Vulkane reihen sich bis heute im Massif Central und formen mit ihren bis zu 1886 Meter hohen Kratern eine skurrile Touren-Kulisse. Die alten Feuergipfel sind mit einsamen Trails verbunden.
"Ok, das war wohl jetzt nichts." Bertrand zupft ein Büschel Gras aus dem Schaltwerk und eine Handvoll Kletten aus den Haaren, grinst – und schiebt weiter. Morsche Äste knacken, Brombeer-Dornen kratzen rote linien in unsere Waden.
Kann ja mal passieren, dass man auf der Suche nach perfekten Trails im Nirgendwo landet. Beziehungsweise im undurchdringlichen Unterholz. Nein, kein Thema, zumal uns Bertrand den ganzen Vormittag schon über Pfade gelotst hat, die wir alleine niemals gefunden hätten. Und Singletrails hat sein Revier reichlich zu bieten. In der Mitte Frankreichs türmt sich eine eindrucksvolle Vulkanlandschaft auf: das Massif Central, auf Deutsch: Zentralmassiv. Hier stehen nicht nur ein paar Vulkane in der Landschaft, sondern gleich ein paar hundert alte, inzwischen längst verrauchte Feuerspucker.
Die GPS-Daten dieser drei MTB-Touren aus dem Revier-Guide Massif Central finden Sie unten im Download-Bereich:
"Allein die Chaîne des Puys besteht aus über 80 Vulkanen", erklärt Bertrand, als wir auf einer Anhöhe stoppen, wo uns der Anblick dieser 60 Kilometer langen Vulkankette am Horizont den Atem verschlägt.
Die Chaîne des Puys, die Bergkette der Krater, ist ein gewaltiges Bollwerk aus Kegeln, Kuppeln und Domen. "Es ist mir nicht möglich, Ihnen einen Begriff von der Pracht des Anblicks zu geben", schrieb der deutsche Geologe Leopold von Buch, der die Auvergne im Jahr 1802 als einer der ersten Vulkanforscher durchstreifte. Voller Ehrfurcht über die erstarrten Naturgewalten versuchte er es dann doch: "Die Kegel steigen über die fortlaufende Bergreihe heraus, wie in Rom die Menge der Kuppeln über die Stadt, und wie dort die Peterskuppel um sich her alle andere vernichtet, so drückt hier der Puy de Dôme alle Kegel tief unter seine Höhe herab." Die letzten Vulkanausbrüche im Zentralmassiv habe es vor ungefähr 8000 Jahren gegeben, weiß Bertrand. Dennoch scheint das Wissen um den Vulkanismus hier zur Allgemeinbildung zu gehören: "Aber was heißt schon erloschen? Mich fasziniert, dass hier damals, als die Vulkane noch aktiv waren, bereits Menschen lebten." Neuzeitliche Geologen vertreten den Standpunkt, dass die schlafenden Ungetüme durchaus wieder erwachen könnten. Auch wenn derzeit nichts darauf hindeute. Die Lavaströme und die darauf folgende Eiszeit haben eine raue Landschaft hinterlassen, die nicht nur ein Eldorado für Vulkanologen darstellt, sondern wie gemacht ist für ausgedehnte Bike-Touren. Der Blick schweift weit über die Kulisse: Zwischen den üppig begrünten Gipfeln liegen weite Wiesen, Heidelandschaften und ein zottiger Waldpelz, unter dessen Baumkronen heiße Quellen sprudeln und Gebirgsbäche in Kaskaden über Felskanten schäumen. Dazu alte Burgen, Dörfer und Vulkanseen wie dahingemalt.
Bertrand prescht voran. Das Gelände präsentiert sich zunächst wellig und sanft. Doch hinter dem Örtchen Courbanges zweigt Bertrand plötzlich in einen Pfad ab, der in einer wilden Zickzack-Kombination erst über bizarre Basaltformationen und dann steil bergab in eine Talkerbe stürzt. Nur gut, dass uns unten ein griffiger Waldboden auffängt. Am Lac Pavin, einem kreisrunden Kratersee, der seine Existenz einem Rendezvous von Grundwasser und vulkanischem Gasexplosionstrichter verdankt, verschwindet Bertrand in einer unscheinbaren Bresche im Unterholz. Ein schmaler Pfad teilt jetzt das Walddickicht und führt direkt auf einen gewaltigen Ring aus Tuffgestein zu: das Becken eines verschwiegenen Kratersees. Vollgepumpt mit Glückshormonen cruisen wir über den Trail, der nun unter knorrigen Eichen auf der Seeböschung entlangbalanciert.
