Kälte, tiefster Winter in München. Es ist Mitte Dezember und das Thermometer zeigt zweistellige Minusgrade an. Luisa und Marion beschließen, eine Winterflucht auf die Kanarischen Inseln anzutreten und landen nach vierstündigem Flug bei angenehmen 20 Grad, blauem Himmel und strahlender Sonne auf der Insel Lanzarote.
Sieben Tage lang werden die beiden Frauen im Bikepacking-Modus dem Gran Guanche Audax Trail folgen, einer anspruchsvollen Ultracycling-Route, deren GPS-Track man sich aus dem Netz herunterladen und jederzeit nachfahren kann.
715 Kilometer und 15.000 Höhenmeter lang soll es also durch die unterschiedlichen und spektakulären Vulkanlandschaften von Lanzarote, Fuerteventura, Gran Canaria und Teneriffa gehen. Von Insel zu Insel gelangen sie mit Fähren.
Doch anders als bei einem Ultracycling-Event, wo es darum geht, eine Strecke so schnell wie möglich und in Autonomie zu bewältigen – inklusive Nachtfahrten und Schlafentzug – wollen sie das Abenteuer diesmal in entspanntem Tempo angehen. Dazu gehört auch ausreichend schlafen und unterwegs die Landschaft genießen. An so etwas urlaubstypisches wie Essengehen denken Marion und Luisa allerdings erst nach ein paar Tagen - das Selbstversorgen steckt in einer Ultracyclista einfach drin. Hier ihr Bericht in vier Inselakten:
Räder zusammenbauen, Gepäcktaschen festzurren, Fahrradkartons entsorgen, dann geht's direkt los. Der Track schickt uns vom Flughafen gen Norden in eine karge und faszinierende Landschaft, vorbei an weiß getünchten Häusern, die aus sanft gewellten, schwarzen Lavahügeln sprießen. Im schnuckeligen Städtchen Teguise, der ehemaligen Inselhauptstadt, rappeln wir über gepflasterte Straßen und bestaunen dabei historische Gebäude. Kakteen in Tontöpfen, mit Christbaumkugeln behängt.
Weiter geht's zur Nordküste, wo sich das Famara-Massiv über kilometerlangen Sandstränden erhebt. Wäre das jetzt toll, wenn man Surfen könnte. Im Parc Natural de los Volcanes schlängelt sich die Sandpiste um Vulkankegel und Lavafelder so weit das Auge reicht. Deshalb kommen auch so viele Ironman-Aspiranten zum Training hierher. Lanzarotes Vulkanlandschaften simulieren die Bedingungen von Hawaii nämlich nahezu perfekt.
Nach 70 Kilometern gönnen wir uns im Dörfchen Uga eine erste Pause. Nichts ahnend, dass uns die letzten 20 Kilometer durch den bevorstehende Nationalpark Monumento Natural Los Ajaches noch mal so richtig Zeit kosten würden. Bis hierhin hätte man die Strecke locker auch mit dem Gravelbike abspulen können. Doch ab Los Ajaches stiert die Route auf einmal 15 Prozent steile Singletrails bergauf und stolpert sie auf stufiger, kantiger Spur im nächsten Abhang auch wieder hinunter.
Dafür scheint hier die Natur rundherum fast unberührt und die Aussicht auf das glitzernde Meer hat schon etwas von Feenstaub. Doch wir müssen uns leider beeilen, weil die letzte Fähre in Castillo de las Coloradas um 20 Uhr nach Fuerteventura übersetzt. Die Überfahrt dauert nur 30 Minuten, aber die Fähre ist klein und hat mit den Atlantikwellen ganz schön zu kämpfen.
Leicht seekrank betreten wir Fuerteventura im letzten Licht der Dämmerung. Gleich die erste Pizzeria in Corralejo nutzen wir für eine Katzenwäsche auf der Toilette und tauschen das Rad- in Camping-Outfit. Am nächsten Morgen sehen wir die zweitgrößte Kanareninsel zum ersten Mal bei Tageslicht. Wir haben unser Zelt gestern wohl an einem ihrer weitläufigen Strände aufgestellt. Surfer jagen durch die anbrandenden Wellen – wir halten in El Cotillo für ein Frühstück mit Avocado-Toast und Café con Hafermilch, dann folgen wir der Wellblechpiste in die Wüstenberge.