"Das Schönste am Zentralmassiv ist, dass sich die Landschaft und die Strecken ständig ändern", sagt später am Abend Margriet, die Wirtin der kleinen Pension Les Camelias im Bergstädtchen Mont-Dore. Man könne sich zwischen den grünen Kratern so richtig verausgaben, ohne dass es langweilig werde. Und das tagelang. Margriet tischt uns ein üppiges Menü auf und setzt sich dann zu uns an den großen Tisch. Seit zehn Jahren betreibt sie mit ihrem Mann Erwin die Pension im Thermalort am Fuße des Puy de Sancy. Kennzeichen der Architektur, wie überall in der Gegend, ist die Verwendung des typisch regionalen Gesteins aus schwarzer Lava. Kennen gelernt haben sich die beiden Niederländer um die Jahrtausendwende beim Biken in den Anden: "Die Leidenschaft fürs Rad hat uns ins Zentralmassiv gebracht. Wir haben damals eine neue Heimat gesucht, die viele gute Rennradstrecken, aber auch Singletrails bietet." Et voilà! Margriet nickt Richtung Küchenfenster, dort, wo der fast 1900 Meter hohe Puy de Sancy alles überragt. Schon bei der Ankunft hat uns der Anblick des höchsten Berges des Zentralmassivs mit seinen zerfurchten Lavahängen den Mund wässrig gemacht. Doch Margriet muss uns enttäuschen: "Der Sancy ist leider bikefreie Zone – Naturschutzgebiet." Aber es gäbe ja genügend feine Strecken hier.
Wie zum Beweis dafür steht am nächsten Morgen Chriss, ein Kumpel von Bertrand, vor der Tür. Er will uns die Strecken rund um die Vulkane der Chaîne des Puys zeigen, die wir am Tag zuvor nur aus der Ferne gesehen haben. "Keine Angst, wir fahren nicht auf alle 80 Vulkane", witzelt er und verfrachtet uns samt Bikes in seinen klapprigen Bus. In Zanières, einem verlassen wirkenden Kaff zwischen Feldern und Kuhweiden, beginnt die Tour denkbar unspektakulär. Bergab auf Schotter, Bussarde und Falken gleiten über Weizenfelder, und in der Ferne ragt der Puy de Dôme empor, der König der Vulkane mit seiner charakteristischen Kuppelform. "Da geht es heute hin", verkündet Chriss. Am Wegrand stehen uralte Menhire: "Aus der Jungsteinzeit," erklärt Chriss im Vorbeifahren, aber wir denken gleich an Obelix und seine Hinkelsteine. Das ist auch nicht weit hergeholt, denn im Zentralmassiv siedelten tatsächlich die keltischen Averner. Ein rebellisches Völkchen, das sich einst unter der Führung des Fürsten Vercingetorix gegen die römischen Eroberer erhob. Geschichte gibt es also genug auf den ersten Metern. Aber wo sind die Trails? Kaum gedacht, wird aus der Piste ein Flowtrail, der uns erst ein paar Kilometer später am Ufer des Lac d’Aydat ausspuckt. In rascher Folge wechseln nun Pfad und Piste – wobei: Manch ein Forstweg ist derart von Felsen garniert und von Rinnen durchzogen, dass man eher von zweispurigen Trails sprechen kann.
Mitten in der Chaîne des Puys folgt ein Krater auf den anderen. Dazwischen mäandern feinste Trails, die wir die meiste Zeit für uns alleine haben. Die wenigen Wanderer, die wir treffen, treten zur Seite und feuern uns an: "Allez! Allez!" Bloß Rindviecher gibt es hier im Übermaß. Und zwar die rotbraunen Salers-Rinder mit ihren geschwungenen, langen Hörnern. "Sie geben die Milch für unseren Saint Nectaire", schwärmt Chriss. Der Käse aus frischer Rohmilch reift drei Monate lang in vulkanischen Tuffsteinhöhlen. Erst dann hat er seine typische Kruste aus Grauschimmel ausgebildet. Doch bevor wir ans Kulinarische denken können, kreist der Trail mit uns einmal um das begrünte Kraterloch des Puy de Vichatel und lässt sich dann in Serpentinen an dessen Flanke hinab. Mittagsrast legen wir erst am Krater des Puy de la Vache ein. Umgeben von rotem Vulkangeröll teilt Chriss hausgemachten Schokoladenkuchen aus. Grillen zirpen, die von der Sonne aufgeheizten Steine lullen uns ein. Jetzt ein Schläfchen! Doch es wartet ja noch der Anstieg zum Puy de Dôme. "Leider sind die Wege auf den Gipfel für Biker gesperrt", bedauert Chriss. "Selbst Rennradfahrer lassen sie da nicht mehr hoch." Dabei hat der markanteste Vulkan des Massivs längst Straßenradsportgeschichte geschrieben: Bis 1988 endeten sogar Tour-de-France-Etappen auf dem 1465 Meter hohen Berg. Doch 2012 hat man die Trasse der Kultstraße für den Bau einer Zahnradbahn gebraucht.
Na gut, dann umrunden wir den Puy de Dôme eben auf halber Höhe. Chriss stoppt auf dem Bergsattel zwischen dem Kleinen und dem Großen Suchet: "Ich liebe diesen Ort. Von hier kannst du zwanzig Vulkane sehen." Der Blick schweift über den Puy Pariou bis hin zur tief unten im Tal liegenden Stadt Clermont-Ferrand, wo die Michelin-Reifenwerke ihren Hauptsitz haben. Und dort im Norden, hinter den Kuppen, befindet sich der Ort Volvic: "Vierzig Jahre braucht das Regenwasser, um als vulkanisches Quellwasser wieder hervorzusprudeln", sagt Chriss und grinst: "Das Wasser, das Ihr heute trinkt, ist vom Himmel gefallen, als ich geboren wurde!"
Apropos vom Himmel fallen – die Wolken über unseren Köpfen scheinen auf dieses Stichwort gewartet zu haben. Für Chriss kein Problem. Regenjacke an, und weiter geht’s, denn jetzt kommen ja erst seine Lieblings-Trails!
BIKE-Touren-Autor, Patrick Kunkel:
"Geht da was? Dutzend Male sah ich die wirklich beeindruckende Kette grüner Vulkankrater – nur von der Autobahn aus. Jetzt konnten wir die Trails des Zentralmassivs endlich testen, und: Ja, es geht richtig was!"
Diesen Artikel bzw. die gesamte Ausgabe BIKE 5/2017 können Sie in der BIKE-App (iTunes und Google Play) lesen oder die Ausgabe im DK-Shop nachbestellen:
REVIER-HIGHLIGHTS
In den Tälern der Vulkanketten haben sich kleine Städte und Dörfer angesiedelt. Mit typisch französischer Infrastruktur: eine Boulangerie für Café au lait und Croissant zum Frühstück, urige Bars für zwischendurch und Restaurants fürs Drei-Gänge-Menü am Abend.
ALLGEMEINE INFOS
Das Revier
Die Dimensionen des französischen Zentralmassivs sind nicht gerade bescheiden: Das Mittelgebirge nimmt ungefähr 15 Prozent des französischen Staatsgebiets ein und erstreckt sich gleich über sechs französische Regionen. Für Biker interessant ist neben den Cevennen vor allem das in der Auvergne liegende Gebiet, wo der Gebirgsstock von hunderten erloschenen, auf französisch "Puys" genannten Vulkanen gebildet wird. Es ist die größte Vulkanlandschaft Europas, überformt von Wäldern, weiten Rinderweiden, Vulkanseen und Wasserfällen – durchzogen von einem Netz feiner Singletrails. Allein die Chaîne de Puys, die Bergkette der Puys, besteht aus über 100 riesigen, ausgebrannten Sprengkörpern. Das angrenzende Bergmassiv der Monts Dore erreicht mit dem Puy de Sancy immerhin 1886 Meter Höhe. Und weil das Zentralmassiv eine der am dünnsten besiedelten Gegenden Frankreichs ist, hat man die vielen Strecken meist für sich alleine. Dennoch ist die Verpflegung unterwegs unproblematisch. In fast jedem Dorf gibt es eine Boulangerie oder eine Bar.
Anreise: am besten mit dem eigenen Wagen. Clermont-Ferrand (alternativ Lyon) ist aber auch per Fernbus, Zug oder Flugzeug erreichbar. Dann weiter mit dem Mietwagen.
Beste Tourenzeit
Das Klima im Zentralmassiv ist eher rau und geprägt von feuchten atlantischen Luftmassen, die sich hier gerne abregnen, vor allem im Frühjahr. Beste Reisezeit für Trail-Touren daher von Ende Mai bis in den Oktober.