Nach etwa 50 Kilometern erreichen wir Llanos de la Concepción, wo wir in einem Supermarkt unsere Vorräte auffüllen. Der letzte Versorgungspunkt für längere Zeit, verrät die Karte. Dann geht's wieder hinein in den flimmernden Sand. Die Nachmittagssonne brennt, der Weg wird immer gröber. Manchmal müssen wir absteigen und schieben, weil die Hinterräder im bis zu 20 Prozent steilen Sand nicht mehr greifen. Auch der Gegenwind raspelt an unseren Nerven.
Auf dem Papier sieht die Route auf Fuerteventura einfach aus. Doch die Kombination aus Hitze, Gegenwind und welligen Anstiegen ist wirklich massiv anstrengend. - Marion Dziwnik, Ultracyclista
Als wir abends Costa Calma erreichen, sind wir uns einig, dass wir uns heute eine Dusche, eine Waschmaschine und ein richtiges Bett gönnen. Über Airbnb erwischen wir eine deutsche Gastgeberin, die uns auch eine späte Ankunft in ihrer Wohnung möglich macht. Die Dusche fühlt sich an wie ein Wunder, die Pizza schmeckt herrlich und die noch feuchten, aber frisch gewaschenen Radklamotten fachen beim Lichtausmachen schon wieder die Vorfreude auf die nächste Insel an.
Von Fuerteventura gibt es täglich nur zwei Fähren nach Gran Canaria. Dauer der Überfahrt: zweieinhalb Stunden. Diesmal ist das Schiff größer und stampft deutlich ruhiger durchs Meer. Es gibt sogar Duschen an Bord, die man hätte nutzen können. Aber wir sind ja noch frisch. Daher nutzen wir die Zeit für ein Mittagessen, das wir uns auf Fuerte noch im Supermarkt besorgt haben.
Auf Gran Canaria erschlägt uns fast die Großstadtatmosphäre von Las Palmas. Hektische Menschen, Verkehr und Lärm sind wir nach den Tagen in der Wüstenstille nicht mehr gewöhnt. Daher beeilen wir uns auf der Küstenstraße bis zum Abzweig ins Barranco Guinigada. Dieses knapp 20 Kilometer lange Tal führt direkt aus der Stadt in die Mitte der Insel. Fast schon subtropische Luft schlägt uns hier entgegen, aus meterhohen Felsen wuchert das Grün. Dazwischen kleben Dörfer mit bunten Häusern in der Schlucht.
Dafür ist das Höhenprofil der Gran Canaria-Route deutlich anspruchsvoller. Uns erwarten doppelt so viele Höhenmeter als auf Fuerteventura. Anfangs kurbeln wir auf Asphalt mit Meerblick und Abendsonne bergauf. Doch als der Track auf Sandpiste mit 10 Prozent Steigung wechselt, entscheiden wir uns, in Valsequillo ein Restaurant aufzusuchen. “Papas arrugadas” – gesalzene, “zerknitterte” Kartoffeln, werden uns mit pikanten Mojo-Saucen serviert.
Danach bestellt Luisa einen Cappuccino und bekommt einen “Barraquito”. Einen geschichteten Espresso mit gesüßter Kondensmilch, aufgeschäumter Milch und einer Prise Zimt. Eine Komposition, die ins in den nächsten Tagen immer häufiger zu einem Kaffeestopp verführen wird.
Als wir wieder vor die Tür treten, ist es fast dunkel, doch schon ein paar Schotter-Serpentinen über dem Dorf entdecken wir ein geschütztes und geeignet ebenes Plätzchen für unser Zelt. Zwei Motorradfahrer knattern nachts irgendwann vorbei und reißen uns aus dem Schlaf. Eine gute Gelegenheit, meinen Schlafsack bis zum Kinn zuzuziehen. Hier oben ist es überraschend kalt!
Der nächste Morgen macht mit Höhenmetern weiter. Schließlich haben wir am Vortag erst 1000 geschafft. Doch die Rampe bleibt steil und der Schotter lose. Als wir eine befestigte Straße erreichen, entscheiden wir uns für eine Abkürzung – wir sind ja schließlich im Urlaub. Gegen 11:00 Uhr erreichen wir den höchsten Punkt, den Pico de las Nieves (1949 m). Die Aussicht von hier oben ist gigantisch, besonders in Richtung Teneriffa, wo der Gipfel des Teide aus der Wolkendecke hervorsticht.