Geführte Touren
Tages-, Wochenend- und Mehrtages-Touren bietet Chriss Méjean-Lapaire an, Tel. 0033/632/828434. www.triplebuses.com
Bikeshops / Verleih
• Centsix Snowscoot-VTT, Bike-Verleih und Werkstatt, 43 Avenue du Sancy, Résidence Le Buron Bât H, 63610 Super Besse, Tel. 0033/463/800281, www.centsixsnowscoot.fr
• La Bourboule Vélo Plus, Werkstatt (Bike-Verleih), Chemin du Limanger, 63150 La Bourboule, Tel. 0033/682/733940
Karten / Literatur
• Für Touren eignet sich am besten die Wanderkarte: IGN Top 25, série bleue: "Massif du Sancy", Nr. 2432 ET sowie "Chaîne des puys", Nr. 2531, Maßstab 1:25000, Preis: 12 Euro.
• "Auvergne. Cevennen, Zentralmassiv", Verlag Reise Know-How, 2013, Preis: 19,50 Euro. 420 Seiten, sehr detailliert, gute allgemeine Reise-Tipps
Unterkünfte
• Le Mont-Dore: Pension Les Camélias, 6 Avenue de Clermont, 63240 Le Mont-Dore, www.lescamelias.eu
• Besse: Hôtel Le Sancy, Place Alfred Pipet, 63610 Besse et St-Anastaise, www.hotel-sancy-besse.com
SZENE SPECIALS
Bikepark
• Den Bikepark in Superbesse sollte man keinesfalls verpassen. Die Seilbahn überwindet die 500 Höhenmeter von der Talstation auf den Gipfel des Perdrix’ in etwa fünf Minuten. Dann stehen sechs verschiedene Abfahrtsstrecken zur Auswahl (insgesamt 18 Kilometer) Der Abfahrtsgeschwindigkeitsrekord auf der schwarzen Weltcuppiste liegt bei 68 km/h. Geöffnet ist der Park zwischen Ende Juni und Mitte September. Ein Tagesticket für die Seilbahn kostet 21,50 Euro für Erwachsene und 10,80 Euro für Kids. An der Talstation befinden sich Bikeshops und -Verleih. Infos: www.sancy.com
• Bikeschule: Ecole VTT MCF, Nicolas Rouveix, Tel. 0033/684/740818.
Kletterpark Capucin
Wohldosierten Nervenkitzel am Ruhetag findet man am Kletter-Spot auf dem Capucin oberhalb von Mont-Dore. Neben einigen frei begehbaren Kletterfelsen ermöglicht dort die Via Ferrata du Capucin recht entspanntes Klettern am Stahlseil. Der 400 Meter lange Klettersteig überwindet 222 Höhenmeter. Der Eintritt kostet 5 Euro ohne und 15 Euro mit Leihausrüstung. Die Tour mit Guide kostet 35 Euro. Infos: www.montdoreaventures.com
Kultur
Burgen, Kirchen, Käsereien,die Burg (Château) von Murol (Tour 3) ist eine der wichtigsten mittelalterlichen Festungen Frankreichs, ein Stopp lohnt ebenso wie eine Runde durch den historischen Ortskern von Murol. Ein paar Kilometer (und fiese Höhenmeter) weiter liegt der Ort St. Nectaire mit einer sehenswerten romanischen Kirche. Hier packt man am besten Wegzehrung ein, der berühmte Saint-Nectaire-Käse stammt von hier und wird unter anderem in der Käserei Ferme de Bellonte produziert. www.st-nectaire.com
Essen und Trinken
Die Küche der Auvergne ist reichhaltig, geschmackvoll und rustikal. Einen ordentlichen Energieschub bringt etwa die Truffade, eine Art Auvergner Bauernfühstück, bei dem Bratkartoffeln mit Speck und Knoblauch mit einer Mischung aus jungem Salers-Käse und Crème fraîche in der Pfanne gebraten werden. Gerne und oft serviert wird auch der Pounti, eine Art Hackbraten, der in Scheiben geschnitten leicht angebraten wird. Die Potée Auvergnate ist ein Eintopf mit Wirsing, verschiedenen Gemüsesorten und geräucherten Fleisch- und Wurstsorten. Berühmt ist die Region vor allem für ihre Käsesorten: In der Auvergne gibt es fünf große Käse mit geschützter Ursprungsbezeichnung: Cantal, Bleu d’Auvergne, Fourme d’Ambert, Salers und Saint-Nectaire.
Infos allgemein
• Atout France: www.de.rendezvousenfrance.com
• Auvergne Tourismus: www.auvergne-tourismus.de