Dafür ist es kalt. Daher warten wir nicht lang mit der Abfahrt Richtung Tejeda und mit jedem Tiefenmeter wird es wieder wärmer. Traumhaft schön kurvt die Schotterpiste durch einen Kiefernwald, an einem Wasserfall vorbei und immer wieder öffnen sich Panoramafenster bis zum Atlantik. Die letzten 20 Kilometer legen wir auf der alten Küstenstraße im Nordwesten der Insel zurück. Ihre Schlaglöcher halten uns nicht davon ab pünktlich in Puerto de las Nieves einzurollen. Bevor die Fähre gen Teneriffa ablegt, reicht die Zeit sogar noch für einen Barraquito und ein Eis.
Nein, es war keine gute Idee, die erste Nacht am öffentlichen Strand von San Andrés zu verbringen. Doch weiter haben wir es gestern in völliger Dunkelheit vom Hafen in Santa Cruz nicht mehr geschafft. Schließlich geht's heute das Anaga-Gebirge hoch und dann Richtung Teide, den höchsten Gipfel Spaniens. Allerdings werden wir in den Bergen von Teneriffa nicht draußen schlafen können, weil es da oben zu kalt wird. Also googeln wir nach einer Herberge und reservieren schon mal ein Zimmer. Wenn wir dort ankommen, werden wir das Bett auch brauchen. Unser Tagespensum lautet nämlich für heute: 4000 Höhenmeter.
Der erste Abschnitt der Route führt uns durch dicht besiedeltes Gebiet. Im ständigen Auf und Ab kurbeln wir auf belebten Straßen durch nette Orte und immer wieder blitzt zwischendrin der Teide auf. Dann, mit dem Wechsel auf Sandpiste, tauchen wir in einen dschungelartigen Wald ein. Sofort klebt feuchte Luft auf der Haut, aber die Steigungen bleiben angenehm zu fahren. Als sich die Sonne gen Horizont neigt und mein Radcomputer nur noch 8 Grad Celsius meldet, erreichen wir unsere Unterkunft Caserio Los Partidos. Ein Glücksgriff! Unser Zimmer hat Dusche und Kamin. So können unsere Klamotten am Feuer trocknen, während wir beim Abendessen sitzen und später diesen unglaublichen kanarischen Sternenhimmel bewundern.
Am nächsten Tag klettern wir die Masca-Schlucht ins Teno-Gebirge hinauf, einem der geologisch ältesten Teile der Insel mit subtropischer Vegetation, steil abfallenden Felsschluchten und Häusern, die sich bedrohlich nah an den Abgrund der Bergkämme klammern. Diese steile Straße teilen wir uns mit regem Autoverkehr, doch irgendwann erreichen wir eine bizarre Landschaft aus Lavafeldern, die an Lanzarote erinnert – nur eben 2000 Meter über dem Meer: das Teide-Plateau. Zum Gipfel fehlen immer noch 1300 Höhenmeter. Die Luft wird dünner, das Atmen fällt schwerer und der Gegenwind bläst stramm. Nur der Blick auf den Gipfel motiviert noch. Die Restaurants rechts und links müssen wir liegen lassen. Es ist schon spät und wir wollen nicht in der Dunkelheit wieder abfahren müssen. Tatsächlich werden unsere Eile und Laktatspitzen belohnt: Wir erleben den Teide mit Wolkendecke um den Hals, angestrahlt von der Abendsonne. Faszinierender geht's nicht.
Leider schwinden Licht und Temperaturen jetzt im Eiltempo. Doch wir sind schneller. Mit jedem Kilometer, den wir auf der Abfahrt durch den Tacho rasseln lassen, wird's wärmer. Als wir in Candelaria den Strand erreichen, bohren sich unsere Zehen schon wieder in sommerlich warmen Sand.
Die Route: Ursprünglich für ein Ultra-Cycling-Event entworfen, gibt es drei Versionen dieser Trans-Kanaren-Route zum Nachfahren (auch mit Gepäcktransport): Trail, Gravel und Road. Inzwischen sogar um eine Durchquerung von La Gomera erweitert (gesamt: 800 km/20.000 hm). Der Name der Tour ist übrigens eine Hommage an die Ureinwohner der Kanaren, den Guanche. GPS-Daten und Infos unter: granguanche.com
Fährverbindungen: Es verkehren verschiedene Reedereien zwischen den Kanaren. Die größeren Schiffe bieten sogar den Luxus einer Dusche. Bezahlt haben wir für alle drei Fährfahrten insgesamt 147 Euro pro Person, vorgebucht haben wir nicht. Fahrpläne und Preise gibt's unter: ferryhopper.com
Übernachten: Wildes Campen ist auf den Kanaren eigentlich nicht erlaubt, Campfeuer bei hohen Strafen sogar verboten. Besser man übernachtet in festen Unterkünften und spart damit jede Menge Gepäck!